Meine liebe Annie! O.U.
den 22.7.40 /23.7.40
Dein Päckchen vom 15., Deine Briefe vom
17. und 18. habe ich ebenfalls erhalten. Für alles danke ich Dir herzlich.
Bevor ich aber auf alles eingehe, möchte ich noch auf den vergangenen Sonntag
zurückkommen.
Ich bin mit meinem Kameraden Vogt, der in
Mosbach zu Hause ist, von hier aus in südwestlicher Richtung 50 km mit dem Auto
gefahren. Wir haben hier ein Auto angehalten, denn wir wollten unsere Sonntage
nicht immer hier in der Stadt verbringen. Man will auch einmal etwas gesehen
haben von den Gebieten, wo gekämpft worden ist. Sonst hat man keine Gelegenheit
dazu, darum muß man es eben so machen. Wir sind da über La Bassee, Bethune nach
Lillers gekommen. Hauptkampfgebiet war hierbei der erste Ort, der im Weltkrieg
auch sehr bekannt geworden ist. Der Kirchturm war weggeschossen, die Häuser
teilweise zerschossen oder ganz abgebrannt, die Brücken gesprengt. Die
Landstraßen stellenweise gesäumt von zerstörten Kraftwagen und Tanks, die außer
Gefecht gesetzt worden sind. Auf unserer Rückfahrt haben wir dann die
Eisenbahn, die von Lillers nach Bethune fährt, benutzt, weil sich keine
Gelegenheit bot, einen Kraftwagen in unserer Richtung zu bekommen. Auf der
Strecke kamen wir dabei an einem Munitionszug vorbei, der in die Luft gegangen
ist. Ja, wenn man dies alles so sehen kann und so auf den Straßen des Sieges
einmal sein kann, so kommen einem da erst richtig die Stärken unserer Wehrmacht zum Bewußtsein. In Bethune
haben wir dann nach längerem Warten wieder
Anschluß nach Lille bekommen. Landschaftlich sind absolut keine Reize
festzustellen. Alles ist eben, keine Abwechslung. Viele Fabriken, Abraumhalden
der Kohlenbergwerke, die es hier sehr viel in der Umgebung gibt, aber das ist
auch alles.
Auf der Heimfahrt konnte man am
Straßenrand auch hin und wieder ein Soldatengrab sehen, das darauf hindeutete,
daß nicht alles nur so im Vorbeifahren gewonnen wurde.
Das mit dem Gehalt stimmt also schon. Ab Juli tritt wieder eine kleine
Erhöhung ein. Du wirst doch hoffentlich nicht böse darüber sein. Das Bild von
mir kannst Du ja nun hierher senden, dann werde ich es an Nanni weiterleiten.
Wegen der Gasangriffe der Engländer gegen uns brauchst Du Dir keine Sorge zu
machen. Wenn es nötig erscheint, werden wir auch mit Gasmasken ausgestattet.
Zudem ist es ja hier so, daß von einem Giftgasangriff auf Lille etwa 220 000
Franzosen mit betroffen würden, die ja auch nicht mit Gasmasken ausgerüstet
sind. Also das ist hier nicht so schlimm. Wenn die hierher kommen, haben sie ja
andere Ziele.
In Deinem Brief vom 18. erwähnst Du, daß
bei uns, also jetzt Euch, Kartoffelbrei und Pilze ein ganzes Essen sei. Das
stimmt schon, aber von dem Wenigen, was hier als Vorspeise gereicht wird,
könnte zur Not ein Hungerkünstler satt werden. Was sonst meine Ansprüche
anbelangt, die ich dann stelle, wenn ich wieder heimkomme, so möchte ich heute
schon feststellen, daß Du diesen wohl gerecht wirst. Am besten wird es sein,
ich behalte die Türklinke gleich in der Hand, um wieder sofort abrücken zu
können. Du hast wieder richtig vorausgesehen, ich rücke gleich ab, wenn ich merke,
wie „schlecht“ es mir wieder bei Dir gehen wird.
Wenn wir hier auch nicht schlecht zu leben
haben und auch über Geld verfügen, so kann uns das alles nicht unsere Heimat und
unser zu Hause ersetzen. Wir haben ja zu dem allen hier gar keine Bindung.
Es bietet sich wohl immer etwas Neues
jeden Tag, doch gewöhnt man sich an das alles hier so und stumpft gegen diese
Einflüsse ab. Es ist also wirklich nichts Schönes.
Wenn ich Dir nun in einem meiner Briefe
mit geschrieben habe, daß ich hoffentlich auch in England eingesetzt würde, so
ist dies nun nicht so anzusehen, daß ich noch weiter von Euch fort bin. Es ist
vielmehr so, daß ich hier sein muß und wenn ich dort hin käme, dort sein muß.
Wenn ich Urlaub zu bekommen habe, so bekomme ich ihn hier und bekomme ihn auch
dort. Also in dieser Beziehung würde sich nicht viel ändern. Ob und dann bis es
soweit kommt, wollen wir nun warten und dann wieder dazu Stellung nehmen.
Das ist mir allerdings neu, daß Du Dir ein
Kostüm gekauft hast. Da hast Du mir ja noch gar nichts davon geschrieben. Ja,
wie sieht es denn aus. Also schreibe mir nun einmal darüber. Ich habe Dir hier
Stoff für zwei Kleider und ein Kostüm gekauft und für Helga Stoff für zwei
Kleider. Wie ich das nun zu Euch bekomme, kann ich mir noch nicht vorstellen,
aber es wird schon werden. Helga brauchst Du ja noch nichts davon zu sagen,
denn sonst erzählt sie vielleicht, was ich hier alles kaufe. Doch Du wirst es
ja selbst wissen.
Im Ganzen sind ja nun sechs Päckchen
unterwegs. Ich weiß ja nicht, ob sie durch den Zoll gehen, oder wie das nun
klappt. Wenn Du aber tatsächlich etwas zahlen mußt, so zahle das nur ruhig. In
meinem letzten Brief hatte ich ein Taschentuch für Dich und heute lege ich ein
weiteres bei. Hoffentlich gefällt auch das Dir. Wenn was bei Dir ankommt, so
schreibe mir das bitte und vor allem auch was.
Was meinen Tagesablauf anbelangt, nun so
will ich ihn Dir in großen Zügen schildern. 1/2 7 Uhr lasse ich mich wecken.
Dann mache ich mich fertig und gehe so meist zwischen 1/4 und 1/2 8 Uhr fort
zum Kaffeetrinken in ein Restaurant. Ich muß mich jetzt, wo ich in Uniform bin,
jeden Tag rasieren und auch sonst alles herrichten, daraus erklärt es sich, daß
ich so lange Zeit brauche, um fertig zu sein. Nach dem Kaffeetrinken gehe ich
so um 8 Uhr in den Dienst. Wenn es etwas später wird, schadet´s auch nichts,
denn ich bin doch immer der erste, der da ist. 1/2 1 Uhr haben wir dann Mittag.
Da gehen wir meist in das Hotel Royal, wo es
so nach Etikette zugeht. Wenn es sich aber einrichten läßt, essen wir
gerne einmal etwas einfacher und billiger. Vor allem auch deshalb, um wieder zu
wissen, wie es daheim zugeht. Um 3 Uhr fängt der Dienst wieder an und geht
dann bis 1/2 7 Uhr. Man muß immer wieder
einmal sehen, daß man durch irgend einen Vorwand eher herauskommt. Sonst gehe
ich dann um 7 Uhr oder etwas später zum Abendessen. Je nach dem was geboten
wird oder wie ich müde bin, gehe ich noch ins Theater oder in ein Lokal,
andernfalls begebe ich mich nach Hause und lese dann bis gegen 10 Uhr. Das ist
in groben Zügen mein Tagesablauf.
Heute Mittag, 23.07 kam Dein Päckchen mit
den Socken. Ich bitte Dich, so etwas nicht mehr zu schicken, weil ich das, was
ich brauche, mir kaufe. Aus diesem Brief habe ich auch Deine Ausführungen über
das Kostüm gelesen. Ich muß nun feststellen, daß ich ebenfalls einen blauen
Stoff zu einem Kostüm erstanden habe. Ich glaube aber, daß Du schon etwas damit
anzufangen weißt. Auf Deinen Brief komme ich dann noch zurück. Einstweilen
sende ich Dir viele Grüße und Küsse und bitte Dich, den Kindern dasselbe zu
übermitteln. Dich möchte ich bitten, weiterhin so fleißig zu schreiben wie
bisher, dann hab ich Dich dauernd im Geiste bei mir. Dein Ernst.
Für die gepreßten Blumen danke ich noch
bestens. Grüße bitte noch Vater von mir.
Heute habe ich 2 Paar Socken aus beschlagnahmten
Beständen für mich geschenkt erhalten.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen