Dienstag, 13. März 2018

Brief 389 vom 04.03.1943


Mein liebster Schatz!                                                                  4.3.43      

Ich bin gestern nicht fertig geworden denn ich wurde abgerufen.  Als ich dann wiederkam, war es zu spät zum Weiterschreiben. Heute im Laufe des Tages kam ich auch nicht dazu und nun sitze ich, wie seit langer Zeit üblich, Am Abend hier in meinem Zimmer, das Radio läuft, und ich schreibe dabei an Dich. Wie Du schon gesehen hast, habe ich Dir wieder ein Foto beifügen können, das noch aus unserer Zeit aus Charkow stammt. Es wurde bei uns im Büro aufgenommen und ich muß selbstgefällig feststellen, daß es ganz ordentlich geworden ist. Ich freue mich jedenfalls, Dir wieder einmal ein ordentliches Bild übermitteln zu können. Den Film dazu lasse ich Dir direkt zugehen. Den hat einer unserer Männer von seiner Frau entwickeln lassen und diese wird ihn Dir zuschicken. Vielleicht kann man davon einige Vergrößerungen machen lassen.  Wenn das möglich ist, dann möchte ich davon meinen Kameraden jedem ein Bild geben.  Ich habe heute bei der Dienstpost 5 Einschreibebriefe an Dich aufgegeben. Sie enthalten Briefe von Dir. Ich habe dies aber nur wegen der Briefmarke getan. Auf den Päckchen befinden sich auch Marken mit Aufdruck. Versuche doch diese abzuweichen und diese mit aufzuheben. Heute hatten wir von unserem Stab aus eine Rundfahrt durch die Stadt mit Führung. Ein Wissenschaftler vom Einsatzstab Rosenberg hatte die Führung.  Ich kann nur sagen, das das höchst interessant war. Das wäre gewiß etwas für Dich gewesen. Nach den Schilderungen muß dieses Kiew früher eine ganz fabelhafte Stadt gewesen sein. Über einhundert Kirchen hat es hier gegeben. Die älteste Kirche Russlands ist noch erhalten, sie stammt aus dem 11. Jahrhundert. Sie enthält ganz fabelhafte Fresken und Mosaikbilder aus dieser Zeit, da staunt man, was da um diese Zeit schon für Kulturwerte geschaffen wurden. Gerade diese Sofienkathedrale hat auf mich einen ganz tiefen Eindruck gemacht. Von diesen vielen Kirchen sind nur noch wenige erhalten geblieben. Die Bolschewiken haben sie abgerissen, um an ihre Stelle Parteibauten zu setzen.  Sie sind meinst sehr kläglich ausgefallen. Es gibt wohl einige mächtige Koloßbauten, aber man hat den Eindruck, als sei das Gebäude noch nicht vollendet.  Langsam füllen sich die Lücken, die durch die ausstehende Post entstanden waren. Vorhin erhielt ich Deine beiden lieben Briefe vom 3./4. und 8./9.2. Ich kann also mit der Post im Moment nur zufrieden sein. Mit Freuden habe ich daraus wieder vernommen, daß Dich meine Päckchen 5 und 6 heil und ganz erreicht haben. Du wirst  alles gut gebrauchen ud darum auch entsprechend einteilen und verwerten. Es stimmt, wenn Du schreibst, daß einem das nicht in den Schoß fällt. Aber man streckt sofort die Fühler aus, um irgendetwas Brauchbares zu beschaffen. Daß man nicht immer nur nahrhafte Sachen bekommt, hast du ja aus meinen letzten Briefen gelesen. Ich denke aber, daß Du mir für die Bücher dankbar bist. Es müßte nur sein, daß Du jetzt den Lesestoff auf einmal verachtest.  Aber ich glaube eher, daß du immer dafür noch sehr empfänglich bist. Ich freue mich jedenfalls, wenn ich von Dir lesen kann, daß auch Du merkst, wie ich immer an Euch denke. Das ist mir Dank genug und das spornt mich immer wieder an.  Deine Empfindungen über die Kämpfer von Stalingrad sich auch die meinen. Im Gedächtnis der Deutschen haben diese Kämpfer alle ein Mahnmal. Daß diese Männer alle symbolisch die anderen mit verkörpern, dieser Gedanke zwingt sich einem unwillkürlich auf.  Daß Kurt gerade um diese Zeit fallen mußte, ließ einem diesen Kampf noch spürbarer werden. Ich wußte von diesen Kämpfen ja schon, als die erste Einschließung kam, denn diese Armee gehörte zu unserer Heeresgruppe. Trotz allem nahm man am Anfang das alles nicht so tragisch, weil man sich sagte, die halten sich bis Entsatz kommt. Das Schicksal hat es anders gewollt.  Daß es mir gelungen ist, Dich einmal in Erstaunen zu versetzen, das wundert mich und läßt auch mich staunen. Das war Dir also neu an mir, daß ich solche Märchen schreibe. Wenn ich ehrlich sein soll, dann stammt ja die Idee nicht von mir, sondern von unserem Jungen. Ich habe es nur noch etwas ausgeschmückt, das ist mein ganzer Verdienst. Wenn es Euch allen Freude bereitet hat, dann stimmt es ja wieder einmal. Ich stecke dieses Lob von Dir zwar ohne Gegenleistung ein und bedanke mich dafür. Ich möchte den Kindern schon wieder einmal schreiben, aber erst kommst Du dran. Nun komme ich eigentlich auch erst heute dazu, Deine Frage wegen der Bohnen und des Kakao, den Du an Deinen Vater senden willst, zu beantworten.  Mit dem Kakao tritt doch etwas kurz. Denn Du weißt nicht, was Du noch für die Kinder bekommst. Man weiß ja nicht, wie lang sich der Krieg hinzieht. Wenn Du die Bohnen übrig hast, dann sende sie ihm doch. Man muß ja jetzt mit allen Dingen sehr sparsam umgehen und damit haushalten. Es stimmt schon, daß er zu der Zeit, als Erna noch bei ihm war, manches mehr gehabt hat, das wird er wohl gemerkt haben. Du muß aber immer im Auge behalten, daß Ihr drei Personen seid und seine Frau muß auch an ihn denken. Ich bitte Dich, das zu beachten.  Mit Deinen Zeilen wolltest Du mich anscheinend in Sicherung wiegen, wenn Du mir anrätst, daß ich mit unserem Jungen keine Notgemeinschaft bilden brauche. Die Worte klingen mir zu verdächtig. Ich bin mit Einschränkungen wieder ein frecher Kerl. Du meinst zwar, daß das Wort „Bürschle“ eine Liebkosung sei und keine Herausforderung. Meine Reue fand anscheinend vor Deinen Augen keine Anerkennung. Ich weiß mir nun nicht mehr zu helfen und überlasse alles dem Schicksal, es wird alles zum rechten fügen. Aber wenn man seiner eigenen Frau nicht einmal ein paar Worte sagen kann, die einmal aus dem Rahmen fallen, was kann man dann eigentlich noch machen.  Ich teile vollkommen mit Dir die Einsicht, und ich habe Dir diese Auffassung schon kürzlich selbst mitgeteilt, daß die anderen Menschen eine Nachricht vom Tode eines Anderen wohl hören, dann sagen sie noch, so, so, der und der ist auch tot. Nur eine solche Katastrophe wie Stalingrad läßt sie aufhorchen. Das Leben stellt ja auch viele Anforderungen, darum kann man auch von den anderen nicht verlangen, daß sie nun die Hände in den Schoß legen und mittrauern. Das Leben geht weiter und jeder hat heute viel mit sich selbst zu tun. Wenn das Mädel aus dem Geschäft von Kurt um ihn trauert, dann ist das sehr mitfühlend, aber unseren Kurt bekommen wir dadurch doch nicht wieder zurück. Aber Paula verlangt von andern Menschen mehr, als sie selbst zu geben gewillt ist. An den Oberleutnant habe ich ja inzwischen schon von mir aus geschrieben. Wie sich die Dinge dort gegeben haben, das kann man noch nicht endgültig sagen. Ich hoffe, auf alle Fälle Bescheid zu bekommen.  Bei uns hier im Süden bessert sich nach dem Wehrmachtsbericht zusehends die Lage. Das gibt wieder neuen Mut und man sieht mit mehr Vertrauen in die Zukunft, wenn unsere Lage bisher auch nicht als hoffnungslos zu bezeichnen war, aber es drückt ein Rückzug auf das Gemüt, weil wir ein Volk sind, das auf den Angriff eingestellt ist.  Im Zusammenhang mit der Zurückstellung zum Ersatz bzw.  zum Versorgungsheer benötige ich eine amtliche Bescheinigung, daß ich letzter Sohn bin. Ich denke, daß Du am besten auf das Standesamt gehst mit dem Familienbuch und läßt Dir vom Himmelsbach eine solche Bescheinigung ausstellen.  Daß unsere zwei Lauser Dir Arbeit machen, das ist ja klar. Vor allem, wenn unser Oberstromer die Hosen im Stacheldraht zerreißt. In Friedenszeiten ist das nicht so schlimm, aber jetzt, wo man alles so schlecht wieder beschaffen kann, da ist das schon erheblich schwieriger. Daß unser Junge ein richtiger Rüpel geworden ist, das sieht man daran, wie er sich benimmt, wenn seine Schwester in der Klasse bei ihm Aufsicht führen muß. Daß er sie dabei herausfordert, das ist ja bei diesem Bengel nicht anders denkbar. Ich muß da an die Geschichte von Thoma denken, wo das eine Mädel ihn an die Tafel geschrieben hat und was sich dann für eine große Geschichte daraus entwickelt hat. Hier ist es ja etwas anders. Aber das fiel mir dabei unwillkürlich ein. Wenn er so weitermacht, dann wird er ja ein richtiger Raudi. Nicht einmal vor den älteren Mädchen haben diese Bengels Respekt. Das ist schon unerhört. Das ist geradezu empörend. Man merkt aber, der Vater fehlt daheim. Ich bin auch mit Dir einer Meinung, daß Paula wesentlich an dem Zwiespalt schuld ist, der sich innerhalb der Familie zeitweilig ergeben hatte. Daß Kurt in einer schwierigen Lage war, das war mir immer klar. Mit keinem wollte er es verderben. Wir haben uns jedenfalls bemüht, möglichst wenig über die anderen zu sprechen und wir waren immer froh, wenn wir uns nicht damit beschäftigen mußten. Ich weiß aus der Kenntnis der Mentalität von Paula, daß dieser Fall bei ihr umgekehrt lag. Dies erhellt ja sich wieder daraus, daß sie das Zusammensein mit Vater gleich wieder benutzt hat, über uns  herzuziehen. Ich fühle mich davon nicht beirrt, denn in diesen Dingen habe ich schon eine philosophische Ruhe bekommen. Das kann mich kaum mehr ärgern. Ich weiß, welche Charaktereigenschaften sie hat. Daß sie in Albert einen guten Nacheiferer gefunden hat, das ist Dir und mir ebenso bekannt. Daß dann der Junge nicht anders sein kann, das ist ja vollkommen klar. Gewiß, sie haben vieles für Kurt getan, aber sie hört zu gern dafür ein Lob und sie hat es zu gern, wenn man ihr das immer wieder sagt, was sie damit geleistet hat. Wenn Vater für alles Entschuldigungsgründe findet, dann ist das seine Sache. Wir haben unsere Erfahrungen mit ihr gemacht. Wenn sich eine kleine Änderung in den Beziehungen ergeben hat, so doch lediglich nur im Andenken an unseren Kurt. Er selbst hätte es vielleicht gern zu Lebzeiten gesehen, aber erst sein Tot war stark genug, um über die im Laufe der Zeit entstandenen Schranken hinwegzuhelfen. Daß Paula sich nicht geändert hat, daß sie die gleiche bleibt, das ist auch meine Ansicht. Über das Verhältnis zwischen Kurt und Vater habe ich ja vor einigen Tagen geschrieben. Es war so, daß er sich nie viel bei ihm hat sehen lassen. Er hat auch nicht viel gesprochen, aber wenn ich mich an den Fall mit der Familie Frick erinnere, dann kann ich mir nur sagen, daß er in ehrenhafter Weise an Vater gedacht und von ihm gesprochen haben muß. Das ist schön von ihm gewesen. Er stand ja praktisch zwischen den Fronten, die sich herausgebildet hatten. Er bewegte sich in dem einen wie im andren Lager. Ob er die Meinung von Paula beispielsweise durch irgendeine Zustimmung bestärkt hat, das glaube ich wohl nicht. Es kann sein, daß sich die Beziehungen im Laufe der Zeit wieder von selbst etwas auflösen; festigen werden sie sich wohl kaum. Daß sie gern und auch mit Erfolg organisiert, das weiß ich. Sie ist dann bestimmt nicht kleinlich, das ist vielleicht ihre große Seite. Wie ich aber oben schon schrieb, sie will es immer wieder bestätigt haben und man soll ihr nur deshalb huldigen. Das machen wir nun nicht mit und da wir unsere eigene Meinung in unseren Dingen haben, das ist nun nicht nach ihrer Mütze. Aus all diesen Erwägungen heraus haben wir uns auch aus allem heraushalten wollen. Daß wir immer noch wissen, wer wir sind und daß wir unseren Stolz haben, hat uns ja auch die Spannung, um nicht zu sagen die Feindschaft gebracht. Wir sind aber auch ohne ihren Segen das geblieben, was wir waren, und auch ohne ihren Segen sind wie größer geworden. Das mag auch einen Teil ihres Grolles auf uns ausgemacht haben, daß wir ohne ihre Hilfe so langsam zu etwas gekommen sind. Für heute will ich damit diese Betrachtung schließen. Ich glaube, daß wir wieder einer Meinung sind.  Nun hat Helga auch wieder etwas geerbt. Daß diese Schuhe von Dir in ihren Besitz übergegangen sind, hat ihr wohl gefallen. Das ist nun einmal Kinderart, daß sie sich gern „stolz machen“, wie sie doch immer sagt. Wenn Du sie entbehren kannst, dann soll es ja recht sein.  Die Schuhe waren ja sehr ordentlich. Sie soll sie nur in Acht nehmen. Im allgemeinen leiden sie ja nicht so wie bei unserem Oberstromer.  Die Geschichte mit dem  Chef, an die Du erinnerst, hat insofern einen Haken, als dieser doch mit aus der früheren Zeit bekannt war. Diese Gegend ist ja nicht aus unserer Hand gekommen. Darum ist anzunehmen, daß dieser Mann noch auf seinem Posten sitzt, Also werden sich kaum Änderungen ergeben haben, wenn der Mann seine Pflicht weiterhin getan hat. Was die anderen von uns im vergangenen Sommer besetzten Gebiete anlangt, wie wir jetzt an die Russen wieder abgeben mußten, so kann ich Dir dazu sagen, daß die Landwirtschaft gleich hinter der kämpfenden Truppe mitgeht. Die  Erzeugnisse werden erfaßt und die Gebiete werden sofort für die Truppe nutzbar bemacht. Denn es kommt doch darauf an, daß die Truppe unabhängig von der Heimat ist. Bedauerlich ist, daß wir allerhand Vorräte dort lassen mußten, die wir nicht mehr abtransportieren konnte. Die Getreide mengen, das Öl, die Butter und die Kartoffeln sowie der Zucker und was es so alles gibt, waren nicht unbeträchtlich. Aber wenn wir jetzt wieder zurückschlagen, dann ist es ja  wesentlich, daß es dem Russen nicht zur Nutzung verbleibt. Es ist kaum möglich, daß er das alles in der kurzen Zeit weggeschafft hat. Diesen Brief kann ich einem in Urlaub fahrenden Offizier mitgeben. Ich hoffe, daß er darum recht bald in Deine Hände eintrifft. Sei Du recht herzlich gegrüßte und gib den Kindern viele Küsse von mir, diesen Lausern. Grüße auch bitte Vater von mir und nimm Du persönlich leider nur wieder im Geiste, viele Küsse entgegen. Ich würde zu gern Dich wieder einmal abdrücken. Hast Du etwas dagegen? Kuß, Schluß! Dein Ernst. 

Die verschiedenen Zeitungsausschnitte vergaß ich noch zu erwähnen. Könnte Kur nicht so als Soldat ausgesehen haben. Die Zigarette natürlich weggedacht. Den anderen Bericht über WL kannst Du einmal mit den anderen Sachen aufheben. Dann den Ausschnitt über die Schule sende ich Dir mit, damit Du auch siehst, welchen Weg man mit der Hauptschule zu gehen gedenkt. Wenn das sich einmal eingespielt hat, dann mag das schon recht sein. Ich habe aber immer noch das Empfinden, als ob damit experimentiert wird. Jetzt mache ich aber bestimmt für heute Schluß mit meinem Reimen, darum nochmals wie oben. 

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