Donnerstag, 29. März 2018

Brief 398 vom 18.3.1943


Mein liebster Schatz !                                                                     18.3.43    
    
Das Päckchen, das Du am 14.1. für mich aufgegeben hattest und das ich durch den Rückzug in die Hand der Bolschewisten gefallen glaubte, kam gestern doch noch an.
Ich wollte schon in diesen Tagen Dir mitteilen, daß wir wohl das Päckchen abschreiben können wie auch den Brief von mir, der so lange an Dich unterwegs war. Vor wenigen Tagen teiltest Du mir nun den Empfang mit, darum unterließ ich es, Dir meine Vermutung mitzuteilen. Wie ich sehe, war es auch besser so. Manchmal soll man doch solchen inneren Eingebungen, die man im Unterbewusstsein spürt, folgen. Es war ja durchaus möglich, daß durch die großen Verschiebungen etwas verloren gegangen ist, trotz der Versicherung, die ich hier von der Feldpost bekam. Aber bei unserer deutschen Gründlichkeit muß schon etwas ganz besonderes eintreten, ehe da etwas verloren geht. Gestern traf beispielsweise ein Telegramm, das am 18.1. in Deutschland aufgegeben wurde, hier ein.
Das ist ja nicht der normale Fall und nur auf die Ereignisse zurückzuführen. Ich danke Dir sehr für die gesandten Sachen. Der Ständer für den Halter steht schon auf meinem Schreibplatz. Das Heft habe ich schon angefangen zu lesen. Das Gebäck ist noch nicht verdorben, trotz der langen Reise.  Mit dem Päckchen traf gleichzeitig Dein lieber Brief vom 7.3. ein. Vielen Dank dafür. Ich gratuliere Dir zu Deinem schönen Sammelergebnis.
Die Kinder haben Dich ja tatkräftig dabei unterstützt. Es ist aber doch nicht so leicht, diese Summe zusammenzubringen ohne irgendwelche Abzeichen. Bis auf wenige Ausnahmen ist sich ein jeder wohl über den Ernst der Lage bewusst.  Wenn man einen netten Erfolg dabei sieht, dann macht das Sammeln bestimmt Spaß.  Wie Du mitteilst, gibt es vorerst keine Glühbirnen mehr daheim. Ich will einmal nachsehen, ob ich nicht irgendwo einige locker machen kann. Das wäre ja nichts, wenn Ihr ohne Licht daheim sein müßtet. Wenn ich etwas bekomme, geht es umgehend an Dicht ab. Ihr habt, wie ich lese, genau so an den Geburtstag von Kurt gedacht, wie ich auch. Der arme Kerl hat ihn nun nicht mehr erlebt. Es ist äußerst schmerzlich, wenn man daran denken muß.  Ich schreibe nun am Nachmittag weiter. Am Vormittag war ich schießen. Das Wetter ist schon sehr schön, so daß einem dieser Spaziergang zum Stand Spaß macht.
Man merkt die Sonne schon sehr und daß es sehr stark ins Frühjahr hineingeht. Vor einem Jahr kam ich nach  Frankreich aus dem Urlaub zurück und erhielt die Nachricht, daß ich mich abmarschbereit halten müßte. Ich fuhr ja damals in dieser Erwartung zurück. Es ging ja damals noch etwa vier Wochen, bis ich dann abfuhr. Aber immerhin, es war ein komisches Gefühl, die ganze Zeit so auf dem Stängelchen zu sitzen. Bis Du diesen Brief erhältst, sind dann 11 Monate vergangen, die ich mich schon hier in Rußland herumtreibe. Eines steht aber fest, daß wir in diesem Jahr mit dem Wetter genau so weit sind wie im vergangenen Jahr, als ich hier herüberkam. Das ist immerhin sehr günstig für uns, denn von der Witterung ist ja schließlich das Einsetzen unserer Operationen zu einem wesentlichen Teil abhängig. Hoffen wir auf eine weitere günstige Entwicklung. Nachdem ich solange nicht geschossen habe. Das war hier die zweite Übung seit langer Zeit. Man merkt, daß es nicht klappt. Wir hatten eine Schnellfeuerübung, die ich nicht ganz erfüllte. Man müßte öfter schießen, dann käme das besser heraus.
Gleich nach dem Essen fuhr das gesamte Unteroffiziercorps ins Theater. Welche Geltung ich hier nun erlangt habe, kann man daraus schließen, daß ich tatsächlich mit dazuzähle.
Es war eine nette Ballettaufführung. Das Programm liegt bei. Ich dachte schon letzthin, als ich hier in einer solchen Aufführung war und ich fand es auch bestätigt, als ich die Bilder jetzt von unseren Kindern bekam. Helga ist nun schon so alt, daß man mit ihr sich eine solche Aufführung ansehen könnte. Dir selbstverständlich würde sowas auch Freude bereiten so wie ich Dich kenne. Es ist doch etwas anderes wie Kino.
Du kennst ja meine Einstellung zum Kino. Ich gehe wirklich auch gern hinein, aber sowas wirkt doch persönlicher, das läßt sich einfach nicht leugnen. Ich würde zu gern einmal mit Euch zu einer solchen Vorstellung gehen, um zu sehen, was Ihr sagt. Aber ich glaube, mich nicht zu täuschen, wenn ich mir vorstelle, daß Ihr Euren Gefallen daran finden würdet. Das sollte man einmal machen können. Ich hatte früher in Deutschland ja noch nie Gelegenheit, eine Ballettaufführung zu sehen. Im allgemeinen legt man bei uns auch nicht so großes Gewicht darauf wie hier. Wenn man klassische Kunst bietet, dann bringt man eben eine Oper. Dies ist hier wohl auch der Fall, aber das Ballett ist hier von ziemlicher Bedeutung bei allen Aufführungen.
Um nun das Maß noch voll zu machen, findet heute ein Unteroffizierabend mit Essen und, was für die meisten das Wichtigste ist, mit Trinken statt. Ob ich zwar so richtigen Kontakt bekommen werde, das muß ich erst einmal sehen. Allzu viel Hoffnung verspreche ich mir nicht davon. Aber auf uns Beamte sieht man ja auch immer besonders hin und ganz besonders, wenn eine solche Gelegenheit kommt, finden die anderen es immer passend, irgendwelche Angriffspunkte zu finden. Wenn man keinen Streit haben will. muß man geschickt operieren. Kürzlich hätte ich bald Schlägerei mit einem dieser Brüder gehabt. Wenn diese Kerle etwas getrunken haben, dann bekommen sie Mut und dann gehen sie aus sich heraus. Das gehört nun einmal mit dazu und mir ist das schon zur Genüge bekannt.
Wie dem auch sei, ich habe vor keinem Angst und Kneifen gibt es auch nicht in diesem Falle. Das sind so Erscheinungen, von denen man nicht immer spricht, weil man vielleicht nicht gerade dazu aufgelegt ist und die passenden Worte findet. Ich denke aber, daß Dich auch sowas einmal interessiert, was außerhalb des Alltäglichen liegt. Zwar diese Dinge sind für mich schon alltäglich geworden. Ich nehme sie aber nicht mehr so tragisch, wie ich sie am Anfang immer aufgenommen habe. Mit der Länge der Dienstzeit bekommt man doch etwas Routine und nimmt vieles nicht mehr so ernst wie am Anfang.
Denn Herumhetzen läßt man sich nach bald 3 Jahren nicht mehr. Da muß schon etwas ganz Besonderes kommen.  Recht viele herzliche Grüße sende ich Dir, mein liebes Mädel, und bitte Dich, nimm im Geiste viele liebe Küsse entgegen.  Manchmal möchte man etwas mehr sagen. Du weißt ja, daß wir beide in dieser Hinsicht wohl etwas steif sind. Das ist aber nun einmal unsere Art, die wir voneinander kennen und die wir voneinander gewohnt sind. Du weißt jedenfalls, wie sie gemeint sind wie ich es auch weiß, was Du mir zu sagen hast. Bleibe gesund und schone Dich in der Weise, wie es Deine Gesundheit erfordert. Grüße Vater bitte recht herzlich von mir und sage ihm bitte, daß ich oft an ihn denke. Unseren beiden Lausern einen herzlichen Kuß und nimm Du viele herzliche Küsse entgegen von Deinem viel an Dich denkenden Ernst.

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