Donnerstag, 29. März 2018

Brief 409 vom 31.3.1943


Meine liebste Annie !                                                                    31.3.43 
          
Herzlich danke ich Dir für Deine beiden Schreiben vom 21. und 22., die gestern ankamen.
Ein Brief von Frau Frick traf ebenfalls ein. Das war die Post von gestern. .  Ja, die Sendung vom Truppenteil von Kurt kamen also ausgerechnet am Heldengedenktag an. Wie eine Mahnung von Kurt, auch ihn unter dem großen Heerbann der Gefallenen nicht zu vergessen. Ich nehme mir oft sein Bild vor. So wie er war, so erscheint er einem darauf, und ich kann nur wieder sagen, daß ich dann immer kaum daran glauben kann, daß sein Tod Tatsache sei. Wenn man dann allerdings seine persönlichen Sachen zurückkommen sieht, dann steht es wieder unzweifelhaft fest. Sein Fotoapparat war doch sein ein und alles. Weißt Du noch, wie er aus Pommern zurückkam und sich über die Anschaffung freute. Er konnte sich ja überhaupt manchmal wie ein Kind freuen. Er hat ihn lange Zeit begleitet. Daß er ihn gewissermaßen bis in den Tod begleiten würde, das ahnte damals niemand. Es ist schwer, das alles ansehen zu müssen.
Man kann sich aber auch nicht des stolzen Gefühls erwehren, dass er seine Pflicht getan hat bis zum letzten und wie es von ihm verlangt wurde. Wenn Du von dem einen Bild schreibst, wo er auf der Wiese sitzt und so herzlich lacht, dann muß ich daran denken, wie er manchmal bei uns saß und las. Wenn der Inhalt nun entsprechend war, fing er auf einmal an zu lachen und platzte nur so heraus.  Wie ich aus Deinem heutigen Schreiben ersehe, ist Vater doch nicht so auf die Beeinflussung von Paula eingegangen, wie ich das schlechthin erst auf Deinen letzten Brief annahm. Er will also sich doch nicht so schnell entschließen, die Bausparkasse aufzugeben; jedenfalls noch, ohne vorher mit mir darüber gesprochen zu haben. Ich habe Dir ja schon meine Absicht in dieser Beziehung mitgeteilt. Ob du meine Auffassung in dieser Beziehung voll teilst, nehme ich wohl an. Ich will aber doch Deine Antwort erst abwarten. Soweit Du Einwände hast, teile sie mir unumwunden mit, denn wir werden sehen, was wir daraus machen. Pb wir das Geld nun auf die Sparkasse tun, oder sparen erst einmal dort weiter, das wird wohl nichts ausmachen und auf das gleiche hinauskommen. Wegen der Zahlung der rückliegenden Beträge mache Dir nur erst keine Gedanken, das werde ich schon ins Geleise bringen. Die laufenden Raten können wir doch im Moment zahlen.
Ich hoffe nicht, daß später solche schwerwiegende Komplikationen eintreten, daß wir dann nicht mehr in der Lage dazu sein sollten. Zur Regelung der weiteren Sachen lege ich Dir die gewünschten Bescheinigungen für die Abhebung des Geldes bei. Es würde mich rein rechnerisch interessieren, was Kurt gespart hat und was nun alles gezahlt worden ist. Ich bitte aber zu bedenken, daß ich das nicht wissen möchte, um etwa abzuwägen oder um zu kontrollieren. Es handelt sich nur darum, um einen allgemeinen Überblick zu bekommen. Was die Leute von der SS von mir wollen, kann ich mir eigentlich auch nicht erklären. Ich werde darum abwarten und Dir dann rechtzeitig Bescheid geben, was gewesen ist.  Es hat mich gefreut, als ich in Deinem Schreiben las, daß Du Dir von meinen „Herren Kollegen“ nicht auf den Kopf spucken ließest.
Es hat mich nur gekränkt, wie man Dich in der Gegend herumgeschickt hat und wie diese Herren Kollegen sich der Angehörigen ihrer Arbeitskameraden annehmen. Das ist mir der beste Beweis für den ganzen Sinn der Kameradschaft in den Betrieben usw. Ich habe Dir ja schon beim letzten Mal geschrieben, daß ich auch wieder einmal in Urlaub komme. Dann wird sich auch einmal Gelegenheit bieten, diesen Fernkämpfern die Meinung zu sagen. Das ist ihnen noch nicht geschenkt. Da sieht man wieder die ganze Einstellung. Nur die Arbeit von sich abwälzen und alles abschieben. Es wird schon einer machen.  Frau Frick hat ja ziemlich belanglos geschrieben. Ich weiß nicht, soll ich dieser Frau wieder antworten oder nicht. Ich schicke Dir den Brief einmal mit. Du kannst mir ja Deine Ansicht darüber schreiben, evtl.  sendest Du mir diesen Brief dann wieder zurück. Ich sollte wohl noch einmal mein Beileid wegen des Todes ihrer Mutter, die ich ja kennengelernt hatte, aussprechen. Das wäre noch vielleicht zu beachten. Gib mir aber allgemeine Deine Ansicht bekannt.  Das wäre für heute alles, was ich zu schreiben hatte. Nimm recht viele herzliche Grüße und Küsse entgegen und denke wie immer an Deinen Ernst.

Brief 408 vom 29.3.1943


Mein liebstes Mädel !                                                                      29.3.43  
       
Ich setze mich erst heute Abend zum Schreiben hin, denn ich wollte erst abwarten, ob Post von Dir eintrifft. Mein Warten war nicht umsonst, denn er kamen drei Briefe von Dir an. Außer dem Luftpostbrief vom 25., die beiden Briefe vom 19. und 21. Ehe ich darauf weiter eingehe, will ich die heutige Päckchenangelegenheit erledigen, dann bin ich unbelastet für die anderen Dinge. Ich habe Dir die Päckchen 44 und 45 fertiggemacht.
Heute bekam ich wieder etwas Mehl, was mich sehr für Euch gefreut hat. Es sind 1 ½ kg. Damit kannst Du Deine kleinen Vorräte etwas auffüllen und sitzt nicht fest.
Dann habe ich einen Film erhalten. Ich sende ihn Dir mit, damit Du Deinen Fotoapparat nicht aufbocken mußt, wie man es mit den Kraftwagen machen müßte, die man nicht mehr verwenden kann. Für die Mundpflege habe ich noch Odol erstanden. Die Bücher, die ich ausgelesen habe, sind ebenfalls beigefügt und einige Zigarren für Vater. So, da ist alles. Hoffentlich kommt alles gut in Deine Hände. Daß Du das Päckchen Nummer 26 erhalten hast, hat mich gefreut. Es ist ja noch allerhand Zeug unterwegs. Ich habe mir schon gedacht, daß der Briefträger innerlich schon geflucht haben mag, wenn er für Euch so allerhand Sachen hinbringen muß. Daß sie die Päckchenmarder hinrichten, ist im Interesse einer ordentlichen Postbeförderung auch unbedingt erforderlich. Wenn man bedenkt, was immerhin noch geklaut wird trotz dieser harten Maßnahmen, dann kann man sich vorstellen, was alles wegkäme, wenn eben die strengen Gesetze nicht wären.  Wie ich lese, hast Du mit den Gartenarbeiten begonnen.
Ich will nicht versäumen, Dich wieder darauf hinzuweisen, daß Du langsam machen mußt und Dich nicht übernehmen darfst. Wenn du, wie Du schreibst, an dem sonnigen Stück Deine Aussaaten vornehmen willst, dann möchte ich Dich noch daran erinnern, daß Du Obacht geben mußt, dass der Boden locker bleiben muß, denn das ist für die Lebensgewohnheiten der Erdflöhe besonders günstig. Achte auch darauf, daß Du ein Bekämpfungsmittel dafür hast. Du hast ja nun in allerhand eigenen Gärten Erfahrung gesammelt, dass ich Dir nicht mehr viel sagen brauche, im Gegenteil, später bei Dir wohl in die Schule gehen muß. Es freut mich, daß Dir der damals in Frankreich gekaufte Stoff für Helga jetzt so zustatten kommt. Ganz abgesehen von der Qualität, ist es ja daheim auch schwer, noch das zu bekommen, was man gern möchte. Wo Du jetzt noch selbst Deine Freude am Gelingen hast, hat man ja noch mehr erreicht, als nur den Stoff gekauft und daraus ein Kleid gemacht.  Das ist ja verständlich, wenn Du Dir einmal vorstellst, daß es auch im Leben etwas anderes gibt als eine Trennung. Und wenn Du davon einmal ein bisschen sprichst, dann ist das wohl zu verstehen. Es wäre zwar feiner, wenn man nicht davon träumen bräuchte und mit der Tatsachen rechnen könnte. Aber schieben wir diesen Wunschtraum beiseite, es ist besser so, sonst verfängt man sich in den Maschen dieses feinen Gestrickt. Also kommandieren wir wieder: aufhören! Es muß leider sein.  Bei dem gegenwärtigen Wetter kann man die Wintersachen nun langsam beiseite schieben.
Ich habe es ja auch schon getan. An vielen Tagen kann man schon ohne Mantel herumlaufen, so sonnig ist es. Man muß zwar aufpassen und man darf es nicht übertreiben. Es ist schon gut, wenn man wie Du die Sommersachen beizeiten durchsieht, dann kann man sich darauf einrichten, was man braucht und das ergänzen.  Unser Jörg ist ja bei dem Herauswachsen unserer Helga aus ihren Sachen in der Kriegszeit nicht schlecht dran. Er ist so ein kleiner Profitler. Für Dich ist es bestimmt eine Erleichterung, daß Du nicht für beide immer gleich kaufen mußt.  Deine Neuordnung unserer Bücher hat mich auch interessiert. Das ist bei unserer großen Sammlung schon erforderlich.
Früher hat man eben zusammengestellt, wie sie kamen und wie es sich gab. Aber es ist schon richtig, daß man nun neue Gesichtspunkte gelten lassen muß. Dir war es dazu noch eine angenehme Beschäftigung. Warum schreibst Du aber, die Bücher von „König Heinrich“ bis Friedrich der Große“? Der Entwicklung nach wäre es doch wohl richtiger. Daß Du längere Zeit vor den Büchern stehen kannst und dir aus diesem oder jenen Buch etwas vorstellen kannst, das kann ich Dir nachempfinden, nur ich schrieb Dir ja erst vor wenigen Tagen, daß ich diese Geschichte von „von Gillhof“  mit einem Schmunzeln und einem Erinnern an ein Buch gelesen habe.  So soll es ja auch sein.  Inzwischen hast Du ja meinen Brief vom Heldengedenktag bekommen.
Du wirst festgestellt haben, daß mich die gleichen Gedanken bewegten wie Dich auch.
Wenn Vater auch meinte, er wolle sich kleine Erkältung zuziehen, dann kann ich das wohl verstehen. Ich lehne aber die Einstellung ab , daß das alles Krampf sei, wenn man die Leute zu einer solchen Feier einlädt. Ich hätte hier im Dienst bleiben können und nicht zu der Feier gehen brauchen. Im Gegenteil, ich habe mich hier freigemacht.
Habe mir erst noch einige Sachen besorgen müssen, damit ich überhaupt dort mit auftreten konnte. Ich habe es gern gemacht, weil ich damit unseren Kurt ehren wollte, darüber hinaus aber auch die vielen anderen Toten dieses Krieges.  Auf die anderen Dinge will ich später noch zurückkommen.  Daß die von Dir abgesandten Päckchen wieder zurückgekommen sind, ist ja nicht Deine Schuld. Das ist nun einmal Pech, an dem sich nichts ändern läßt. Die Rücksendung des Handtuches eilt nun nicht so sehr. Ich kann mich bis jetzt noch immer abtrocknen. Du brauchst Dir deshalb nicht unnütz Sorge zu machen.  Du schreibst vom Badetag. Was machen denn die Schwimmkünste unseres Jungen? Macht er weitere Fortschritte?. Jetzt geht es ja auf den Sommer zu, da macht das Schwimmen im Freien doch mehr Spaß. Ich bin gespannt, wie sie sich da aufführen. Für die übermittelten Grüße von Fritz danke ich.  Ich werde ihm erst wieder schreiben, wenn er mir auf meinen Brief antwortet. Sag aber, daß ich die Grüße erwidern lasse.  Nun kommen also doch die Erbauseinandersetzungen. Ich hätte sie gern vermieden. So, wie sich die Dinge durch das Zutun von Paula entwickelt haben, sehe ich mich veranlasst, an Vater in dieser Beziehung persönlich zu schreiben,. Ich lasse Dir den Brief erst zugehen. Du kannst ja die momentane Lage besser beurteilen wie ich. Ich denke aber, daß das notwendig geworden ist. Grundsätzlich will ich Dir schon sagen, daß ich mich für ihn freue, wenn er Anschluss bei Paula gefunden hat.
Vielleicht war ihm das Leben bei uns zu eng. Das kann ja sein. Wir haben nun einmal unseren besonderen Lebenskreis und den werden wir deshalb nicht aufgeben. Wenn Vater jetzt nun meint, bei Paula die allein seligmachende Religion empfangen zu können, dann soll er zu ihr gehen. Ich sage das ohne irgendeinen Beigeschmack von Bitternis, denn ich habe ihn nun im Lauf der langen Jahre auch kennen gelernt. Sieh doch. Bevor wir mit Paula brachen, war das Verhältnis schon zwischen Beiden sehr getrübt, und es ging gänzlich aus dem Leim, als Nannie einmal zu Besuch da war. Du hast es ja auch noch gut im Gedächtnis. Über alles sind schon so viele Jahre hinweggegangen.
Es schien damals alles unversöhnlich. Jetzt, durch den Tod unseres Kurt ist diese Plötzliche Wendung eingetreten. Ich schrieb schon einmal. Kurt mag dies früher geistig vorgeschwebt haben, eine Einigung zu erzielen. Jetzt ist sie eingetreten, aber eine Wendung ist nun nicht eingetreten. Das Vertrauen, das vorher ziemlich uneingeschränkt bestand, hat sich etwas gelockert. Er ist ein Einzelgänger und läßt sich doch für ihn ganz unbemerkt, von Paula beeinflussen, wenn nicht gar in mancher Beziehung, führen. Du weißt, ich bin immer für Klarheit. Gern würde ich sie hier auch anstreben, aber mit Rücksicht auf sein Alter will ich davon absehen. Es steht doch, nach den Äußerungen von Paula zu schließen, einwandfrei fest, daß die alte Rivalität zwischen ihr und uns immer noch besteht. Es tut mir leid, daß Vater das nicht merkt und daß er sich in einer Weise von ihr einwickeln läßt, die auf uns beleidigend wirkt. Du kennst meine Einstellung in Bezug auf Erbsachen. Was ist mir das gleichgültig, ob ich dieses oder jenes Stück in meinen Haushalt bekomme... Das ist mir vollkommen gleich. Es handelt sich hier nur darum, ein Andenken von diesem armen Jungen zu haben. Das wäre für mich alles. Aber hier ist es so, daß Paula, die bei ihrer altbekannten Einstellung es nicht sehen kann, daß andere etwas bekommen, wovon sie nichts erhält. Über die Mentalität von Paula brauchen wir uns nicht erst lange äußern, denn die ist Vater genau so gut bekannt wie uns auch. Ganz abgesehen davon, daß sich Nannie mir gegenüber einmal in gleicher Weise geäußert hat. Daß ihre ganze Auffassung nur aus einer gegen uns gerichteten Einstellung heraus zu betrachten ist, erhellt sich schon daraus, daß sie sich um die gesetzlichen Bestimmungen nicht weiter kümmert, sondern sich einfach darüber hinwegsetzt und glaubt, damit Unfrieden zwischen uns stiften zu können. Daß Vater dieses Geld nicht so ohne weiteres abheben kann, ist ja ganz in Ordnung. So wie sich die Dinge aber nun zuspitzen, ist es fast ratsam, daß man alles schriftlich niederlegt, um später evtl. auftretenden Schwierigkeiten, die man ja jetzt noch nicht voraussehen kann, aus dem Wege zu gehen. Was ich mache, das muß ich mir noch überlegen. Grundsätzlich bin ich auch mit Dir einer Ansicht, daß wir das Geld Vater zukommen lassen und die anderen Sachen uns zufallen. Wegen des Bausparvertrags habe ich Dir kürzlich schon geschrieben. Frage doch einmal , was dieser ganze Vertrag jetzt kostet. Ich bin gewillt, diesen Vertrag abzukaufen. Ich glaube, damit etwas fortzusetzen, was er begonnen hat. Dieser ganze Bausparvertrag war ja auf Betreiben von Paula zustande gekommen. Sie hat es ihm damals so beigebracht, daß er sich ein Haus auf diese Weise sparen sollte. Gewiss, es war für ihn selbst. Nun dachte ich mir folgendes, wenn es je dazu kommen sollte, daß wir in Konstanz bleiben würden, oder sonst wo einmal fest zu Sitzen kommen, dann könnte man sich das geplante Haus bauen lassen.
Weil wir keine andere Möglichkeit haben, ihm in irgendeiner Form einen Denkstein zu setzen, würde ich ihm im Hause eine Gedenkplatte einsetzen lassen, die daran erinnert.
Das sind zwar noch Pläne, die man am besten miteinander bespricht, aber Du kannst Dich ja dazu äußern. Du schreibst mir, was der Vertrag jetzt kostet, damit ich danach disponieren kann. Er soll ihn vorerst noch aufrecht erhalten.
Wenn es ihm zuviel ist, dann zahle ich die nächste Rate. Ich glaube, daß ich mir nun das meiste wieder von der Seele herunter geschrieben habe. Vielleicht sprichst Du mit Vater über all diese Dinge noch einmal. Ich dachte aber auf alle Fälle eine gegenseitig unterschriebene Erklärung etwas folgendermaßen: „Vorbehaltlich einer späteren Regelung anlässlich eines Urlaubs, erklären wir und damit einverstanden, daß sämtliche Gelder an den Vater Adolf Rosche und sämtliche anderen Gegenstände wie Kleidung und sonstiges an den Bruder Ernst Rosche fallen.“ Ich kann mich noch nicht endgültig mit dieser ganzen art abfinden, die so ganz und gar hinter meinem Rücken  ich meine in diesem Falle nicht Dich nur mit Paula abgemacht ist und ich soll dazu nur Ja und Amen sagen. Es sind dies doch Dinge, die sie nicht weiter zu kümmern brauchen. Wenn sie Unfrieden säen will, dann soll sie sich woanders hinscheren. Nur uns soll sie bald in Ruhe lassen.
Kann sie denn keinen Frieden geben? Siehst Du, das wäre ihr ja ganz gleich, wenn Kurt mit irgendeinem Mädel ein uneheliches Kind gehabt hätte. Das wir Beide aber zusammenhalten, das paßt ihr nicht und sie glaubt auch heute noch dagegen stänkern zu müssen. Das ist eine Unlogik, wie sie an sich nur einer Frau innewohnen kann.
Verzeihe mir, wenn ic h dies hier ausspreche, aber in diesem Zusammenhang fällt mir nichts weiteres ein. Ich würde nichts sagen, wenn Du Deinen Laden nicht in Ordnung hättest, wenn die Zeit bewiesen hätte, daß ich einen falschen Griff getan hätte. Aber es ist doch das Gegenteil der Fall. Kann sie dann noch nicht darüber hinwegkommen?
Das frage ich mich immer und immer wieder. Sie soll doch endlich einmal versuchen, ihrer ewigen Miesmacherei ein Ende zu setzen. Aber sie will dies nicht einsehen, darum kann ich von mir aus nichts weiter zu einer Annäherung tun. Ich habe es wiederholt versucht. Innerlich habe ich mich gefragt, ob ich dies überhaupt in der Weise immer tun dürfte. Ich sagte mir, man soll doch einmal Gras über alle diese Dinge wachsen lassen. Aber in diesem Fall ist sie das berühmt gewordene Rindvieh, das das Gras abfrisst, das über die Dinge gewachsen ist, die einmal erledigt sein sollte,. Du kannst meine Einstellung Vater gegenüber ruhig wörtlich verlesen. Ich kann das, was ich geschrieben habe, jederzeit vertreten, denn ich habe mir dies reiflich überlegt.  Ich habe diesmal von vielen ärgerlichen Dingen sprechen müssen. Sei mir darum bitte nicht böse, es muß nun einmal gemacht werden, denn sonst treibt man mit uns Schindluder und das darf nicht sein.  Ich sende Dir viele herzliche Grüße, mein liebes Mädel. Ich hoffe, daß Ihr alle gesund seid. gib unseren beiden Lausern einen kräftigen Kuß und sei Du selbst vielmals geküßt von Deinem so viel an Dich denkenden Ernst.

Brief 407 vom 28.3.1943


Mein herzliebes Madel !                                                                  28.3.43  
     
Wieder ist einmal ein Sonntag angebrochen. Ich bin heute hier allein , abgesehen von unseren zwei Fahrern und dem einen Schreiber. Mein Chef ist heute nach Charkow geflogen. Es ist anzunehmen, daß er heute wieder zurückkommt, bestimmt ist es zwar noch nicht. Es wird interessant sein, was er an Nachrichten von dort mitbringt. Man sollte nicht glauben, wie man auf Nachrichten gespannt ist, die nach dieser zwischenzeitlichen Besetzung sehr verschiedentlich laufen. Es ist einem dort so vieles im Laufe der längeren Tätigkeit bekannt geworden. Rein äußerlich würde man gern wissen, wie groß die Zerstörungen sind und dann, wie die Bevölkerung behandelt worden ist. Die Meldungen sind ja so unterschiedlich, so daß man am besten keiner großen Glauben schenkt.  Inzwischen ist es Spätnachmittag geworden. Es gab verschiedenes zu tun.  Trotz Sonntag bin ich heute nicht herausgekommen, denn ich will den Laden hier nicht allein lassen, wenn sonst niemand weiter da ist. Ich habe zwischendurch einige Päckchen fertiggemacht.
Mir waren meine Filzstiefel im Wege. Daraus habe ich zwei Päckchen gemacht. Innen habe ich die besagten Opanken beigepackt. Wenn ich sie tatsächlich zum nächsten Winter brauchen sollte, dann werde ich sie anfordern. Aber hier stehen sie herum und sind mir bei meinen schon so eingeschränkten Verhältnissen nur im Wege. Gestern erhielt ich wieder eine Flasche ordentlichen Sekt, den ich auch verpackt habe. Nun müssen wir doch schon ein kleines Sektlager daheim haben. Ich glaube, daß Dir damit bald Angst werden wird. Ich habe aber wirklich keine große Lust, diese Sachen zu trinken. Vor nicht allzu langer Zeit war ich noch erpicht darauf, aber ich weiß nicht, auf was das zurückzuführen ist. Dann denke ich mir, daß es schon einmal eine Gelegenheit geben wird, bei der wir uns zusammensetzen könne, um uns gemeinsam darüber herzumachen.
Es muß ja nicht alles an einem Abend ausgetrunken werden. Aber es ist doch ganz nett, wenn man einmal etwas daheim hat und man braucht nicht so genau darauf zu achten. Insgesamt müssen es doch bald zehn Flaschen sein, die wir mit Sekt haben.
Wenn Du aber einmal Appetit haben solltest, dann mache Dich einmal über eine Flasche her. Allerdings dürfte eine ganze Flasche für eine Person etwas mehr aus ausreichend sein. Die Päckchen haben die Nummern 41/43.  Wie ich feststelle, muß ich in diesen Tagen an Siegfried zum Geburtstag schreiben. Teile mir doch bitte bei dieser Gelegenheit einmal den Geburtstag von Erna mit. Von Siegfried habe ich die neue Anschrift bis jetzt noch nicht. Auch auf meinen letzten Brief ist bis jetzt noch keine Antwort eingegangen.
Ich denke, daß er nun inzwischen soweit genesen und zu seiner Einheit gelangt ist.
Im Rundfunk war heute Nachmittag ein nettes Programm, so daß man doch immerhin eine ganz nette Unterhaltung über den Nachmittag hat. Vor allem abends ist es schön, wenn man den Apparat anstellen kann. Vielfach spielen wir abends Schach. Gestern Nacht haben wir bis nach ein Uhr nachts gesessen und haben gespielt. Die Zeit vergeht dabei so  schnell, daß man selbst erstaunt ist, wenn Mitternacht herankommt. Wir haben ja im allgemeinen  jetzt Zeit dazu, uns auszuruhen. Diese Sitzungen sind ja nicht die Regel, aber es kommt eben manchmal vor.  Ich bitte Dich, an Vater recht herzliche Grüße auszurichten. Du gibst ihm ja immer Bescheid, was ich mache und wie es mir geht. Du meinst doch nicht, daß es erforderlich ist, daß ich ihm besonders schreibe. Was ich noch mitteilen wollte: wenn ich wieder in diesen Tagen einige Einschreibebriefe an Dich absende, dann lasse doch bitte die Marken auf dem Um schlag und hebe den gesamten Umschlag auf.  Sei Du mit den Kindern vielmals gegrüßt und nimm Du viele liebe Küsse entgegen von Deinem Ernst.  Nun habe ich ganz vergessen, das ich noch von heute Nachmittag schreiben wollte. Bei uns gibt es ja zum Sonntag Bohnenkaffee.
Ich hatte noch welchen von heute früh da. Den habe ich mir warm machen lassen, Dann habe ich mir noch den Rest von dem Gebäck vorgenommen, das Du mir mit Deinem letzten Päckchen gesandt hattest. Das war direkt feierlich. Dazu habe ich noch etwas gelesen. Man konnte direkt ein Gefühl von Sonntag bekommen.  Es fehlte nur daß man dazu daheim wäre. Dann wäre das höchste der Gefühle gekommen. Aber das müssen wir uns erst noch etwas verkneifen. Später ist das sicherlich wieder möglich.
Nun will ich aber abschließen. Nochmals einen recht dicken Kuß von ......mir.

Brief 406 vom 27.3.1943


Mein liebes, gutes Mädel !                                                                  27.3.43  
           
Soeben habe ich unserer Helga auf ihren letzten Brief geantwortet. Das ist wieder einmal ein Brief von lauter Vögeln geworden. Ganz unwillkürlich habe ich mit dem Spatz angefangen und daran hat sich dann ein ganzer Teil anderer Gattungen angeschlossen. Durchschlag für Dich liegt ja wieder bei. Auf diese Weise bleibt man ja auch gedanklich mit den Kindern zusammen. Schön ist ja, daß sie schon all das verstehen, was man schreibt. Ich habe mit Absicht nur an Helga geschrieben, damit Jörg von sich aus den Ansporn zum eigenen Schreiben wieder bekommen soll. Es hat keinen Zweck, ihn dazu zu treiben. Es ist klar, dazu hat er zuviel Leben in sich, als daß ihm das draußen herumspringen mehr Freude macht, wie das In der Stube sitzen.  Was unseren Dienst und vor allem unsere Dienststelle anbelangt, so kann man sagen, daß alles im Fluss ist. Besser wäre wohl gesagt, es ist eine Stromschnelle. Es geht so durcheinander und so viele neue Situationen ergeben sich. Erst sollten wir doch ganz auffliegen.  Dann sollten wir auseinandergerissen werden. Dann sollten wir geschlossen wieder woanders eingesetzt werden.
Dann gab es noch verschiedene kleine Zwischenlösungen, die man nicht mehr weiter beachtete und dann hieß es zuletzt, daß unser Chef mit einem Oberinspektor allein wegkommen würde und seit gestern ist die Lage nun so, daß unser Chef jetzt wieder hier bleibt. Das scheint wohl nun endgültig zu sein. Denn der Mann, der ihn hier ablösen sollte, kommt nun an die Stelle, an die er hinsollte. Viel Lärm um nichts, könnte man da sagen. Als auch für mich damals der Fall einer Umsiedlung einzutreten schien, musste ich mir auch Gedanken machen, was man dann alles mitnehmen muß, um an der neuen Dienststelle einigermaßen als Mensch wieder leben zu können. Ich kam zu der für hiesige Verhältnisse zwar nicht sehr erstaunliche Feststellung, daß dazu schon allerhand nötig ist. Man kann hier nicht so reisen wie bei uns in Westeuropa. Von dem üblichen Waschbedarf kann man ja ganz absehen. Wenn ich aber vergleiche, mit wie wenig Sachen ich nach Frankreich reiste. Das hätte ich hier nicht wagen dürfen.
Wenn es nicht darum wäre, daß man es selbst transportieren muß, dann müßte man mit dem Bett anfangen. Das ist ja ohne weiteres günstig, als man es zusammenklappen kann, so daß es nur eine Fläche ist. Bei einem Gemeinschaftsumzug lädt man sämtliche Betten auf einen LKW, dann geht das. Aber den Strohsack, den muß man auf alle Fälle mitnehmen. Dann vor allem zwei Decken. Wenn man es hat, dann Bettbezüge.
Es sieht schon etwas menschlicher aus. Das ist dann aber erst nur das Schlafen, was man dann hat. Das Schanzzeug, das heißt auf gut deutsch, Messer, Gabel und Löffel, braucht man auf alle Fälle wie auch das Kochgeschirr und die Feldflasche. Wenn man das nicht hat, ist man ein einsamer Wanderer in der Wüste. Die Waschschüssel ist ein sehr wichtiger Artikel. Die hütet man wie einen Augapfel. Kaufen kann man diese Dinge hier nicht, und auf Kammer liegen diese Sachen nicht. Wenn man nicht ganz verkommen will, sollte man noch etwas bei sich haben, womit man sich die ab und zu vorhandene Freizeit vertreiben kann. Bei kleineren Einheiten ist meist nichts vorhanden.
Weder etwas zum Lesen noch ein Spiel oder sonst etwas. Hier geht es ja noch. Wenn jemand eigenes Geschirr hat, dann gilt er schon als vornehm. Es handelt sich ja nicht allein darum, daß man es besitzt, aber man muß doch diesen Kram immer selbst schleppen, wenn man einmal herausgerissen wird. Fürs erste wäre ja diese Gefahr gebannt. Ja, da siehst Du, was man so für Sorgen hier hat. Es sind zwar noch verschiedene andere Kleinigkeiten. Aber das sind immerhin die, die gleich ins Auge fallen.  Heute habe ich nun noch das Pfarramt in Groß-Rosenburg angeschrieben. Jetzt habe ich an alle Stellen geschrieben, von denen ich noch etwas in der Ahnensache anfordern kann.
An Nannie habe ich gerade auch noch geschrieben. Ich will sie auch nicht solange auf Antwort warten lassen. Damit bin ich wirklich aller Briefschulden ledig.  Ich grüße Dich recht herzlich und küsse Dich sehr fest, wobei ich Dich fest an mich drücke.
Dein Ernst.

Brief 405 vom 26.3.1943


Meine liebste Annie !                                                                      26.3.43   
       
Heute komme ich erst am Abend dazu, Dir zu schreiben. Ich wollte schon am Vormittag anfangen, aber es kamen so verschiedene Kleinigkeiten, die zu erledigen waren. Den größten Teil des Vormittags bin ich unterwegs gewesen, um mir die Haare schneiden zu lassen. Aber es ist auch am Abend schön, nochmals miteinander zu plaudern. Zunächst erst vielen Dank für Deinen Brief vom 18.3., den ich mir der heutigen Post erhielt.
Darin bestätigst Du mir wieder den Empfang von 6 Päckchen. Ich freue mich, daß die Sachen alle wieder Deinen Beifall gefunden haben. Wichtig ist mir immer, wenn ich lese, daß die Lebensmittel angekommen sind. Die Butter hast Du ja gleich eingeschmolzen und das Mehl hebst Du auf für besondere Zwecke. Damit machst Du mir immer eine Freude, das kannst Du Dir vielleicht nicht denken, aber es ist so. Wenn aber so viele Päckchen bei Dir eingegangen sind, dann muß ich ja wieder für Nachschub sorgen.
Ich habe darum heute drei Flaschen Likör fertiggemacht. Die Päckchen tragen die Nummer 38/40. Es ist Kümmel. Du kannst ja probieren, ob er Dir schmeckt.  Ich hoffe aber nochmals, von dem Kirsch besorgen zu können. Daß Dir die Bücher ebenfalls gefallen haben, ist mir gerade recht. Wenn Du Dir das eine Heft ansiehst mit den Bildern von hier, so findest Du auch unter anderem das Haus der Volkskommissare drin. Das ist unsere gegenwärtige Bleibe. Erst waren wir im 5. Stock dieser gezeigten Front.
Jetzt befinden wir uns im 4. Stock eines Seitenflügels. Das wird Dich sicher interessieren, denke ich.  Die Opanken habe ich noch nicht weggeschickt. Ich mache aber das Päckchen jetzt mit fertig. Ich werde Dir meine Filzstiefel mitsenden, die Du mir aufheben kannst.
Es ist ja nicht ausgeschlossen, daß man im kommenden Winter noch hier sein muß.
Das geht gerade in einem. Wie ich aber schon schrieb, habe ich die Befürchtung, daß auch diese Schuhe nicht passen. Aber wie Du schon schreibst, Du wirst schon etwas damit anzufangen wissen.  D ein Hinweis auf die Frau, die Kurt da kennen gelernt hat, war mir vollkommen neu. Es sieht aber Paula wieder ähnlich, wie sie die Dinge wieder ausgeschlachtet hat. Ich habe immer das Empfinden, wenn jemand in dieser Beziehung Kurt verstanden hat, dann bist Du es gewesen. Ich weiß, daß er Dich immer sehr geehrt hat und Dir deshalb auch in dieser Weise entgegengekommen ist. Wie sich die Dinge entwickelt hatte, kann man jetzt am allerwenigsten bewerten. Ich für mein Teil lege Wert darauf, daß das Andenken an ihn nicht in irgendeiner Weise getrübt wird. Ob sich Vater damit einverstanden erklärt hätte, spielt hier doch keine Rolle mehr. Diese ganze Einstellung ist doch nur auf die Einwirkung von Paula zurückzuführen.
Sie soll sich doch nicht zur Sittenrichterin aufwerfen, es ist doch vollkommen verfehlt.
Wenn Kurt nun an ihn nicht mehr geschrieben hat, dann könnte ich mit der gleichen Berechtigung sagen, hat er mir denn geschrieben? Von mir war ja noch ein Brief zu beantworten, der noch aus der Zeit vom November stammte. Ich denke nicht daran, ihm heute etwa noch Vorwürfe zu machen. Er hat für uns alle gelitten. Er hat mehr gegeben, als mancher vielleicht zu geben bereit ist. Darum muß man diese Dinge alle auch unter einem anderen Gesichtspunkt betrachten. Wenn ihnen das fehlt, dann müssen sie das eben noch lernen. Wie kann man nur so kleingeistig sein.  Das ist so recht spießbürgerlich. Jetzt hat man alles durchgekaut und durchgehechelt; nun zieht man das Hinterste nach vorne.  Von Nannie erhielt ich heute ebenfalls einen Brief. Sie ist ja vollkommen geknickt. Sie schreibt, alles hätte für sie nicht so sehr erschüttert.
Nicht der Tod ihrer und meiner Mutter wie diese Mitteilung. Es ist ja auch sehr verständlich.
Denn als sie ihn übernahm, war Kurt 4 Jahre alt. Seit dieser Zeit hatte sie sich viele Mühe mit ihm gegeben. Nun ist dieser Abschnitt ihrer Lebensarbeit auch zerstört. Wir sind noch elastischer und wir werden mit der Zeit einen solch harten Schlag wieder ausgleichen. Wenn ich den Brief beantwortet habe, sende ich ihn Dir mit zu. Übrigens habe ich jetzt einmal alle meine Post, alte und Dinge, die schon längst erledigt sein sollte, gestern erledigt.  Sei Du, mein liebster Schatz, recht herzlich gegrüßt und viel, vielmals geküßt von Deinem Ernst.

Brief 404 vom 25.3.1943


Meine liebste Annie!                                                                       25.3.1943 
             
Bei uns vergehen hier die Wochen, ohne daß man eigentlich eine Betätigung hat, die sich nach einer Richtung positiv auswirkt. Wir kamen hierher und glaubten anfänglich an eine Auflösung, dann an eine weitere Rückverlegung. Das Letzere wäre wohl schon möglich gewesen, wenn sich die gesamte Lage an der Front für uns mehr zugespitzt hätte. Zu unserer aller Glück ist dies nicht eingetreten. Die ganze Entwicklung hast Du ja zum Teil aus meinen Schreiben miterlebt. Das ganze Hin und Her Gezerre, das in Wirklichkeit noch viel ausgeprägter war, wie ich es habe Dir immer mitteilen können.
Jedenfalls nach der gegenwärtigen Betrachtungsart liegen die Dinge so, daß wir nun schon über 5 Wochen hier sitzen. Ich kann sagen, daß ich meinen Laden soweit wieder in Ordnung habe. Es war zum Teil mit kleinen Schwierigkeiten
verbunden, aber ich habe ihn nun soweit hingebracht. Das wäre ja alles soweit in Ordnung, aber die Untätigkeit verdirbt auf die Dauer den Charakter. Heute ist wohl wieder Schießen. Gestern hatten wir einen Vortrag unseres Chefs über die Tätigkeit unserer Abteilung. Bis der Vortrag fertig war, habe ich allerhand zu schreiben gehabt, weil unser
eigentlicher Schreiber im Urlaub ist, so daß ich für ihn eingesprungen bin. Der zweite Schreiber ist zu langsam und bringt nichts fertig. Er hatte sich den ganzen Vortag ins Stenogramm geben lassen.
Als ich vorgestern Abend aus dem Kino heimkam, habe ich mir dies gleich in die Maschine diktieren lassen. Da habe ich wieder einmal darauf los gepflastert, das hat nur so geklappert. So nach 1 Uhr nachts waren wir damit fertig.  Nachdem unser Chef noch einmal verschiedene allerhand Änderungen vorgenommen hatte, habe ich gestern Vormittag auch noch daran herumgemalt. Morgen haben wir wieder einen Vortrag. Du merkst, daß man uns schon beschäftigt. Nur ist man eben aus dem Trott von früher heraus. Das behagt einem nicht so. Vorgestern war ich in dem Film, den Du mir einmal so empfohlen hattest „Der große Schatten“. Ich kann Dir nur zustimmen, wenn Du damals großen Gefallen daran gehabt hattest.  Das ist ein Frühlingswetter, das ist eine wahre Pracht. Vom Dnjepr herauf hört man die Eissprengungen.  Am Sonntag sah man wie es schon stromab trieb. Stellenweise fing es an sich zu stauen. Man glaubt nicht, was für eine Kraft in einer treibenden Eismasse steckt.  Binnen kurzer Zeit wird aber auch die Eisschmelze vorbei sein und der Strom ist wieder frei. Sowas kann schon einige Sorge verursachen, denn die Brücken können durch eine Eisstauung sehr in Gefahr kommen. Damit sind dann ja auch die Nachschubwege gefährdet. In diesem Jahre nimmt es aber keine schlimmen Formen an, genau so wie die Schlammperiode. Das ist ja gut für uns, wenn die Straßen schnell abtrocknen. Bald kann dann hier auch mehr Frühjahrsbestellung begonnen werden. Je längere Zeit uns zur Verfügung steht, umso mehr können wir ja bebauen.  Die letzten gekauften Bücher haben mir schon allerhand Freude gemacht. Bald habe ich sie ausgelesen. Dann sende ich sie Dir mit zu.  Ich habe ja schon lange keine Päckchen mehr abgesandt  Dir werden sie sicherlich gefallen.
Verschiedenes wird Dir schon bekannt sein,. Das eine Gedicht von Claudius, das Dir immer so gefallen hat und wo es darin heißt: „Hast Du auch seine Nase nicht, so habe doch sein Herz“. Dann steht auch die Vermahnung aus Jürn Jakob Swehn drin und viele andere sehr nette, und wenn man es so sehen soll, weise Sachen. Vor allem vieles von Busch, was mir noch nicht bekannt war und was Dir sicher auch so gehen wird. Das andere Buch von Fritz Müller “Kaum genügend“ wird Dir dem Namen nach bekannt sein. Aber ich will dir den Mund nicht wässrig machen.  Nimm viele liebe Grüße und Küsse entgegen. Unseren Kindern gib wieder einmal einen Dupps auf die Stirn und einen Kuß hinterher von ihrem Vater. Jörg soll deshalb nicht gleich gekränkte Leberwurst spielen und mit dazu lachen, wie es Helga sicherlich tut. Dir übermittle ich nochmals meine persönlichen speziellen Grüße und bin immer Dein Ernst.

Brief 403 vom 24.3.1943


Mein allerliebster Schatz !                                                               24.3.43   
              
Heute kann ich Dir den Eingang Deines Briefes vom 16.3. bestätigen, für den ich Dir recht herzlich danke. Vor allem hat es mich gefreut, als ich von Dir lesen konnte, daß es Dir nun schon wieder etwas besser geht. Hoffentlich hältst Du Dich gut, so daß die Besserung Deines Zustandes weiterhin gute Fortschritte macht. Schone Dich bitte, soweit es irgend möglich ist und kuriere Dich vollständig aus, denn Rückschläge treten dann zu schnell ein. Du weißt ja, daß sie sich dann meist schlimmer auswirken, wie die vorhergegangene Krankheit. Es freut mich, daß Dir das Nervenmittel geholfen und Dir Erleichterung verschafft hat. Ich kann mir vorstellen, daß man durch dauerndes Kopfweh kolossal geschwächt werden kann. Daß Du selbst den Willen hast, wieder vollkommen gesund zu werden, das trägt ja dem Gesundungsprozess sehr viel bei. Wenn es ohne Brille geht, ist es schon besser. Vielleicht ist es aber gerade bei Veranstaltungen wie Kino doch zweckmäßig, daß Du Dir dafür eine verschaffst. Doch darüber endgültig zu entscheiden, bin ich nicht in der lage, denn dafür fehlt mir der Überblick. Ich denke, daß Du das aber selbst weißt, was notwendig ist und was nicht.  In Deinem Brief schneidest Du eine Frage an, die mir zu beantworten etwas heikel ist. Ich will mich zu dieser Frage nicht grundsätzlich ablehnend einstellen.  Ich habe volles Verständnis und ein großes Mitempfinden für diese Leute, die dauernd unter diesem Luftterror zu leiden haben. Ich muß aber bei dieser Entscheidung zwei Faktoren im Auge behalten, die hier nicht außer acht gelassen werden dürfen. Du bist noch nicht ganz von Deinem körperlichen Zusammenbruch genesen. Du brauchst Ruhe, um Deinen Körper zu kräftigen.
Ein fremdes Kind bringt neue Unruhe in die Wohnung. Ob Du diese vertragen kannst, glaube ich nicht. Jedenfalls solange Du Dich jetzt noch in ärztlicher Behandlung befindest, halte ich es nicht für ratsam. Dann mußt Du berücksichtigen, dass unsere Wohnung doch nicht gerade groß ist. Du wirst dem entgegenhalten, die anderen Leute in der Nachbarschaft haben mehr Kinder wie wir und wohnen auch zusammen.  Das stimmt, aber es sind ja eigene Kinder. Wenn Du Dich also doch entschließt, ein Kind aufzunehmen, dann muß ich Dich aber darum bitten, vom Nähengehen Abstand zu nehmen. Wenn sich dieser Aufenthalt länger hinzieht, muß man ja schließlich auch wieder damit rechnen, daß ich einmal auf Urlaub kommen könnte. Du weißt ja, wie plötzlich das gehen kann.
Wenn Du Dir zutraust, trotz meiner Einwände ein Kind für einen beschränkten Zeitraum im Haushalt aufzunehmen, dann will ich nichts dagegen haben. Ich gebe diese Zustimmung aber unter den angeführten Forderungen und vor allem in der Meinung, daß ich Dir und den Kindern damit eine Freude bereite. Was Du zu tun gedenkst, teile mir dann bitte mit.  Was Deine Mitteilung über die Frontberichte über Charkow usw. anbelangt, so kann ich Dir mitteilen, daß ich sie zum Teil auch gehört habe.  Über die Dinge zu schreiben, halte ich hier nicht am Platz. Wenn wir wieder einmal zusammen sein werden, dann kann man am besten darüber sprechen. Du hast aber recht, daß es schon eigenartig ist, wenn man vom Roten Platz und vom Nikolausplatz usw. hört. Das kann man sich plastisch vorstellen und das wirkt ganz anders, wie wenn man sonst so einen Bericht hört.  Heute habe ich einmal wieder verschiedene Post erledigt. An Deinen Vater habe ich geschrieben. Durchschlag liegt bei. Alfred hat heute auch von mir Antwort erhalten. Dann habe ich in der Ahnensache wieder an drei Pfarrämter geschrieben. Was dabei herauskommt, das muß man erst abwarten. So wie es jetzt aussieht, bin ich wohl am Ende angelangt, denn wie man mir  schrieb, reichen die Kirchenbücher nur bis 17o6.  Außer von Geschwistern waren noch Sterbeurkunden aus den Jahren 1739 und 1749 aufgefunden worden. Man muß nun nach neuen Wegen suchen. Immerhin sind wir nun ein ganzes Stück weiter gekommen.
Weiter jedenfalls, als ich mir früher getraute zu denken. Zu gern wäre ich aber noch 50 Jahre weiter zurückgegangen, um einmal festzustellen, ob wir tatsächlich mit Franzosen etwas zu tun haben oder nicht. Nach der letzten Mitteilung kommen mir insofern Zweifel, als sich da wieder der Name Rosche schreibt und nicht Rosch. Es ist ja nicht ausgeschlossen, daß wir noch dahinterkommen werden.  Recht viele herzliche Grüße und Küsse verbunden mit den besten Wünschen für vollständige Wiederherstellung sendet Dir Dein Ernst.

Brief 402 vom 23.3.1943


Mein liebster Schatz!                                                                     23.3.43      

Gestern erhielt ich aber zwei riesenlange Briefe vom 11/13. Und 14.3. mit dem kleinen Veilchenstrauß aus dem Garten. Ich konnte mich über den wesentlichen Inhalt sehr freuen, doch ich musste weiterhin von der Darstellung Deines Zustandes Kenntnis nehmen, der mir etwas Sorge bereitet. Ich merke aus Deinem ganzen Schreiben, daß Du bestrebt bist, die Dinge, wie sie nun einmal sind, zu verkleinern aus dem einen Gedanken heraus,
daß ich mir keine Sorge deshalb machen soll. Ich kenne Deine Liebe zu mir und dadurch auch Deine Absicht, für mich unangenehme Sachen fernzuhalten. Du meinst es bestimmt nicht böse damit. Wir wollen diesen Dingen gegenüber aber nüchtern bleiben, denn es geht ja um Deine Gesundheit, die Du nicht so ohne weiteres aufs Spiel setzen
kannst. Es ist ja auch so, wie Du schreibst, daß der Krieg nicht ewig weitergeht, und dann wollen wir möglichst ein Leben führen, das nicht soviel Sorge und Kummer bereitet. Man braucht sich deshalb nicht, wenn es der körperliche
Zustand zulässt, auf die faule Haut legen. Man darf aber auch nicht das Maß seiner eigenen Kräfte überschätzen und diese dann bis zum tatsächlichen Ende abwirtschaften. Darum bitte ich Dich zu wiederholten Male, schone Dich soweit es irgend geht und soweit es Deine Gesundheit erfordert. Du mußt wissen, wie ich in diesem oder in einem anderen diesbezüglichen Falle handeln würde und was für eine Haltung ich dabei einnehmen würde. Handle Du darum so, wie wenn ich daheim wäre und ich meine entsprechenden Anweisungen dazu geben würde. Ich möchte nicht dazu schreien müssen, Dir das eine oder andere zu verbieten. Es hat mich gefreut, mit welch schonender Liebe Du mir das beigebracht hast, aber verdecken kannst Du es nun einmal nicht ganz. Ich will damit die Sache  für abgeschlossen betrachten und hoffen, daß Du mit mir einig gehen wirst. Je mehr Du Dich danach einrichtest, umso eher und mehr können wir unserem gegenseitigen Wunsch nachkommen und uns wieder einmal kräftig abdrücken. – Das Päckchen mit den Büchern für mich und für die Kinder ist also angekommen und hat auch bei ihnen Freude hervorgerufen. Sie sind wohl schon älter, aber Kinder haben für diese Sachen ja immer noch Interesse. Weil ich weiß, daß Ihr daheim ja auch keine Bücher mehr bekommt und wie gern Du wieder einmal etwas liest, ich selbst zwar auch – habe ich hier wieder einige Bücher erstanden. Inhaltlich sind sie sehr nett und werden auch Dir sicher gefallen. Wenn ich sie ausgelesen habe, gehen sie Dir wieder zu. Wie ich aus Deinem Schreiben sehe, fehlt es daheim an Zucker. Es ist und bleibt bei uns das große Problem. Ich sollte wieder einmal so einen halben Zentner auftreiben können.
Bei unserem Rückzug erfuhr ich von einer Stelle, wo man ohne weiteres mehrere Zentner hätte abholen können. Ich versuchte einige Herren dafür zu interessieren, aber jeder fragte sich, wie bringen wir diese Sachen dann weg, wenn wir sie hier haben. Heute wären sie froh, sie hätten meinen Rat befolgt. Das Wegbringen machte mir erst einmal keine Sorge. Erst muß man die Sachen haben, das ist bedeutend wichtiger. In der gegenwärtigen Ruhepause hätte man das gut abschicken können. Es ist nun einmal nicht mehr zu ändern, aber schade ist es doch. Ich will Dir den Mund nicht wässrig machen, ich wollte Dir nur zeigen, wie komisch manche Leute sind.
Auf Deine Anfrage wegen des Öls muß ich Dir mitteilen, daß wir uns missverstanden haben müssen. Es handelt sich nicht um den Satz in Deinem Brief sondern um den Bodensatz in der Flasche, der mir nicht gefallen hat. Den Geruch mag ich auch gut leiden. Es riecht sehr appetitlich. Wie Du es mit dem Ausglühen machtest, ist mir jetzt klar. Die Haltbarkeit leidet wohl nicht darunter. Über die Trinkerin haben wir ja schon gesprochen.
Ich will Dir nun noch bestätigen, daß auch nach meiner Ansicht ein Glas nicht von Schaden sein kann. Ich kenne Dich ja und weiß, daß Du übermäßigen Alkoholgenuss nicht liebst. Darum habe ich auch keine Bedenken, wenn Du Dir ab und zu ein Gläschen zu Gemüte führst.  Ich denke, daß Du Dir nun keine Gedanken weiter wegen mir machen brauchst, denn ich glaube, daß sich die Dinge hier langsam konsolidieren. Für unseren chef tritt ja ein Nachfolger an, der nun bald erscheinen wird. Ich betrachte dies als ein Zeichen für das Weiterbestehenbleiben der ganzen Einheit. Ich glaube auch nicht, daß bei den gegenwärtigen Umständen mit mir eine Versetzung vorgenommen wird. Daß dies später vielleicht einmal eintreten kann, das ist wohl nicht auszuschließen.
Aber darüber braucht man sich jetzt noch nicht den Kopf zu zerbrechen. Es liegt also augenblicklich keine Veranlassung zur Sorge vor. Vorwegnehmen kann ich aber noch, daß bei der Struktur unseres Verwaltungsaufbaus nur eine Kommandantur in Frage kommen kann. Ich sage Dir dies heute nur, damit Du Dir nicht unnötig Gedanken machst.  Das ist ja interessant, daß da gleich die Leute gelaufen kommen wegen des Paddelbootes. Das alleinige Entscheidungsrecht liegt zwar nicht bei uns, aber es ist schon besser so wie Du die Sache behandelt hast. Man müsste einmal nachsehen, wie es überhaupt aussieht. Wenn Du bei Gelegenheit vorbeigehen kannst, dann wüsste man doch, was eigentlich noch da ist. Nicht, daß man eines Tages dann überrascht ist. Es soll doch alles seine Ordnung haben.  Das Geld ist auch bei Dir eingetroffen.
Du hattest anscheinend nicht soviel erwartet. Mit der Zeit sammelt es sich an. Man hat doch keine Gelegenheit, groß etwas auszugeben. Es freut mich, daß Deine Sparsumme einen ganz erheblichen Zuwachs erfahren hat. Über die ersten Tausend bist Du nun hinaus, jetzt kannst Du auf die Zeiten sparen. In Friedenszeiten würde man ja das eine oder andere gekauft haben. Wenn ich in Frankreich wäre, ging es vielleicht auch so. Aber hier sind ja die Dinge alle so beschnitten, daß man zum Sparen gezwungen wird.  Die Nadeln und den Faden kannst Du mir ja jetzt übersenden, nachdem ich bei diesem Haufen noch bleibe. Ich denke wohl, daß bis zum Eintreffen dieses Schreibens auch die Sperre für die kleinen Päckchen aufgehoben sein wird. In seiner letzten Rede hatte der Führer ja die Aufhebung der Urlaubssperre verkündet.
Daraus kann man doch schließen, daß auch in den anderen Sachen eine Lockerung eintreten wird.  Meine Vermutung, daß der Schreibfehler von Dir darauf zurückzuführen sei, daß Du nicht ganz bei der Sache warst, stimmte also. Es passiert Dir doch sonst nicht. Aber in diesem Zusammenhang bitte ich Dich unseren Sporzer, die Helga, schonend darauf aufmerksam zu machen, daß sie gegrüßt nicht mit k schreiben soll. Du wirst es ihr schon so beibringen, daß sie die Lust am Schreiben an mich deshalb nicht verliert.  Was unsere Kartei anbelangt, so freut es mich, daß Du sie immer noch mit auf dem Laufenden hältst. So behält sie doch ihren Wert. Es ist nicht leicht, aber wenn man das später alles erst nachholen muß, dann erfordert es viel Arbeit. Ich hoffe, daß ich von den anderen Sachen im Laufe der Zeit doch noch das eine oder andere zusammentragen kann. Nach dem Kriege kann man sich dann vielleicht wieder mehr dahinterklemmen.
Das neue Bild hast Du nun auf dem Radioapparat aufgebaut. Um Dir aber etwas zum Lächeln  bitte nicht lachen habe ich geschrieben  zu verschaffen, hast Du das zur stillen Berühmtheit erhobene Bild noch dahinter gelassen. Es ist ja ein billiges Vergnügen, darum will ich auch nichts dagegen haben. Im übrigen habe ich Dir das damals ja auch geschrieben, um Dir einen Grund zum Lachen über mich zu geben.
Aber das habe ich Dir doch immerhin voraus, daß Du in einer solchen Situation noch nicht fotografiert bist.  Daß man Dir Deinen guten Willen  ?  und Deine kleinen Päckchen nun doch noch alle zurückgesandt hat, das finde ich ja weniger schön. Aber wir werden uns zu trösten wissen.  Für heute bin ich wieder am Ende des Bogens und meiner Kenntnis angelangt. Es grüßt Dich und die Kinder recht herzlich und drückt im Geiste ganz fest an sich Dein Ernst.   und nun  Kuß 

Brief 401 vom 22.3.1943


Mein allerbestes Mädel !                                                                  22.3.43 
          
Dem Kalender nach befinden wir uns nun seit gestern im Frühling.  Das Wetter ist aber schon seit längerer Zeit so warm, sonnig und angenehm. Es ist eine Freude, hinauszusehen. Schöner wäre es zwar, wenn man draußen herumspazieren könnte, wenn man wollte. Weißt Du noch, wie wir früher um diese Jahreszeit mit dem Fahrrad hinausfuhren.
Die Kinder aufgepackt und dann ging es los. Einmal waren wir einen ganzen Tag am Mindelsee. Die Sonne meinte es so gut. Man konnte sich schon so schön im Freien aufhalten. Fast kein Mensch störte uns dort. Hinter uns war der Wald und vor uns lag im herrlichen Sonnenlicht gleißend der See. Die Tannenzapfen knisterten von der Sonnenwärme. Der Wald mit seiner Kühle nahm uns auf, als es uns über die Mittagszeit zu warm wurde. Wie viele Jahre ist das schon her? Aber auch auf unserer Schlüsselblumenwiese haben wir uns im zeitigen Vorfrühling aufgehalten. Dort kann man den Blick so schön schweifen lassen. Im Hintergrund die Schweizer Anhöhen. Davor liegt der See mit der Reichenau im schönsten Sonnenschein. Der See glitzert herauf.  Neben uns ist die eine kleine Hecke. Es raschelt darin. Eine kleine Schlange oder sind es nur Mäuse? Dunkel steht zu beiden Seiten der Wald. Der Frühlingswind geht mutwillig durch die Äste eines kleinen Bäumchens und läßt die frischtreibende Rinde aufglitzern. Es ist doch zu wunderschön im Frühling, im Frühling vor allem in der Heimat.  Wie oft sind wir den Weg gegangen unterhalb des Tabors. Der Schlehdorn blühte dort so schneeweiß.
An seinem sonnendurchwirkten Hang blühten die ersten Veilchen und die Gänseblümchen reckten sich schon zeitiger als sonstwo. Es gibt so viele schöne Fleckchen, die wir gemeinsam besuchten und an die man immer gern und mit Freude zurückdenken kann.
Mit der gestrigen Abendpost bekam ich Deine beiden Briefe vom 8. und 9.3 sowie den Brief von Helga. Ich habe mich über alles wieder sehr gefreut. Ich habe nach Deiner berichtigenden Mitteilung über den Friedhof, auf dem Kurt beigesetzt ist, nochmals auf unseren Karten nachgesehen. Ich kann diesen Ort aber nicht finden. Auf die verschiedenen Schreibarten kann man nicht immer gehen. Man hätte gern einen festen Punkt, um den die Gedanken dann kreisen könnten. Ich hoffe aber, noch dahinter zu kommen.
Helga hat sich durch meine Mahnung aufrütteln lassen und hat mir nun gleich geschrieben.
Inzwischen ist ja auch mein alter Brief an unsere beiden Schlingel bei Euch eingegangen.
Ich nehme es ihnen bestimmt nicht übel, denn sie sind ja noch Kinder und wollen ihre Freiheit haben und genießen. Man kann sie jetzt noch nicht in eine Zwangsjacke stecken. Das spätere Leben wird sie bald genug in die Zange nehmen.  Es ist mir eine große Freude, wenn ich von Dir hören kann, daß Dir meine Sendungen nützlich gewesen sind. Das ist mir der beste Dank. Ich weiß ja auch, daß Du diese Sachen einteilst und sparsam verbrauchst. Darum freut es mich, wenn ich beispielsweise lesen kann, daß Ihr Euch wieder einmal Bratkartoffeln mit Speck machen konntet. Ich bin zwar nicht genau im Bilde, was Ihr immer zugeteilt erhaltet, es ist mir nur bekannt, daß Ihr gerade Speck nicht oder sehr selten erhaltet. Daß dir der Kümmel ausgegangen ist, so daß Du nichts mehr zu trinken im Haus hattest, das war ja sehr bedauerlich.
Ich will darum bemüht sein, vielleicht noch einige Flaschen Kirsch zu bekommen. Ich habe wohl Allisch  hier, den ich Dir mit zusenden will, aber ich glaube nicht, daß er Dir im Geschmack zusagen wird. Es ist wohl auch süß, aber es kommt ja aufs Probieren an. Ich habe wirklich keine Angst, Daß Du Dich dem Saufe hingibst wie die Fromme Helene. Es soll ja nur den Gaumen anregen, wenn man nichts anderes bekommt. Sekt haben wir jetzt wohl verschiedene Flaschen daheim.  Interessiert hat mich die Zusammenstellung der Öl und der Honigsendungen. Wenn man liest, was Ihr daheim auf Eure Marken bekommt, dann ist das im Vergleich dazu herzlich wenig.
Ich möchte heute nun schließen. Die anderen Tage habe ich ja mehr geschrieben. Dies ist ja sonst mein altes Maß. Nimm recht viele liebe und herzliche Grüße und Küsse entgegen von Deinem Ernst.

Brief 400 vom 21.3.1943


Meine liebste Annie !                                                                    21.3.43   
      
Soeben komme ich von der heutigen Heldengedenkfeier zurück.  Diesmal ging ich ja aus besonderem Anlass hin, denn ich hatte ja den Tod meines lieben Bruders zu ehren.
Es wird einem doch weh um das Herz, wenn bei präsentiertem Gewehr das Lied vom guten Kameraden gespielt wird. Es ist alles noch zu frisch. Wer hätte das im vergangenen Jahr von uns allen geahnt. Keiner. Erschrocken wäre man bei dem Gedanken. Es ist etwas ganz Großes um den Tod. Aber wenn man sein Leben als ideeller Mensch, wie er es war, für seine Heimat und seine Familie oder seine Angehörigen gibt, dann ist dies nicht abzuschätzen in seiner Größe. Ich will gewiss nicht jetzt ihm etwas andichten, was vielleicht nicht vorhanden war. Ich kann, soweit ich als Bruder sein Wesen erfasst habe, nur ehrend seiner gedenken, denn er war ein redlicher und braver Kerl. Erinnerungen steigen auf aus den verschiedensten Zeiten, die ich mit ihm in Verbindung war. Eines hat mir immer an ihm gefallen, daß er Dir in so kameradschaftlicher Weise entgegen kam. Ich habe das jedes mal an ihm zu schätzen gewusst, weil es so gut in den Rahmen unseres Familienlebens hineinpasste. Umso schmerzlicher habe ich es empfunden, als ich von Euch las, wie schwer es von seinem letzten Urlaub von daheim geschieden ist. War es nur die Erkenntnis, in das nicht gerade schöne Land zurück zu müssen, oder war es schon eine Vorahnung. Wer kann das erfassen, wer kann es nachempfinden.
Wir haben ihn hingegeben und wir werden ihn nun deshalb nicht vergessen, weil er nicht mehr unter uns Lebenden weilt. Im Gegenteil, sein Tod soll uns Mahnung und Verpflichtung sein, wie ich es schon einmal schrieb. Ich weiß nicht, wie es kommt. Ich komme erst heute dazu, richtig Deinen Brief vom 1.2. zu lesen, den ich vorgestern erhielt. Es scheint  mir, als sollte ich ihn erst heute gerade an diesem Tage lesen.  Manches ist schicksalhaft, so dies vielleicht auch. Es ist das Schreiben, in dem Dur mir mitteilst, daß in der Firma ein Betriebsappell zu seinem Gedenken abgehalten wurde. Ich kann mir vorstellen, daß es für Dich ein eigenes Gefühl gewesen ist, ihn inmitten eines so feierlichen Rahmens im Bild zu sehen.  Du schreibst weiter von dem ersten Zusammentreffen mit Nannie und mit Paula. Nannie war verzweifelt und sagte, wie das die ganze Art von dieser Seite ist, von der ich wohl auch mit etwas abbekommen habe, daß von ihm nun alles ausgelöscht sei. Du wirfst nun ganz richtig die Frage auf, was denn mit der Seele sei. Ich las gerade in diesen Tagen einen schönen Artikel. Vielleicht kennst Du ihn auch. Es spielt aber keine Rolle. Darin heißt es: „Es ist eine letzte Begier des Menschengeschlechts darüber nachzudenken, was das „menschliche“ des Menschen ausmache, was ihn heraushebe als „Menschen“ aus der Nachbarschaft jedweden anderen lebenden Wesens.
Der Mensch ist Blut und Fleisch, ist Stoff  man kann diesen Stoff zerlegen und anatomieren bis zur letzten Muskel  und Nervenfaser, und findet doch nicht das, was alle die tausende Fasern lenkt, regiert, zusammenhält“. Mir hat diese Definierung gut gefallen. Man erkennt aus ihr, wie wertvoll und doch wie unfassbar dieser Begriff ist. Er macht das Höchste im Menschen aus. Er ist erst das, was ihn eigentlich erst zum Menschen prägt. Darum finde ich auch die Worte, die Du mir aus der Grabinschrift von Kepler mitteilst so passend.: Modert der Leib auch, so so schaut selig sein Urlicht der Geist.“. Darum stimme ich auch mit Dir in der Meinung überein, daß es nicht zuletzt der Körper ist, sondern der Geist, der unseren Kurt uns so wertvoll erscheinen läßt. Wir neigen wohl alle dazu, dies uns alles zu körperlich vorzustellen. Es ist nicht greifbar und doch weiß man, daß es vorhanden ist. Es ist uns verständlich, daß der Körper vergeht, aber wir wissen und fühlen vor allem, daß die Seele nicht vergangen sein kann, weil uns ja auch noch das Ethische, was uns einen bestimmten Menschen als wertvoll erscheinen ließ, noch in uns Nachgebliebenen nachlebt. Es verbinden sich hier wohl schon die Begriffe von der Materie und dem Wesenlosen.  Wo das eine anfängt und das andere aufhört, das werden wir in seiner Endform wohl nicht fassen können.
Ob wir damit auf dem rechten Wege sind, wenn wir uns daran halten, daß die Seele irgendwie im Weltall weiter existiert oder auf einem der vielen unzähligen Sonnensysteme, das kann keiner sagen. Wir Menschen müssen aber etwas haben, an das sich unser Geist halten kann, weil mit dem Unvorstellbaren das Unfassbare so nahe zusammenrückt, daß wir eines Tages nicht mehr imstande sind, es mit der erforderlichen Ehrfurcht an die Größe der Schöpfung und alles das zu denken, was das Leben ist. Es ist leichter über diese Dinge zu sprechen als darüber zu schreiben, weil man befürchten muß, nicht so verstanden zu werden, wie es gemeint ist.  Es wäre wohl gut, wenn er außer dem guten Andenken, das er uns hinterlassen hat, auch noch ein Stück von ihm verblieben wäre. Was aber nutzt, streng genommen, ein uneheliches Kind. Es würde in ihm fortleben.
Wer sagt aber, daß die Eigenschaften, die wir an ihm schätzten, von der Kindesmutter geduldet und gefördert würden. Das sind Dinge, an die man in diesem Zusammenhang auch denken muß. Daß dies nun nicht so ist, war wohl auch Bestimmung des Schicksals.
Wollen wir es so nennen. Probleme habe ich heute mit Dir angeschnitten, Fragen sind offen geblieben und vieles habe ich uns zu klären gesucht. Ob und wie weit mir das gelungen ist, das kann ich nicht von mir aus beurteilen. Ich hoffe, daß ich Dir keine schweren Gedanken gemacht habe.  Ich habe nun nicht Lust, große Sachen in diesem Brief weiter zu erledigen. Das werde ich für den nächsten aufsparen. Die anliegenden Bilder stammen von unserem Rückzug. Das ist unser Kreis. Die Bilder sind nicht gerade gut geworden. Es kann sogar sein, daß es Schwierigkeiten bereitet, mich aus dem Gedränge herauszufinden. Diese Bilder wurden in einem russischen Geschäft gemacht, daher kommt es, daß die Sachen so undeutliche geworden sind. Zur Erinnerung an eine Zeit, die uns ernste Sorge gemacht hat, sind sie aber immerhin für mich wertvoll. Ich grüße Dich, mein liebstes Mädel und hoffe zuversichtlich, daß es Dir wieder gesundheitlich leidlich ordentlich geht. Ich wünsche Dir jedenfalls das Beste dazu. Nimm viele herzliche Küsse in Liebe entgegen und küsse gleichzeitig die Kinder von Deinem Ernst.

Brief 399 vom 20.3.1943


Mein liebstes Mädel !                                                                     20.3.43 
       
Dein Luftpostbrief vom 15. traf gestern bei mir ein. Ich danke Dir vielmals dafür, Mit dem von mir gegebenen Auftrag habe ich Dir viel Lauferei gemacht. Es tut mir vor allem leid, daß Du diese Besorgung hast machen müssen, als Du nicht ganz wohl auf gewesen bis. Daß diese lächerlichen Zwerge, meine Herren Kollegen nicht auf dem Teppich waren, das haben sie wieder einmal vollauf bewiesen.  Diese Schlawiner sollen, wenn sie schon einmal ein solches Gebiet bearbeiten, sich etwas genauer mit den einschlägigen Bestimmungen vertraut machen. Diese Heimatkrieger wollen anderen nur noch Schwierigkeiten machen. Du kannst diesem Herren nur meine größte Verwunderung ausdrücken über die Behandlung von Frauen eines Kollegen. Ich werde das diesem Herrn nicht so leicht vergessen. Ich weiß wohl, ob da eine Berechtigung vorliegt oder nicht. Da haben sich schon andere Männer darüber den Kopf zerbrochen wie solche Heinis. Das ist ja geradezu lächerlich, wie sich diese Brüder aufführen. Wenn die noch einmal solchen Mist machen, dann werde ich mich beschweren. Ich ärgere mich nicht über die Ablehnung als solche, sondern darum, daß die Kerle so dämlich sind und Dich unnütz herumgeschickt haben.
Ich will nicht alles das niederschreiben, was ich in dieser Sache auf dem Herzen habe, sonst denkst Du, ich sei wer weiß wie verroht. Es ist aber doch tatsächlich so, daß man sieht, was das für Leuchten sind, die noch daheim zurückgeblieben sind. Ich möchte nun einmal sehen, wie sich diese Schlawiner hier draußen durchsetzen könnten. Die wären bald aufgeschmissen. Ich habe Dir heute aus dem Heeresverordnungsblatt einen Auszug gefertigt. Damit gehst Du nochmals hin und sagst, wenn sie noch nicht im Bilde sind, dann wollen wir etwas nachhelfen. Du kannst sagen, daß dieser Antrag nicht von mir gestellt wird, sondern daß er von meinem Einheitsführer gemacht wurde. 
Aber das brauchst Du nur zu sagen, wenn überhaupt der Anschein entstehen würde, daß man die ganze Angelegenheit auf ein bestimmtes Gleis schieben will. Wenn das diesen „Herren“ noch nicht genügt, dann sollen sie sich das ganze Blatt zu Hilfe ziehen.
Ich erwarte, daß Du nicht nochmals deshalb durch die ganze Stadt geschickt wirst.
Ich bitte, Dich deshalb nicht zu ärgern, denn das ist ja eine Angelegenheit, die ganz und gar in Ordnung geht. Es wäre doch etwas anderes, wenn man etwas Ungerechtfertigtes verlangen würde. Ich denke, daß Du diesmal etwas weiter damit kommen wirst. Wenn ich das geahnt hätte, dann hätte ich Dir ja gleich diesen Auszug damals gemacht.
Ich hatte aber doch gedacht, daß diese Brüder so beschränkt sind.
Leider habe ich aus Deinem Schreiben weiter lesen müssen, daß Du noch nicht ganz von einer Grippeerscheinung mit Herzbeschwerden genesen bist. Ich bekam mit diesem Brief leider das bestätigt, was cih dieser Tage in einem meiner Briefe als Vermutung aussprach. Du mußt Dich viel mehr schonen, denn ich sagte schon, du bist kein Riese. Was nutzt es allen, wenn Du Dich in kurzer Zeit ausgibst und dann uns daliegst. Ich weiß, daß Dir das mit das Schlimmste wäre. darum bitte ich Dich heute nochmals, nimm Dich mit Deiner Gesundheit mehr in Acht. Ich hoffe, daß Du es nicht so weit kommen läßt, daß ich Dir solche   ? verbieten muß. Es kann passieren, daß man einmal krank wird, aber Du weißt, daß Du gerade mit Deinem Herzen etwas Obacht geben mußt.
Ich führte schon einmal an, daß Du doch Deinen körperlichen Zusammenbruch, den Du vor zwei Jahren hattest, nicht vergessen darfst. Nimm Dich also in Acht und besorge Dir das, was Deiner Gesundheit dient.. Es ist nicht ausgeschlossen, daß die ganze Ernährung auch eine gewisse Rolle spielt. Bevor Du nicht wieder ganz auf der Höhe bist, machst Du nichts weiter als was unbedingt notwendig ist. Die Kinder wollen ihre Ordnung haben, das stimmt. Aber sie sind ja verständig genug, um einzusehen, daß etwas Besonderes vorliegt und daß es dann nicht immer so geht, wie man es gern wünscht. Sie werden Dich wohl auch etwas unterstützen, denn ich weiß, daß sie es gern tun, wenn sie sehen, daß Du nicht so kannst, wie Du es gern willst.  Deine Mitteilung über das Eintreffen verschiedener Päckchen hat mich gefreut, denn nun brauche ich mich ja nur um die anderen wieder zu sorgen. Vor allem weiß ich ja, daß Du das Öl, alles erhalten hast und das ist ja sehr wichtig. Auch die Bücher und der Sekt sind bei Dir angekommen. Dis ist ja schön. Aber wichtiger ist mir immer, wenn ich weiß, daß die Sachen zum Futtern in Deine Hände gelangt sind. Darum bin ich auch immer so scharf darauf bedacht, wenn ich irgendetwas für Euch besorgen kann. Die Einschreibebriefe sind aber bald schneller gegangen wie die der Feldpost. Wenn das der Fall ist, dann werde ich, solange wie noch hier sind, diese benutzen. Das macht ja nichts aus, die Paar Pfennig.  Was die andere Angelegenheit anbelangt, so will ich Dir nochmals bestätigen, daß ich mich nicht darüber geärgert habe, wie Du vielleicht vermutet hast.
Es ist ja nicht notwendig, daß ich hier in dieser Sache ein Gesuch einreiche. Ich will doch keinen Gnadenerweis haben , sondern das, was mit zusteht.  Wenn ich sowas tun wollte, dann brauchte ich diese „Helden der Heimat“ bestimmt nicht dazu, denn dann würde ich andere Wege gehen. Mich vor diesen Kerlen kleine machen, das kommt nicht im Entferntesten in Frage, denn das habe ich bestimmt nicht nötig. Ich bin mir jedenfalls viel zu gut dafür, um mir später einmal etwas von dieser Seite sagen lassen zu müssen.
Ich bitte Dich, ärgere Dich nicht mehr darüber und lasse Dir nur nichts gefallen und nicht Unrecht tun. Dich und die Kinder grüße ich fest und recht herzlich. Dir wünsche ich volle Gesundung und wiederhole nochmals meine Bitte, sieh Dich vor. Mit vielen lieben Küssen bin ich immer Dein Ernst. 

Brief 398 vom 18.3.1943


Mein liebster Schatz !                                                                     18.3.43    
    
Das Päckchen, das Du am 14.1. für mich aufgegeben hattest und das ich durch den Rückzug in die Hand der Bolschewisten gefallen glaubte, kam gestern doch noch an.
Ich wollte schon in diesen Tagen Dir mitteilen, daß wir wohl das Päckchen abschreiben können wie auch den Brief von mir, der so lange an Dich unterwegs war. Vor wenigen Tagen teiltest Du mir nun den Empfang mit, darum unterließ ich es, Dir meine Vermutung mitzuteilen. Wie ich sehe, war es auch besser so. Manchmal soll man doch solchen inneren Eingebungen, die man im Unterbewusstsein spürt, folgen. Es war ja durchaus möglich, daß durch die großen Verschiebungen etwas verloren gegangen ist, trotz der Versicherung, die ich hier von der Feldpost bekam. Aber bei unserer deutschen Gründlichkeit muß schon etwas ganz besonderes eintreten, ehe da etwas verloren geht. Gestern traf beispielsweise ein Telegramm, das am 18.1. in Deutschland aufgegeben wurde, hier ein.
Das ist ja nicht der normale Fall und nur auf die Ereignisse zurückzuführen. Ich danke Dir sehr für die gesandten Sachen. Der Ständer für den Halter steht schon auf meinem Schreibplatz. Das Heft habe ich schon angefangen zu lesen. Das Gebäck ist noch nicht verdorben, trotz der langen Reise.  Mit dem Päckchen traf gleichzeitig Dein lieber Brief vom 7.3. ein. Vielen Dank dafür. Ich gratuliere Dir zu Deinem schönen Sammelergebnis.
Die Kinder haben Dich ja tatkräftig dabei unterstützt. Es ist aber doch nicht so leicht, diese Summe zusammenzubringen ohne irgendwelche Abzeichen. Bis auf wenige Ausnahmen ist sich ein jeder wohl über den Ernst der Lage bewusst.  Wenn man einen netten Erfolg dabei sieht, dann macht das Sammeln bestimmt Spaß.  Wie Du mitteilst, gibt es vorerst keine Glühbirnen mehr daheim. Ich will einmal nachsehen, ob ich nicht irgendwo einige locker machen kann. Das wäre ja nichts, wenn Ihr ohne Licht daheim sein müßtet. Wenn ich etwas bekomme, geht es umgehend an Dicht ab. Ihr habt, wie ich lese, genau so an den Geburtstag von Kurt gedacht, wie ich auch. Der arme Kerl hat ihn nun nicht mehr erlebt. Es ist äußerst schmerzlich, wenn man daran denken muß.  Ich schreibe nun am Nachmittag weiter. Am Vormittag war ich schießen. Das Wetter ist schon sehr schön, so daß einem dieser Spaziergang zum Stand Spaß macht.
Man merkt die Sonne schon sehr und daß es sehr stark ins Frühjahr hineingeht. Vor einem Jahr kam ich nach  Frankreich aus dem Urlaub zurück und erhielt die Nachricht, daß ich mich abmarschbereit halten müßte. Ich fuhr ja damals in dieser Erwartung zurück. Es ging ja damals noch etwa vier Wochen, bis ich dann abfuhr. Aber immerhin, es war ein komisches Gefühl, die ganze Zeit so auf dem Stängelchen zu sitzen. Bis Du diesen Brief erhältst, sind dann 11 Monate vergangen, die ich mich schon hier in Rußland herumtreibe. Eines steht aber fest, daß wir in diesem Jahr mit dem Wetter genau so weit sind wie im vergangenen Jahr, als ich hier herüberkam. Das ist immerhin sehr günstig für uns, denn von der Witterung ist ja schließlich das Einsetzen unserer Operationen zu einem wesentlichen Teil abhängig. Hoffen wir auf eine weitere günstige Entwicklung. Nachdem ich solange nicht geschossen habe. Das war hier die zweite Übung seit langer Zeit. Man merkt, daß es nicht klappt. Wir hatten eine Schnellfeuerübung, die ich nicht ganz erfüllte. Man müßte öfter schießen, dann käme das besser heraus.
Gleich nach dem Essen fuhr das gesamte Unteroffiziercorps ins Theater. Welche Geltung ich hier nun erlangt habe, kann man daraus schließen, daß ich tatsächlich mit dazuzähle.
Es war eine nette Ballettaufführung. Das Programm liegt bei. Ich dachte schon letzthin, als ich hier in einer solchen Aufführung war und ich fand es auch bestätigt, als ich die Bilder jetzt von unseren Kindern bekam. Helga ist nun schon so alt, daß man mit ihr sich eine solche Aufführung ansehen könnte. Dir selbstverständlich würde sowas auch Freude bereiten so wie ich Dich kenne. Es ist doch etwas anderes wie Kino.
Du kennst ja meine Einstellung zum Kino. Ich gehe wirklich auch gern hinein, aber sowas wirkt doch persönlicher, das läßt sich einfach nicht leugnen. Ich würde zu gern einmal mit Euch zu einer solchen Vorstellung gehen, um zu sehen, was Ihr sagt. Aber ich glaube, mich nicht zu täuschen, wenn ich mir vorstelle, daß Ihr Euren Gefallen daran finden würdet. Das sollte man einmal machen können. Ich hatte früher in Deutschland ja noch nie Gelegenheit, eine Ballettaufführung zu sehen. Im allgemeinen legt man bei uns auch nicht so großes Gewicht darauf wie hier. Wenn man klassische Kunst bietet, dann bringt man eben eine Oper. Dies ist hier wohl auch der Fall, aber das Ballett ist hier von ziemlicher Bedeutung bei allen Aufführungen.
Um nun das Maß noch voll zu machen, findet heute ein Unteroffizierabend mit Essen und, was für die meisten das Wichtigste ist, mit Trinken statt. Ob ich zwar so richtigen Kontakt bekommen werde, das muß ich erst einmal sehen. Allzu viel Hoffnung verspreche ich mir nicht davon. Aber auf uns Beamte sieht man ja auch immer besonders hin und ganz besonders, wenn eine solche Gelegenheit kommt, finden die anderen es immer passend, irgendwelche Angriffspunkte zu finden. Wenn man keinen Streit haben will. muß man geschickt operieren. Kürzlich hätte ich bald Schlägerei mit einem dieser Brüder gehabt. Wenn diese Kerle etwas getrunken haben, dann bekommen sie Mut und dann gehen sie aus sich heraus. Das gehört nun einmal mit dazu und mir ist das schon zur Genüge bekannt.
Wie dem auch sei, ich habe vor keinem Angst und Kneifen gibt es auch nicht in diesem Falle. Das sind so Erscheinungen, von denen man nicht immer spricht, weil man vielleicht nicht gerade dazu aufgelegt ist und die passenden Worte findet. Ich denke aber, daß Dich auch sowas einmal interessiert, was außerhalb des Alltäglichen liegt. Zwar diese Dinge sind für mich schon alltäglich geworden. Ich nehme sie aber nicht mehr so tragisch, wie ich sie am Anfang immer aufgenommen habe. Mit der Länge der Dienstzeit bekommt man doch etwas Routine und nimmt vieles nicht mehr so ernst wie am Anfang.
Denn Herumhetzen läßt man sich nach bald 3 Jahren nicht mehr. Da muß schon etwas ganz Besonderes kommen.  Recht viele herzliche Grüße sende ich Dir, mein liebes Mädel, und bitte Dich, nimm im Geiste viele liebe Küsse entgegen.  Manchmal möchte man etwas mehr sagen. Du weißt ja, daß wir beide in dieser Hinsicht wohl etwas steif sind. Das ist aber nun einmal unsere Art, die wir voneinander kennen und die wir voneinander gewohnt sind. Du weißt jedenfalls, wie sie gemeint sind wie ich es auch weiß, was Du mir zu sagen hast. Bleibe gesund und schone Dich in der Weise, wie es Deine Gesundheit erfordert. Grüße Vater bitte recht herzlich von mir und sage ihm bitte, daß ich oft an ihn denke. Unseren beiden Lausern einen herzlichen Kuß und nimm Du viele herzliche Küsse entgegen von Deinem viel an Dich denkenden Ernst.

Samstag, 17. März 2018

Brief 397 vom 17.3.1943

Meine liebste Annie !                                                                     17.3.43  
     
Es hatte gestern keinen Wert, diesen Brief abzusenden, denn ein Kamerad fährt heute in Urlaub und will ihn mitnehmen. Diese Beförderung geht ja dann doch schneller, so daß es mir ratsam erschien, beide Briefe zusammen mitzugeben. Ich will gleich eingangs auf die Päckchen zu sprechen kommen, die wieder an Dich abgegangen sind. Wir hatten früher für unsere Unterkunft in Charkow Mull gekauft, den wer als Gardinen verwenden wollten. Es kam durch die ewigen Quartierverlegungen nicht dazu, daß wir diese Sachen fertig machen lassen konnten. Wir haben das Zeug immer mit uns herumgeschleppt. Jetzt, wo wir nun auseinandergerissen werden, hat sich die Frage erhoben, was wir damit machen. Als sich niemand bereit erklärte, habe ich mich entschlossen, einen Teil davon zu nehmen. Ich habe ihn nun gekauft und Dir gleich zusammengepackt. Ich dachte, Du wirst schon eine Verwendung dafür haben. Mir kam dabei in den Sinn, daß Erna diese Sachen für das Kind als Unterlage verwenden könnte. Wenn Du anderer Meinung bist und wenn Du zweckmäßigere Verwendung dafür hast, , dann verbrauche dies, wie es am nützlichsten ist. Einige Zigarren und etwas Tabak habe ich auch wieder beieinander gehabt. Dazu habe ich die Stoßeisen für die Schuhe gelegt. Das hat auch wieder ein Päckchen gegeben. Mit der Zeit wirst Du wahrscheinlich Angst bekommen, wenn ich Dir jetzt dauernd Sekt schicke. Ich habe wieder zwei Flaschen bekommen. Ich muß zwar mit den Jungens von der Feldpost verhandeln, daß sie mir diese schweren Päckchen abnehmen, weil sie fast alle überwiegen. Mußt Du eigentlich immer Nachporto bezahlen? Ich habe keinen großen Appetit, diese Sachen hier zu trinken, ich denke, daß ich daheim das einmal in angenehmer Weise und angenehmer Gesellschaft tun kann. Du wirst diese Sachen schon irgendwie aufbewahren können.  Das sind Zuteilungen, die wir erhalten haben, die ich aber nicht einfach mit Gewalt hinterkippen möchte.
Die Nummern lauten 34 bis 37.  Mit dem Verhältnis, das wir gegenwärtig zu Paula einnehmen, habe ich schon einmal kürzlich Stellung genommen. Ich kann Dich durchaus verstehen, denn sie ist nicht die Frau, mit der Du auf die Dauer harmonieren könntest, weil Ihr in Euren Anschauungen so grundverschieden seid. Wenn durch den Tod unseres Kurt ein Zustand eingetreten ist, den er vielleicht im innersten angestrebt hat, nämlich der, daß wir nicht so ablehnend zueinander stehen, so wollen wir in seinem Sinn dieses Opfer auf uns nehmen. Ich will damit sagen, daß wir keinen Verkehr zu pflegen brauchen, der uns in so starkem Maße zueinander bringt, daß sich dadurch innerhalb womöglich Komplikationen entwickeln könnten. Wir müssen dabei in erster Linie im Auge behalten, was unserer Familie nutzt. Was ihr schadet, muß gemieden werden. Das muß bei diesen Betrachtungen oberstes Grundgesetz sein. Ich denke, daß Du in dieser Beziehung mit mir einig gehst. Wenn sie kommt, kann man ja auf ihre Fragen eine belanglose Antwort geben, soweit es sich um Dinge von Bedeutung handelt. Denn Ausfragen und dann später gegeneinander ausspielen, das gilt nicht mehr bei uns. Daß Vater seine Einstellung in mancher Hinsicht gegenüber früher wesentlich revidiert hat, wollen wir seinem Alter zugute rechnen. Ich wünschte ihm nur, daß er nicht noch mal eine grobe Enttäuschung erfährt. Wir werden mit ihr schon fertig werden, darum habe ich keine Bange. Wenn Du deshalb mit Deinen Äußerungen etwas vorsichtiger wirst, dann handelst Du ganz recht, denn das berührt ja das. was ich gerade gesagt habe.  Ausspielen lassen wir uns gegenseitig nicht. Wir wollen jedenfalls nicht von uns aus den Anlaß dazu geben, wenn Vater wegen eines Bildes von mir mit Dir gesprochen hat, dann will ich das unter dem Gesichtspunkt des Auflockerns der strengen Trennung und des Handelns im Sinne von Kurt betrachten. Wir bewahren nach außen hin den Burgfrieden, der jetzt eingetreten zu sein scheint. Wir wollen ihn nicht brechen.  Es tut uns nicht weh.
Welches Bild Du geben willst, das überlasse ich vollkommen Dir.  Ich schlage von mir aus vor, daß das letzte Bild, das ich Dir zugehen ließ, und von dem Dir noch der Film zugehen wird. Wenn es sich machen läßt, dann bitte ich Dich, daß Du eine entsprechende Anzahl von Vergrößerungen machen läßt, damit ich verschiedenen Kameraden einmal ein Bild zukommen lassen kann.  Das hat mir an unserem Jungen wieder gefallen, wie er ohne Hemmungen einfach zu seiner Lehrerin gegangen ist mit der Sammelbüchse.
Man sieht, daß er ein Kerle ist. Er kann das schon, wenn er will. Ich habe auch keine allzu großen Bedenken, daß man nicht in der Lage ist, ihn zu leiten. Es müßten schon ganz außergewöhnliche Umstände eintreten, wenn sich dies ereignen sollte.  Ich denke,  daß ich alles wieder geschrieben habe, was zu schreiben war. Vom Wetter kann ich noch berichten, daß wir seit längerer Zeit schönes sonniges Wetter haben. Das wirkt sich, im Verein mit den Erfolgen in Charkow und überhaupt in unserem Abschnitt, ungemein auf die Stimmung aus.  Ich sende Dir, mein lieber Schatz und den Kindern recht viele liebe Küsse. Vater bitte ich von mir zu grüßen. Dich grüße ich wieder besonders herzlich und bin immer Dein Ernst. 



Freitag, 16. März 2018

Brief 396 vom 16.3.1943


Mein liebster Schatz !                                                                  16.3.43  
       
Zwei Tage bin ich nicht zum Schreiben gekommen. Durch die verschiedenen Abschlussarbeiten, die sich durch die Umänderung bei uns ergeben haben, war ich ziemlich in Anspruch genommen. Ein Schreiber ist seit einigen Tagen in Urlaub gefahren. Ich muß daher, wenn es sich um große Sachen und Dinge von wichtiger Natur handelt, selbst schreiben.  weil unser Chef noch einige Angelegenheiten zum Abschluss bringen wollte, ehe er von uns versetzt wird. Dies hat dazu geführt, daß ich mit dem Schreiben nicht so konnte, wie ich wollte. Die neueste Situation ist jetzt für mich, daß unser Chef versetzt wird mit dem Oberinspektor. Ein neuer Oberrat tritt an seine Stelle. Es verbleiben dann noch ein Kriegsverwaltungsrat, der Sonderführer und ich. Wie und wo wir dann verwendet werden, das liegt noch im Dunkel . Durch die Versetzung eines neuen Oberrats zu uns scheint man uns als Gesamtes doch bestehen lassen zu wollen. Innerhalb der Einheit gehen ja die tollsten Gerüchte herum. Eines davon war ja, daß wir nach Prag oder nach Breslau kommen sollten. Jetzt habe ich meinen Laden vollkommen in Ordnung.
Die wenigen Sachen, die noch eingehen, sind ja ohne Bedeutung. Es ist ein angenehmes Gefühl, wenn man einmal sagen kann, man ist fertig mit einer Arbeit. Der Zustand des Untätigseins darf allerdings nicht allzu lange anhalten. Daß wir etwas Abwechslung haben, dafür wird in anständiger Weise gesorgt. Neulich war ja die Stadtführung. In dieser Woche ist eine besonders für uns eingerichtete Führung durch ein kunstgeschichtliches Museum angesetzt worden, das noch nicht wieder eröffnet ist. In der letzten Woche war ich ja im Theater und im Kino. Schießen hatten wir kürzlich, für diese Woche ist es auch angesetzt. Du kannst daraus ersehen, daß man versucht, uns zu beschäftigen.
Immerhin lernt man das eine wie das andere kennen. Man bekommt doch wieder etwas mit. Wir haben uns ein Schachspiel zugelegt und wollen damit in der Zeit, in der nicht vorliegt, uns beschäftigen. Das ganze sieht zwar nicht sehr nach Einsatz aus, aber wie schnell ändern sich die Dinge. Morgen kann schon alles wieder anders aussehen, darum kann man sich als Soldat keine Gedanken machen, weil ja alles letzten Endes doch gelenkt und geleitet wird. Das Ganze ist eine Bereitschaft.
Es ist daher am besten, Befehle an uns hinzunehmen, dann geht es eben wieder los. – Ich will mich aber nun erst einmal für Deine lieben Briefe vom 3., 4. und die zwei vom 6. mit den Fotos bedanken. Die Bilder vom letzten Urlaub geben ja ein sehr finsteres Bild von mir wieder.
Wenn ich Dich damals so angesehen habe, dann muß es Dir ja schon Angst geworden sein. Es sollte ja nur Erinnerungsbilder sein. Du kannst in diesem Fall sicherlich nichts dafür. Ich will damit sagen, es liegt nicht am „Künstler“. Die anderen Bilder von unseren beiden Stromern sind ordentlich geworden. Unser Junge steht wie ein richtiger Frechdachs da und Helga wie eine angehende kleine Dame. Ich muß Dir mein Kompliment machen.
Die Jacke, die Du ihr gemacht hast, steht ihr, nach dem Bild zu urteilen, sehr gut.
Sie sehen alle Beide gesund aus. Du hast mir eine große Freude mit den Bildern bereitet und ich danke Dir dafür sehr.  Ich hatte erstgeglaubt, daß mein Brief vom 2.2. verloren gegangen ist. Nun ist er nach Deiner Mitteilung, doch noch eingetroffen. Weil er für Vater mitbestimmt war, ist es mir eine gewisse Beruhigung. Man gewinnt Abstand und man wird innerlich wohl etwas ruhiger, aber trotz allem ist es einem noch hart genug. Daß Du nun keine schwarzen Kleider trägst, ist wohl nicht unbedingt notwendig.
Es war aber wohl auch nicht notwendig, Dich darauf hinzuweisen, daß Du dies nach außen hin zum Ausdruck bringst, denn das ist ja eine Sache, die Du von Dir aus selbst machst, denn soweit kenne ich Dich doch. Das ist ein Schönheitsfehler von mir, ich bitte Dich, das zu entschuldigen. Daß dies an Vater nicht spurlos vorübergegangen ist, das kann man klar daraus erkennen, wenn er, wie Du schreibst, nicht einmal mehr Lotterie spielt. Er hat ja viel an ihm gehangen. Daß er für uns nichts in der Lotterie gewinnen braucht, ist ja vollkommen klar. Das, was er für seinen Lebensunterhalt bracht, hat er ja. wir haben ja beide unsere unzweideutige Stellungnahme in dieser Beziehung zur Kenntnis gebracht. Da Du in diesem Zusammenhang die Unschlüssigkeit Vaters schilderst, was er mit der Bausparkasse machen soll, so denke ich, daß es auch im Sinne unseres Kurt ist, wenn wir diese weiter bestehen lassen.  Vielleicht könnten wir dann die Raten übernehmen. Ich will aber gleich von Anfang an erklären, daß ich nicht auf die Raten spekuliere, denn es ist ja alles so unklar, was dann nach dem Kriege wird. Ich denke da in erster Linie daran, ob es überhaupt möglich ist, in Konstanz zu bleiben. Aber wenn jemals aus diesem Bausparvertrag etwas werden sollte, dann kann man immer noch eine Entscheidung treffen. Ich will jetzt noch keine endgültigen Entschlüsse fassen, sondern Deine Meinung darüber hören. Vielleicht hältst Du es nach Sachlage nicht für richtig, dann gib mir entsprechend Bescheid.
Daß das nicht schön ist, wenn man diese Geldzuwendungen für diesen traurigen Fall bekommt, ist auch mir vollkommen verständlich, aber es handelt sich da um Beträge, die gesetzliche Zahlungen von Reichs wegen sind und die man nicht einmal als solche zurückweisen kann.
Wieder kommst Du in Deinen Briefen auf die Angelegenheit wegen meiner Zurückstellung zu sprechen. Die Sache ist ja wohl nun geklärt. Dein Ton klang wohl etwas schärfer als er gemeint war. Ich habe darum Dein Schreiben auch nur so auffassen können, wie Du es gemeint hattest, denn ich kenne ja schließlich auch ein bisschen mein Mädel, wie sie sich in diesen Dingen verhält. Ich habe Dir ja auch meine Ansicht mitgeteilt und ich nehme an, daß dieser Fall wohl nun bereinigt ist. Aus Deinem letzten Brief glaube ich doch wohl eine ziemliche Sorge herauslesen zu können, als Du schreibst, was nun werden wird, wenn unsere Einheit aufgelöst wird. Soweit ich darüber unterrichtet bin, habe ich Dir ja immer Mitteilung darüber gegeben. – Gern habe ich auch die Mitteilung entgegen genommen vom Eintreffen weiterer Päckchen. Daß Du den Fisch gleich in ein Mittagessen verwandeln konntest, war doch sehr schön. Es bedeutet doch für Euch eine Abwechslung aus dem sonst üblichen. War denn der Speck noch gut oder hat er durch den Transport gelitten? Es wäre schade. Ich dachte aber, Ihr bekommt wohl daheim nicht gleich welchen. Ich selbst bekomme zu meiner Verpflegung ausreichend Butter, so daß ich ganz gut darauf verzichten konnte. Warum soll ich dann mehr essen, als notwendig. Euch ist das jedenfalls mehr von Nutzen.  Ich hatte schon einmal darauf hingewiesen, daß Dein Wille zum Mithelfen, wo Du es kannst, in jeder Beziehung lobenswert ist, so darfst Du auf keinen Fall außer acht lassen, daß  Du nicht über Deine Kräfte gehen darfst. Du weißt, wie es Dir vor zwei Jahren gegangen ist, als Du nicht richtig Obacht gegeben hast. Ich bin ja nicht daheim, um das notwendige Gegengewicht zu geben, wenn Du einmal meinst, Du könntest über Deine körperliche ?   mehr tun. Vergiss das bitte nicht. In solchen Fällen muß ich auf Dich sehr aufpassen. Ich denke aber, daß Du selbst so vernünftig sein wirst, das selbst einzusehen, daß Du für die Familie in erster Linie zu leben hast. Es ist bestimmt ein Zeichen der Schwäche gewesen, wenn es Dir nach diesem Grippeanfall beim Nähen schlecht wurde. Ich bitte Dich in diesem Zusammenhang aber gleichzeitig, nun nicht einen anderen Weg einzuschlagen und mir dies nicht mitzuteilen, denn es wäre mir noch bitterer, wenn ich dann eines Tages mit einer schlimmeren Nachricht überrascht würde.  Ich habe mich gefreut, daß Du nun Sämereien für den Garten bekommen hast. Denn der Garten Euch doch eine Hilfe, wie er uns in früheren Jahren auch schon genutzt hat. Ich war auch schon bemüht, hier welchen zu erhalten, aber bis jetzt erfolglos. Etwas hast Du ja noch da und wenn Du Setzlinge erhältst, dann geht es ja auch.  Wenn Du mit den Kindern in der Konditorei warst, dann ist das durchaus nicht so verwerflich, wie Du das ansiehst. Soviel kannst Du ja schon „verschwenden“, denn knapp bist Du doch wohl mit Geld nicht. Also, ich wünsche Euch noch nachträglich guten Appetit dazu. Du bist doch die ganze Zeit tätig und immer unterwegs, warum sollst Du Dir da nicht einmal etwas gönnen. Wenn die Kinder immer ihre Sache machen, dann kann man ihnen auch einmal eine Freude machen. Das ist schon recht. Was die Leute anbelangt, die mit uns gegangen sind und die, die zurückgeblieben sind, so fängt man langsam an, diese Dinge zu überblicken. Nach den Mitteilungen, die man hier bekommt, ist ja fast alles, was mit uns zusammengearbeitet hat, erschossen worden. Der Teil, der übrig blieb und noch arbeitsfähig war, ist von den Russen mitgenommen worden bzw.  in die Armee eingereiht worden.  Recht viele herzlich Küsse verbunden mit vielen Grüßen sendet Dir Dein Ernst.