Meine liebe Frau! Lille, den 14.Juli 1940
Ich hatte die Absicht, Dir einen langen
Brief heute zu schreiben.
Die Zeit ist nun doch wieder herumgegangen
und nun wird es doch nicht soviel werden, wie ich eigentlich vor hatte. Ich
habe einige Päckchen für Dich fertig gemacht und das ist nicht so einfach, weil
das Gewicht von 250 Gramm nicht überschritten werden darf.
Ich schicke morgen zwei von hier weg. In
etwa 2 - 3 Tagen wieder 2 und nach diesem Zeitabstand werde ich die restlichen
2, die mir diesen Monat zugelassen sind, abschicken. Für den kommenden Monat
habe ich dann wieder ein paar Sachen noch da liegen.
Nachdem diese Gewichtsbeschränkung
besteht, hat man eben sehr mit Schwierigkeiten zu kämpfen, weil ich einige
Artikel da habe, die an sich am Stück schon schwerer sind, als das, was
zugelassen ist. Du wirst mir ja dann Bescheid geben, ob alle seine Ordnung hat.
Was ich etwa geschickt habe, werde ich Dir dann in einem anderen Brief
mitteilen.
Heute ist nun Sonntag. Am Vormittag habe ich gearbeitet und heute
Nachmittag habe ich mich rein privat hier auf dem Amt betätigt. Es ist ja nicht
so einfach, sich in einer fremden Stadt so über den Sonntag hinwegzubringen,
ohne immer viel Geld auszugeben. Ich war, das kann ich wohl sagen, ohne dabei
rot zu werden, die letzten Tage sehr solid und bin auch gestern wieder 1/2 9
Uhr daheim gewesen. Ich habe dann meine Sachen gerichtet und die Päckchen an
Dich vorbereitet. Ich habe immer geglaubt, heute vielleicht zum Sonntag von Dir
Post zu erhalten, doch auch diesmal mußte ich mich wieder gedulden. Ich nehme
an, daß nun in den nächsten Tagen bald etwas kommen wird. Man wird mit der Zeit
ungeduldig und glaub es erzwingen zu können. Man muß sich eben darein finden
und abwarten.
Solange ich noch keine Briefe von Dir
beantworten muß, will ich Dir noch etwas von meinen Endrücken schildern, die
ich hier so jeden Tag gewinnen kann. Vorher möchte ich Dich aber noch um
verschiedenes bitten. Einige Herren, die hier als Dolmetscher wirken, haben
mich um deutsche Zeitungen gebeten. Ich bitte Dich, sende mir doch einige der
I.B und auch sonstige Zeitungen, die wir von den Eltern erhalten. Vielleicht
kann man damit etwas aufklärend wirken. Ein anderer Herr hat danach gefragt, ob
uns Hans Fritsche (Zeitungs- und Rundfunkschau) die Reden die er jede Woche
gehalten hat, im Buchhandel zu erhalten wären. Wenn Du so etwas in Konstanz bekommen kannst, so kaufe es
doch und sende mir dies ebenfalls zu. Wenn Du damit einige Auslagen haben
solltest, werde ich Dich schon irgendwie wieder entschädigen.
Den Gesamteindruck, den die Stadt hier auf
mich gemacht hat, habe ich Dir ja schon geschildert. Über das Rathaus habe ich
ja auch schon geschrieben, daß dies ein ganz neuer Bau ist. Eine Karte werde
ich Dir demnächst mit beifügen, damit alles etwas anschaulicher wirkt. Stil ist
zwar keiner dabei, aber dafür hat es ja auch viel Geld gekostet.
Die Leute schimpfen jetzt über die Sozis,
die dafür soviel Geld verschwendet haben. Die Innenausstattung ist auch in
keiner Weise kleinlich ausgefallen, so daß wir uns mit unseren Büromöbeln in
Konstanz dagegen wirklich nicht sehen lassen können. Was die Außenansicht
selbst noch anbelangt, so fällt ein ganz besonders hoher Turm auf, der ganz
unmotiviert daneben steht. Er paßt zwar zu allem nicht dazu, doch wie gesagt,
auf die Schönheit kam es dabei wahrscheinlich nicht besonders an.
Die halb abgebrochenen Häuser und die noch
da stehenden sind vollkommen verrußt und verdreckt. Die Seitenfronten der
Häuser und die Bauzäune sind mit schreienden Aufschriften oder Plakaten
versehen, so daß man sagen könnte, ein Stadtbaumeister hätte hier eine sehr
dankbare Aufgabe.
Die Lebensverhältnisse der Bevölkerung
sind nach meiner Feststellung, die ich bis jetzt treffen konnte, nicht gerade
überragend. Die durch die Deutschen eingesetzten Hilfsmaßnahmen werden wohl in
Anspruch genommen, doch von einer ausgesprochenen Dankbarkeit kann wohl keine
Rede sein.
Die Leute stehen schon stundenlang, bevor
die Ausgabestellen geöffnet werden, Schlage und warten ebenso lange, bis sie an
die Reihe kommen. Bei den Franzosen scheint man wahrscheinlich sehr viel Zeit
zu haben. Unser Tempo ist ihnen nicht so bekannt und auch nicht so geläufig. Es
kann ja sein, daß auch hier noch manche Änderung eintreten wird.
Wenn man das den Leuten hier sagt, daß wir
anderes Arbeiten gewöhnt sind oder daß bei uns dies oder das besser sein, so
bekommt man hier kaum eine zustimmende Antwort, und wenn, dann nur
zögernd.
Man merkt aber auch in allem, daß diese
Herrschaften sich immer noch in ihrem alten Fahrwasser befinden. Man wird wohl
nicht alles verallgemeinern können, doch für den Durchschnitt wird dies doch
zutreffen. Das war uns ja auch schon früher bekannt. daß sich die französischen
Frauen gerne anmalen und gerne neue Kleider anziehen. Dabei kann man aber oft
beobachten, daß soweit auch alles in Ordnung ist, aber die Strümpfe sind
entweder nicht gestopft oder nicht gewaschen. Weiterhin habe ich hier Kinder
gesehen, die tatsächlich vor Schmutz starren, dabei bin ich noch nicht einmal
so in die richtige Vorstadt und die Arbeiterviertel hineingekommen.
Wiederholt haben uns schon Kinder
angehalten, sie möchten „Money“ oder „Sou“. In dieser Beziehung kann ich nun
kein Verständnis aufbringen. Vor allem soll die französische Bevölkerung, die
dazu in der Lage ist, dafür aufkommen, denn warum soll denn der deutsche Soldat
noch für die Fehlpolitik der französischen Wirtschaft herhalten.
Im Übrigen haben wir ja durch den Einsatz
der NSV gewiß schon viel getan. Aber gerade die besser situierten Leute scheinen
hier nicht viel für ihre armen Volksgenossen übrig zu haben (bei uns soll es ja
auch so etwas geben).
Wir haben uns bis jetzt aus aller Not
selbst herausgeholfen, so kann ich auch grundsätzlich und aus diesen
Gesichtspunkten heraus mich nicht dazu entschließen, hier etwas zu tun.
Was werdet Ihr wohl heute am Sonntag
unternommen haben. Ich glaube kaum, daß Ihr so wechselhaftes Wetter habt, wie
es hier bei uns der Fall ist. Meine Haushälterin sagt mir fast jeden morgen „il
pluie“ es regnet.
Ja diese Frau macht mir schon einige
Sorge, denn die will mir unbedingt französisch
beibringen und ich bin eigentlich gar nicht so scharf darauf. Wenn die
Leute was von uns wollen, sollen sie deutsch lernen.
Gestern hat sie mir in meinem Zimmer einen weiteren großen, zwar älteren
Teppich herein gelegt. Sie will mir das wohnen scheinbar etwas angenehmer
machen. Eigentlich komme ich ja nur zum schlafen dahin.
Euch alle grüße ich heute wieder recht
herzlich. Gib unseren beiden Kerlchen einen herzhaften Kuß. Du sei aber von mir
wieder besonders gegrüßt und geküßt. Ich bin auch in der Ferne immer noch Dein
Ernst.
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