Freitag, 10. Juli 2015

Brief 25 vom 10.7.1940


Meine liebe gute Frau!                                                          Lille, den 10.Juli 1940

 Einen Teil meiner Post wirst Du ja inzwischen schon erhalten haben.
Wie ich Dir gestern schon schrieb, wollte ich ja heute ins Bad gehen oder ins Kino. Nun ist aus beidem nichts geworden. Ich habe zwar dienstlich das Bad besichtigt und habe mir die eigentliche Ausnutzung dieser Besichtigung für die nächsten Tage vorgesehen.
Den Dienst kann man so im Allgemeinen aushalten. Ich habe bis jetzt die Ausstellung von Passierscheinen bezw. die Genehmigung von Weiterreisen von hier nach auswärts zu bearbeiten. Die Unterschriftbefugnis ist mir für einen gewissen Teil auch übertragen worden, so daß ich bis jetzt ziemlich selbständig arbeiten kann.
Es sind dabei verschiedene Franzosen zur Vorbearbeitung dieser Sachen beigegeben. Ich muß nun sehen, wie sich alles hier weiter entwickelt.
Ich hatte Dir ja schon in Konstanz gesagt, daß man mir dort die Schönheit dieser Stadt gepriesen hat. Als ich nun hierher kam, war ich ja sichtlich enttäuscht. Diese Stadt zeigt noch ziemlich Spuren des Weltkrieges auf und man gewinnt teilweise den Eindruck, als ob die Bevölkerung oder die sonst zuständige Stelle kein Interesse an dem Wiederaufbau hat. Es kann ja auch sein, daß einige Leute mit diesem Boden spekulieren wollen, jedenfalls erscheint alles sehr ungepflegt.
Stellenweise sind mitten im bewohnten und bebauten Gebiet halb abgerissene Häuser oder die stehengebliebenen Reste sind durch Balken abgestützt. Da nun dies alles sehr verrußt ist, sieht man ohne weiteres, daß dieser Zustand schon ziemlich lange besteht. Bretterzäune sperren teilweise auch diese Stellen ab. Wie gesagt, es sieht alles sehr verwahrlost aus.
Am Denkmal für die gefallenen Soldaten aus dem Weltkrieg hat man den Rest einer zerschossenen Kirche stehen lassen. Man wollte damit die Deutschen wahrscheinlich für ihre Barbarei  für immer festnageln. Wir sind ja auch hier dabei, sämtliche Denkmäler, die einen für uns beleidigenden oder herabsetzenden Inhalt ihrer Inschriften haben, zu überprüfen. Was dann damit geschieht, wird man ja dann sehen.
Von der Dienerin meines Hauswirts habe ich ja neulich auch schon geschrieben. Gestern habe ich wieder feststellen müssen, daß dieses Fräulein, denn ich nehme an, daß es noch eins ist, sehr um mein Wohl und Wehe besorgt ist. Mein Zimmer konnte bis jetzt noch nicht abgedunkelt werden. Weil nun nach Eintritt der Dunkelheit hier auf alle Fenster von der Feldgendarmerie geschossen wird, hat sie jetzt alles mit Papier abgedichtet, damit ich mich auch abends, wenn ich heimkomme, ungehindert bewegen kann.
Da wir uns nun durch unsere verschiedenen Sprachen nur sehr schlecht verständigen können, hatte ich sie falsch verstanden, denn sie hatte mir das gleich an der Haustüre mitgeteilt, daß sie die Veränderung vorgenommen hatte. Ich hatte nun verstanden, daß sie jetzt Klosettpapier hingetan hätte. Es hat sich ja dann herausgestellt, daß es Papier für Fenster war.
Im Großen und Ganzen verkehre, oder besser gesagt, esse ich in den gleichen Lokalen und dort wissen sie meistens schon, was ich haben will. Es ist eben nicht so einfach, wenn man für sein eigenes Essen sich selbst umtun muß.
Wie ich Dir ja auch schon schrieb, haben wir von der Oberfeldkommandantur, der wir ja angehören, in einem der größten Hotels gemeinsames Mittagessen. Meistens bewegen sich ja in diesem erlauchten Kreise nur Offiziere und es ist also für die Beamten das Kasino. Da nun ein General mit dabei ist, so geht dort alles nach Etikette, doch an das habe ich mich genau so gewöhnt wie an das Essen aus dem Kochgeschirr beim Kommis. Man sieht daraus wieder, daß der Mensch sich an alles gewöhnt.
Gestern habe ich Dir ja schon geschrieben, daß ich Dir einige nette Sachen gekauft habe. Heute habe ich wieder einiges dazu gekauft, doch mache ich mir Gedanken, wie ich das Dir nun übermitteln kann, da Feldpostpäckchen  nur bis 250 Gr. gehen. Ich hoffe aber, daß sich im Laufe der Zeit eine Gelegenheit geben wird.
Ich möchte Dir heute wiederum noch einmal mitteilen, daß ich hier wirklich vollauf und genügend zu essen habe und ich bitte Dich, schickt mir von dem wenigen was Ihr habt, nichts hierher. Ich kann mir bei meinem jetzigen Einkommen immer wieder etwas dazu kaufen.
Sei nun wiederum herzlich gegrüßt und geküßt von Deinem oft an Dich denkenden Ernst.
Gib den Kindern wieder einen recht herzlichen Kuß und sage ihnen, daß ich sie herzlich grüßen lasse.
Richte auch Vater viele Grüße von mir aus.


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