Mittwoch, 29. Juli 2015

Brief 36 vom 29.7.1940


Meine liebe Annie!                                                   O.U., den 29. Juli 1940

 Das Sechstagerennen hat wieder begonnen und der Sonntag liegt wieder hinter mir. Ich muß immer dran denken, wie Ihr wohl jetzt die Sonntage verbringen werdet. Es wird sich ja wohl in erster Linie nach dem Wetter bei Euch richten. Das hiesige Wetter kann ich ja niemals zum Vergleich für das Wetter bei Euch heranziehen, denn darüber habe ich Dir ja schon genug geschrieben.
Gestern Vormittag war ich hier im Hallenbad und habe mich wieder einmal gründlich gesäubert. Der Preis beträgt 3,50 frc. = 17,1/2 Pfg. Da kann man ja nicht viel sagen. Man kann sich erst waschen, dann in der Halle schwimmen, weiterhin ist noch ein Dampfraum da und zuletzt noch ein Trockenraum. Es ist zwar noch etwas altmodisch eingerichtet, doch wir leben ja im Kriege und die Hauptsache ist, daß ich mich wieder richtig frisch fühle. Anschließend bin ich aufs Amt gegangen und habe Deinen Eltern auf ihren Brief geantwortet. Es war dann inzwischen Zeit zum Mittagessen geworden. Es gab als Vorspeise Pastete mit Pilzfüllung und Oliven und Soße. Als Hauptgang Kartoffeln mit gebratenem Huhn, Erbsen und gelbe Rüben. Das klingt zwar nach sehr viel, ist aber nicht das kräftige Essen, wie wir es daheim gewöhnt sind. Als Nachspeise hatten wir so eine Art Blätterteigkuchen. Nach dem Mittagessen bin ich mit der Straßenbahn etwa 1/2 Stunde nach Roubaix gefahren. Das ist hier einer der nächsten größeren Orte. Die Straßenbahn kostet für uns Wehrmachtsangehörige ja nichts, warum soll man dann nicht einmal davon Gebrauch machen. Ich habe mir diesen Fabrikort angesehen und mich auch informiert, ob es noch verschiedenes zu kaufen gibt. Zurück zu bin ich durch die einzige Parkanlage, die es hier im weiten  Umkreis gibt, gelaufen und habe dann am Ende dieser Anlage mich auf den Strom geschwungen, um wieder nach hier zu kommen. Ich hatte dann die Absicht ins Kino zu gehen, doch wegen Überfüllung war kein Platz mehr zu haben. Ich hatte dann einen unserer Schreiber getroffen, der mir erzählte, daß vor dem Theaterplatz ein Konzert unserer Wehrmacht stattfindet. Bei einem Glas Wein habe ich dem Konzert zugehört und habe gleichzeitig noch ein Schinkenbrot gegessen. Mein weiterer Weg führte mich dann wieder zum Theater, wo ich mir „Die 4 Gesellen“ angesehen habe. Siehst Du, so vergeht bei uns hier ein Sonntag. Man muß nur immer wieder zusehen, was man anstellt, wenn man einmal nicht arbeiten muß. Die Programme meiner letzten Theaterbesuche füge ich bei, vielleicht interessiert es Dich.
Am Samstag war ich noch in der Oper „Tiefland“. Auch dieses Stück war bei den guten Kräften wieder ein Erlebnis. Vor allem sind ja diese Dinge hier kostenlos. Der Hauptmacher dieser KdF-Bühnen ist mir sehr gut bekannt, so daß ich ungehindert überall Zutritt mit oder ohne Eintrittskarte bekomme. Im Übrigen ist man ja hier auch gar nicht so genau.
Post habe ich gestern auch wieder noch nicht erhalten, so habe ich also keine Möglichkeit auf etwas Bezug zu nehmen. So möchte ich denn einmal von einigen Sachen berichten, die mir hier wieder im Gegensatz zu dem bei uns üblichen auffallen. Der Gemüsehandel wickelt sich hier vorwiegend auf der Straße ab. Die meisten Händler haben so einen zweirädrigen Wagen, auf dem bieten sie ihre Sachen feil. Z.Zt. werden vorwiegend Bohnen, Kartoffeln, dann Birnen und verschiedene Zwetschgenarten angeboten. Weiter ist auffällig, daß hier auf dem Lande die Bauern mit großen zweirädrigen Wagen fahren. Das sieht für unsere Begriffe etwas komisch aus, es wird sich hier aber nach den Erfordernissen für zweckmäßig herausgestellt haben. Meistens haben diese Wagen zwei mächtig große Räder mit einem Wagenkasten darauf. Die Bevölkerung bevorzugt hier vielmehr das Tandem (Fahrrad für zwei Personen). Ich habe schon beobachtet, daß da eine ganze Familie darauf ausfährt. Die Bettelei ist hier auch sehr an der Tagesordnung. Sitzt man irgendwo in einer Wirtschaft, so kommt bestimmt nach einiger Zeit ein Bettler oder ein Kind zum Betteln. Ich konnte vor einiger Zeit beobachten, wie auf der Straße ein Kind einem Soldaten einen Zettel in die Hand drückte auf dem zu lesen war, daß daheim eine Familie mit mehreren Kindern ohne Brot sei. Der Soldat hat das Kind, weil es gar zu aufdringlich war, wieder an die NSV verwiesen. Die NSV und damit auch der Hilfszug Bayern hat sich hier in ganz großzügiger Weise für die notleidende Bevölkerung eingesetzt. Von mir bekommt niemand etwas, weil ich der Ansicht bin, daß es Sache der Franzosen ist, für ihre eigenen Volksgenossen aufzukommen. Wie ich überhaupt nicht verstehen kann, daß sich deutsche Soldaten für einzelne Franzosen einsetzen, damit diesen Arbeit oder sonst etwas zugewiesen wird. Bei mir stoßen dann aber beide Teile auf Granit. An den Ausgabestellen der NSV steht dann die Bevölkerung Schlage, um ihr Teil zu bekommen von dem, war dort verteilt wird.
Die Ansichtskarte, die ich im letzten Brief mitgesandt habe, wirst Du wohl erhalten haben. Auf dem Turm, der darauf abgebildet ist, war ich dieser Tage. Man hat da einen sehr schönen Blick in die ganze Umgebung, so daß man von dort oben einen Gesamteindruck über die Gegend gewinnen kann. Fast bis hinauf kann man mit dem Fahrstuhl fahren. Wie überhaupt im Hause kaum noch Treppen gestiegen werden, denn wir haben hier unseren Fahrstuhl.
Soeben erhielt ich von Siegfried einen Brief aus Weimar. Er schreibt, daß er sich jetzt vor mir verstecken müßte, nachdem ich jetzt hier diese Stelle einnehmen würde. Ich glaube, daß es halb so schlimm sein  wird. Weiter teilt er mit, daß er schon ziemlich herumgekommen sei und wie ich aus den Orten ersehe, ist er hier in Belgien und auch in Nordfrankreich in den verschiedensten Orten gewesen. Er gibt auch seiner Hoffnung Ausdruck, daß wir uns vielleicht einmal hier treffen. Ich werde ihm bald auf sein Schreiben antworten.
Diesmal habe ich Dir wieder einiges mehr geschrieben, hoffentlich bist Du mir deshalb nicht böse. Bleibt Ihr alle gesund und sage unseren beiden Rangen, daß sie Dir folgen sollen. Euch alle grüße und küsse ich vielmals, Dich aber wieder besonders. Denke auch bald wieder mit einem Schreiben an Deinen Ernst.

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