Donnerstag, 16. Juli 2015

Brief 27 vom 14.7.1940


Meine liebe Frau!                                                  Lille, den 14.Juli 1940

Ich hatte die Absicht, Dir einen langen Brief heute zu schreiben.
Die Zeit ist nun doch wieder herumgegangen und nun wird es doch nicht soviel werden, wie ich eigentlich vor hatte. Ich habe einige Päckchen für Dich fertig gemacht und das ist nicht so einfach, weil das Gewicht von 250 Gramm nicht überschritten werden darf.
Ich schicke morgen zwei von hier weg. In etwa 2 - 3 Tagen wieder 2 und nach diesem Zeitabstand werde ich die restlichen 2, die mir diesen Monat zugelassen sind, abschicken. Für den kommenden Monat habe ich dann wieder ein paar Sachen noch da liegen.
Nachdem diese Gewichtsbeschränkung besteht, hat man eben sehr mit Schwierigkeiten zu kämpfen, weil ich einige Artikel da habe, die an sich am Stück schon schwerer sind, als das, was zugelassen ist. Du wirst mir ja dann Bescheid geben, ob alle seine Ordnung hat. Was ich etwa geschickt habe, werde ich Dir dann in einem anderen Brief mitteilen.
 Heute ist nun Sonntag. Am Vormittag habe ich gearbeitet und heute Nachmittag habe ich mich rein privat hier auf dem Amt betätigt. Es ist ja nicht so einfach, sich in einer fremden Stadt so über den Sonntag hinwegzubringen, ohne immer viel Geld auszugeben. Ich war, das kann ich wohl sagen, ohne dabei rot zu werden, die letzten Tage sehr solid und bin auch gestern wieder 1/2 9 Uhr daheim gewesen. Ich habe dann meine Sachen gerichtet und die Päckchen an Dich vorbereitet. Ich habe immer geglaubt, heute vielleicht zum Sonntag von Dir Post zu erhalten, doch auch diesmal mußte ich mich wieder gedulden. Ich nehme an, daß nun in den nächsten Tagen bald etwas kommen wird. Man wird mit der Zeit ungeduldig und glaub es erzwingen zu können. Man muß sich eben darein finden und abwarten.
Solange ich noch keine Briefe von Dir beantworten muß, will ich Dir noch etwas von meinen Endrücken schildern, die ich hier so jeden Tag gewinnen kann. Vorher möchte ich Dich aber noch um verschiedenes bitten. Einige Herren, die hier als Dolmetscher wirken, haben mich um deutsche Zeitungen gebeten. Ich bitte Dich, sende mir doch einige der I.B und auch sonstige Zeitungen, die wir von den Eltern erhalten. Vielleicht kann man damit etwas aufklärend wirken. Ein anderer Herr hat danach gefragt, ob uns Hans Fritsche (Zeitungs- und Rundfunkschau) die Reden die er jede Woche gehalten hat, im Buchhandel zu erhalten wären. Wenn Du so etwas  in Konstanz bekommen kannst, so kaufe es doch und sende mir dies ebenfalls zu. Wenn Du damit einige Auslagen haben solltest, werde ich Dich schon irgendwie wieder entschädigen.
Den Gesamteindruck, den die Stadt hier auf mich gemacht hat, habe ich Dir ja schon geschildert. Über das Rathaus habe ich ja auch schon geschrieben, daß dies ein ganz neuer Bau ist. Eine Karte werde ich Dir demnächst mit beifügen, damit alles etwas anschaulicher wirkt. Stil ist zwar keiner dabei, aber dafür hat es ja auch viel Geld gekostet.
Die Leute schimpfen jetzt über die Sozis, die dafür soviel Geld verschwendet haben. Die Innenausstattung ist auch in keiner Weise kleinlich ausgefallen, so daß wir uns mit unseren Büromöbeln in Konstanz dagegen wirklich nicht sehen lassen können. Was die Außenansicht selbst noch anbelangt, so fällt ein ganz besonders hoher Turm auf, der ganz unmotiviert daneben steht. Er paßt zwar zu allem nicht dazu, doch wie gesagt, auf die Schönheit kam es dabei wahrscheinlich nicht besonders an.
Die halb abgebrochenen Häuser und die noch da stehenden sind vollkommen verrußt und verdreckt. Die Seitenfronten der Häuser und die Bauzäune sind mit schreienden Aufschriften oder Plakaten versehen, so daß man sagen könnte, ein Stadtbaumeister hätte hier eine sehr dankbare Aufgabe.
Die Lebensverhältnisse der Bevölkerung sind nach meiner Feststellung, die ich bis jetzt treffen konnte, nicht gerade überragend. Die durch die Deutschen eingesetzten Hilfsmaßnahmen werden wohl in Anspruch genommen, doch von einer ausgesprochenen Dankbarkeit kann wohl keine Rede sein.
Die Leute stehen schon stundenlang, bevor die Ausgabestellen geöffnet werden, Schlage und warten ebenso lange, bis sie an die Reihe kommen. Bei den Franzosen scheint man wahrscheinlich sehr viel Zeit zu haben. Unser Tempo ist ihnen nicht so bekannt und auch nicht so geläufig. Es kann ja sein, daß auch hier noch manche Änderung eintreten wird.
Wenn man das den Leuten hier sagt, daß wir anderes Arbeiten gewöhnt sind oder daß bei uns dies oder das besser sein, so bekommt man hier kaum eine zustimmende Antwort, und wenn, dann nur zögernd. 
Man merkt aber auch in allem, daß diese Herrschaften sich immer noch in ihrem alten Fahrwasser befinden. Man wird wohl nicht alles verallgemeinern können, doch für den Durchschnitt wird dies doch zutreffen. Das war uns ja auch schon früher bekannt. daß sich die französischen Frauen gerne anmalen und gerne neue Kleider anziehen. Dabei kann man aber oft beobachten, daß soweit auch alles in Ordnung ist, aber die Strümpfe sind entweder nicht gestopft oder nicht gewaschen. Weiterhin habe ich hier Kinder gesehen, die tatsächlich vor Schmutz starren, dabei bin ich noch nicht einmal so in die richtige Vorstadt und die Arbeiterviertel hineingekommen.
Wiederholt haben uns schon Kinder angehalten, sie möchten „Money“ oder „Sou“. In dieser Beziehung kann ich nun kein Verständnis aufbringen. Vor allem soll die französische Bevölkerung, die dazu in der Lage ist, dafür aufkommen, denn warum soll denn der deutsche Soldat noch für die Fehlpolitik der französischen Wirtschaft herhalten.
Im Übrigen haben wir ja durch den Einsatz der NSV gewiß schon viel getan. Aber gerade die besser situierten Leute scheinen hier nicht viel für ihre armen Volksgenossen übrig zu haben (bei uns soll es ja auch so etwas geben).
Wir haben uns bis jetzt aus aller Not selbst herausgeholfen, so kann ich auch grundsätzlich und aus diesen Gesichtspunkten heraus mich nicht dazu entschließen, hier etwas zu tun.
Was werdet Ihr wohl heute am Sonntag unternommen haben. Ich glaube kaum, daß Ihr so wechselhaftes Wetter habt, wie es hier bei uns der Fall ist. Meine Haushälterin sagt mir fast jeden morgen „il pluie“ es regnet.
Ja diese Frau macht mir schon einige Sorge, denn die will mir unbedingt französisch  beibringen und ich bin eigentlich gar nicht so scharf darauf. Wenn die Leute was von uns wollen, sollen sie deutsch lernen.
Gestern hat sie mir in meinem  Zimmer einen weiteren großen, zwar älteren Teppich herein gelegt. Sie will mir das wohnen scheinbar etwas angenehmer machen. Eigentlich komme ich ja nur zum schlafen dahin.
Euch alle grüße ich heute wieder recht herzlich. Gib unseren beiden Kerlchen einen herzhaften Kuß. Du sei aber von mir wieder besonders gegrüßt und geküßt. Ich bin auch in der Ferne immer noch Dein Ernst.

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