Freitag, 10. Juli 2015

Brief 24 vom 7./8.7.1940


Meine liebe Annie!                                                          Lille, den 7.7.1940                

Morgen früh geht wieder Post fort und ich möchte Dir gleich wieder schreiben, wie es mir geht und was ich erlebt habe. Voraus möchte ich gleich nehmen, daß es mir wirtschaftlich in meinem Leben noch nie besser gegangen ist wie jetzt hier.
Ich kann schon sagen, daß ich z.Zt. lebe wie der liebe Gott in Frankreich. Im essen und trinken geht mir aber auch gar nichts ab und die Kameraden, die ich bis jetzt getroffen habe, waren soweit auch sehr nett zu mir.
Eines fehlt mir aber trotzdem, und das ist meine Familie und die Ordnung, die ich damit habe. Die Verhältnisse verlangen es aber, daß ich mich auf sie umstelle.
Ganz so poplig bin ich ja jetzt nicht mehr dran, weil ich rein äußerlich nicht mehr der Rekrut oder der einfache Soldat bin wie die vorhergehenden Wochen, denn allein durch den einen Stern sieht das nach außen hin schon ganz anders aus; zudem beziehe ich jetzt am Wehrsold in 10 Tagen nicht 10,-RM, sondern 18,-RM. Das Schlafen wird ja von irgendeiner Stelle übernommen, darum brauche ich mich nicht kümmern und Verpflegungsgeld bekomme ich tägl. 5,50RM. Ja, da staunst Du.
Aber es ist so, daß ich an dem gemeinsamen Mittagstisch der Oberfeldkommandantur, zu der wir auch gehören, teilnehmen muß, und das kostet 1,50 RM pro Mittag.
Heute war ich zum ersten Mal dabei. Es gab hors d`oeuvre(Vorspeise), Sardellen, Kartoffelsalat und ein paar Radieschen. Dann gab´s ein halbes Hühnchen mit Gemüse(Erbsen und junge Bohnen) und gekochte überbackene Kartoffeln. Als Nachtisch ein Stückchen Torte. Außer Verpflegung franz. Rot- und Weißwein (Beutewein)soviel man will. Ein echt französisches Essen, aber auch gut. Sonst habe ich hier schon woanders gegessen für zusammen 70 Pfennig einschließlich eine Bouteille Wein (etwa 1/2 l). Daß man hier noch so billig leben kann  kommt ja daher, weil der Franken nur 5 Pfennig gilt.
Eine Bitte hätte ich heute noch an Dich, sende mir doch baldmöglichst ein deutsch-französiches Wörterbuch. Ich habe doch noch so etwas daheim gehabt (Taschenformat) vielleicht findest Du das. Außerdem hatte ich noch ein gelbes und ein rotes englisches Buch; wenn Du das findest, kannst du mir das auch mit senden.  
Wie ich schon erfahren habe, muß man sich mit Geduld wappnen, bis man von daheim Post erhält. Hoffentlich ist es umgekehrt nicht auch so, daß Du solange warten mußt.
Sei Du von mir herzlich gegrüßt und geküßt von Deinem Ernst. Küsse die Kinder auch vielmals.


 Meine liebe Frau!                                                                       Lille, den 8.Juli 1940

Wie ich Dir schon schrieb, bin ich ja nun schon einige Tage hier in Lille.
Es drängt mich nun fast dazu, Dir von den vielen Ereignissen zu berichten, die hier auf mich so eingestürmt sind.
Es ist einfach etwas ganz großes, wenn man den Apparat sieht, mit dem unsere Wehrmacht läuft und wenn man da mit eingeschaltet wird. Was man hier allein an Kraftfahrzeugen, geschweige denn an allem anderen sehen kann, so kann man ermessen, daß unsere Wehrmacht den Feind nicht hat zur Ruhe kommen lassen brauchen, denn da läuft alles nur so.
Von meiner Fahrt von Köln nach Brüssel und dann weiter hierher nach Lille habe ich ja schon so einiges berichtet. Bei der Grenzüberschreitungsstelle hatten wir unser sonst landläufiges Geld in Wehrmachtsgeld , das ausschließlich hier im besetzten Gebiet neben der landesüblichen Währung in Zahlung gegeben wird, umgetauscht.
Wir fuhren dann über die Grenze. An unserem Haltepunkt kamen dann gleich die Einwohner und wollten alles Mögliche an uns verkaufen.
Du weißt ja, daß ich in dieser Hinsicht sehr zurückhaltend und sogar berechnend bin. Ich habe mir auf der Fahrt nichts weiter gekauft, sondern habe mich dann gegen 10 Uhr in den Speisewagen gesetzt, um mir etwas zukommen zu lassen. Ich habe also dort Kaffee getrunken und dort konnte ich dann auch erfahren. wann wir in Brüssel sind.
Wir kamen dann über die ersten Eisenbahnbrücken, die gesprengt waren. Das war noch in Holland. Jede Brücke, die wir passieren mußten, war dann mehr oder weniger beschädigt.
Überall war aber alles wieder provisorisch hergerichtet worden, damit die Hauptstrecken wieder befahrbar waren.
Als wir dann ins belgische Gebiet rein kamen, war die Sache dann schon bedeutend schlimmer. Wie ich Dir schon berichtete, fuhren wir über Hasselt und dann Löwen, nach Brüssel.
Hasselt wurde ja seinerzeit auch im Heeresbericht erwähnt, wenn Du Dich noch erinnern kannst. In Löwen waren dann die stärkeren Beschädigungen so von der Bahn aus festzustellen.
Alles im Einzelnen so genau zu beschreiben ist ja fast nicht möglich. Im Bild sieht manches noch ganz anders aus, als man das in der Natur dann selbst sehen kann. Die Bahnhöfe hatten fast alle keine Fenster mehr, das war ja gleich sehr auffallend, die Dächer waren von vielen Häusern zerschossen oder allein vom Luftdruck heruntergeschleudert.
Wenn man das alles so niederschreibt, kann man es ja gar nicht so schildern wie es in Wirklichkeit aussieht. Eines freut einen aber doch, wenn man sich sagen kann, diese Zerstörungen sind von unserer Heimat von den einzelnen Fliegerangriffen abgesehen, ferngehalten worden.
In Brüssel kam ich ja etwa gegen 5 Uhr abends an. Dort ging ich dann gleich zum Quartieramt und besorgte mir eine Schlafgelegenheit. Sie war fast am entgegen gesetzten Ende. Das eine gute war aber doch dabei, daß ich mich so durch die Stadt lotsen mußte und gleichzeitig einen großen Teil kennenlernte.
Der Verkehr  ist ja auch dort wieder ganz gewaltig und es stellt schon ein Erlebnis dar, wenn man sich zum ersten Mal in einem fremden Land in einer so großen Stadt befindet.
Ich habe mir, das schrieb ich Dir ja schon,  ein Abendbrot geleistet und bin dann durch die Stadt gebummelt. Die Läden haben nun noch ausgezeichnete Auslagen und man hätte vieles kaufen können, wenn man nur das nötige Kleingeld gehabt hätte. Etwas Schokolade zum Verzehr für unterwegs und auch einige Briefmarken hatte ich mir gekauft.
Ich habe mich dann ins Kino gesetzt, worüber ich Dir ja auch schon berichtete. Anschließend war es immer noch so hell, daß ich meinen Bummel noch weiter ausdehnte.
So kam ich auch noch an das Grabmal des unbekannten Soldaten und auch andere Gebäude habe ich gesehen. Die hereinbrechende Dunkelheit zwang mich dann tatsächlich zum Heimgehen. Wenn auch die Stadt  Brüssel auf mich den Eindruck nicht gemacht hat, wie eine deutsche Stadt (z.B. Stuttgart), so hat es doch einen besonderen Reiz, dort sich einmal umgesehen zu haben.
Am anderen Morgen bin ich ja dann wieder weiter gereist. Interessant war dann noch in der Frühe, dass auf der Hauptverkehrsstraße der ganze Markthallenverkehr abgewickelt wurde. Da konnte man alles Gemüse und auch neue Kartoffeln in rauen Mengen kaufen.
Die Weiterfahrt durch den Rest von Belgien und dann durch Frankreich bot dann das gleiche Bild wie ich schon oben geschildert habe. Hin und wieder befand sich noch eine Linie von Schützengräben längs der Bahnlinie, oder vereinzelt auch ein Bunker, der den Eisenbahnverkehr im Kriegsfalle überwachen sollte.
Was man so feststellen konnte, war der Widerstand dieser Besatzungen nicht gerade von langer Dauer, denn meistens sind sie, fall sie sich nicht rechtzeitig ergeben haben, ausgeräuchert worden.
Zusammenfassend kann man sagen, daß diese Dinge unseren Sieg nur um kurze Zeit aufhalten, aber nicht verhindern konnten, weil bei uns alles bis ins kleinste durchdacht war. Weiter wird man auch hier wieder in dem Glauben an Deutschlands Größe nur bestätigt.
Gegen Mittag traf ich ja dann hier in Lille ein. Ich bin dann mit meinem Koffer gleich losgezogen, um mich hier auf dem Rathaus zu melden. Auffallenderweise war der Bahnhof (in Brüssel ja auch) vollkommen in Ordnung. Alles ist hier im Aufbau begriffen und keiner hat so richtig Bescheid gewußt.
Ich habe mich dann bei so verschiedenen Instanzen durchgefragt und bin dann am Ende doch noch richtig gelandet. Ich wurde noch unserem Chef vorgestellt und hatte dann noch Gelegenheit, die einzelnen Herren kennenzulernen, die bis jetzt hier ihren Dienst versehen.
Der Einsatz von deutschen Beamten ist ja nun nicht gerade überwältigend, aber mit Hilfe des hier bestehenden französischen Apparates wird ja die ganze anfallende Arbeit geschafft. Wir führen so gewissermaßen hier die Oberaufsicht und nach unseren Anordnungen, d.h. nach deutschem Muster, muß dann alles durchgeführt werden.
Mit ziemlich gemischten Gefühlen steht man der Bevölkerung gegenüber.
Wenn sie auch nach außen hin äußerst entgegen kommend erscheint, so gewinnt man doch den Eindruck, daß vieles nur Tünche ist. Die ärmere Bevölkerung denkt vielleicht da etwas anders, doch das kommt daher, ich denke hierbei an die Mädchen, daß der deutsche Soldat jetzt Geld in der Hand hat und sich vieles leisten kann, was diese Menschen nicht können. Hier erweisen sich diese Menschen als sehr zugänglich und stecken in ihrem Nationalgefühl manchen Pflock zurück.
Wenn das die meisten Soldaten vielleicht auch nicht von dieser Seite sehen, so ist diese Tatsache doch nicht so ohne weiteres von der Hand zu weisen.
Ein Teil der gut betuchten Bevölkerung ist ja noch nicht nach Lille zurück gekehrt und deren Wohnungen sind z.T. durch die Wehrmacht beschlagnahmt worden. Ich hatte Gelegenheit, mir die eine oder andere Wohnung anzusehen, aber ich muß feststellen, die behagliche Gemütlichkeit, wie wir sie bei uns kennen, fehlte hier vollkommen. Das zeigt wieder, wie verschieden die beiden Völker in ihrer Lebensweise doch sind. Vieles was man hier bei den Franzosen sieht und was einem neu erscheint, beachtet man, vielleicht ist das eine oder andere sogar brauchbar um nicht zu sagen besser, aber die deutsche Art zu leben und zu arbeiten ziehe ich mir denn dann doch vor.
Das Dienstgebäude ist nun ein ganz neuer Bau und ich werde Dir einmal eine Ansichtskarte demnächst mit zusenden, wie es aussieht. Im Weltkrieg soll ja das andere zerschossen worden sein und wie ich gehört habe, auch z.T. mit deutschen Arbeitern diesen Bau erstellt. Alles ist sehr komfortabel hergerichtet worden. Die Ironie des Schicksals hat es aber gewollt, daß der deutsche Mensch auch darin arbeiten kann.
Z.Zt. werden uns einige Büros hergerichtet, damit wir nicht mehr so aufeinander sitzen, wie bisher. Weil unser Stab nicht gerade so groß ist, sind wir, wie ich bis jetzt feststellen konnte, ganz gut beieinander.
Ein eigentliches Arbeitsgebiet habe ich ja bis jetzt noch nicht, denn ich helfe gerade dem Herrn mit, der am meisten Arbeit daliegen hat. Ich hoffe allerdings, daß das dann in einiger Zeit anders wird. Es ist ja auch so, hier leiste ich wenigstens positiv zur Zeit mehr, als wenn ich auf dem Kasernenhof immer rechts und links mache.
Von der Kaufkraft unseres Geldes habe ich Dir ja auch schon geschrieben und auch davon, was uns so zur Verfügung steht. Nun brauchst Du nicht etwa zu denken ich verjubele alles. Nein, dem ist nun nicht so. Ich habe mir jetzt verschiedenes angeschafft. Ich möchte es Dir der Reihe nach aufzählen, aber lache nicht, wenn Du liest, auf was für Sachen ich alles gekommen bin.
Erstens ein Paar Schuhe für mich, Preis 5,50RM. Dann ein Paar Socken, später habe ich mir noch ein weiteres Paar zugelegt. Also solche, die ich für die gekauften Halbschuhe gebrauchen kann. Taschentücher , das halbe Dutzend für 1 RM, damit Du nicht immer welche waschen mußt. Heute habe ich mir 2 Schlafanzüge für zusammen 7,50RM und einen Badeanzug aus Wolle für 3,-RM gekauft. (Hier gibt´s nämlich ein Hallenbad). Ein Paar Hausschuhe aus Lackleder , etwas ganz vornehmes für 2,8o RM habe ich mir heute ebenfalls zugelegt. Es sind dies alles Dinge, die ich hier noch tragen kann, und die ich dann gewiß auch mit heim nehmen kann.
Einige Hemden werde ich mir auch noch kaufen. Du kennst mich schon gar nicht mehr wieder, wie ich mich auf einmal aufs Kaufen umgestellt habe, aber warum soll ich diese Gelegenheit nicht ausnutzen. Es ist in einigen Tagen bald soweit, daß ganz Lille durch die Soldaten ganz ausgekauft ist, wenn es dann soweit ist, fange ich an mit sparen.
Bald hätte ich es vergessen, eine Geldtasche für Papiergeld aus sehr feinem Leder, sie hat allerdings 9,-RM gekostet, ist auch noch in meinen Besitz übergegangen. Wenn Du also wirklich einmal Geld brauchen solltest, so schreib mir dies nur, dann werde ich Dir umgehend welches zukommen lassen.
Im übrigen Leben lasse ich mir auch nichts abgehen. Gestern habe ich Dir ja auch schon geschrieben, wie wir hier zu Mittag essen, und die übrigen Mahlzeiten kann ich auch nicht gerade als schlecht bezeichnen, die ich hier einnehme. Was es zu essen zu kaufen gibt, das hole ich mir.
Heute haben wir wieder eine Sonderzulage bekommen und zwar eine Literflasche Weißwein, etwas ganz ausgezeichnetes, ja, das weiß ich ganz genau, daß es so ist, denn ich beflügle während des Schreibens ab und zu meinen Geist damit, und jeder hat noch 4 Pfd. Würfelzucker erhalten.
Ich würde mich freuen, wenn ich Euch dies alles zur Verfügung stellen könnte, damit Ihr auch an dem teilhaben könntet, was ich zur Zeit habe. Beim Abendessen trinke ich ja zumeist auch einen halben Liter Wein, der hier 21 Pfg. kostet.
Du brauchst nun nicht etwa Angst zu haben, daß ich mich hier zum Säufer ausbilden will, aber das ist eigentlich das einzige, was einem über das Getrenntleben von der Familie hinweghilft. Gut ist es auch, wenn man tagsüber seine Arbeit hat, damit man nicht daran denken muß, was einem eigentlich hier fehlt, doch es ist ja schließlich so, daß man an dem Ort seine Pflicht tun muß, wo man  hingestellt ist.
Ich habe schon die letzten Tage gedacht, daß es vielleicht durch Zufall möglich sein könnte, daß ich einmal mit Siegfried zusammentreffe, wenn er sowieso zwischen Frankreich und Deutschland verkehrt. Wenn Du ihm schreibst, kannst du diese vielleicht mit anregen. Ich weiß ja nicht, ob ihn ein Brief von mir eher erreicht als einer von Dir.
Deine Eltern sowie auch Nanni, denen ich bereits von Köln aus geschrieben hatte, werde ich dieser Tage auch noch schreiben. An das Hotel in Köln wird von Dir auch noch ein Brief gegangen sein. Ich werde morgen früh eine Karte mit meiner Feldpostnummer an das Hotel absenden, damit ich diese Briefe noch bekomme, die von Dir noch eingegangen sind, soweit sie nicht schon an Dich zurückgegangen sind.
Was machen denn unsere beiden Strolche, sind sie denn auch brav. Ich glaube aber annehmen zu müssen, daß sich seit früher nicht viel geändert hat. Soweit es in Deinen Kräften steht, nimm sie nur richtig ran.
Mit dem Garten wirst du auch viel arbeiten müssen. Auch heute bitte ich Dich wieder, übernimm Dich bei dieser Arbeit nicht.
Gespannt bin ich ja, wann ich hierher Deinen ersten Brief bekomme. Meine Hoffnung ist ja nur die, daß es nicht solange dauert, wie bei den Kollegen, die hier sind. Eines freut mich ja heute noch, daß ich Gelegenheit hatte, zu Euch zu kommen und Euch, wenn auch nur kurze Zeit, zu sehen.
Wenn ich allerdings gewußt hätte, wie es in Köln aussieht, wäre ich noch einen Tag länger bei Euch geblieben.
Ärgere Dich aber nicht darüber, denn es läßt sich ja leider nicht ändern und dann war ja alles so unklar.
Sind wir froh um die Stunden und auch über die Überraschung, die ich Euch bereiten konnte. Leider ist ja in Kriegszeiten mit der Freude der Überraschung auch der Trennungsschmerz verbunden.
Ich hoffe, daß Ihr auch diesen, nachdem ja nun wieder etliche Tage darüber hin sind, überwunden habt. Ich kenne Dich ja als tapferen Kerl und Du wirst Dich ja auch hier wieder so verhalten haben.
Ein Kollege, dem ich dieser Tage meine Bilder von Euch zeigte, sagte zu mir, als er Dein Bild sah, man kann ja nicht sagen, daß Du der Typ des westlichen Menschen darstellen würdest, sondern schon den der deutschen Frau. Ist das nicht ein Kompliment?
Jedenfalls kann ich Dir sagen, daß ich mich im Stillen sehr darüber gefreut habe. Auch die Bilder von unseren Kindern finden überall guten Anklang und mit Stolz betone ich jedes Mal, daß Du sie gemacht hast.
Gestern war ich hier wieder im Kino und dabei hatte ich Gelegenheit, die Wochenschau von Dünkirchen mit zu sehen. Für mich war dies auch wieder ein großes Erlebnis, zudem, wo man jetzt selbst mitten im Feindesland lebt. Ich hoffe, daß ich während der Zeit meines hiesigen Aufenthalts Gelegenheit haben werde, auch diesen Schauplatz der Kämpfe mit ansehen zu können.
Hier ist ja auch noch einiges zu sehen. So u.a. einige zerschossene Kraftwagen der Engländer, die auf der Strecke geblieben sind. Außerdem haben die Englänger in einem Kanal, der hier nahe der Stadt liegt, verschiedene Schlepper versenkt, um die Schiffahrt darauf zu sperren.
Außerdem sind verschiedene Brücken gesprengt worden und eine Schleuse ist auch nicht mehr ganz in Ordnung. Auch darüber habe ich Dir ja schon geschrieben, daß verschiedene Gräber in den Anlagen sind, von Soldaten, die hier gefallen sind.
Gestern konnten wir nun beobachten, daß zu einem Grab eines englischen Offiziers die reinste Prozession stattfindet, während zu den Gräbern der deutschen Soldaten nur die Kameraden gingen. An einem anderen Platz, wo auch deutsche Soldaten liegen, konnte ich wohl verschiedene Personen der Bevölkerung sehen, doch Blumen haben sie keine hingelegt wie bei ihren Bundesgenossen. Ich möchte keinem Haß über´s Grab hinaus noch das Wort reden, doch als Deutschem fällt einem das auf und berührt einen auch entsprechend.
Kriegsgefangene Franzosen,  heller und dunkler Hautfarbe, habe ich hier ja auch schon gesehen. Der Eindruck war auch nicht gerade glänzend, wenn ich in diesem Falle überhaupt so ein Wort anwenden und gebrauchen soll. Mit Uniform und Strohhüten sind sie im Zuge gelaufen. Mit oder ohne verdreckten Mantel. Bewaffnet zum Teil mit Spazierstöcken. Jedenfalls ganz bunt durcheinander gewürfelt. Du wirst ja die verschiedenen Bilder aus den Wochenschauen noch in bester Erinnerung haben.
Die Bevölkerung versucht mit den Gefangenen Fühlung aufzunehmen, um zu erfahren, welchen Truppenteilen sie angehören. Es ist ja z.T. verständlich, daß sich diese Leute darum kümmern, denn mancher hat doch auch Verwandte dabei, die im Kriege gegen uns gestanden sind und nun gefangen sind oder verwundet, wenn nicht gar gefallen.
Von deutscher Seite aus kann man aber auch beobachten, daß die Gefangenen nicht gerade hart angefaßt werden und daß sie, obwohl wir uns ja in ihrem Lande befinden, ziemliche Freiheiten genießen.
Dies zeigt wieder einmal richtig unser deutsches Wesen, das in dem Feind auch den tapferen Kämpfer erkennt. Verwundete, die aus der Schlacht von Dünkirchen kommen und in die verschiedenen Lazarette verbracht wurden, konnte ich hier auch schon sehen. Es handelt sich ja in diesen Fällen meistens um solche Menschen, deren Hauptbehandlung ja schon abgeschlossen ist und die zur weiteren Genesung weiter transportiert werden.
Vom Amt selber könnte ich noch als Besonderheit berichten, daß hier an jeder Ecke und fast vor jedem Dienstzimmer ein Polizist der Stadtpolizei steht. Sie begegnen uns wohl mit besonderer Achtung, mehr oder weniger wohl auch darum, weil sie müssen. Viel zu tun haben diese Kerle ja gerade nicht, aber das viele Publikum gibt ihnen schon Gelegenheit, sich den Tag über zu unterhalten und somit auch den Tag rumzubringen. Wenn man etwas von ihnen verlangt, sind sie sehr dienstbeflissen und sie tun auch alles. Ich habe aber sonst den Eindruck, als wenn es so richtige Radfahrernaturen sind. Du weißt ja, was man darunter bei uns im Reich versteht.
Es kann ja sein, daß ich mich in dieser Beziehung täusche, die Zukunft wird es ja zeigen, ob meine Annahme in dieser Richtung stimmt. Einen Personalaufwand, wie man ihn hier treibt, kennt man jedenfalls bei uns nicht und es hat schon bei uns immer geheißen, wir seien ein Beamtenstaat. Die Überzeugung will bei mir auch nicht Platz greifen, daß diese Herrschaften hier schneller schaffen wie wir.
Über alles und auch sonst über meine Eindrücke, die ich bis jetzt hier gewonnen habe, habe ich Dir nun in meinem heutigen Brief berichtet. Ich nehme an, daß Dich verschiedenes interessiert hat. Vieles wäre noch zu erzählen, doch vielleicht kann ich dies ein andermal tun.
Ich glaube, daß Ihr alle gesund seid und daß auch sonst alles bei Euch in Ordnung ist. Heute hoffe ich, daß Du mit meinem ausführlichen Schreiben zufrieden bist. Eines möchte ich aber gleich sagen, jeden Tag kannst Du von mir solche Briefe nicht erwarten, denn es ist nun schon 23 Uhr vorbei und es wird Zeit, daß ich mich langsam auf den Heimweg begebe.
Ein Kamerad ist auch gerade dabei, seiner Frau zu schreiben, somit bin ich wenigstens nicht allein. Die Flasche Wein ist ja nur z.T. alle geworden, aber dem Inhalt des Briefes hat dies doch gewiß keinen Abbruch getan. Hoffentlich kann ich gut nach diesem kräftigen Schluck schlafen.
Sei Du nun recht herzlich gegrüßt. Viele Küsse übersende ich Dir gleichfalls und hoffe, daß es Euch allen gut geht. Dich grüße ich aber besonders und bitte Dich, den Kindern einen recht herzlichen Kuß zu geben.
Ich bin auch in der Ferne in Treue Dein Ernst.




Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen