Meine liebe Annie! Unterwegs, den 4.Juli 1940
10
Uhr Jetzt, wo ich das Datum schreibe, merke ich erst wieder, daß ja heute mein
Feiertag ist.
Ja, die Jahre vorher hast Du mir diese
Tage immer so schön gestaltet und wir konnten sie immer zusammen verbringen.
Diesmal ist es unter dem Zwang der Verhältnisse anders.
Eines weiß ich ja gewiß, daß Ihr mich
nicht vergessen habt und daß Ihr an mich denkt. Die Entwicklung geht vorwärts
und wir müssen in sie hineinwachsen.
Ich bin nun heute früh 7.25 Uhr in Köln
mit dem D-Zug nach Brüssel abgefahren. Wie ich gehört habe, ist der Zug etwa
gegen 17 Uhr in Brüssel. Es kann evtl. von da aus noch einen Tag dauern, bis
ich dann in Lille bin. Wir haben jetzt in Dalheim bei Mönchengladbach einen
längeren Aufenthalt, den ich nun gleich dazu benutze, meinen heutigen Brief an
Dich anzufangen.
Von 1 - 3/4 3 Uhr waren wir in Köln wieder
im Keller und um 6 Uhr habe ich mich wecken lassen. Die Nachtruhe war zwar
etwas kurz, doch das macht mir ja schließlich nichts aus, denn den Komfort, wie
wir ihn im Hotel gehabt haben, werden wir wohl in Zukunft wegfallen lassen müssen.
Ebenso das fließende warme und kalte Wasser, sowie das Haustelephon wird nicht
überall vorhanden sein.
Dies sind ja für mich nicht gerade Sachen,
an denen ich besonders hänge. Ich werde mich immer so einrichten, wie es die
Umstände von mir verlangen werden. Wie ich gerade feststelle, überfahren wir hier
in Dahlheim gleich die holländische Grenze, ich habe somit nach genau einer
Woche wieder die Reichsgrenze verlassen. Jetzt werde ich noch das letzte
Stückchen von Deinem Kuchen zur Feier des Tages verzehren.
Ja, man muß sich alles einteilen. 1/2 2
Uhr. Nachdem wir holländisches Gebiet durchfahren haben, sind wir nun nach
Belgien gekommen. Verschieden gesprengte holländische Brücken haben wir nun
passiert. Dies und einige Schützengräben und Bunker längs der Bahnlinie sind noch die Zeugen des Krieges, der hier
durchgegangen ist. Es geht nun auf Mitternacht zu und ich möchte Dir nun noch
kurz den weiteren Verlauf des Tages schildern.
Wir sind über Hasselt, Löwen nach Brüssel
gefahren, wo ich nun in einem Hotel wieder über Nacht bleibe. In Löwen und
Umgebung ist schon dazwischen gepfeffert worden und man hat schon einen Teil
der Spuren des Krieges, der auch über dieses Land gegangen ist, vom Zug aus
sehen können.
Zur Begrüßung wurde hier gleich mit schwerer
Flak geschossen, das war nun nicht etwa wegen mir, aber man merkt auch da, daß
man mehr dem Kriege selbst zu kommt.
Wenn man diese Spuren gesehen hat, kann
man nicht froh genug sein, daß einem das alles erspart geblieben ist im eigenen
Lande. Ich kam hier am Nordbahnhof an und habe ein Quartier am Südbahnhof
erhalten. Auf der Straßenbahn mußte ich nichts zahlen, doch wenn man so fremd
daher kommt, und die Leute verstehen einen so schlecht, dann ist das nicht so
einfach, bis man sich an den richtigen Ort durchgeschleust hat.
In einem Speisehaus habe ich dann zu Nacht
gegessen, es war zwar reichlich, hat aber immerhin 2,30 RM gekostet.
Bis man hier mit allem vertraut ist, kann
es ja passieren, daß man übers Ohr gehauen wird, aber lange macht man das ja
bekanntlich nicht mit mir.
Vorhin war ich im Soldatenkino für 20
Pfennige. „Spiel im Sonnenwind“. Es war etwas sehr leichtes, doch man hat sich
noch einmal etwas unterhalten. Meinen Spaziergang habe ich dann anschließend
fortgesetzt. Morgen früh geht es 6 Uhr wieder weiter. Den Brief will ich morgen
durch die Feldpost absenden lassen. Mal sehen, ob´s geht. Sei Du liebes Mädel
herzlich gegrüßt und geküßt von Deinem Ernst. Den Kindern herzliche Küsse.
Meine liebe Annie! Lille,
den 5.7.1940
Heute bin ich nun endlich in meinem Bestimmungsort eingetrudelt.
Ich habe mir den Betrieb einmal angesehen
und mich dem Stadtkommissar vorgestellt. Bis jetzt kann ich ja noch nicht viel
sagen, weil ich den ganzen Nachmittag damit zugebracht habe, mir ein Zimmer zu
suchen. Ich kann Dir nur sagen, es war einfach drollig. Der Hausbesitzer
versteht kein Wort deutsch und ich kein Wort französisch. Nach langem Kopfnicken
und Achselzucken hatte ich es endlich soweit, daß ich ihm verständlich gemacht
habe, daß ich einen Dolmetscher vom Amt, der dem Wirt nach vielem Erklären
klargemacht hat, daß ich das Zimmer nehmen würde. Es ist dies ein schönes
großes Zimmer in der Boulevard de la Liberte (Straße der Freiheit). Es ist zwar
etwas in seiner Aufmachung kalt und nüchtern, aber für meine Zwecke ist es
ausreichend. Die Bevölkerung war und ist auch noch zum größten Teil geflüchtet,
und es wird noch eine Weile dauern, bis alles seinen alten Gang geht.
Viele neue Eindrücke sind heute wieder auf
mich eingestürmt und ich habe die Feststellung getroffen, daß ich mich bemühen
muß, französisch zu lernen, wenn ich hier überhaupt mitkommen will. Die
ältliche Haushälterin des Wirtes versucht schon, mir dies und jenes begreiflich
zu machen. Ich kann überhaupt sagen, daß einem die Bevölkerung anständig und
mit Achtung entgegen kommt.
Nach Feierabend habe ich einen
ausgedehnten Spaziergang durch die Stadt gemacht. In einem Park, in dem am 28.
und 29.5. Kämpfe mit den Engländern stattgefunden haben, habe ich die Gräber
von 9 gefallenen Kameraden besucht. Diese Stadt war ja fast ausschließlich
durch Engländer besetzt gewesen.
Meine Anschrift ist jetzt: Feldpostnummer
29297. Ich grüße Dich und gebe Dir recht herzliche Küsse. Küsse aber auch die
Kinder von mir. Im Geiste bin ich immer bei Dir Dein Ernst.
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