Donnerstag, 29. März 2018

Brief 400 vom 21.3.1943


Meine liebste Annie !                                                                    21.3.43   
      
Soeben komme ich von der heutigen Heldengedenkfeier zurück.  Diesmal ging ich ja aus besonderem Anlass hin, denn ich hatte ja den Tod meines lieben Bruders zu ehren.
Es wird einem doch weh um das Herz, wenn bei präsentiertem Gewehr das Lied vom guten Kameraden gespielt wird. Es ist alles noch zu frisch. Wer hätte das im vergangenen Jahr von uns allen geahnt. Keiner. Erschrocken wäre man bei dem Gedanken. Es ist etwas ganz Großes um den Tod. Aber wenn man sein Leben als ideeller Mensch, wie er es war, für seine Heimat und seine Familie oder seine Angehörigen gibt, dann ist dies nicht abzuschätzen in seiner Größe. Ich will gewiss nicht jetzt ihm etwas andichten, was vielleicht nicht vorhanden war. Ich kann, soweit ich als Bruder sein Wesen erfasst habe, nur ehrend seiner gedenken, denn er war ein redlicher und braver Kerl. Erinnerungen steigen auf aus den verschiedensten Zeiten, die ich mit ihm in Verbindung war. Eines hat mir immer an ihm gefallen, daß er Dir in so kameradschaftlicher Weise entgegen kam. Ich habe das jedes mal an ihm zu schätzen gewusst, weil es so gut in den Rahmen unseres Familienlebens hineinpasste. Umso schmerzlicher habe ich es empfunden, als ich von Euch las, wie schwer es von seinem letzten Urlaub von daheim geschieden ist. War es nur die Erkenntnis, in das nicht gerade schöne Land zurück zu müssen, oder war es schon eine Vorahnung. Wer kann das erfassen, wer kann es nachempfinden.
Wir haben ihn hingegeben und wir werden ihn nun deshalb nicht vergessen, weil er nicht mehr unter uns Lebenden weilt. Im Gegenteil, sein Tod soll uns Mahnung und Verpflichtung sein, wie ich es schon einmal schrieb. Ich weiß nicht, wie es kommt. Ich komme erst heute dazu, richtig Deinen Brief vom 1.2. zu lesen, den ich vorgestern erhielt. Es scheint  mir, als sollte ich ihn erst heute gerade an diesem Tage lesen.  Manches ist schicksalhaft, so dies vielleicht auch. Es ist das Schreiben, in dem Dur mir mitteilst, daß in der Firma ein Betriebsappell zu seinem Gedenken abgehalten wurde. Ich kann mir vorstellen, daß es für Dich ein eigenes Gefühl gewesen ist, ihn inmitten eines so feierlichen Rahmens im Bild zu sehen.  Du schreibst weiter von dem ersten Zusammentreffen mit Nannie und mit Paula. Nannie war verzweifelt und sagte, wie das die ganze Art von dieser Seite ist, von der ich wohl auch mit etwas abbekommen habe, daß von ihm nun alles ausgelöscht sei. Du wirfst nun ganz richtig die Frage auf, was denn mit der Seele sei. Ich las gerade in diesen Tagen einen schönen Artikel. Vielleicht kennst Du ihn auch. Es spielt aber keine Rolle. Darin heißt es: „Es ist eine letzte Begier des Menschengeschlechts darüber nachzudenken, was das „menschliche“ des Menschen ausmache, was ihn heraushebe als „Menschen“ aus der Nachbarschaft jedweden anderen lebenden Wesens.
Der Mensch ist Blut und Fleisch, ist Stoff  man kann diesen Stoff zerlegen und anatomieren bis zur letzten Muskel  und Nervenfaser, und findet doch nicht das, was alle die tausende Fasern lenkt, regiert, zusammenhält“. Mir hat diese Definierung gut gefallen. Man erkennt aus ihr, wie wertvoll und doch wie unfassbar dieser Begriff ist. Er macht das Höchste im Menschen aus. Er ist erst das, was ihn eigentlich erst zum Menschen prägt. Darum finde ich auch die Worte, die Du mir aus der Grabinschrift von Kepler mitteilst so passend.: Modert der Leib auch, so so schaut selig sein Urlicht der Geist.“. Darum stimme ich auch mit Dir in der Meinung überein, daß es nicht zuletzt der Körper ist, sondern der Geist, der unseren Kurt uns so wertvoll erscheinen läßt. Wir neigen wohl alle dazu, dies uns alles zu körperlich vorzustellen. Es ist nicht greifbar und doch weiß man, daß es vorhanden ist. Es ist uns verständlich, daß der Körper vergeht, aber wir wissen und fühlen vor allem, daß die Seele nicht vergangen sein kann, weil uns ja auch noch das Ethische, was uns einen bestimmten Menschen als wertvoll erscheinen ließ, noch in uns Nachgebliebenen nachlebt. Es verbinden sich hier wohl schon die Begriffe von der Materie und dem Wesenlosen.  Wo das eine anfängt und das andere aufhört, das werden wir in seiner Endform wohl nicht fassen können.
Ob wir damit auf dem rechten Wege sind, wenn wir uns daran halten, daß die Seele irgendwie im Weltall weiter existiert oder auf einem der vielen unzähligen Sonnensysteme, das kann keiner sagen. Wir Menschen müssen aber etwas haben, an das sich unser Geist halten kann, weil mit dem Unvorstellbaren das Unfassbare so nahe zusammenrückt, daß wir eines Tages nicht mehr imstande sind, es mit der erforderlichen Ehrfurcht an die Größe der Schöpfung und alles das zu denken, was das Leben ist. Es ist leichter über diese Dinge zu sprechen als darüber zu schreiben, weil man befürchten muß, nicht so verstanden zu werden, wie es gemeint ist.  Es wäre wohl gut, wenn er außer dem guten Andenken, das er uns hinterlassen hat, auch noch ein Stück von ihm verblieben wäre. Was aber nutzt, streng genommen, ein uneheliches Kind. Es würde in ihm fortleben.
Wer sagt aber, daß die Eigenschaften, die wir an ihm schätzten, von der Kindesmutter geduldet und gefördert würden. Das sind Dinge, an die man in diesem Zusammenhang auch denken muß. Daß dies nun nicht so ist, war wohl auch Bestimmung des Schicksals.
Wollen wir es so nennen. Probleme habe ich heute mit Dir angeschnitten, Fragen sind offen geblieben und vieles habe ich uns zu klären gesucht. Ob und wie weit mir das gelungen ist, das kann ich nicht von mir aus beurteilen. Ich hoffe, daß ich Dir keine schweren Gedanken gemacht habe.  Ich habe nun nicht Lust, große Sachen in diesem Brief weiter zu erledigen. Das werde ich für den nächsten aufsparen. Die anliegenden Bilder stammen von unserem Rückzug. Das ist unser Kreis. Die Bilder sind nicht gerade gut geworden. Es kann sogar sein, daß es Schwierigkeiten bereitet, mich aus dem Gedränge herauszufinden. Diese Bilder wurden in einem russischen Geschäft gemacht, daher kommt es, daß die Sachen so undeutliche geworden sind. Zur Erinnerung an eine Zeit, die uns ernste Sorge gemacht hat, sind sie aber immerhin für mich wertvoll. Ich grüße Dich, mein liebstes Mädel und hoffe zuversichtlich, daß es Dir wieder gesundheitlich leidlich ordentlich geht. Ich wünsche Dir jedenfalls das Beste dazu. Nimm viele herzliche Küsse in Liebe entgegen und küsse gleichzeitig die Kinder von Deinem Ernst.

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