Meine
liebste Annie !
26.3.43
Heute komme ich erst am Abend dazu, Dir zu schreiben. Ich wollte schon am Vormittag anfangen, aber es kamen so verschiedene Kleinigkeiten, die zu erledigen waren. Den größten Teil des Vormittags bin ich unterwegs gewesen, um mir die Haare schneiden zu lassen. Aber es ist auch am Abend schön, nochmals miteinander zu plaudern. Zunächst erst vielen Dank für Deinen Brief vom 18.3., den ich mir der heutigen Post erhielt.
Darin bestätigst Du mir wieder den Empfang von 6 Päckchen. Ich freue mich, daß die Sachen alle wieder Deinen Beifall gefunden haben. Wichtig ist mir immer, wenn ich lese, daß die Lebensmittel angekommen sind. Die Butter hast Du ja gleich eingeschmolzen und das Mehl hebst Du auf für besondere Zwecke. Damit machst Du mir immer eine Freude, das kannst Du Dir vielleicht nicht denken, aber es ist so. Wenn aber so viele Päckchen bei Dir eingegangen sind, dann muß ich ja wieder für Nachschub sorgen.
Ich habe darum heute drei Flaschen Likör fertiggemacht. Die Päckchen tragen die Nummer 38/40. Es ist Kümmel. Du kannst ja probieren, ob er Dir schmeckt. Ich hoffe aber nochmals, von dem Kirsch besorgen zu können. Daß Dir die Bücher ebenfalls gefallen haben, ist mir gerade recht. Wenn Du Dir das eine Heft ansiehst mit den Bildern von hier, so findest Du auch unter anderem das Haus der Volkskommissare drin. Das ist unsere gegenwärtige Bleibe. Erst waren wir im 5. Stock dieser gezeigten Front.
Jetzt befinden wir uns im 4. Stock eines Seitenflügels. Das wird Dich sicher interessieren, denke ich. Die Opanken habe ich noch nicht weggeschickt. Ich mache aber das Päckchen jetzt mit fertig. Ich werde Dir meine Filzstiefel mitsenden, die Du mir aufheben kannst.
Es ist ja nicht ausgeschlossen, daß man im kommenden Winter noch hier sein muß.
Das geht gerade in einem. Wie ich aber schon schrieb, habe ich die Befürchtung, daß auch diese Schuhe nicht passen. Aber wie Du schon schreibst, Du wirst schon etwas damit anzufangen wissen. D ein Hinweis auf die Frau, die Kurt da kennen gelernt hat, war mir vollkommen neu. Es sieht aber Paula wieder ähnlich, wie sie die Dinge wieder ausgeschlachtet hat. Ich habe immer das Empfinden, wenn jemand in dieser Beziehung Kurt verstanden hat, dann bist Du es gewesen. Ich weiß, daß er Dich immer sehr geehrt hat und Dir deshalb auch in dieser Weise entgegengekommen ist. Wie sich die Dinge entwickelt hatte, kann man jetzt am allerwenigsten bewerten. Ich für mein Teil lege Wert darauf, daß das Andenken an ihn nicht in irgendeiner Weise getrübt wird. Ob sich Vater damit einverstanden erklärt hätte, spielt hier doch keine Rolle mehr. Diese ganze Einstellung ist doch nur auf die Einwirkung von Paula zurückzuführen.
Sie soll sich doch nicht zur Sittenrichterin aufwerfen, es ist doch vollkommen verfehlt.
Wenn Kurt nun an ihn nicht mehr geschrieben hat, dann könnte ich mit der gleichen Berechtigung sagen, hat er mir denn geschrieben? Von mir war ja noch ein Brief zu beantworten, der noch aus der Zeit vom November stammte. Ich denke nicht daran, ihm heute etwa noch Vorwürfe zu machen. Er hat für uns alle gelitten. Er hat mehr gegeben, als mancher vielleicht zu geben bereit ist. Darum muß man diese Dinge alle auch unter einem anderen Gesichtspunkt betrachten. Wenn ihnen das fehlt, dann müssen sie das eben noch lernen. Wie kann man nur so kleingeistig sein. Das ist so recht spießbürgerlich. Jetzt hat man alles durchgekaut und durchgehechelt; nun zieht man das Hinterste nach vorne. Von Nannie erhielt ich heute ebenfalls einen Brief. Sie ist ja vollkommen geknickt. Sie schreibt, alles hätte für sie nicht so sehr erschüttert.
Nicht der Tod ihrer und meiner Mutter wie diese Mitteilung. Es ist ja auch sehr verständlich.
Denn als sie ihn übernahm, war Kurt 4 Jahre alt. Seit dieser Zeit hatte sie sich viele Mühe mit ihm gegeben. Nun ist dieser Abschnitt ihrer Lebensarbeit auch zerstört. Wir sind noch elastischer und wir werden mit der Zeit einen solch harten Schlag wieder ausgleichen. Wenn ich den Brief beantwortet habe, sende ich ihn Dir mit zu. Übrigens habe ich jetzt einmal alle meine Post, alte und Dinge, die schon längst erledigt sein sollte, gestern erledigt. Sei Du, mein liebster Schatz, recht herzlich gegrüßt und viel, vielmals geküßt von Deinem Ernst.
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