Meine liebe Annie! O.U.,
den 29. Juli 1940
Das Sechstagerennen hat wieder begonnen und der Sonntag liegt wieder
hinter mir. Ich muß immer dran denken, wie Ihr wohl jetzt die Sonntage
verbringen werdet. Es wird sich ja wohl in erster Linie nach dem Wetter bei
Euch richten. Das hiesige Wetter kann ich ja niemals zum Vergleich für das
Wetter bei Euch heranziehen, denn darüber habe ich Dir ja schon genug
geschrieben.
Gestern Vormittag war ich hier im
Hallenbad und habe mich wieder einmal gründlich gesäubert. Der Preis beträgt
3,50 frc. = 17,1/2 Pfg. Da kann man ja nicht viel sagen. Man kann sich erst
waschen, dann in der Halle schwimmen, weiterhin ist noch ein Dampfraum da und
zuletzt noch ein Trockenraum. Es ist zwar noch etwas altmodisch eingerichtet,
doch wir leben ja im Kriege und die Hauptsache ist, daß ich mich wieder richtig
frisch fühle. Anschließend bin ich aufs Amt gegangen und habe Deinen Eltern auf
ihren Brief geantwortet. Es war dann inzwischen Zeit zum Mittagessen geworden.
Es gab als Vorspeise Pastete mit Pilzfüllung und Oliven und Soße. Als Hauptgang
Kartoffeln mit gebratenem Huhn, Erbsen und gelbe Rüben. Das klingt zwar nach
sehr viel, ist aber nicht das kräftige Essen, wie wir es daheim gewöhnt sind.
Als Nachspeise hatten wir so eine Art Blätterteigkuchen. Nach dem Mittagessen
bin ich mit der Straßenbahn etwa 1/2 Stunde nach Roubaix gefahren. Das ist hier
einer der nächsten größeren Orte. Die Straßenbahn kostet für uns
Wehrmachtsangehörige ja nichts, warum soll man dann nicht einmal davon Gebrauch
machen. Ich habe mir diesen Fabrikort angesehen und mich auch informiert, ob es
noch verschiedenes zu kaufen gibt. Zurück zu bin ich durch die einzige
Parkanlage, die es hier im weiten
Umkreis gibt, gelaufen und habe dann am Ende dieser Anlage mich auf den
Strom geschwungen, um wieder nach hier zu kommen. Ich hatte dann die Absicht
ins Kino zu gehen, doch wegen Überfüllung war kein Platz mehr zu haben. Ich
hatte dann einen unserer Schreiber getroffen, der mir erzählte, daß vor dem
Theaterplatz ein Konzert unserer Wehrmacht stattfindet. Bei einem Glas Wein
habe ich dem Konzert zugehört und habe gleichzeitig noch ein Schinkenbrot
gegessen. Mein weiterer Weg führte mich dann wieder zum Theater, wo ich mir „Die
4 Gesellen“ angesehen habe. Siehst Du, so vergeht bei uns hier ein Sonntag. Man
muß nur immer wieder zusehen, was man anstellt, wenn man einmal nicht arbeiten
muß. Die Programme meiner letzten Theaterbesuche füge ich bei, vielleicht
interessiert es Dich.
Am Samstag war ich noch in der Oper „Tiefland“.
Auch dieses Stück war bei den guten Kräften wieder ein Erlebnis. Vor allem sind
ja diese Dinge hier kostenlos. Der Hauptmacher dieser KdF-Bühnen ist mir sehr
gut bekannt, so daß ich ungehindert überall Zutritt mit oder ohne Eintrittskarte
bekomme. Im Übrigen ist man ja hier auch gar nicht so genau.
Post habe ich gestern auch wieder noch
nicht erhalten, so habe ich also keine Möglichkeit auf etwas Bezug zu nehmen.
So möchte ich denn einmal von einigen Sachen berichten, die mir hier wieder im
Gegensatz zu dem bei uns üblichen auffallen. Der Gemüsehandel wickelt sich hier
vorwiegend auf der Straße ab. Die meisten Händler haben so einen zweirädrigen
Wagen, auf dem bieten sie ihre Sachen feil. Z.Zt. werden vorwiegend Bohnen,
Kartoffeln, dann Birnen und verschiedene Zwetschgenarten angeboten. Weiter ist
auffällig, daß hier auf dem Lande die Bauern mit großen zweirädrigen Wagen
fahren. Das sieht für unsere Begriffe etwas komisch aus, es wird sich hier aber
nach den Erfordernissen für zweckmäßig herausgestellt haben. Meistens haben
diese Wagen zwei mächtig große Räder mit einem Wagenkasten darauf. Die
Bevölkerung bevorzugt hier vielmehr das Tandem (Fahrrad für zwei Personen). Ich
habe schon beobachtet, daß da eine ganze Familie darauf ausfährt. Die Bettelei
ist hier auch sehr an der Tagesordnung. Sitzt man irgendwo in einer Wirtschaft,
so kommt bestimmt nach einiger Zeit ein Bettler oder ein Kind zum Betteln. Ich
konnte vor einiger Zeit beobachten, wie auf der Straße ein Kind einem Soldaten
einen Zettel in die Hand drückte auf dem zu lesen war, daß daheim eine Familie
mit mehreren Kindern ohne Brot sei. Der Soldat hat das Kind, weil es gar zu
aufdringlich war, wieder an die NSV verwiesen. Die NSV und damit auch der
Hilfszug Bayern hat sich hier in ganz großzügiger Weise für die notleidende
Bevölkerung eingesetzt. Von mir bekommt niemand etwas, weil ich der Ansicht
bin, daß es Sache der Franzosen ist, für ihre eigenen Volksgenossen aufzukommen.
Wie ich überhaupt nicht verstehen kann, daß sich deutsche Soldaten für einzelne
Franzosen einsetzen, damit diesen Arbeit oder sonst etwas zugewiesen wird. Bei
mir stoßen dann aber beide Teile auf Granit. An den Ausgabestellen der NSV
steht dann die Bevölkerung Schlage, um ihr Teil zu bekommen von dem, war dort
verteilt wird.
Die Ansichtskarte, die ich im letzten
Brief mitgesandt habe, wirst Du wohl erhalten haben. Auf dem Turm, der darauf
abgebildet ist, war ich dieser Tage. Man hat da einen sehr schönen Blick in die
ganze Umgebung, so daß man von dort oben einen Gesamteindruck über die Gegend
gewinnen kann. Fast bis hinauf kann man mit dem Fahrstuhl fahren. Wie überhaupt
im Hause kaum noch Treppen gestiegen werden, denn wir haben hier unseren
Fahrstuhl.
Soeben erhielt ich von Siegfried einen
Brief aus Weimar. Er schreibt, daß er sich jetzt vor mir verstecken müßte,
nachdem ich jetzt hier diese Stelle einnehmen würde. Ich glaube, daß es halb so
schlimm sein wird. Weiter teilt er mit,
daß er schon ziemlich herumgekommen sei und wie ich aus den Orten ersehe, ist
er hier in Belgien und auch in Nordfrankreich in den verschiedensten Orten
gewesen. Er gibt auch seiner Hoffnung Ausdruck, daß wir uns vielleicht einmal
hier treffen. Ich werde ihm bald auf sein Schreiben antworten.
Diesmal habe ich Dir wieder einiges mehr geschrieben,
hoffentlich bist Du mir deshalb nicht böse. Bleibt Ihr alle gesund und sage
unseren beiden Rangen, daß sie Dir folgen sollen. Euch alle grüße und küsse ich
vielmals, Dich aber wieder besonders. Denke auch bald wieder mit einem Schreiben
an Deinen Ernst.
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