Mein
liebes Mädel !
22.6.42
In
der vergangenen Woche habe ich nun schon zweimal nicht geschrieben. Gestern
hatte ich aber keine Stimmung dazu. Wir hatte am Samstag, wie ich Dir schon
schrieb, Kameradschaftsabend, an dem wir für hiesige Verhältnisse ziemlich lang
zusammen waren. Gestern war ich dann
nicht so ganz frisch und außerdem nicht in der richtigen Stimmung. Uns wurde
das Soldatenheim zur Verfügung gestellt worden, denn andere Räume gibt es hier
nicht, wo man etwas abhalten könnte. Die Schwestern hatten sich auch sehr Mühe
gegeben. Das Wichtigste dabei ist ja immer das Essen und das war sehr
ordentlich. Eine Suppe mit Eieinlage. Dann Huhn und Kartoffeln mit grünem
Salat. Bier und Wodka stellten die geistigen Getränke. Später gab es dann noch
Kaffee, Kuchen und Torte. Für die Ausgestaltung hatten die Kameraden selbst
gesorgt und die Ukrainer hatten einen Chor mit Instrumentalbegleitung. Das war
sehr nett. Vor allem die natürliche Tracht gab dem Ganzen einen eigenen Charakter.
Darüber werde ich Dir später einmal wieder bei passender Gelegenheit
schreiben. Ein anderes Ereignis war
gestern bei uns hier zu sehen. Ein Einheimischer hatte seine Frau und seine
Kinder erdrosselt und dann die Leichen zerstückelt und vergraben. Dieser Kerl
ist nun öffentlich hingerichtet worden.
Man merkt aber, daß die Asiaten ganz andere Menschen sind. Mit einer
Ruhe und einer Selbstverständlichkeit hat er sich den Strick um den Hals legen
lassen, wie wenn das das Alltäglichste von der Welt wäre. Über die Einzelheiten
will ich Dir hier nichts weiter schreiben, denn ich denke nicht, daß Dich das
so interessiert. Ich habe mir gedacht,
daß man sich das einmal ansehen muß. Es war auch eine ziemliche Menschenmenge
da, die das mit angesehen hat. Die
Leute haben sich aber auch alle ganz ruhig verhalten und sind dann wieder
weitergegangen, wo es vorbei war. Am Abend war zu der üblichen verkorksten
Kinovorstellung eine ukrainische Künstlertruppe da, die mit Gesang, Akrobatik
und sonstigem Zauber uns unterhalten hat. Nun geht die Woche wieder im
gewohnten Geleise weiter. Teils langweilig und eintönig geht der Tag vorbei,
denn die Arbeit ist doch nicht so, daß sie uns voll in Anspruch nimmt. Man hat immer wohl etwas zu tun. Es ist aber
nicht soviel, daß man sich sagen könnte, wann Feierabend ist, jetzt habe ich
aber etwas geleistet. Aber meist ist man mit dem nicht zufrieden, was man hat
und hinterher sieht man erst, wie gut es vorher war. Wie ich aus Deinen Briefen
sehe, hast Du mit den täglich anfallenden Gartenarbeiten immer Deine volle
Beschäftigung, denn der Haushalt und die Kinder verlangen Dich auch immer
wieder. Am Monatsanfang hast du dann immer wieder Deine Wäsche. Ich kann mir
dann vorstellen, daß Du dann redlich müde bist. Daß unserem Jungen so ein Hund
wohl Spaß machen würde, das weiß ich. Ob sie dann zwar die Ausdauer hätten, ihn
zu versorgen, das ist mir noch nicht so ganz klar, aber das kann wohl sein. Ich
selbst hätte ja auch nichts dagegen, wenn man so ein Vieh hätte, doch man ist
nur immer etwas gebunden, solange man niemanden hat, der einem das Tier
abnehmen würde, wenn man einmal etwas mehr vor hat, als nur am Sonntag nach
Wollmatingen zu gehen. Aber das braucht jetzt noch nicht unsere Sorge sein. Daß
Helga zum Turnen geht, das hat mich schon seinerzeit bei Deiner letzten
Mitteilung gefreut. Wo sich jetzt Jörg auch entschlossen hat, auch mitzumachen,
ist doch wenigstens wieder ein Ausgleich da. Ich denke, daß ihm das sein
Ehrgeiz nicht zugelassen hat, ihr nachzustehen. Hoffentlich baut er nicht
gleich wieder ab, denn das könnte ihm genau so wenig schaden, wie Helga, wenn
er sich körperlich etwas schult. Die Kinder
dazu zwingen, hat keinen Zweck, wenn sie es freiwillig machen, dann soll
man dieses Bestreben nur unterstützen.
Für die Grüße von Vater danke ich und ich erwidere sie bestens. Kurt hat
sich also doch einmal mit ihm unterhalten. Es wird ihm nicht leicht gefallen
sein. Mit seinen Briefmarken hat er sich auch wieder beschäftigt. Das war ja
schon immer so ein Vergnügen von ihm. Das vergißt er aber auch nicht. Du nimmst
aber wieder rech t herzliche Grüße und Küsse entgegen für Dich und die Kinder
von Deinem Ernst.
Mein
lieber Schatz, mein liebes Mädel !
23.6.42
Viel Post habe ich heute von Dir erhalten, für die ich Dir
vielmals danke. Diesmal waren ziemlich erfreuliche Nachrichten dabei aber auch
die wegen der alten Streiterei. Ich kann Siegfrieds Standpunkt vollkommen
verstehen. Daß er dabei schon in rein materieller Hinsicht der
Hauptleidtragende ist, ist sehr bedauerlich. Es ist bedauerlich vor allen
Dingen auch deshalb, weil Dein Vater sich nicht an sein Wort halten will und
Siegfried bei der ganzen Sache gewissermaßen den Stuhl vor die Tür stellt. Das
ist nicht schön, um nicht direkt zu sagen, das ist charakterlos. Die ganze
Angelegenheit ist so verfahren, daß es hier nicht mehr viel Zweck haben wird,
zu versuchen, hier Streit zu schlichten So wie ich die Dinge sehe, würden wir
von Beiden falsch verstanden werden. Rein verstandesmäßig gesehen, liegen
unsere Interessen an Siegfried näher, als mit Deinem Vater. Wenn Dein Vater
dieses Fräulein heiratet, dann habe ich auch nicht das Verlangen, die Beziehung
besonders herzhaft zu halten. Wenn Deinem Vater sein persönliches Wohl näher
liegt als das seiner Kinder, und das ist doch so, übrigens eine Stellungnahme,
die ich früher schon vertreten habe, dann muß es auch uns leid tun, wenn diese
Bindung zerreißt. Von allen Erbschaftsgedanken ganz abgesehen, aber wenn Dein
Vater vor diesem Mädchen das Zeitliche segnen würde, was bleibt uns übrig, bei
irgend etwas hineinzureden. Daß Dein Vater unter normalen Umständen früher
gehen muß wie wir, das verlangt die Natur. Sollte Siegfried etwas zustoßen,
dann kann ich mir eher noch denken, daß wir mit Erna noch Beziehung unterhalten
könnten oder umgekehrt, daß Du noch mit Siegfried Dich verstehen könntest. Daß
wir mit diesem Fräulein nichts mehr zu tun haben sollten, wenn Dein Vater
einmal nicht mehr sein sollte, das ist mir vollkommen klar. Heute über Mittag habe ich den Brief an
Deinen Vater ziemlich fertiggeschrieben. Nun bekam ich gerade noch 2 weitere
Briefe von Dir ausgehändigt. Da muß ich schon sagen, daß ich heute wieder
reichlich bedacht worden bin. Zwei Zeitungspäckchen und 3 andere Päckchen habe
ich auch noch erhalten, die ich aber noch nicht geöffnet habe. Aus Deinem letzten Schreiben habe ich nun
gesehen, daß sich Dein Standpunkt vollkommen mit dem deckt, den ich heute früh
in der ganzen Angelegenheit eingenommen habe. Nun habe ich auch an Deinen Vater
heute geschrieben. Ich sende Dir den Brief mit. Lies ihn durch. Umschlag habe
ich beigefügt, Du brauchst ihn nur zur Post zu geben, wenn Du ihn in allem
billigst. Nachdem Du mir geschrieben hast, in soll an Siegfried schreiben, was
ich zu der ganzen Sache denke und die weiteren Sachen übernehmen, habe ich mir
auch gleich die ? Deinem Vater gegenüber genommen. Ich möchte, daß Du jetzt aus
der ganzen Sache draußen bleibst und Dich den ewigen Aufregungen entziehst. Mir
macht das wenig aus, denn ich werde mit der Sache schon fertig werden.
Hoffentlich hast Du inzwischen nicht noch an Deinen Vater geschrieben, aber das
würde auch nichts ausmachen. Den
Durchschlag kannst Du dort behalten. Wenn Du willst, werde ich überhaupt den
ganzen Briefverkehr mit Deinem Vater für Dich übernehmen. Auf die Zeitungen
sind wir nicht angewiesen, auch auf die anderen Kleinigkeiten nicht, die er uns
immer gesandt hat. Wenn er sich nicht
an sein Wort halten kann und sich, wie Siegfried ganz richtig bemerkt, wahrscheinlich
zu sehr mit diesem Fräulein eingelassen hat, dann betrachte ich das ganze
Verhalten von ihm so, als liegt ihm nicht mehr viel an uns wie an diesem
Fräulein. Wenn dem aber so ist, dann hat dieses Nebeneinanderherleben keine
große Bedeutung. Ich hatte den Brief schon einmal angefangen, den ich an Deinen
Vater gerichtet habe. Ich wollte ihm seinerzeit eine andere Wendung geben. Ich
zögerte, ihn abzuschicken. Ich war selbst mit mir unzufrieden, daß ich ihn
nicht fertig schrieb und fand doch nicht den richtigen Fa den, ihn weiter zu
machen. Nun weiß ich, warum ich nicht weiterschreiben konnte. Es scheint mir
fast, als hätte ich das gespürt und wusste aber doch wieder nicht wieso. Wo ich
nun die Post von Dir bekam, wurde mir alles klar. Mein Entschluss, was ich nun
tun muß, stand dann gleich fest. Mein Gefühl hatte mir das schon die ganzen
Tage gesagt, was ich jetzt an Deinen Vater schreiben musste.