Mein
liebstes Mädel !
29.3.43
Ich setze mich erst heute Abend zum Schreiben hin, denn ich wollte erst
abwarten, ob Post von Dir eintrifft. Mein Warten war nicht umsonst, denn er
kamen drei Briefe von Dir an. Außer dem Luftpostbrief vom 25., die beiden
Briefe vom 19. und 21. Ehe ich darauf weiter eingehe, will ich die heutige
Päckchenangelegenheit erledigen, dann bin ich unbelastet für die anderen Dinge.
Ich habe Dir die Päckchen 44 und 45 fertiggemacht.
Heute bekam ich wieder etwas Mehl, was mich sehr für Euch gefreut hat. Es sind
1 ½ kg. Damit kannst Du Deine kleinen Vorräte etwas auffüllen und sitzt nicht
fest.
Dann habe ich einen Film erhalten. Ich sende ihn Dir mit, damit Du Deinen
Fotoapparat nicht aufbocken mußt, wie man es mit den Kraftwagen machen müßte,
die man nicht mehr verwenden kann. Für die Mundpflege habe ich noch Odol
erstanden. Die Bücher, die ich ausgelesen habe, sind ebenfalls beigefügt und
einige Zigarren für Vater. So, da ist alles. Hoffentlich kommt alles gut in
Deine Hände. Daß Du das Päckchen Nummer 26 erhalten hast, hat mich gefreut. Es
ist ja noch allerhand Zeug unterwegs. Ich habe mir schon gedacht, daß der
Briefträger innerlich schon geflucht haben mag, wenn er für Euch so allerhand
Sachen hinbringen muß. Daß sie die Päckchenmarder hinrichten, ist im Interesse
einer ordentlichen Postbeförderung auch unbedingt erforderlich. Wenn man
bedenkt, was immerhin noch geklaut wird trotz dieser harten Maßnahmen, dann
kann man sich vorstellen, was alles wegkäme, wenn eben die strengen Gesetze
nicht wären. Wie ich lese, hast Du mit
den Gartenarbeiten begonnen.
Ich will nicht versäumen, Dich wieder darauf hinzuweisen, daß Du langsam machen
mußt und Dich nicht übernehmen darfst. Wenn du, wie Du schreibst, an dem
sonnigen Stück Deine Aussaaten vornehmen willst, dann möchte ich Dich noch
daran erinnern, daß Du Obacht geben mußt, dass der Boden locker bleiben muß,
denn das ist für die Lebensgewohnheiten der Erdflöhe besonders günstig. Achte
auch darauf, daß Du ein Bekämpfungsmittel dafür hast. Du hast ja nun in
allerhand eigenen Gärten Erfahrung gesammelt, dass ich Dir nicht mehr viel
sagen brauche, im Gegenteil, später bei Dir wohl in die Schule gehen muß. Es
freut mich, daß Dir der damals in Frankreich gekaufte Stoff für Helga jetzt so
zustatten kommt. Ganz abgesehen von der Qualität, ist es ja daheim auch schwer,
noch das zu bekommen, was man gern möchte. Wo Du jetzt noch selbst Deine Freude
am Gelingen hast, hat man ja noch mehr erreicht, als nur den Stoff gekauft und
daraus ein Kleid gemacht. Das ist ja
verständlich, wenn Du Dir einmal vorstellst, daß es auch im Leben etwas anderes
gibt als eine Trennung. Und wenn Du davon einmal ein bisschen sprichst, dann
ist das wohl zu verstehen. Es wäre zwar feiner, wenn man nicht davon träumen
bräuchte und mit der Tatsachen rechnen könnte. Aber schieben wir diesen
Wunschtraum beiseite, es ist besser so, sonst verfängt man sich in den Maschen
dieses feinen Gestrickt. Also kommandieren wir wieder: aufhören! Es muß leider
sein. Bei dem gegenwärtigen Wetter kann
man die Wintersachen nun langsam beiseite schieben.
Ich habe es ja auch schon getan. An vielen Tagen kann man schon ohne Mantel
herumlaufen, so sonnig ist es. Man muß zwar aufpassen und man darf es nicht
übertreiben. Es ist schon gut, wenn man wie Du die Sommersachen beizeiten
durchsieht, dann kann man sich darauf einrichten, was man braucht und das
ergänzen. Unser Jörg ist ja bei dem
Herauswachsen unserer Helga aus ihren Sachen in der Kriegszeit nicht schlecht
dran. Er ist so ein kleiner Profitler. Für Dich ist es bestimmt eine
Erleichterung, daß Du nicht für beide immer gleich kaufen mußt. Deine Neuordnung unserer Bücher hat mich
auch interessiert. Das ist bei unserer großen Sammlung schon erforderlich.
Früher hat man eben zusammengestellt, wie sie kamen und wie es sich gab. Aber
es ist schon richtig, daß man nun neue Gesichtspunkte gelten lassen muß. Dir
war es dazu noch eine angenehme Beschäftigung. Warum schreibst Du aber, die
Bücher von „König Heinrich“ bis Friedrich der Große“? Der Entwicklung nach wäre
es doch wohl richtiger. Daß Du längere Zeit vor den Büchern stehen kannst und
dir aus diesem oder jenen Buch etwas vorstellen kannst, das kann ich Dir
nachempfinden, nur ich schrieb Dir ja erst vor wenigen Tagen, daß ich diese
Geschichte von „von Gillhof“ mit einem
Schmunzeln und einem Erinnern an ein Buch gelesen habe. So soll es ja auch sein. Inzwischen hast Du ja meinen Brief vom
Heldengedenktag bekommen.
Du wirst festgestellt haben, daß mich die gleichen Gedanken bewegten wie Dich
auch.
Wenn Vater auch meinte, er wolle sich kleine Erkältung zuziehen, dann kann ich
das wohl verstehen. Ich lehne aber die Einstellung ab , daß das alles Krampf
sei, wenn man die Leute zu einer solchen Feier einlädt. Ich hätte hier im Dienst
bleiben können und nicht zu der Feier gehen brauchen. Im Gegenteil, ich habe
mich hier freigemacht.
Habe mir erst noch einige Sachen besorgen müssen, damit ich überhaupt dort mit
auftreten konnte. Ich habe es gern gemacht, weil ich damit unseren Kurt ehren
wollte, darüber hinaus aber auch die vielen anderen Toten dieses Krieges. Auf die anderen Dinge will ich später noch
zurückkommen. Daß die von Dir
abgesandten Päckchen wieder zurückgekommen sind, ist ja nicht Deine Schuld. Das
ist nun einmal Pech, an dem sich nichts ändern läßt. Die Rücksendung des
Handtuches eilt nun nicht so sehr. Ich kann mich bis jetzt noch immer
abtrocknen. Du brauchst Dir deshalb nicht unnütz Sorge zu machen. Du schreibst vom Badetag. Was machen denn
die Schwimmkünste unseres Jungen? Macht er weitere Fortschritte?. Jetzt geht es
ja auf den Sommer zu, da macht das Schwimmen im Freien doch mehr Spaß. Ich bin
gespannt, wie sie sich da aufführen. Für die übermittelten Grüße von Fritz
danke ich. Ich werde ihm erst wieder
schreiben, wenn er mir auf meinen Brief antwortet. Sag aber, daß ich die Grüße
erwidern lasse. Nun kommen also doch
die Erbauseinandersetzungen. Ich hätte sie gern vermieden. So, wie sich die
Dinge durch das Zutun von Paula entwickelt haben, sehe ich mich veranlasst, an
Vater in dieser Beziehung persönlich zu schreiben,. Ich lasse Dir den Brief
erst zugehen. Du kannst ja die momentane Lage besser beurteilen wie ich. Ich
denke aber, daß das notwendig geworden ist. Grundsätzlich will ich Dir schon
sagen, daß ich mich für ihn freue, wenn er Anschluss bei Paula gefunden hat.
Vielleicht war ihm das Leben bei uns zu eng. Das kann ja sein. Wir haben nun
einmal unseren besonderen Lebenskreis und den werden wir deshalb nicht
aufgeben. Wenn Vater jetzt nun meint, bei Paula die allein seligmachende
Religion empfangen zu können, dann soll er zu ihr gehen. Ich sage das ohne
irgendeinen Beigeschmack von Bitternis, denn ich habe ihn nun im Lauf der
langen Jahre auch kennen gelernt. Sieh doch. Bevor wir mit Paula brachen, war
das Verhältnis schon zwischen Beiden sehr getrübt, und es ging gänzlich aus dem
Leim, als Nannie einmal zu Besuch da war. Du hast es ja auch noch gut im
Gedächtnis. Über alles sind schon so viele Jahre hinweggegangen.
Es schien damals alles unversöhnlich. Jetzt, durch den Tod unseres Kurt ist
diese Plötzliche Wendung eingetreten. Ich schrieb schon einmal. Kurt mag dies
früher geistig vorgeschwebt haben, eine Einigung zu erzielen. Jetzt ist sie
eingetreten, aber eine Wendung ist nun nicht eingetreten. Das Vertrauen, das
vorher ziemlich uneingeschränkt bestand, hat sich etwas gelockert. Er ist ein
Einzelgänger und läßt sich doch für ihn ganz unbemerkt, von Paula beeinflussen,
wenn nicht gar in mancher Beziehung, führen. Du weißt, ich bin immer für
Klarheit. Gern würde ich sie hier auch anstreben, aber mit Rücksicht auf sein
Alter will ich davon absehen. Es steht doch, nach den Äußerungen von Paula zu
schließen, einwandfrei fest, daß die alte Rivalität zwischen ihr und uns immer
noch besteht. Es tut mir leid, daß Vater das nicht merkt und daß er sich in
einer Weise von ihr einwickeln läßt, die auf uns beleidigend wirkt. Du kennst
meine Einstellung in Bezug auf Erbsachen. Was ist mir das gleichgültig, ob ich
dieses oder jenes Stück in meinen Haushalt bekomme... Das ist mir vollkommen
gleich. Es handelt sich hier nur darum, ein Andenken von diesem armen Jungen zu
haben. Das wäre für mich alles. Aber hier ist es so, daß Paula, die bei ihrer
altbekannten Einstellung es nicht sehen kann, daß andere etwas bekommen, wovon
sie nichts erhält. Über die Mentalität von Paula brauchen wir uns nicht erst
lange äußern, denn die ist Vater genau so gut bekannt wie uns auch. Ganz
abgesehen davon, daß sich Nannie mir gegenüber einmal in gleicher Weise
geäußert hat. Daß ihre ganze Auffassung nur aus einer gegen uns gerichteten
Einstellung heraus zu betrachten ist, erhellt sich schon daraus, daß sie sich
um die gesetzlichen Bestimmungen nicht weiter kümmert, sondern sich einfach
darüber hinwegsetzt und glaubt, damit Unfrieden zwischen uns stiften zu können.
Daß Vater dieses Geld nicht so ohne weiteres abheben kann, ist ja ganz in
Ordnung. So wie sich die Dinge aber nun zuspitzen, ist es fast ratsam, daß man
alles schriftlich niederlegt, um später evtl. auftretenden Schwierigkeiten, die
man ja jetzt noch nicht voraussehen kann, aus dem Wege zu gehen. Was ich mache,
das muß ich mir noch überlegen. Grundsätzlich bin ich auch mit Dir einer
Ansicht, daß wir das Geld Vater zukommen lassen und die anderen Sachen uns
zufallen. Wegen des Bausparvertrags habe ich Dir kürzlich schon geschrieben.
Frage doch einmal , was dieser ganze Vertrag jetzt kostet. Ich bin gewillt,
diesen Vertrag abzukaufen. Ich glaube, damit etwas fortzusetzen, was er
begonnen hat. Dieser ganze Bausparvertrag war ja auf Betreiben von Paula
zustande gekommen. Sie hat es ihm damals so beigebracht, daß er sich ein Haus
auf diese Weise sparen sollte. Gewiss, es war für ihn selbst. Nun dachte ich
mir folgendes, wenn es je dazu kommen sollte, daß wir in Konstanz bleiben
würden, oder sonst wo einmal fest zu Sitzen kommen, dann könnte man sich das
geplante Haus bauen lassen.
Weil wir keine andere Möglichkeit haben, ihm in irgendeiner Form einen
Denkstein zu setzen, würde ich ihm im Hause eine Gedenkplatte einsetzen lassen,
die daran erinnert.
Das sind zwar noch Pläne, die man am besten miteinander bespricht, aber Du
kannst Dich ja dazu äußern. Du schreibst mir, was der Vertrag jetzt kostet,
damit ich danach disponieren kann. Er soll ihn vorerst noch aufrecht erhalten.
Wenn es ihm zuviel ist, dann zahle ich die nächste Rate. Ich glaube, daß ich
mir nun das meiste wieder von der Seele herunter geschrieben habe. Vielleicht
sprichst Du mit Vater über all diese Dinge noch einmal. Ich dachte aber auf
alle Fälle eine gegenseitig unterschriebene Erklärung etwas folgendermaßen:
„Vorbehaltlich einer späteren Regelung anlässlich eines Urlaubs, erklären wir
und damit einverstanden, daß sämtliche Gelder an den Vater Adolf Rosche und
sämtliche anderen Gegenstände wie Kleidung und sonstiges an den Bruder Ernst
Rosche fallen.“ Ich kann mich noch nicht endgültig mit dieser ganzen art
abfinden, die so ganz und gar hinter meinem Rücken ich meine in diesem Falle nicht Dich nur mit Paula abgemacht ist
und ich soll dazu nur Ja und Amen sagen. Es sind dies doch Dinge, die sie nicht
weiter zu kümmern brauchen. Wenn sie Unfrieden säen will, dann soll sie sich
woanders hinscheren. Nur uns soll sie bald in Ruhe lassen.
Kann sie denn keinen Frieden geben? Siehst Du, das wäre ihr ja ganz gleich,
wenn Kurt mit irgendeinem Mädel ein uneheliches Kind gehabt hätte. Das wir
Beide aber zusammenhalten, das paßt ihr nicht und sie glaubt auch heute noch
dagegen stänkern zu müssen. Das ist eine Unlogik, wie sie an sich nur einer
Frau innewohnen kann.
Verzeihe mir, wenn ic h dies hier ausspreche, aber in diesem Zusammenhang fällt
mir nichts weiteres ein. Ich würde nichts sagen, wenn Du Deinen Laden nicht in
Ordnung hättest, wenn die Zeit bewiesen hätte, daß ich einen falschen Griff
getan hätte. Aber es ist doch das Gegenteil der Fall. Kann sie dann noch nicht
darüber hinwegkommen?
Das frage ich mich immer und immer wieder. Sie soll doch endlich einmal
versuchen, ihrer ewigen Miesmacherei ein Ende zu setzen. Aber sie will dies
nicht einsehen, darum kann ich von mir aus nichts weiter zu einer Annäherung
tun. Ich habe es wiederholt versucht. Innerlich habe ich mich gefragt, ob ich
dies überhaupt in der Weise immer tun dürfte. Ich sagte mir, man soll doch
einmal Gras über alle diese Dinge wachsen lassen. Aber in diesem Fall ist sie
das berühmt gewordene Rindvieh, das das Gras abfrisst, das über die Dinge
gewachsen ist, die einmal erledigt sein sollte,. Du kannst meine Einstellung
Vater gegenüber ruhig wörtlich verlesen. Ich kann das, was ich geschrieben
habe, jederzeit vertreten, denn ich habe mir dies reiflich überlegt. Ich habe diesmal von vielen ärgerlichen
Dingen sprechen müssen. Sei mir darum bitte nicht böse, es muß nun einmal
gemacht werden, denn sonst treibt man mit uns Schindluder und das darf nicht
sein. Ich sende Dir viele herzliche
Grüße, mein liebes Mädel. Ich hoffe, daß Ihr alle gesund seid. gib unseren
beiden Lausern einen kräftigen Kuß und sei Du selbst vielmals geküßt von Deinem
so viel an Dich denkenden Ernst.