Meine liebe Frau! Köln, den 29.6.1940
Seit heute früh bin ich nun hier und habe die Dinge wieder so
einzeln an mich herankommen lassen. Erst hatte ich noch einen heißen Kaffee zu
mir genommen, weil der Hauptmann vorher nicht zu sprechen war. Ich habe noch
einen anderen Herrn getroffen, und bei weiterem Zusehen konnte ich feststellen,
daß ich mich im Kreise der hierher Berufenen in ganz erlauchter Gesellschaft
befand. Der geringste Dienstgrad ist im Rang eines Leutnants. Ich selbst bin mir
über meinen Rang noch nicht ganz im Klaren, doch könnte es Feldwebel sein, doch
hierüber werde ich mich noch vergewissern.
Mich nennt man, oh welch langer Name,
Kriegsverwaltungsbetriebsassistent. Ich komme also, wie schon bekannt, nach
Lille in die Kommunalverwaltung.
Wir sind hier eingekleidet worden; die
Uniformen werden einigermaßen passend abgeändert. Wenn das dann vorbei ist,
wird es wahrscheinlich an den Bestimmungsort gehen. Man kann damit rechnen, daß
es etwa bis Donnerstag fortgeht, doch das ist nur ein angenommener Termin. Nun weißt Du etwa, was man mit mir vorhat,
eines kommt mir noch komisch vor, daß ich ausgerechnet nach Frankreich komme,
ohne die dortige Sprache zu beherrschen.
Von Stuttgart sind wir ja die ganze Nacht
gereist und gegen früh kamen wir hier an.
Ich bin nun in einem Hotel etwa 2 Minuten
vom Bahnhof untergebracht und von meinem Zimmer sieht man direkt auf den Dom.
Ich habe ihn mir heute angesehen und er hinterläßt, trotz der schlichten
Ausschmückung, die zwar ganz und gar in den architektonischen Rahmen gehört,
einen gewaltigen Eindruck.
Ich habe mich auch sonst hier schon umgesehen
und eine kleine Rheinfahrt mitgemacht. Es wird ja wahrscheinlich so sein, daß
an meinem neuen Aufenthaltsort noch manches im Argen liegen wird und nur
deshalb nehme ich die kleinen Annehmlichkeiten, die hier geboten werden, mit.
Heute werde ich früh zu Bett gehen, weil
ich von den letzten Tagen noch todmüde bin.
Außerdem ist damit zu rechnen, daß
Fliegeralarm gegeben wird, denn dies gehört scheinbar hier zum üblichen
Programm.
Bis zum Donnerstag kannst Du nun hierher
ins Minerva -Hotel schreiben, denn ich denke, daß sie mich bis dahin noch
erreicht.
Sei Du, mein liebes Mädel, vielmals
herzlich gegrüßt und geküßt von Deinem Ernst. Grüße und küsse Du unsere Kinder
und grüße Vater.
Meine liebe Annie! Köln, den 30.6.1940
Nun ist der Sonntag bald vorbei und ich
möchte ihn nicht beschließen ohne auch schriftlich Deiner gedacht zu haben.
Die Vermutung, die ich in meinem letzten
Brief ausgesprochen hatte, ist also eingetroffen, wir haben in den Luftschutzkeller
gemußt. Wir waren von 1/2 1 - 3 Uhr
unten. Ich bin sehr unsanft geweckt worden, weil die Sirene direkt bei mir über
dem Zimmer ist, denn ich wohne hier im obersten Stockwerk. Alle haben einen
müden und verschlafenen Eindruck gemacht.
Heute früh bin ich erst gegen 9 Uhr munter
geworden, habe mich dann gemütlich fertig gemacht und um 10 Uhr gefrühstückt.
Das geht bis jetzt einmal ganz anders zu, wie die vorhergehenden 6 Wochen. Ich
habe Dir ja schon geschrieben, daß ich ein schönes Zimmer hier habe, es würde
normalerweise 4 RM je Nacht kosten.
Die freie Verpflegung ist nach unserer
bisherigen Lebensweise gerechnet, sehr teuer und mir macht nur Sorge, ob zu dem
die mir zustehenden Bezüge ausreichen werden. Morgen werde ich jedenfalls
einmal feststellen, was mir zusteht.
Nach dem Frühstück bin ich wieder mit
dem schon gestern erwähnten Herrn in
den Dom gegangen und habe mir den Gottesdienst angesehen. Anschließend hat mich
dieser Herr eingeladen, mit nach Bonn zu fahren, was ich ihm nicht abgeschlagen
habe. So etwas muß man sich ansehen, wenn man kostenlos dazu Gelegenheit hat.
Bei unserer Einfahrt in Bonn konnten
wir die Splitterwirkung einer englischen Fliegerbombe sehen. Der Hausverputz
war überall beschädigt und sah bald aus wie Schweizerkäse. Die Mauer selbst war
dadurch aber nicht beschädigt.
Wir haben dann in Bonn zu Mittag gegessen,
es war zwar nicht ausreichend, aber der Magen hat es auch so ausgehalten. Wir
sind dann noch durch die Stadt gegangen und haben unseren Ausflug durch einen
Spaziergang am Rheinufer entlang verlängert. Es war sehr nett und man kommt
sich fast vor wie ein Kurgast. Du wirst mir fast neidisch werden, wenn Du so
liest, wie gut es mir z. Zt. geht. Am Abend haben wir im Hotel zu Nacht
gegessen, was gegen die bisherigen Essen wirklich ausreichend war. Trotzdem
kann ich bis jetzt noch nicht wegen Überfüllung des Magens klagen.
Angeschlossen sende ich Dir einen Prospekt
mit, aus dem Du ersehen kannst, wo ich jetzt ungefähr bin.
Dich grüße und küsse ich im Geiste wieder
recht herzlich und danke Dir nochmals dafür, daß Du mir meinen kurzen Aufenthalt
bei Euch so angenehm gestaltet hast. Küsse auch die Kinder herzlich von mir und
sei Du selbst noch vielmals gegrüßt von Deinem Ernst.
Schreibe bitte nicht länger hierher wie
bis Donnerstag, da unser Abreisetermin so unbestimmt ist.
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