Sonntag, 26. Juli 2015

Brief 35 vom 26./27.7.1940


Meine liebe gute Annie!                                                   O.U., den 26.Juli 1940

Heute erhielt ich Deinen Brief vom 21., sowie zwei weitere Päckchen mit Zeitungen, wofür ich Dir wieder herzlich danke.
Ich bedaure nur, daß ich Dir mit meinem voreiligen Schreiben wegen des Urlaubs Hoffnungen gemacht habe, die nun leider nicht eintreffen. Du hast ja inzwischen mein weiteres Schreiben erhalten, worin ich Dir diese Nachricht leider geben mußte. Trösten wir uns und warten weiter, bis sich die Möglichkeit bietet. Eines kann ich Dir ja versichern, daß ich, sobald sich diese Möglichkeit bietet, dann zu Euch komme. Halte also weiter den Kopf steif, es wird schon gut werden.
Als weitere Post ging ein Schreiben Deiner Eltern ein. Einen Durchschlag von diesem Schreiben wirst Du wahrscheinlich schon in der Hand haben, weil die Eltern an dem gleichen Tage auch an Dich geschrieben haben. Ich habe mich sehr darüber gefreut. Ich werde ihnen schreiben, daß ich zurzeit keine Wünsche habe, denn es geht mir hier nichts ab, oder meinst Du ich soll irgendetwas äußern?
Ich wüßte aber eigentlich nicht, was ich mir wünschen sollte. Ich werde den Brief demnächst dann wieder mit beantworten.
Herrn Naumann, der Dir die Bilder zugehen ließ, habe ich heute auch geschrieben.
Gestern war ich in „Die verkaufte Braut“. Heute habe ich vor in „Raub der Sabinerinnen“ zu gehen. Ich habe mich gestern auch wieder ausgezeichnet unterhalten. Wie ich Dir früher schon einmal geschrieben habe, ist man während diesen Vorstellung nicht im Ausland oder im Krieg, sonder man fühlt sich direkt in der Heimat. Dies soll ja auch schließlich mit diesen Vorstellungen bezweckt werden.
Dienstlich wäre zu berichte, daß ich wieder in ein anders Zimmer gekommen bin, doch das ist weniger von Bedeutung, weil dieser Fall öfter eintritt. Bei uns ist hier noch alles im Aufbau begriffen, so daß man sich vielmals umstellen muß. Mir macht dies auch groß keine Schwierigkeiten, weil ich mich schließlich in jeder Lage und auch in jeder Arbeit zurecht finde. Die Arbeit selbst sagt mir bis jetzt immer noch zu. Ich habe hier jetzt vor allem das Passierscheinwesen und was damit zusammenhängt. Ein anderer Herr, der hier das Transportwesen und sämtliche Autofragen, sowie -zulassungen bearbeitet, hat mich schon wiederholt gebeten, ich soll mich dieser Aufgabe widmen. Mir ist es ja gleich, Hauptsache ist,  ich habe meine Arbeit und der Tag geht rum. Dafür ist allerdings auch gesorgt. Wir sind zwar dabei, den Franzosen einen Teil der Arbeit zu übergeben, doch ob dadurch eine Entlastung eintritt, wird sich ja zeigen. So das war einmal ein bißchen dienstlich, soweit es im Briefe zulässig ist.
Wenn du weiter Päckchen erhältst, so schreibe mir bitte. Heute ist uns mitgeteilt worden, daß wir ab nächstem Monat im Monat vier Pakete zu je 1 Pfd. nach hause schicken können. Das bedeutet für mich schon eine wesentliche Erleichterung, weil ich noch verschiedene Sachen daliegen habe, die das jetzt zulässige Gewicht überstiegen haben.
Was mich anbetrifft, na so kann ich sagen, daß ich mich soweit wohl fühle und daß es mir auch gesundheitlich gut geht. Ich habe mich auch gefreut, als ich in einem Deiner letzten Briefe las, daß Du Dich auch wohl fühlst, daß Deine Kreuzschmerzen aufgehört haben und daß Ihr alle gesund seid. Macht nur weiter so.
Ich grüße und küsse Euch drei heute wiederum vielmals und herzlich, Du aber sei wieder besonders gegrüßt und geküßt von Deinem Ernst.


Meine liebe Annie!                                                                  O.U., den 27.Juli 1940

Die Tage vergehen und ehe man sich umsieht, ist wieder eine Woche um. Wie im Fluge vergehen die Tage, Wochen und, wenn ich an den Einberufungstag zurückdenke, die Monate. Wir haben bei unserer Arbeitszeit und dem Arbeitsanfall immerhin ein Tempo zu entwickeln, daß man gar nicht merkt, wie schnell die Zeit vergeht. Dies kommt bei uns auch vor allem daher, weil wir einen Tag wie den andern arbeiten. Samstags wurde bei uns daheim bis zum Mittag gearbeitet und der Sonntag war frei. Diese Einrichtungen gelten im Allgemeinen hier nicht. Sonntag früh geht man auch noch einmal aufs Büro um zu sehen, ob Post da ist, vorausgesetzt, daß man nicht zum Bereitschaftsdienst eingesetzt ist. Vom Samstag selbst braucht man ja gar nicht zu reden. Na, wir gehören zum Kommis und müssen uns damit abfinden. Ich habe ja hier auch keinen Anlaß zur Klage, da uns in vieler Hinsicht Vergünstigungen eingeräumt sind, die andere vielleicht nicht haben.
Seit einigen Tagen ist der Kamerad krank, mit dem ich sonst immer ausgegangen bin, nun habe ich mich während dieser Tage an das Theater gehalten. Ich habe mich wieder einmal richtig auslachen können. Es ist ein Stück, was so um die Jahrhundertwende spielt und ausgerechnet muß auch ein Sachse darin auftreten, der mit seinem Dialekt und seinem sächsischen Gemüt von einem Extrem ins andere bringt. Für heute Abend habe ich mich eines anderen besonnen und möchte die verschiedenen Briefe, die ich hier noch vorliegen habe, beantworten. Ich muß einmal sehen, was ich davon heute los bekomme.
Post ist von Dir heute noch keine eingegangen, doch  ich will nicht undankbar sein, denn ich kann wohl sagen, daß Du im Schreiben, sowie im Päckchen senden sehr fleißig gewesen bist. Bei uns wird die Post früh am Nachmittag geholt, so kann es ja sein, daß am Nachmittag für mich wieder etwas dabei ist.
Letzthin habe ich Dir eine unserer Zeitungen zugehen lassen. Ich schilderte Dir doch von dem Bild von Konstanz was darin abgedruckt war. Ich hatte nun so gedacht, Du bringst das dem Verkehrsamt in Konstanz und sagst ruhig, daß ich bei der Stadtverwaltung angestellt bin und daß ich der Ansicht bin, daß sich diese Stelle vielleicht dafür interessiert. Du kannst ja sehen, ob die Zeitung ankommt und ob Du Lust hast, dies zu tun.
Ich bedauere nur außerordentlich, daß ich Dir wegen des Urlaubs so eine Enttäuschung bereiten mußte. Ich denke aber, daß Du Verständnis dafür haben wirst und den Kopf trotzdem oben behältst. Die Zeitungen habe ich schon z.T. ausgelesen und werde sie, nachdem sie die Kameraden gelesen haben, an die Leute hier im Hause weitergeben. So kann man mit diesen Sachen immer noch propagandistisch wirken. Ich danke Dir nochmals für die Zusendung.
Ja ich würde mich freuen, wenn ich Siegfried einmal hier begrüßen könnte. Hier ist ein Kriegslazarett eingerichtet worden, das wahrscheinlich demnächst wieder Kranke an die Heimat abgeben muß. Es ist hier allerdings fraglich, ob ausgerechnet der Zug in Frage kommt, bei dem Siegfried ist. Am besten wird es sein, man überläßt dies alles dem Zufall.
Nachdem ich hier so mitten im Getriebe sitze, so hört und sieht man vieles und man kommt auch mit vielen Menschen zusammen, die einem über dies und jenes Auskunft geben können. So auch mit dieser Erkundigung wegen dem Lazarett.
Ich möchte den Brief heute noch mitgehen lassen, damit die Kette nicht abreißt. Sei du liebe Annie wieder herzlich gegrüßt und geküßt von Deinem oft an dich denkenden Ernst.
Unseren beiden Rangen wieder die herzlichsten Grüße und Küsse. Grüße auch wieder Vater von mir, damit er nicht denkt, ich hätte ihn etwa vergessen.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen