Sonntag, 12. Juli 2015

Brief 26 vom 11./12.7.1940


Meine liebe Annie!                                                          Lille, den 11.Juli 1940

Nachdem ich nun auch gestern um 9 Uhr, also anschließend nach dem Essen heimgekommen bin, ist heute dieser Fall schon wieder eingetreten. Meine „bonne“ fragt schon immer, ob sie die Türe schließen kann. Sie erwartet also doch normalerweise, daß man um diese Zeit noch gut ausgehen kann. Da ich nun aber noch die Aufgabe habe, Dir zu schreiben, so habe ich es doch vorgezogen, heimzugehen. Du siehst ja dabei wieder, welch erzieherischen Einfluß Du auch noch in der Ferne auf mich ausübst. Ich tröste mich aber trotzdem noch mit einem Schluck Cherry Brandy, den ich mir zugelegt habe, damit ich daheim an solchen Abenden nicht ganz trocken sitzen muß. Ich habe Dir ja schon einmal geschrieben, aus welchem Grunde man hier diese Getränke zu sich nimmt. Bei unseren Verhältnissen daheim werde ich dann diese Mätzchen wieder ganz von selbst bleiben lassen.
Einer Sache bin ich jetzt so ziemlich auf die Spur gekommen. Mein Einsatz hier ist mit aller Wahrscheinlichkeit darauf zurückzuführen, daß ich mich seinerzeit nach Polen gemeldet hatte. Es ist zwar etwas anderes daraus geworden, doch vielleicht habe ich noch das Glück, nachdem wir Soldaten ja doch nicht heimkönnen, mit nach England dann zu kommen.
Bei der Stärke des Reichs und der Schlagkraft unserer Wehrmacht fängt man auf einmal anders zu denken an. Man weiß nur noch eins, daß wir über England siegen werden und daß dieser Sieg nicht mehr lange auf sich warten lassen wird.
Heute beim Mittagessen ist uns wieder ganz Besonderes serviert worden. Die Vorspeisen, bestehend aus Pilzen und Kartoffelbrei wurde in Muscheln wie wir sie als Aschenbecher kennen, aufgetragen. Ja, für Abwechslung wird gesorgt.
Eine weitere Kleinigkeit habe ich Dir heute wieder gekauft; ich glaube aber, ich muß diese Andeutungen ganz weglassen, sonst wirst Du in Deiner Neugier ja ganz ungenießbar. Wie gesagt, Sorge macht nur die Übersendung. Doch da wird auch noch ein Weg und ein Rat zu finden sein. Post habe ich ja immer noch nicht von Dir erhalten, doch das kann ja auch noch nicht möglich sein.
An Nanni werde ich auch noch schreiben, damit ich einmal meine Schreibverpflichtung wieder erledige. An den Kamerad Gloger werde ich auch demnächst schreiben. Hast Du inzwischen die Schuhe schon erhalten und wenn ja, ist es das richtige? Du wirst mir ja zu gegebener Zeit berichten.
Nimm Du liebes Mädel wieder viele herzliche Grüße und Küsse entgegen von Deinem Ernst.
Küsse unsere beiden Strolche in meinem Auftrag herzlich. Vater grüße bitte von mir. –


Meine liebe Frau!                                                                 L., den 12.7.1940

Seit meinem kurzen Besuch bei Euch sind nun wieder 14 Tage verstrichen und annähernd 2 Monate, seit ich überhaupt einziehen mußte.
Wie lange mir nun die Zeit erscheint, dabei gehen doch im sonstigen Alltag diese Tage nur so dahin, ohne daß man  groß Notiz davon nimmt.
Seit diesen 14 Tagen habe ich nur einmal Post von Dir erhalten. Obwohl ich genau weiß, daß Du nicht daran schuldig bist, weil es durch die Änderung, die  nun einmal eingetreten ist, sich ergibt, so würde ich mich doch wieder freuen, wenn ich wüßte, wie alles bei Euch daheim steht.
Ich stelle mir wohl vieles vor, was Ihr wohl macht oder wie es sonst gehen wird, aber dabei fehlt mir doch die Gewißheit über alles, die ich dann aus Deinen Briefen herauslese.
In dieser Beziehung bist Du ja entschieden besser dran, denn den größten Teil meiner Briefe wirst Du wohl schon haben.
Der Dienst geht nun tagaus tagein seinen üblichen Gang mit den verschiedenen Abwechslungen. Eine Unterbrechung unseres Tagesprogramms ist nur dadurch eingetreten, daß wir heute Abend eine Theatervorstellung hatten, wie Du aus den beigefügten Eintrittskarten ersehen kannst. Es war nun nicht gerade überragend, aber immerhin haben wir uns heute Abend billig unterhalten. Durch diese Vorstellung ist es schon 1/2 12 Uhr geworden und ich bin heute auch nicht eher zum Briefschreiben gekommen. Du wirst daher für heute entschuldigen, daß ich schon Schluß mache.
Wahrscheinlich werde ich am Sonntag Dienst haben, wobei ich wahrscheinlich wieder etwas länger schreiben werde, vorausgesetzt, daß ich sonst nicht daran gehindert werde.
Gute Nacht liebes Mädel, küsse unsere beiden Stromer herzlich von mir und sie sollen nur ja brav bleiben. Du selbst sei aber vielmals und herzlich gegrüßt und geküßt von Deinem Ernst.

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