Donnerstag, 1. März 2018

Brief 387 vom 01.03.1943


Meine liebste Annie, liebe Frau !                                                      1.3.43       

Deine weiteren Zeilen, die Du im Anschluss an Deinen Luftpostbrief vom Tode unseres Kurt geschrieben hast, sind genau 4 Wochen nach Eintreffen des Luftpostbriefes eingegangen. Das liegt nun an den Frontverschiebungen, die sich seit der Zeit ergeben hat. Heute gehe ich hier zur Frontbuchhandlung, auf einmal ruft mich hier ein Zivilist an. Ich bin erst verwundert, dann stellt es sich heraus, daß es einer unserer Dolmetscher war, die wir bei unserer früheren Einheit hatten. Ich war erfreut und zugleich verwundert, diesen Mann hier zu treffen. Ich erfuhr dann, daß die Kameraden von dem Ort, an dem ich auch war, gerade noch so weggekommen sind, bevor die Russen kamen. Sie waren über drei Wochen mit Schlitten unterwegs. Es haben sich manche Unliebsamkeiten ergeben, über die man hier nicht gut schreiben kann, über die man später vielleicht besser einmal spricht. Der eine Rat, der mit auf dem Bild ist, das ich Dir kürzlich sandte  er sitzt zwischen mir und Drechsler  wird mit noch einigen Kameraden vermisst.
Es kann sein, daß sie sich in den nächsten Tagen noch einfinden werden. Solche Meldungen wird man in diesen Tagen verschiedentlich hören. Es ist eine harte Zeit für uns. Wenn das der Höhepunkt all dieser Kriegsereignisse ist, wenn das wirklich die letzten Anstrengungen der Russen sind, und wenn wir diesen Schwerpunkt überwunden haben, dann könnte man mit mehr Zuversicht für die nächste Zeit in die Zukunft sehen. Aber dür den Fortgang der weiteren Dinge kann man noch keine schlüssigen Erklärungen abgeben, denn Aktion löst eine Gegenaktion aus. Wir werden keine Mittel unversucht lassen, um all das einzusetzen, was unserem Siege dient. Hoffen wir darum, daß wir dem Abschluss der Kämpfe hier im Osten näher sind, wie wir es vielleicht ahnen, immerhin so nahe, wie wir es erhoffen.  Als ich damals von Dir die Mitteilung erhielt, daß Kurt in Urlaub gekommen ist, da hatte ich mich so für ihn gefreut. Du schriebst mir damals, daß er entgegen seiner Gewohnheit erzählt habe. Ich betrachtete das als eine angenehme Veränderung ins einem Wesen. Du hattest Dich anscheinend auch darüber gefreut, denn Du schriebst mir noch besonders davon. Ihr hattet nun erst noch vor kurzer Zeit mit ihm gesprochen, für Euch war der Eindruck vielleicht noch lebendiger. Ihr konntet euch aber immer noch damit trösten, daß Ihr ihn noch einmal gesehen hattet, dies war ja bei mir schon lange nicht mehr der Fall. Ich kann mir gut vorstellen, daß Vater ganz niedergeschlagen war, als er Dir diese Nachricht überbrachte. Daß er das alles miterleben musste, ist hart, doch man weiß ja nicht, was die Vorsehung alles für uns noch aufgespart hat. Nach menschlichem Ermessen und nach dem normalen Ablauf des Lebens rechnet man ja, von seinem Standpunkt aus gesehen, nicht mit solchen Ereignissen. Wenn etwas Zeit darüber hingegangen ist, wird er auch wieder etwas mehr Ruhe finden. Es ist ja für uns alle nicht leicht. Wenn Ihr um ihn weint, dann kann man sagen, daß er diese Tränen verdient hat. Es stimmt, er war nicht so wie die Menschen so landläufig sind, aber ein guter Kerl war er doch. Wenn ich nur so daran denke. Wenn er daheim war, so hat er doch mit Vater nicht viele Worte gemacht. Er hielt sich nur ganz kurz immer bei ihm auf, wenn er schon hinunterging. Aber wie ich aus dem Verhalt der Frau Frick entnehmen muß, hat er doch dort sicherlich über ihn gesprochen, denn sonst würde diese Frau ihm nicht immer wieder etwas geschickt haben. Ich betrachte dies immer wieder unter diesem Gesichtspunkt und ich glaube, daß dies auch bestimmt so war. Im Zusammenhang mit dem Tod von Kurt erinnere ich mich an due Stimmung, die zuhause bei uns herrschte, als wir die Nachricht bekamen, daß Walter wahrscheinlich tot sei. Wir saßen daheim. Vater kam und erfuhr davon. Walter war früh weggegangen wie immer. Kaum, daß man ihm etwas angemerkt hatte. Später hat man dann versucht, alles zu rekonstruieren. Man hatte wohl seine Mappe am Ufer gefunden. Ein Bootsfahrer will gleich hinausgefahren sein und versucht haben, mit Stangen nach ihm auf dem Grund zu fühlen. Ergebnis zwecklos.  Ungewiss war noch alles. Alle Fragen blieben offen. Ist er tot oder lebt er noch. Bis dann nach langen Wochen die Gewissheit kam. Das war viel, und doch erlebte ich das damals alles nicht in dem wachen Bewusstsein, denn ich war ja immer noch ein Kind. Aber die Erwachsenen machten das damals alle mit durch. Das war schon eine starke Belastung. Das ist nun mit Kurt wieder ein ganz anderer Fall. Aber wenn man sich so sagt, er hat das Leben noch vor sich gehabt, dann bedeutet das schon etwas für die Eltern und für die Anverwandten. Daß er mit der Familie Frick über Tod oder Verkrüppeltsein geredet hat, das ist mir noch in Erinnerung, denn die Frau sprach bei meinem Besuch davon. Ich hoffe, daß nun der Brief eingegangen ist, in dem ich Euch meine ersten Eindrücke davon geschrieben habe, denn ich denke, daß auch diese Post inzwischen wieder losgeeist worden ist.  Die zwei anderen Briefe sind vom 25.1. und vom 18.2. Du siehst, sehr durcheinander. Ich freue mich aber trotzdem über jede Zeile. Über Deine Ansicht über das Nähen und im besonderen darüber, daß nun auch die Damen der sogenannten besseren Gesellschaft von Konstanz teilnehmen, wie Stromeier und Wernhahn  habe ich mich gefreut. Es würde mich aber noch mehr freuen, wenn tatsächlich alle die Frauen, die nichts zu tun und nichts zu versorgen haben, auch hinzugezogen werden. Ich sträubte mich nicht dagegen, daß Du dort Deiner innerlichen Pflicht nachkamst, sondern nur dagegen, daß eine gewisse Bevölkerungsschicht glaubt, nicht dazu aufgefordert zu sein. Darum ist schon besser, wenn etwas Schwung dahinter kommt.  Daß Helga die Gemeinschaft anderer Schulkameradinnen sucht, ist schon recht. Wenn sie sich dazu welche aussucht, die ihr mindestens charakterlich etwa gleichwertig sind, so ist das nur zu begrüßen, denn in diesem Alter brauchen sie Austausch und Anerkennung. Wenn dieser Klub noch einen solch ideellen Zweck hat, dann ist das doch sehr schön und nett.  Über etwas in Deinen letzten Schreiben hatte ich mich gewundert. Wie kommst du darauf, daß sich Göbbels mit P schreibt.  Im ersten Brief hatte ich es für einen Schreibfehler gehalten, aber auch im anderen darauffolgenden Brief hast Du es gleich geschrieben. Ärgere Dich bitte nicht darüber, wenn ich Dich darauf aufmerksam mache, aber Du wirst verstehen, daß ich das nicht durchgehen lassen kann. Solange das mir gegenüber passiert, ist das auch noch nicht so schlimm. Ich möchte nur nicht, daß Dir dieser Schnitzer anderen gegenüber auftreten würde.  Jörg geht anscheinend nicht so forsch wie Helga beim Schwimmen ran.  Aber es  soll nicht übers Knie gebrochen werden. Er soll sich Sicherheit verschaffen. Wenn er diese hat, dann aber richtig ran. Am besten ist, man geht systematisch vor und baut nach und nach auf. Wenn er erst einmal Vertrauen zu sich hat, daß er es kann, dann wird er sich schon selbst mehr zutrauen. Nur mit Üben soll er  nicht nachlassen. Aber da siehst Du schon von selber drauf, darum brauche ich Dich nicht erst darauf hinweisen. Über Deine Überraschung mit dem Schlauchboot hat er sich sicherlich sehr gefreut. Daß die Baumwolle noch solch nützliche  Verwendung gefunden hat, hatte ich mir nicht gedacht. Ja er kann schon froh sein, daß er so ein Mutterle hat, die ihm solche Sachen macht. Das glaube ich gern, daß ihm die Laubsäge gefallen hat.  Wenn er aber was haben will, so weiß er sich schon zu helfen. Er hat sich also gleich solch Sägeblatt verschafft, damit er sie auch verwenden kann. Die Ausbesserung des Stuhlbezuges war bestimmt notwendig. Während des Krieges geht auch ein solcher Stoff. Was man dann nach dem Kriege macht, das muss man dann sehen.  Feststellen muss ich leider, daß es mir anscheinend nicht mehr gelingt, Dich zu fuchsen. Also, wenn Du Dich so umstellst und mir das billige Vergnügen nicht mehr lässt, dann fuchse ich Dich überhaupt nicht mehr. Das ist Dein eigener Schade. Findest Du nicht auch? Aber ich werde schon wieder bei Gelegenheit etwas finden, dann kannst Du Dir aber gratulieren. Ich bin durchaus Deiner Ansicht, daß die Kinder Dich nach Möglichkeit unterstützen müssen, denn sie sind ja jetzt schon groß. Sie können nicht alles allein auf Dir lasten lassen, und ich denke, daß sie es auch gern tun werden.  Sieh nur zu, daß Du Dich aus dem Streit im Haus heraushältst, denn abgesehen davon, daß jeder weiß, was für ein Pack diese Leute sind, hat man doch nur Auseinandersetzung , Ärger und Verdruss, am Ende noch Lauferei. Zuletzt bekommt man dann tatsächlich recht, aber was ist denn schon dabei, denn dieses Pack macht ja nach wenigen Tagen doch wieder die alte Tour. Wenn einem allerdings die Ehre angegriffen und abgeschnitten wird, dann muss man schon zupacken. Aber dann möglichst so, daß dieses Dreckvolk einen Denkzettel bekommt.  Ich denke, daß nun in den nächsten Tagen unser Schicksal für die nächste Zeit entschieden wird. Schreibe aber nur vorerst noch weiter an meine gegenwärtige Adresse, denn ich kann ja noch nichts Bestimmtes sagen. Ich habe jetzt Einwände geltend gemacht, daß ich der letzte Sohn der Familie b in. Es wäre sonst damit zu rechnen, daß ich in wenigen Tagen nach Marburg müsste. Was das bedeutet, weißt Du ja noch vom vergangenen Jahr. Du weißt, daß ich keiner von denen bin, der sich drücken will. Ich habe bisher immer meine Pflicht getan und ich werde ihr auch weiterhin in gewohnter Weise und in Treue nachkommen. Wenn ich aber sehe, wie man hier teilweise sehr junge Männer bei unserem Haufen herum laufen sieht, davon wieder vorwiegend Offiziere, dann sehe ich nicht ein, daß ich mich nun vordrängen soll und daß ich von einem Recht, das uns nun einmal eingeräumt worden ist, nicht Gebrauch machen soll.  Ich habe Dir das kürzlich schon einmal erklärt und ich bitte Dich, mich nicht falsch zu verstehen. Ich habe keine Angst und ich nehme das auf mich, was von mir verlangt wird, aber im Interesse der Familie und in unserem Interesse hielt ich es für notwendig, daß ich diesen Schritt getan habe. Wie nun darüber entschieden wird, teile ich Dir noch mit. Ich will um diese Dinge nicht herumreden, sondern sie klar beim Namen nennen, denn dann werden wir am besten damit fertig werden. Ich denke, daß ich auch damit Dein Einverständnis finde. Ich bitte Dich jedenfalls hierzu zu äußern. In den letzten Tagen habe ich allerhand Bücher gekauft. Die Kosten dafür betragen rund 50,RM. Einen Teil habe ich Dir gestern schon zugesandt. Den anderen Teil werde ich in diesen Tagen mit absenden. Es sind auch drei Bücher für die Kinder dabei. Wenn auch einige davon für welche jüngeren Alters sind, so denke ich, daß sie doch Gefallen daran haben werden. Eine schöne Entdeckung hatte ich gemacht, als ich ein Buch fand, das von Nordfrankreich handelt. Fast alle Bilder, die darin enthalten sind, kenne ich auch aus eigener Anschauung, darum ist es mir, wie es schon darauf heiß, ein  Kriegserinnerungswerk. Die geschichtlichen Abhandlungen, die dabei sind, werden auch Dich sicherlich interessieren. Ich denke, daß die anderen Bücher ebenfalls Deinen Beifall finden werden. Ich hatte diesen Brief schon gestern Abend angefangen. Ich war aber sehr müde, so daß ich mich ins Bett gelegt habe mit dem Vorsatz, heute früh zeitiger aufzustehen Das habe ich dann auch getan. Ich bin schon ½ 6 Uhr aus der Falle, damit ich diesen Brief fertig schreiben konnte. Jetzt habe ich es geschafft und ich bin froh, daß ich Dir alle mir wichtig erscheinenden Dinge schreiben konnte, so daß somit wieder alles erledigt ist.  Sei vielmals und recht herzlich gegrüßt und nimm Du, sowie mit den Kindern recht viele Küsse entgegen von Deinem Ernst.

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