Donnerstag, 23. Juli 2015

Brief 30 vom 18.7.1940


Meine liebe Annie!                                                   L. den 18.7. 1940

In Bezug auf die Post könnte ich fast vergleichsweise singen „Ich steh im Regen und warte auf Dich“. Ich will nun nicht hoffen, daß Du auch so lange warten mußt. Bei mir macht ja das nicht so viel aus, denn ich habe ja beim Kommis Disziplin gelernt. Ich habe ja, wie man unter jetzigen Verhältnissen das verstehen muß, meine Ordnung. Früher haben wir immer uns gewünscht einmal auswärts essen zu können. Jetzt muß ich dies jeden Tag tun. Mittags ist ja bei mir von Amtswegen festgelegt. Zum Abend habe ich auch so eine Art Stammlokal ausfindig gemacht, wo sich Preis und Gegenleistung einigermaßen vereinbaren lassen. Mit dem Frühstück habe ich noch so meine Schwierigkeiten, weil die entsprechenden Lokale, die mir einigermaßen zusagen, zu weit aus dem Weg liegen und die übrigen bieten mir nicht das, was ich wünsche. Man kann sich so nach und nach in das Innenleben eines Junggesellen einfühlen. Was für mich aber von großer Bedeutung ist, ich weiß erst wieder wie schön es ist, die Füße unter den Tisch zu stellen und sich das Essen vorsetzen zu lassen. Ich werde mich in dieser Beziehung weiter so durchschlängeln. Ich denke, daß es wieder einmal eine Zeit geben wird, wo wir wieder zusammen sein können. Warten wir also weiter ab und überlassen wir alles andere wieder der Zukunft. Was unsere Urlaubsfrage anbelangt, so kann ich bis jetzt noch keine weitere Auskunft geben, da ich noch nichts wieder gehört habe.
Heute habe ich wieder etwas ganz fabelhaftes für Dich gesehen. Es handelt sich dabei um einen Pelzmantel. Er ist sehr billig, doch ist mir nur die Hauptsorge, wie ich diese Sachen heim bekomme. Gekauft habe ich ihn zwar noch nicht, aber vielleicht werde ich es noch tun. Jedenfalls war ich ganz begeistert darüber, was ich da gesehen habe. Man könnte hier vieles kaufen, weil man hier so vielseitig angeregt wird. Es ist nur gut, daß auch unserem Wehrsold eine Grenze gesetzt ist. Ich habe bei dieser Kauferei eigentlich nur den einen Wunsch, Dir dabei eine Freude zu machen. Da wir aber soweit voneinander getrennt wind, kann man dies ja nur so durchführen, daß man im Rahmen des Päckchenkontingents solche kleine Aufmerksamkeiten schickt.
Auf unserer Suche nach geeigneten Speiselokalen sind wir wieder auf ein neues gestoßen. Da kann man sich ungehindert richtig satt essen. Es geht dort nicht kleinlich zu. Die Inhaberin ist durch ihre Heirat Deutsche geworden. Sie verpflegt deutsche Soldaten, die wie wir ja auch, in freier Verpflegung  stehen. Die meisten sagen zu dieser Frau, die wahrscheinlich Witwe ist, Mutti. Daraus kann man doch ersehen, wie die Frau für die Männer sorgt. Wenn man die Sorgfalt, mit der man doch daheim sonst umgeben  ist, hier nur, wie oben geschildert, im Abglanz verspürt, so ist man ja schon ganz zufrieden. Vor allem auch deshalb, weil die Leute deutsch sprechen und die ganze Aufmachung mehr unseren Gewohnheiten entspricht. Doch genug davon.
Wie geht es Euch dreien, was mach Vater?
Kurt und die Eltern werden sicher wieder geschrieben haben. Siegfried sicherlich auch. Kommst Du so mit der Gartenarbeit mit? Laß lieber etwas liegen und überarbeite Dich nicht so. Wenn es möglich ist, so nutzt bitte die Badezeit aus, der Winter ist immer so lang. Ihr habt Euch dann wenigstens dadurch etwas gekräftigt.
Nachdem ich nun schon einmal hier oben sitze, will ich versuchen, einmal an das Meer zu kommen. Boulogne, Calais oder Dünkirchen würde ich dabei als Ziel ins Auge fassen. Sehen muß ich dann erst, welcher Wunsch dabei in Erfüllung geht. Sei Du diesmal wieder vielmals herzlich gegrüßt und geküßt von Deinem Ernst. Herzliche Küsse von mir gib unseren Kindern, sage ihnen aber gleichzeitig, sie sollen brav sein.

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