Donnerstag, 30. Juli 2015

Brief 38 vom 31.7. bzw. 2.8.1940


Meine liebe kleine Frau!                                                      O.U. den 31.Juli 1940          

Heute habe ich Deinen lieben Brief vom 26. erhalten, für den ich Dir wieder herzlich danke. Man spannt immer, wenn die Post kommt, ob man auch mit betroffen wird. Man kann ja nicht jedes Mal dabei sein, aber man wird mit der Zeit anspruchsvoll. Ich bin ja mit Deiner Schreiberei auch in jeder Beziehung zufrieden und kann ja auch nicht klagen.
Was die Briefmarken anbelangt, so kaufe diese nur, soweit Du es mit dem Gelde machen kannst. Mit den Lindenblüten seid Ihr ja wieder fleißig gewesen und wenn Ihr noch einmal gegangen seid, so habt Ihr ja schon sicher ein ganz schön Teil geholt. Die Geburtstagskarte erhielt ich von Frl. Hierholzer. Wo sie meine Adresse her erfahren hatte, weiß ich selbst nicht, jedenfalls war ich selbst ganz erstaunt. Ich habe ihr schon darauf schreiben wollen. Erst einen Brief, jetzt habe ich mich aber  zu einer Karte entschlossen, doch habe ich noch keine da. Ich werde mir erst welche besorgen lassen.
Was nun die Erdbeeren betrifft, so kann man diese Mitte August bis in den September hinein umsetzen. Vor allem nur immer die kräftigen Setzlinge. Du kannst ja noch einmal im Kalender nachsehen, ob da vielleicht auch noch die Umsetzzeit vermerkt ist. Ich denke, Du wirst sie am besten oberhalb der neu angelegten Beete setzen. Es wird ratsam sein, wenn man wieder genau soviel Reihen anlegt wie im letzten Jahr. Die alten Erdbeeren bei den Johannisbeeren kann man auch jetzt mit wegmachen. Deine landwirtschaftlichen Erfolge sind ja ganz erfreulich. Ja, das macht Spaß, wenn man es vorher die ganze Zeit gehegt und gepflegt hat.
Heute habe ich wieder ein Päckchen, von dem ich gestern schon geschrieben habe, an Dich fertig gemacht und mit abgesandt. Ich will nur hoffen, daß alles richtig ankommt, denn es hat ja schließlich einige Mark gekostet, die man nicht gerne auf diese Weise verlieren will. Auch hierbei möchte ich nur wünschen, daß alles Deinem Geschmack entspricht. Probiere nur einmal diese Sachen an, damit ich weiß, ob alles paßt. Wenn Du hier wärst, könnte man Kleider oder ähnliche Sachen für billiges Geld kaufen. So gibt es Sommerkostüme schon ab 15 RM bis 30 RM. So etwas kann man aber nicht so kaufen, weil man ja dann nicht weiß, ob alles sitzt und paßt. Ich habe mich deshalb mehr auf den Kauf von Stoff verlegt, den Du dann selbst verarbeiten kannst, oder auch machen lassen kannst. Soll ich Dir noch so einen Kragen kaufen oder so etwas ähnliches? Wenn Du irgendwelche Wünsche oder Vorschläge hast und ich kann sie Dir einigermaßen erfüllen, so will ich diese gerne berücksichtigen. Die Größenmaße sind aber in allem hier erforderlich. Ich habe bis jetzt meist nach Augenmaß gekauft.
Gestern war ich wieder im Theater beim Bunten Abend des Weimarer Nationaltheaters. Das war wieder eine ganz große Sache. Im ersten Teil wurden Stücke aus Wagnerschen Opern (Fliegender Holländer- Ouvertüre-, Lohengrin, Feuerzauber aus den Nibelungen und aus dem Freischütz von C.M. v. Weber) durch das Orchester und teils auch gesangliche Darbietungen vorgetragen. Im zweiten Teil kamen dann etwas leichtere Sachen zur Darbietung. Außerdem kamen dann noch die Solotänzer und die -rinnen (ist das nicht etwa schön) sowie das Staatsballett mit ihren Vorführungen an die Reihe. Es war auch dies ein schöner Abend. Schade ist nur, daß Du bei diesen Sachen  nicht mit dabei sein kannst, denn Du hättest sicher auch Deine Freude daran.
Heute habe ich auf meinem Schreibtisch einen Strauß Blumen bekommen. Es hat geheißen, wir sollten jetzt immer welche bekommen. Wir wollen einmal sehen, ob es wahr ist. Jedenfalls macht dies einen sehr freundlichen Eindruck.
Ich werde heute noch an Siegfried schreiben, weil ich diesen Abend nicht ausgehe. Ich bleibe gleich im Amt um die Sachen alle fertig zu machen.
Ich lege Dir heute einmal einen Zettel bei von meiner Abendbrotabrechnung. Das erste ist eine große Flasche roter Bordeauxwein. Der nächste Posten ist Kotelett mit Salat, der weitere Betrag ist für Brot in Rechnung gestellt und für 2 fr. habe ich dann Käse gegessen. Die große Flasche Wein reicht mir meistens für 3 Essen, so daß für den heutigen Abend nur 1/3 in Anrechnung käme. So hat alles in allem 1,15 RM gekostet. Ich bin dann aber auch wieder reichlich gesättigt heimgegangen. Es sind dies nun meist nicht die Portionen, wie wir sie daheim gewöhnt sind, doch bei uns in den Wirtschaften wird man ja meistens auch nicht überfüttert und muß dafür auch entsprechend mehr hinlegen. Ich nehme an, daß Dich dies auch einmal interessiert.
Für heute möchte ich nun wieder einmal Schluß machen. Ich habe Dir wieder einiges geschildert und auch beantwortet.  Ich nehme an, daß Du zufrieden bist. Sei Du mit den Kindern herzlich und auch sehr oft gegrüßt und geküßt von Deinem Ernst.


Meine liebe Annie!                                                                  O.U. , den 2.8.1940

 Heute erhielt ich zusammen zwei Briefe von Dir. Der eine war vom 19. und der andere vom 27.
Ich glaube, auf dem ersten Brief muß jemand draufgesessen haben. Ich habe ihn ja nun doch bekommen und das freut mich ja. Dein letzter Brief drückt eine Stimmung aus, die sehr wehmütig klingt, die ich an meinem tapferen Mädel in dem starken Maße noch nie bemerkt habe, außer da, wo ich direkt von Euch fort bin.
Du hast wohl recht, daß ich hier ein ziemlich ungebundenes Leben führe, auch hast du recht, wenn Du schreibst, ich habe hier mein Auskommen, aber Deine Befürchtung, daß es mir bei Euch nicht mehr gefallen würde, wenn ich wieder heimkomme, besteht zu Unrecht.
Das ist es ja gerade, daß ich bei Euch m e i n  D a h e i m  habe, was mir hier so fehlt. Um Euch kreisen ja meistens meine Gedanken und ich bemühe mich, dir dies dadurch zu beweisen, daß ich Dir bald jeden Tag schreibe. Gestern bin ich zwar nicht dazugekommen, doch heute möchte ich dies trotz der späten Abendstunde - es ist bereits 11 Uhr - nicht versäumen.
Ich war gestern und heute in unserem KdF-Theater, wo z.Zt. ein Variete -Programm mit Rudi Rauber vom Sender Köln läuft. Neben unserer Arbeit ist dies auch alles, was wir hier haben. Du schreibst, Du hättest wohl die Kinder, doch über alles kannst Du mit ihnen nicht sprechen. Das stimmt, doch über vieles kannst Du mit ihnen reden, während ich hier nur fremde Menschen um mich herum habe.
Liebes Mädel, ich bitte Dich, nur nicht kleinmütig zu werden, Kopf oben behalten und an mich denken, unter welchen Umständen ich hier leben muß.
Mit den Schuhen hast du ja Pech gehabt. Da hättest Du sie bald auch so daheim bekommen. Na, ich werde versuchen, Dich von hier aus mit etwas anderem zu entschädigen.
Ich habe dieser Tage hier einen Befehl in die Hand bekommen, wonach ab sofort durch uns, die wir alle hier drüben sind, monatlich vier Pakete zu 1 Pfd. und wenn man in Urlaub fährt, ein Paket mit 20 Pfd.  a b g a b e f r e i  heimschicken bezw. -bringen darf. Ich möchte hoffen, daß Dir die Schuhe auch so zusagen, doch wenn man das gewußt hätte, so würde ich doch die Schuhe gleich mitgebracht haben.
Das ist ja auch nicht schlecht, wenn meine Kameraden tatsächlich entlassen würden. Ich sitze jedenfalls hier mit der Gewißheit, das Ende des Krieges abwarten zu dürfen. Das glaube ich aber bestimmt, daß ich zwischendrin auch einmal auf Urlaub kann. Doch davon müssen wir heute noch träumen. Schlafe nun gut mein liebes Mädel und sei Du mit unseren beiden Bengels vielmals und herzlich gegrüßt und geküßt von Deinem Ernst.
Ich sende Dir so nach und nach wieder Deine Briefe mit zurück, die Du mir geschickt hast. Ich bitte Dich, diese mir mit zu den anderen zu legen. Übrigens dem Brief vom 27. hat kein Bild beigelegen. Hast es sicher vergessen. Bei den Zwiebeln muß man das Kraut jetzt umlegen und so weiter wachsen lassen, ebenfalls muß man die Blüten ausknicken.

Brief 37 vom 30.7.1940


Meine liebe Frau!                                                      O.U., den 30.Juli 1940

Heute erhielt ich Deinen Brief vom 25. für den ich Dir herzlich danke. Ich weiß nicht, ob Du in der Zeit vom 22., von dem Dein letzter Brief war, bis zu Deinem heutigen Brief nicht wieder geschrieben hast. Es kann ja sein, daß der eine oder andere Brief einmal liegen bleibt, doch mir ist dies diesmal aufgefallen und ich frage Dich deshalb nur darum. Wenn Du einmal keine Zeit zum Briefeschreiben haben solltest, so nehme ich Dir dies auch durchaus nicht übel, nur wissen möchte ich dies. Ich werde dies ja in den nächsten Tagen sehen, ob noch einer aus den dazwischen liegenden Tagen eintrifft.
Deine Frage wegen des O.U. will ich Dir gleich dahin beantworten, daß das heißt Ort der Unterkunft. Ich habe früher wohl den Ort selbst angegeben, halte es aber nicht in jedem Falle für ratsam, immer den Wohnort anzugeben, aus den Dir bekannt Gründen.
Daß ich Dir mit meinem Schreiben, daß mit dem Urlaub wahrscheinlich nichts zu machen sei, eine große Enttäuschung bereitet habe, tut mir ja außerordentlich leid, doch zu diesem Falle habe ich Dir ja vor einigen Tagen schon geschrieben.
Ja, der Anzug soll im Laufe dieser Woche oder am Anfang der nächsten Woche fertig werden. Ich muß nun erst einmal sehen, wie der ausfällt. In der Zwischenzeit habe ich mir noch Stoff für einen weiteren Anzug gekauft, für einen hellen Anzug. Ich weiß gar nicht mehr, ob ich Dir dies schon mitgeteilt habe. Ob ich mir diesen Anzug auch noch hier machen lasse, muß ich erst einmal sehen.
Ich hatte die Absicht, Euch ein weiteres Päckchen zugehen zu lassen mit einem Nachthemd, einem Taghemd, ein Paar Strümpfen, alles für Dich. Außerdem habe ich noch zwei Paar Söckle für die Kinder mit beigefügt. Ich weiß nicht, ob sie zu groß sind. Das mußt Du dann selbst einmal sehen, denn ich weiß die Nummer nicht genau. Ich werde dieses ja dann sehen, wenn Du mir darüber dann schreibst.
Soeben erhalte ich Dein Päckchen vom 23. mit den lieben Zeilen von Dir. Jetzt ist für mich kein Zweifel mehr, daß ich Dir morgen gleich die noch hier liegenden Sachen zugehen lasse. Ich habe mich vor allem wieder über Deine ausführlichen Ausführungen gefreut, auch über das, was unser Strolch wieder angestellt hat. Das sieht ihm wieder einmal so richtig ähnlich. Sage ihm aber, er soll sich nur tüchtig zusammennehmen.
Gefreut habe ich mich zwar über das Briefpapier, aber es war nicht nötig, denn hier sind ja solche Sachen vorhanden und alles wird hier geliefert. Über die vielen Küsse von Helga und auch über die 100 Küsse von ihr habe ich mich ebenfalls gefreut. Jörgs Unterschrift ist ja immer noch dieselbe, aber die Datumsangabe nimmt er immer noch mit derselben Sorgfalt vor. Es war wieder ein Brief, der mich richtig gefreut hat. Was mein ganzer Stolz ist, ist ja, daß die Sachen, die ich hier eingekauft habe, alle bei Dir richtig eingetroffen sind und daß auch die Handschuhe passen. Ich werde in den nächsten Tagen noch ein paar hellere hier kaufen und werde versuchen, wieder das richtige zu treffen. Die Größe ist ja sicher richtig. Wenn Du Kakao oder etwas Ähnliches brauchst, so mußt Du mir dies mitteilen. In den nächsten Tagen werde ich den noch hier liegenden Kaffee an Dich absenden, da kannst Du welchen trinken, denn ich bekomme ja hier auch immer Bohnenkaffee. Was für mich recht ist, ist ja auch für Dich gut. Ich habe mich auch darüber gefreut, daß die Bilder, die in Köln gemacht worden sind, Dir so gut gefallen. Ich habe mich auch bei dem Fotografen darüber herzlich bedankt.
Die Sache mit Pfluger geht ja vollkommen in Ordnung. Es muß diesen Leuten ja auch nicht alles gelingen, was sie sich in den Kopf setzen. Das Lob, was Dir Zahn ausgesprochen hat, muß ja schon der Wahrheit entsprechen, denn bei diesem Mann will dies viel heißen, ehe er sich dazu herbeiläßt. Mache nur weiter so, dann ist schon alles in Ordnung.
Ihr meine Lieben alle, seid vielmals herzlich gegrüßt und geküßt, Helga soll ihre 100 Grüße und Küsse von mir zurückbekommen, doch denke ich, daß Dir das ein bißchen viel Mühe machen wird und Jörg wird dann evtl. neidisch werden. Du aber sei, wie immer, besonders herzlich gegrüßt und geküßt von Deinem Ernst.

Mittwoch, 29. Juli 2015

Brief 36 vom 29.7.1940


Meine liebe Annie!                                                   O.U., den 29. Juli 1940

 Das Sechstagerennen hat wieder begonnen und der Sonntag liegt wieder hinter mir. Ich muß immer dran denken, wie Ihr wohl jetzt die Sonntage verbringen werdet. Es wird sich ja wohl in erster Linie nach dem Wetter bei Euch richten. Das hiesige Wetter kann ich ja niemals zum Vergleich für das Wetter bei Euch heranziehen, denn darüber habe ich Dir ja schon genug geschrieben.
Gestern Vormittag war ich hier im Hallenbad und habe mich wieder einmal gründlich gesäubert. Der Preis beträgt 3,50 frc. = 17,1/2 Pfg. Da kann man ja nicht viel sagen. Man kann sich erst waschen, dann in der Halle schwimmen, weiterhin ist noch ein Dampfraum da und zuletzt noch ein Trockenraum. Es ist zwar noch etwas altmodisch eingerichtet, doch wir leben ja im Kriege und die Hauptsache ist, daß ich mich wieder richtig frisch fühle. Anschließend bin ich aufs Amt gegangen und habe Deinen Eltern auf ihren Brief geantwortet. Es war dann inzwischen Zeit zum Mittagessen geworden. Es gab als Vorspeise Pastete mit Pilzfüllung und Oliven und Soße. Als Hauptgang Kartoffeln mit gebratenem Huhn, Erbsen und gelbe Rüben. Das klingt zwar nach sehr viel, ist aber nicht das kräftige Essen, wie wir es daheim gewöhnt sind. Als Nachspeise hatten wir so eine Art Blätterteigkuchen. Nach dem Mittagessen bin ich mit der Straßenbahn etwa 1/2 Stunde nach Roubaix gefahren. Das ist hier einer der nächsten größeren Orte. Die Straßenbahn kostet für uns Wehrmachtsangehörige ja nichts, warum soll man dann nicht einmal davon Gebrauch machen. Ich habe mir diesen Fabrikort angesehen und mich auch informiert, ob es noch verschiedenes zu kaufen gibt. Zurück zu bin ich durch die einzige Parkanlage, die es hier im weiten  Umkreis gibt, gelaufen und habe dann am Ende dieser Anlage mich auf den Strom geschwungen, um wieder nach hier zu kommen. Ich hatte dann die Absicht ins Kino zu gehen, doch wegen Überfüllung war kein Platz mehr zu haben. Ich hatte dann einen unserer Schreiber getroffen, der mir erzählte, daß vor dem Theaterplatz ein Konzert unserer Wehrmacht stattfindet. Bei einem Glas Wein habe ich dem Konzert zugehört und habe gleichzeitig noch ein Schinkenbrot gegessen. Mein weiterer Weg führte mich dann wieder zum Theater, wo ich mir „Die 4 Gesellen“ angesehen habe. Siehst Du, so vergeht bei uns hier ein Sonntag. Man muß nur immer wieder zusehen, was man anstellt, wenn man einmal nicht arbeiten muß. Die Programme meiner letzten Theaterbesuche füge ich bei, vielleicht interessiert es Dich.
Am Samstag war ich noch in der Oper „Tiefland“. Auch dieses Stück war bei den guten Kräften wieder ein Erlebnis. Vor allem sind ja diese Dinge hier kostenlos. Der Hauptmacher dieser KdF-Bühnen ist mir sehr gut bekannt, so daß ich ungehindert überall Zutritt mit oder ohne Eintrittskarte bekomme. Im Übrigen ist man ja hier auch gar nicht so genau.
Post habe ich gestern auch wieder noch nicht erhalten, so habe ich also keine Möglichkeit auf etwas Bezug zu nehmen. So möchte ich denn einmal von einigen Sachen berichten, die mir hier wieder im Gegensatz zu dem bei uns üblichen auffallen. Der Gemüsehandel wickelt sich hier vorwiegend auf der Straße ab. Die meisten Händler haben so einen zweirädrigen Wagen, auf dem bieten sie ihre Sachen feil. Z.Zt. werden vorwiegend Bohnen, Kartoffeln, dann Birnen und verschiedene Zwetschgenarten angeboten. Weiter ist auffällig, daß hier auf dem Lande die Bauern mit großen zweirädrigen Wagen fahren. Das sieht für unsere Begriffe etwas komisch aus, es wird sich hier aber nach den Erfordernissen für zweckmäßig herausgestellt haben. Meistens haben diese Wagen zwei mächtig große Räder mit einem Wagenkasten darauf. Die Bevölkerung bevorzugt hier vielmehr das Tandem (Fahrrad für zwei Personen). Ich habe schon beobachtet, daß da eine ganze Familie darauf ausfährt. Die Bettelei ist hier auch sehr an der Tagesordnung. Sitzt man irgendwo in einer Wirtschaft, so kommt bestimmt nach einiger Zeit ein Bettler oder ein Kind zum Betteln. Ich konnte vor einiger Zeit beobachten, wie auf der Straße ein Kind einem Soldaten einen Zettel in die Hand drückte auf dem zu lesen war, daß daheim eine Familie mit mehreren Kindern ohne Brot sei. Der Soldat hat das Kind, weil es gar zu aufdringlich war, wieder an die NSV verwiesen. Die NSV und damit auch der Hilfszug Bayern hat sich hier in ganz großzügiger Weise für die notleidende Bevölkerung eingesetzt. Von mir bekommt niemand etwas, weil ich der Ansicht bin, daß es Sache der Franzosen ist, für ihre eigenen Volksgenossen aufzukommen. Wie ich überhaupt nicht verstehen kann, daß sich deutsche Soldaten für einzelne Franzosen einsetzen, damit diesen Arbeit oder sonst etwas zugewiesen wird. Bei mir stoßen dann aber beide Teile auf Granit. An den Ausgabestellen der NSV steht dann die Bevölkerung Schlage, um ihr Teil zu bekommen von dem, war dort verteilt wird.
Die Ansichtskarte, die ich im letzten Brief mitgesandt habe, wirst Du wohl erhalten haben. Auf dem Turm, der darauf abgebildet ist, war ich dieser Tage. Man hat da einen sehr schönen Blick in die ganze Umgebung, so daß man von dort oben einen Gesamteindruck über die Gegend gewinnen kann. Fast bis hinauf kann man mit dem Fahrstuhl fahren. Wie überhaupt im Hause kaum noch Treppen gestiegen werden, denn wir haben hier unseren Fahrstuhl.
Soeben erhielt ich von Siegfried einen Brief aus Weimar. Er schreibt, daß er sich jetzt vor mir verstecken müßte, nachdem ich jetzt hier diese Stelle einnehmen würde. Ich glaube, daß es halb so schlimm sein  wird. Weiter teilt er mit, daß er schon ziemlich herumgekommen sei und wie ich aus den Orten ersehe, ist er hier in Belgien und auch in Nordfrankreich in den verschiedensten Orten gewesen. Er gibt auch seiner Hoffnung Ausdruck, daß wir uns vielleicht einmal hier treffen. Ich werde ihm bald auf sein Schreiben antworten.
Diesmal habe ich Dir wieder einiges mehr geschrieben, hoffentlich bist Du mir deshalb nicht böse. Bleibt Ihr alle gesund und sage unseren beiden Rangen, daß sie Dir folgen sollen. Euch alle grüße und küsse ich vielmals, Dich aber wieder besonders. Denke auch bald wieder mit einem Schreiben an Deinen Ernst.

Sonntag, 26. Juli 2015

Brief 35 vom 26./27.7.1940


Meine liebe gute Annie!                                                   O.U., den 26.Juli 1940

Heute erhielt ich Deinen Brief vom 21., sowie zwei weitere Päckchen mit Zeitungen, wofür ich Dir wieder herzlich danke.
Ich bedaure nur, daß ich Dir mit meinem voreiligen Schreiben wegen des Urlaubs Hoffnungen gemacht habe, die nun leider nicht eintreffen. Du hast ja inzwischen mein weiteres Schreiben erhalten, worin ich Dir diese Nachricht leider geben mußte. Trösten wir uns und warten weiter, bis sich die Möglichkeit bietet. Eines kann ich Dir ja versichern, daß ich, sobald sich diese Möglichkeit bietet, dann zu Euch komme. Halte also weiter den Kopf steif, es wird schon gut werden.
Als weitere Post ging ein Schreiben Deiner Eltern ein. Einen Durchschlag von diesem Schreiben wirst Du wahrscheinlich schon in der Hand haben, weil die Eltern an dem gleichen Tage auch an Dich geschrieben haben. Ich habe mich sehr darüber gefreut. Ich werde ihnen schreiben, daß ich zurzeit keine Wünsche habe, denn es geht mir hier nichts ab, oder meinst Du ich soll irgendetwas äußern?
Ich wüßte aber eigentlich nicht, was ich mir wünschen sollte. Ich werde den Brief demnächst dann wieder mit beantworten.
Herrn Naumann, der Dir die Bilder zugehen ließ, habe ich heute auch geschrieben.
Gestern war ich in „Die verkaufte Braut“. Heute habe ich vor in „Raub der Sabinerinnen“ zu gehen. Ich habe mich gestern auch wieder ausgezeichnet unterhalten. Wie ich Dir früher schon einmal geschrieben habe, ist man während diesen Vorstellung nicht im Ausland oder im Krieg, sonder man fühlt sich direkt in der Heimat. Dies soll ja auch schließlich mit diesen Vorstellungen bezweckt werden.
Dienstlich wäre zu berichte, daß ich wieder in ein anders Zimmer gekommen bin, doch das ist weniger von Bedeutung, weil dieser Fall öfter eintritt. Bei uns ist hier noch alles im Aufbau begriffen, so daß man sich vielmals umstellen muß. Mir macht dies auch groß keine Schwierigkeiten, weil ich mich schließlich in jeder Lage und auch in jeder Arbeit zurecht finde. Die Arbeit selbst sagt mir bis jetzt immer noch zu. Ich habe hier jetzt vor allem das Passierscheinwesen und was damit zusammenhängt. Ein anderer Herr, der hier das Transportwesen und sämtliche Autofragen, sowie -zulassungen bearbeitet, hat mich schon wiederholt gebeten, ich soll mich dieser Aufgabe widmen. Mir ist es ja gleich, Hauptsache ist,  ich habe meine Arbeit und der Tag geht rum. Dafür ist allerdings auch gesorgt. Wir sind zwar dabei, den Franzosen einen Teil der Arbeit zu übergeben, doch ob dadurch eine Entlastung eintritt, wird sich ja zeigen. So das war einmal ein bißchen dienstlich, soweit es im Briefe zulässig ist.
Wenn du weiter Päckchen erhältst, so schreibe mir bitte. Heute ist uns mitgeteilt worden, daß wir ab nächstem Monat im Monat vier Pakete zu je 1 Pfd. nach hause schicken können. Das bedeutet für mich schon eine wesentliche Erleichterung, weil ich noch verschiedene Sachen daliegen habe, die das jetzt zulässige Gewicht überstiegen haben.
Was mich anbetrifft, na so kann ich sagen, daß ich mich soweit wohl fühle und daß es mir auch gesundheitlich gut geht. Ich habe mich auch gefreut, als ich in einem Deiner letzten Briefe las, daß Du Dich auch wohl fühlst, daß Deine Kreuzschmerzen aufgehört haben und daß Ihr alle gesund seid. Macht nur weiter so.
Ich grüße und küsse Euch drei heute wiederum vielmals und herzlich, Du aber sei wieder besonders gegrüßt und geküßt von Deinem Ernst.


Meine liebe Annie!                                                                  O.U., den 27.Juli 1940

Die Tage vergehen und ehe man sich umsieht, ist wieder eine Woche um. Wie im Fluge vergehen die Tage, Wochen und, wenn ich an den Einberufungstag zurückdenke, die Monate. Wir haben bei unserer Arbeitszeit und dem Arbeitsanfall immerhin ein Tempo zu entwickeln, daß man gar nicht merkt, wie schnell die Zeit vergeht. Dies kommt bei uns auch vor allem daher, weil wir einen Tag wie den andern arbeiten. Samstags wurde bei uns daheim bis zum Mittag gearbeitet und der Sonntag war frei. Diese Einrichtungen gelten im Allgemeinen hier nicht. Sonntag früh geht man auch noch einmal aufs Büro um zu sehen, ob Post da ist, vorausgesetzt, daß man nicht zum Bereitschaftsdienst eingesetzt ist. Vom Samstag selbst braucht man ja gar nicht zu reden. Na, wir gehören zum Kommis und müssen uns damit abfinden. Ich habe ja hier auch keinen Anlaß zur Klage, da uns in vieler Hinsicht Vergünstigungen eingeräumt sind, die andere vielleicht nicht haben.
Seit einigen Tagen ist der Kamerad krank, mit dem ich sonst immer ausgegangen bin, nun habe ich mich während dieser Tage an das Theater gehalten. Ich habe mich wieder einmal richtig auslachen können. Es ist ein Stück, was so um die Jahrhundertwende spielt und ausgerechnet muß auch ein Sachse darin auftreten, der mit seinem Dialekt und seinem sächsischen Gemüt von einem Extrem ins andere bringt. Für heute Abend habe ich mich eines anderen besonnen und möchte die verschiedenen Briefe, die ich hier noch vorliegen habe, beantworten. Ich muß einmal sehen, was ich davon heute los bekomme.
Post ist von Dir heute noch keine eingegangen, doch  ich will nicht undankbar sein, denn ich kann wohl sagen, daß Du im Schreiben, sowie im Päckchen senden sehr fleißig gewesen bist. Bei uns wird die Post früh am Nachmittag geholt, so kann es ja sein, daß am Nachmittag für mich wieder etwas dabei ist.
Letzthin habe ich Dir eine unserer Zeitungen zugehen lassen. Ich schilderte Dir doch von dem Bild von Konstanz was darin abgedruckt war. Ich hatte nun so gedacht, Du bringst das dem Verkehrsamt in Konstanz und sagst ruhig, daß ich bei der Stadtverwaltung angestellt bin und daß ich der Ansicht bin, daß sich diese Stelle vielleicht dafür interessiert. Du kannst ja sehen, ob die Zeitung ankommt und ob Du Lust hast, dies zu tun.
Ich bedauere nur außerordentlich, daß ich Dir wegen des Urlaubs so eine Enttäuschung bereiten mußte. Ich denke aber, daß Du Verständnis dafür haben wirst und den Kopf trotzdem oben behältst. Die Zeitungen habe ich schon z.T. ausgelesen und werde sie, nachdem sie die Kameraden gelesen haben, an die Leute hier im Hause weitergeben. So kann man mit diesen Sachen immer noch propagandistisch wirken. Ich danke Dir nochmals für die Zusendung.
Ja ich würde mich freuen, wenn ich Siegfried einmal hier begrüßen könnte. Hier ist ein Kriegslazarett eingerichtet worden, das wahrscheinlich demnächst wieder Kranke an die Heimat abgeben muß. Es ist hier allerdings fraglich, ob ausgerechnet der Zug in Frage kommt, bei dem Siegfried ist. Am besten wird es sein, man überläßt dies alles dem Zufall.
Nachdem ich hier so mitten im Getriebe sitze, so hört und sieht man vieles und man kommt auch mit vielen Menschen zusammen, die einem über dies und jenes Auskunft geben können. So auch mit dieser Erkundigung wegen dem Lazarett.
Ich möchte den Brief heute noch mitgehen lassen, damit die Kette nicht abreißt. Sei du liebe Annie wieder herzlich gegrüßt und geküßt von Deinem oft an dich denkenden Ernst.
Unseren beiden Rangen wieder die herzlichsten Grüße und Küsse. Grüße auch wieder Vater von mir, damit er nicht denkt, ich hätte ihn etwa vergessen.

Brief 34 vom 25.7.1940


Meine liebe Frau!                                                      O.U., den 25.Juli 1940

Gestern habe ich einmal geschwänzt und habe Dir keinen Brief schreiben können. In meiner Freizeit habe ich mich an den Brief für unseren Jörg gemacht. Am Abend habe ich weitere Post erledigen wollen, doch in bin dann an unserem Theater vorbeigekommen und bin dann sozusagen hineingefallen. Es war sehr unterhaltend, doch daß ich gestern Dir nicht geschrieben habe, hat mich etwas gedrückt. Es wurde im Theater so ein richtiges Volksstück gegeben, das einen wieder für die Zeit der Spieldauer aus der ganzen Umgebung gehoben hat. Man fühlte sich während dieser Zeit immer wieder in Deutschland. Dieser Tage sollen hier durch das Weimarer Staatstheater musikalische Werke aufgeführt werden. U.a. sollen „Die verkaufte Braut“ von Smetana und „Tiefland“ von d`Albert zur Aufführung kommen. Nachdem dies alles kostenlos ist, bin ich ja, nachdem ich mich ja schon immer an derartigen Dingen erfreut habe, direkt dazu gezwungen hineinzugehen. Wir können ja nicht darüber klagen, daß für die geistige Betreuung nichts für uns getan würde. In der Woche immer neues Kinoprogramm mit Wochenschau und dann diese Aufführungen.
Zwischendrin muß man ja wieder einmal zeitig ins Bett gehen, damit man auch wieder arbeiten kann. Dieser Tage habe ich einen Dolmetscher, der Schweizer ist, mit ins Kino genommen, um ihm einmal die Wochenschau zu zeigen und damit auch unseren Führer. Außerdem wurde der Film „D III 88“ gezeigt, den wir uns zusammen auch angesehen hatten. Nach dem, was mir dieser Mann gesagt hat, ist ihm dies früher noch nie gezeigt worden und er betonte noch, daß es ihm gut gefallen hätte. So muß man immer wieder für unsere Sache aufklärend wirken.
Das mit dem Kostüm hast Du ja fein gemacht. Das ist schön, daß Du Dir auch einmal etwas geleistet hast. Ich habe Dir ja auch hier noch Stoff gekauft, doch wie ich schon schrieb, wirst Du damit schon fertig werden. Laß Dich nur einmal darin fotografieren.
Gewitter habe ich hier noch keine erlebt, doch hier geht es keinen Tag ohne Regen in Lille. So ist es aber auch, entweder feiner Regen wie Nebel, dann einmal stärker und ganz starke Regen. Meistens dauern sie nicht lange, aber in allen Nuancen werden sie uns hier vorgesetzt.
Bei meiner Wohnung habe ich große Platanen vor dem Haus. Früh, wenn ich dann aufwache und es windet, dann rauschen die Bäume. Sehr oft kann man nicht unterscheiden, ob es regnet oder nur windet. Wenn ich aber auf Regen tippe, ist es auch meistens so. Ja bei uns trifft sich das Festlandklima mit dem Klima des Atlantik, daher auch die reichlichen Niederschläge. Es ist auch deshalb ohne weiteres  erklärlich, daß die Häuser hier so schwarz und verwittert aussehen. Der Regen und der Rauch von den vielen Fabriken der Umgegend -Nordfrankreich, zählt zu den stärksten Industriegebieten Frankreichs überhaupt - verbinden sich miteinander und lasse alles ziemlich schnell verwittern.
Wegen dem Weintrinken brauchst Du Dir bestimmt keine Sorgen machen. Erstens werde ich gezwungen sein, mir das daheim selbst wieder abzugewöhnen und zweitens kann ich hier schon etwas vertragen, daß ich in der Allgemeinheit nicht auffalle. Zudem weiß ich, wie in allem ja auch Maß zu halten.
Heute habe ich schon Deinen Brief vom 21. erhalten. Auch den Brief des Herrn Naumann. Ja, die Bilder solltest Du schon behalten. Das sollte für Dich eine Überraschung sein, darum habe ich Dir ja auch nichts davon geschrieben. Hast Du auch die Filme dazu erhalten?
Gefreut habe ich mich, als ich gelesen habe, daß Du drei Päckchen erhalten hast. Weitere drei Päckchen sind ja dann noch unterwegs. Wenn Dir alles zugesagt hat, so bin ich sehr zufrieden. Ja weißt Du, wenn ich Geld habe, habe ich schon Geschmack, doch daran hatte es bei uns ja bis jetzt immer gefehlt.
Ich muß sowieso sehen, daß ich noch einiges für Dich kaufe. Für die Kinder könnte ich vielleicht auch dies oder jenes kaufen, doch das ist mir immer schwieriger. Derartige Dinge kann man ja  hier verhältnismäßig billig kaufen. Wenn Du hier wärst, könnte ich dies aber noch viel besser erledigen. Na wir müssen augenblicklich eben so zufrieden sein und hoffen, daß wir bald wieder zusammen sein können. Über die Preise und die Waren habe ich mich hier sehr eingehend unterrichtet und weiß schon, wo ich hinzugehen habe.
Ich habe wieder so zwischendurch den Brief für Dich mit fertig gemacht und nun ist bald Feierabend. Sei Du mein liebes Mädel herzlich und vielmals von mir gegrüßt und geküßt und gib unseren beiden Lausern jedem einen herzhaften Kuß. Denke Du mit einem Schreiben, das mich ja schließlich jetzt nur mit Dir verbindet wieder an Deinen Ernst.

Donnerstag, 23. Juli 2015

Brief 33 vom 22./23.7.1940


Meine liebe Annie!                                                   O.U. den 22.7.40 /23.7.40    

Dein Päckchen vom 15., Deine Briefe vom 17. und 18. habe ich ebenfalls erhalten. Für alles danke ich Dir herzlich. Bevor ich aber auf alles eingehe, möchte ich noch auf den vergangenen Sonntag zurückkommen.
Ich bin mit meinem Kameraden Vogt, der in Mosbach zu Hause ist, von hier aus in südwestlicher Richtung 50 km mit dem Auto gefahren. Wir haben hier ein Auto angehalten, denn wir wollten unsere Sonntage nicht immer hier in der Stadt verbringen. Man will auch einmal etwas gesehen haben von den Gebieten, wo gekämpft worden ist. Sonst hat man keine Gelegenheit dazu, darum muß man es eben so machen. Wir sind da über La Bassee, Bethune nach Lillers gekommen. Hauptkampfgebiet war hierbei der erste Ort, der im Weltkrieg auch sehr bekannt geworden ist. Der Kirchturm war weggeschossen, die Häuser teilweise zerschossen oder ganz abgebrannt, die Brücken gesprengt. Die Landstraßen stellenweise gesäumt von zerstörten Kraftwagen und Tanks, die außer Gefecht gesetzt worden sind. Auf unserer Rückfahrt haben wir dann die Eisenbahn, die von Lillers nach Bethune fährt, benutzt, weil sich keine Gelegenheit bot, einen Kraftwagen in unserer Richtung zu bekommen. Auf der Strecke kamen wir dabei an einem Munitionszug vorbei, der in die Luft gegangen ist. Ja, wenn man dies alles so sehen kann und so auf den Straßen des Sieges einmal sein kann, so kommen einem da erst richtig die Stärken  unserer Wehrmacht zum Bewußtsein. In Bethune haben wir dann nach längerem Warten   wieder Anschluß nach Lille bekommen. Landschaftlich sind absolut keine Reize festzustellen. Alles ist eben, keine Abwechslung. Viele Fabriken, Abraumhalden der Kohlenbergwerke, die es hier sehr viel in der Umgebung gibt, aber das ist auch alles.
Auf der Heimfahrt konnte man am Straßenrand auch hin und wieder ein Soldatengrab sehen, das darauf hindeutete, daß nicht alles nur so im Vorbeifahren gewonnen wurde.
Das mit dem  Gehalt stimmt also schon. Ab Juli tritt wieder eine kleine Erhöhung ein. Du wirst doch hoffentlich nicht böse darüber sein. Das Bild von mir kannst Du ja nun hierher senden, dann werde ich es an Nanni weiterleiten. Wegen der Gasangriffe der Engländer gegen uns brauchst Du Dir keine Sorge zu machen. Wenn es nötig erscheint, werden wir auch mit Gasmasken ausgestattet. Zudem ist es ja hier so, daß von einem Giftgasangriff auf Lille etwa 220 000 Franzosen mit betroffen würden, die ja auch nicht mit Gasmasken ausgerüstet sind. Also das ist hier nicht so schlimm. Wenn die hierher kommen, haben sie ja andere Ziele.
In Deinem Brief vom 18. erwähnst Du, daß bei uns, also jetzt Euch, Kartoffelbrei und Pilze ein ganzes Essen sei. Das stimmt schon, aber von dem Wenigen, was hier als Vorspeise gereicht wird, könnte zur Not ein Hungerkünstler satt werden. Was sonst meine Ansprüche anbelangt, die ich dann stelle, wenn ich wieder heimkomme, so möchte ich heute schon feststellen, daß Du diesen wohl gerecht wirst. Am besten wird es sein, ich behalte die Türklinke gleich in der Hand, um wieder sofort abrücken zu können. Du hast wieder richtig vorausgesehen, ich rücke gleich ab, wenn ich merke, wie „schlecht“ es mir wieder bei Dir gehen wird.
Wenn wir hier auch nicht schlecht zu leben haben und auch über Geld verfügen, so kann uns das alles nicht unsere Heimat und unser zu Hause ersetzen. Wir haben ja zu dem allen hier gar keine Bindung.
Es bietet sich wohl immer etwas Neues jeden Tag, doch gewöhnt man sich an das alles hier so und stumpft gegen diese Einflüsse ab. Es ist also wirklich nichts Schönes.
Wenn ich Dir nun in einem meiner Briefe mit geschrieben habe, daß ich hoffentlich auch in England eingesetzt würde, so ist dies nun nicht so anzusehen, daß ich noch weiter von Euch fort bin. Es ist vielmehr so, daß ich hier sein muß und wenn ich dort hin käme, dort sein muß. Wenn ich Urlaub zu bekommen habe, so bekomme ich ihn hier und bekomme ihn auch dort. Also in dieser Beziehung würde sich nicht viel ändern. Ob und dann bis es soweit kommt, wollen wir nun warten und dann wieder dazu Stellung nehmen.
Das ist mir allerdings neu, daß Du Dir ein Kostüm gekauft hast. Da hast Du mir ja noch gar nichts davon geschrieben. Ja, wie sieht es denn aus. Also schreibe mir nun einmal darüber. Ich habe Dir hier Stoff für zwei Kleider und ein Kostüm gekauft und für Helga Stoff für zwei Kleider. Wie ich das nun zu Euch bekomme, kann ich mir noch nicht vorstellen, aber es wird schon werden. Helga brauchst Du ja noch nichts davon zu sagen, denn sonst erzählt sie vielleicht, was ich hier alles kaufe. Doch Du wirst es ja selbst wissen.
Im Ganzen sind ja nun sechs Päckchen unterwegs. Ich weiß ja nicht, ob sie durch den Zoll gehen, oder wie das nun klappt. Wenn Du aber tatsächlich etwas zahlen mußt, so zahle das nur ruhig. In meinem letzten Brief hatte ich ein Taschentuch für Dich und heute lege ich ein weiteres bei. Hoffentlich gefällt auch das Dir. Wenn was bei Dir ankommt, so schreibe mir das bitte und vor allem auch was.
Was meinen Tagesablauf anbelangt, nun so will ich ihn Dir in großen Zügen schildern. 1/2 7 Uhr lasse ich mich wecken. Dann mache ich mich fertig und gehe so meist zwischen 1/4 und 1/2 8 Uhr fort zum Kaffeetrinken in ein Restaurant. Ich muß mich jetzt, wo ich in Uniform bin, jeden Tag rasieren und auch sonst alles herrichten, daraus erklärt es sich, daß ich so lange Zeit brauche, um fertig zu sein. Nach dem Kaffeetrinken gehe ich so um 8 Uhr in den Dienst. Wenn es etwas später wird, schadet´s auch nichts, denn ich bin doch immer der erste, der da ist. 1/2 1 Uhr haben wir dann Mittag. Da gehen wir meist in das Hotel Royal, wo es  so nach Etikette zugeht. Wenn es sich aber einrichten läßt, essen wir gerne einmal etwas einfacher und billiger. Vor allem auch deshalb, um wieder zu wissen, wie es daheim zugeht. Um 3 Uhr fängt der Dienst wieder an und geht dann  bis 1/2 7 Uhr. Man muß immer wieder einmal sehen, daß man durch irgend einen Vorwand eher herauskommt. Sonst gehe ich dann um 7 Uhr oder etwas später zum Abendessen. Je nach dem was geboten wird oder wie ich müde bin, gehe ich noch ins Theater oder in ein Lokal, andernfalls begebe ich mich nach Hause und lese dann bis gegen 10 Uhr. Das ist in groben Zügen mein Tagesablauf. 

Heute Mittag, 23.07 kam Dein Päckchen mit den Socken. Ich bitte Dich, so etwas nicht mehr zu schicken, weil ich das, was ich brauche, mir kaufe. Aus diesem Brief habe ich auch Deine Ausführungen über das Kostüm gelesen. Ich muß nun feststellen, daß ich ebenfalls einen blauen Stoff zu einem Kostüm erstanden habe. Ich glaube aber, daß Du schon etwas damit anzufangen weißt. Auf Deinen Brief komme ich dann noch zurück. Einstweilen sende ich Dir viele Grüße und Küsse und bitte Dich, den Kindern dasselbe zu übermitteln. Dich möchte ich bitten, weiterhin so fleißig zu schreiben wie bisher, dann hab ich Dich dauernd im Geiste bei mir. Dein Ernst.
Für die gepreßten Blumen danke ich noch bestens. Grüße bitte noch Vater von mir.
Heute habe ich 2 Paar Socken aus beschlagnahmten Beständen für mich geschenkt erhalten.

Brief 32 vom 21.7.1940


Meine liebe Annie!                                                                  O.U. , den 21.Juli 1940

 Dein Einzelpäckchen habe ich nun auch schon erhalten. Du hast ja wieder eine feine Nase gehabt, als Du mir gleich das Wörterbuch mitgesandt hast. Ich habe ja diesen Wunsch in einem späteren Briefe geäußert, aber ich sehe, Du kannst Deine Gewohnheiten nicht lassen, mir Wünsche zu erfüllen, bevor ich sie ausgesprochen habe. Herzlichen Dank dafür.
Ebenfalls das Gebäck, was ich gestern Abend und heute früh z.T. gegessen habe. Das war wieder ein Stück Heimat. Ich muß aus allen Deinen Briefen immer wieder erkenne, daß Du Dich des Gartens in ganz besonderer Weise annimmst. Ich muß aber auch immer wieder lesen, daß Du Dich darüber freust, mir von Deinen Erfolgen mitteilen zu können. Es ist ja auch schön, wenn man sieht, wie durch die Mühe und die Arbeit und auch mit etwas Glück beim Wetter alles so schön heranwächst. Die Stachelbeeren haben sich ja fast wieder übertragen. Mit diesen sind wir eigentlich noch nie schlecht gefahren. Bei den Johannisbeeren merkt man, daß sie größer werden. Wegen den Erdbeeren weißt Du ja jetzt Bescheid, wenn aber noch etwas unklar sein sollte, schreibe mir nur, ich werde dann umgehend antworten.
Das Gequatsche von Resi war ja wieder typisch. Lassen wir sie. Ich muß erst einmal sehen, ob ich ihnen schreibe. Wahrscheinlich wird Fritz auch als Verwaltungsmensch nach dem Elsaß kommen. Na, dann braucht er ja nicht mehr zum Kommis. Da wird er aber froh sein.
Wenn einer der Herren schreiben sollte, die ich in Köln kennengelernt hatte, so kannst Du ihnen ja, je nachdem sie Dir schreiben, auf einer Karte meine Adresse mitteilen. Evtl. auch in einem kurzen Brief. Den kannst Du ja dann mit Maschine schreiben.
Wenn Du Kuster wieder sehen solltest, so kannst Du ihm ja sagen, ich hätte ihm schon geschrieben, doch durch diesen Wechsel ist es mir noch nicht möglich gewesen. Du kannst ihn vielleicht auch mit der Beschaffung der Briefmarke für mich beauftragen. Ich nehme an, daß er dies  schon übernehmen wird.
Helga habe ich heute besonders geschrieben. In den kommenden Tagen werde ich auch an Jörg zu seinem Geburtstag einen Brief schreiben. Ich würde ihm gerne etwas geschickt haben, doch leider ist mein Kontingent an Päckchen schon erreicht. Kaufe ihm nur etwas, was ihm Spaß macht. Wenn es etwas teurer sein sollte, so schreibe mir, denn dann werde ich etwas dazu geben.
Pralinen oder Schokolade brauchst Du mir nicht hierher zu senden, denn bei uns kann man hier ja alles kaufen. Was es nicht im freien Handel zu erlangen gibt, kann ich in der Kantine kaufen. Mir fehlt es hier an nichts. Nicht einmal am Geld. Doch darüber habe ich Dir ja schon berichtet.
Gestern habe ich auch die letzten zwei Päckchen für diesen Monat an Dich abgeschickt. Hoffentlich sagt Dir alles zu.
Für meine Wäsche habe ich hier auch schon jemand aufgetrieben, der sie mir wäscht. Es ist einer der Dolmetscher, der hier im Hause tätig ist, dessen Frau will sie mir in Ordnung halten. Ja, das sind so richtige Junggesellensorgen, die man da hat.
Heute früh habe ich einmal wieder alles in Ordnung gebracht, habe allerdings auch etwas länger wie sonst geschlafen. Nun bin ich am Vormittag aufs Amt gegangen, um gleich meine Briefschulden, die ich so habe, langsam zu erledigen. Ich sehe aber, daß es nur zu den Briefen an Euch langt. Den Eltern habe ich ja meine Adresse schon mitgeteilt und habe auch den Wunsch geäußert, sie Siegfried zu übermitteln, damit wir uns hier evtl. einmal treffen können, wenn ihn sein Weg hier vorüberführen sollte. Bis jetzt habe ich zwar noch keine Antwort von Leipzig, doch in den nächsten Tagen wird sicher etwas eintreffen.
Ihr alle seid wieder von mir herzlich gegrüßt und geküßt, Du aber nimm ebenfalls wieder besonders herzliche Grüße und Küsse entgegen von Deinem Ernst.

Brief 31 vom 20.7.1940


Meine liebe Frau!                                                                                 O.U. den 20. Juli 1940

Donnerwetter war das eine Überraschung. Fünf Päckchen auf einmal. Außerdem trafen noch drei Briefe ein, die Du nach Köln gesandt hast. Weiterhin hatte mir eine Kollegin aus dem Amt in Konstanz ebenfalls nach Köln zum Geburtstag gratuliert. Dann noch die vielen Briefe, die in dem einen Päckchen waren. Ich bin also gestern geradezu mit Post überschüttet worden. Nun habe ich ja die nächsten Tage zu tun, um alles wieder zu beantworten. Du bist ja dabei wieder die erste. Ja siehst Du, Du kommst immer gut weg. Ja, ich habe mich riesig gefreut, von allen und vor allen Dingen von Dir und von den Kindern wieder etwas zu hören.
Meiner lieben Helga werde ich in den nächsten Tagen besonders einen Brief schreiben. Ich kann Dir sagen, daß es mir genau so gegangen ist mit dem warten. Doch das wirst Du ja auch aus meinen letzten Briefen selbst gesehen haben. Am Nachmittag, d.h. kurz vor der Rede des Führers, habe ich alles erhalten. Ich habe mir mit meinen Kollegen hier im Rathaus die Rede mit angehört. Die Briefe konnte ich ja noch lesen. Dann habe ich die Päckchen heimgebracht in mein Zimmer und bin dann noch zum Essen gegangen. Als ich dann etwa gegen 11 Uhr wieder heimkam, wurde mit der gewohnten Sorgfältigkeit, die Du ja an mir kennst, ein Päckchen nach dem anderen aufgemacht. Dabei habe ich mich in mein Bett gesetzt und als ich dann an die Briefe kam, die das eine Päckchen enthielt, ging dann die Leserei an. Bis gegen 12 Uhr(Mitternacht) habe ich mich dann noch so betätigt. Heue früh setze ich mich nun gleich her, damit Du gleich weißt, daß ich Nachricht von Dir erhalten habe. Deinen Brief werde ich dann nach und nach im Einzelnen beantworten sobald ich dazukomme.
Da Du Dich des Gartens in ganz besonderer Weise annimmst, möchte ich Dir auch gleich die eine Frage nach den Erdbeeren beantworten. Bei den neu gesetzten kannst Du einen Teil der Ausläufer für neue Setzlinge stehen lassen. Den Rest kannst du dann nach dem Abernten entfernen. Bei denen, die schon länger stehen, kannst Du alle Ausläufer wegmachen. Die oberen fünf Einzelreihen aus der großen Anpflanzung kannst Du ja sowieso entfernen, da die Zeit abgelaufen ist.
Meinen Brief, den ich auf der Bahn geschrieben habe und in dem ich Dir auch noch Brüssel berichtetet, hast Du anscheinend erhalten. Ich hatte ihn einem Bahnbeamten abgegeben und bin dann hinterher etwas unsicher geworden, ob er auch richtig weiterbefördert wird. Schade ist, daß ich Siegfried nicht sehen konnte. Zeit hätte ich mir ja nehmen können, wenn ich gewußt hätte, daß wir so nahe beieinander waren. Vielleicht trifft es sich so noch einmal, daß wir uns wirklich treffen.
Daß Du Kurt auch einmal eine Kleinigkeit schickst  ist ja in Ordnung, vor allem auch deshalb, weil er ja sonst auch niemand weiter hat. Ich will nun nicht damit sagen, daß er nun immer etwas bekommen muß, aber wenn Du ihm ab und zu etwas zukommen lassen kannst, so denke auch einmal an ihn.
Wenn Du Dich mit dieser Frau Ehret unterhältst, so habe ich ja sonst nichts dagegen, nur eins will ich dabei nicht haben, daß die Leute mit Dir vielleicht nachher vertraulich tun. Du mußt das nicht so scharf auffassen, wie ich es vielleicht gesagt haben kann, als ich bei Euch war. Ich kann es wohl verstehen, daß bei dem langen Ausbleiben meiner Post bei Dir die Spannung von Tag zu Tag gestiegen ist, doch Du hast es ja selbst gesehen, daß es nicht an mir gelegen hat und tröste Dich mit dem, daß ich in den drei Wochen habe auch mit einem Brief auskommen müssen. Glaube mir, es ist mir auch nicht immer leicht gewesen. Ich hoffe ja nun, daß die Post einigermaßen laufend wieder wechselt, denn ich habe ja wieder meinen regelmäßigen Dienst im Schreiben aufgenommen. Ich kann Dir aber sagen, daß ich mich gefreut habe, als ich aus Deinem Brief lesen konnte, daß Du Dich auch tapfer in alles gefügt hast und daß Du mit den anderen vielen tausenden Frauen gefühlt hast.
Bei dieser Gelegenheit möchte ich Dir aber nochmals versichern, daß mein ganzes Arbeiten eigentlich nur Euch gilt und daß ich nur an Euch denke. Habe also keine Angst, daß ich Euch vergesse. Auf dieses Thema werde ich bei passender Gelegenheit nochmals zurückkommen.
Nehmt Ihr alle viele herzliche Grüße und Küsse entgegen. Du aber sei von mir besonders herzlich gegrüßt und geküßt von Deinem Ernst.

Brief 30 vom 18.7.1940


Meine liebe Annie!                                                   L. den 18.7. 1940

In Bezug auf die Post könnte ich fast vergleichsweise singen „Ich steh im Regen und warte auf Dich“. Ich will nun nicht hoffen, daß Du auch so lange warten mußt. Bei mir macht ja das nicht so viel aus, denn ich habe ja beim Kommis Disziplin gelernt. Ich habe ja, wie man unter jetzigen Verhältnissen das verstehen muß, meine Ordnung. Früher haben wir immer uns gewünscht einmal auswärts essen zu können. Jetzt muß ich dies jeden Tag tun. Mittags ist ja bei mir von Amtswegen festgelegt. Zum Abend habe ich auch so eine Art Stammlokal ausfindig gemacht, wo sich Preis und Gegenleistung einigermaßen vereinbaren lassen. Mit dem Frühstück habe ich noch so meine Schwierigkeiten, weil die entsprechenden Lokale, die mir einigermaßen zusagen, zu weit aus dem Weg liegen und die übrigen bieten mir nicht das, was ich wünsche. Man kann sich so nach und nach in das Innenleben eines Junggesellen einfühlen. Was für mich aber von großer Bedeutung ist, ich weiß erst wieder wie schön es ist, die Füße unter den Tisch zu stellen und sich das Essen vorsetzen zu lassen. Ich werde mich in dieser Beziehung weiter so durchschlängeln. Ich denke, daß es wieder einmal eine Zeit geben wird, wo wir wieder zusammen sein können. Warten wir also weiter ab und überlassen wir alles andere wieder der Zukunft. Was unsere Urlaubsfrage anbelangt, so kann ich bis jetzt noch keine weitere Auskunft geben, da ich noch nichts wieder gehört habe.
Heute habe ich wieder etwas ganz fabelhaftes für Dich gesehen. Es handelt sich dabei um einen Pelzmantel. Er ist sehr billig, doch ist mir nur die Hauptsorge, wie ich diese Sachen heim bekomme. Gekauft habe ich ihn zwar noch nicht, aber vielleicht werde ich es noch tun. Jedenfalls war ich ganz begeistert darüber, was ich da gesehen habe. Man könnte hier vieles kaufen, weil man hier so vielseitig angeregt wird. Es ist nur gut, daß auch unserem Wehrsold eine Grenze gesetzt ist. Ich habe bei dieser Kauferei eigentlich nur den einen Wunsch, Dir dabei eine Freude zu machen. Da wir aber soweit voneinander getrennt wind, kann man dies ja nur so durchführen, daß man im Rahmen des Päckchenkontingents solche kleine Aufmerksamkeiten schickt.
Auf unserer Suche nach geeigneten Speiselokalen sind wir wieder auf ein neues gestoßen. Da kann man sich ungehindert richtig satt essen. Es geht dort nicht kleinlich zu. Die Inhaberin ist durch ihre Heirat Deutsche geworden. Sie verpflegt deutsche Soldaten, die wie wir ja auch, in freier Verpflegung  stehen. Die meisten sagen zu dieser Frau, die wahrscheinlich Witwe ist, Mutti. Daraus kann man doch ersehen, wie die Frau für die Männer sorgt. Wenn man die Sorgfalt, mit der man doch daheim sonst umgeben  ist, hier nur, wie oben geschildert, im Abglanz verspürt, so ist man ja schon ganz zufrieden. Vor allem auch deshalb, weil die Leute deutsch sprechen und die ganze Aufmachung mehr unseren Gewohnheiten entspricht. Doch genug davon.
Wie geht es Euch dreien, was mach Vater?
Kurt und die Eltern werden sicher wieder geschrieben haben. Siegfried sicherlich auch. Kommst Du so mit der Gartenarbeit mit? Laß lieber etwas liegen und überarbeite Dich nicht so. Wenn es möglich ist, so nutzt bitte die Badezeit aus, der Winter ist immer so lang. Ihr habt Euch dann wenigstens dadurch etwas gekräftigt.
Nachdem ich nun schon einmal hier oben sitze, will ich versuchen, einmal an das Meer zu kommen. Boulogne, Calais oder Dünkirchen würde ich dabei als Ziel ins Auge fassen. Sehen muß ich dann erst, welcher Wunsch dabei in Erfüllung geht. Sei Du diesmal wieder vielmals herzlich gegrüßt und geküßt von Deinem Ernst. Herzliche Küsse von mir gib unseren Kindern, sage ihnen aber gleichzeitig, sie sollen brav sein.

Brief 29 vom 17.7.1940


Meine liebe Frau!                                                                        O.U.. den 17.Juli 1940

 Bis heute immer noch keine Post. Du wirst sicher selbst denken, wann hört denn einmal dieser Stoßseufzer auf. Wenn man aber wartet, scheint einem alles länger zu dauern. Ich werde mich aber weiter gedulden.
Wie es scheint, habe ich mit der Urlaubsangelegenheit etwas voreilig geschrieben. Es tut mir leid, daß ich in dieser Beziehung schon wieder eine halbe Absage schreiben muß. Unser Chef ist der Ansicht, daß wir nicht in Urlaub wollten, nachdem wir ja erst kurz hier seien. Wir müssen nun sehen, wie diese ganze Frage behandelt wird. Zu gegebener Zeit werde ich Dir also darüber wieder schreiben.
Von mir selbst könnte ich augenblicklich nichts weiter berichten als das, was ich ja schon in den letzten Tagen geschrieben habe, daß unser Tagwerk so ziemlich festgelegt ist und abgesehen von kleinen Abänderungen, die sich ja immer ergeben, normal abläuft.
Ich könnte Dir heute höchstens über die Belegschaft etwas schreiben. Wir sind hier bei der „Mairie“ zu Deutsch, Bürgermeisterei, elf Männer und eine Dame als Schreibfräulein. Unser Chef ist im Zivilleben Bürgermeister von Würzburg. Wenn ich ihn charakterisieren soll nach dem, was ich bis jetzt von ihm kennengelernt habe, kann ich nur sagen, daß ich bis jetzt nichts zu klagen habe. Zwei weitere Kollegen sind von Baden. Einer in meinem Rang ist aus Mosbach und der andere ist noch so eine Stufe höher, der kommt von Freiburg. Weiter haben wir noch vier Mann, die dem Verwaltungstrupp angehören, die kommen alle von Schlesien. Ein anderer Herr ist aus Pommern und einer aus Kiel. Das wären so bald alle. Verschiedene waren davon in Verwaltungen tätig, andere sind nur aus verwandten Betrieben. Wir bilden hier so eine kleine Gemeinschaft, die nun ihre Stärken und ihre Schwächen hat. Über die Schwächen muß man ja meistens hinwegsehen. Das Schreibfräulein ist eine Elsässerin, die mit einem Franzosen verheiratet ist. Sie weiß allerdings über den Aufenthalt ihres Mannes noch keinen Bescheid, weil er mit gegen  uns gekämpft hatte. Sie wurde unserer Verwaltung von der franz. Bürgermeisterei zur Verfügung gestellt, weil sie deutsch und franz. beherrscht. Dass wir hier dem französischen Bürgermeister vor die Nase gesetzt worden sind um die Arbeiten, die wir für wichtig halten zu überwachen, habe ich Dir ja schon einmal mitgeteilt.
Zu der Karte, die ich meinem gestrigen Brief beigefügt hatte, muß ich noch bemerkten, daß von dem hohen Turm nach jeder Seite hin die Fahnen des Reiches wehen. Als ich hier in den Bahnhof einfuhr konnte ich diese Fahnen schon beobachten und es hatte mich seinerzeit sehr gefreut das zu sehen. Daß das nun gerade unser Dienstgebäude war, konnte ich ja noch nicht wissen, jetzt freut es mich ja um so mehr, vor allem, wenn man bedenkt, wie diese Gesellschaft gegen uns gehetzt hat und nun müssen sie es doch dulden, daß das Hakenkreuz von ihrem Turm weht.
Dir sende ich diesmal wieder viele Grüße und Küsse und bitte Dich, gib jedem unserer Borzels einen kräftigen Kuß. In treuer Verbundenheit denkt vielmals an Dich Dein Ernst.

Donnerstag, 16. Juli 2015

Brief 28 vom 15./16.7.1940


Meine liebe Annie!                                                            L., den 15.7. 1940

Es ist also wirklich nicht leicht, wochenlang jeden Tag nur von sich selbst und seinen Eindrücken zu schreiben, ohne dabei einmal aus Mangel an Gelegenheit auf die Gedanken des Partners eingehen zu können. Wie ich Dir schon letzthin schrieb, werde ich mich zu gedulden wissen. Mich freut bei dieser Angelegenheit nur das eine, daß Du wenigstens so ziemlich laufend von mir mit Post versorgt worden bist. Ich habe ja meiner bisherigen Gewohnheit keinen Abbruch getan und habe weiterhin jeden Tag, außer Samstag, geschrieben.
Heute kann ich Dir nun eine Mitteilung machen, die Dich sicher freuen wird. Ich habe heute, allerdings noch inoffiziell, erfahren, daß wir ab 20.7. wieder in Urlaub gehen können. Der Urlaub ist für jeden auf etwa drei Wochen bemessen. Ich bin mir nur noch nicht ganz im Klaren, soll ich, wenn ich ja die Wahl haben sollte, bis zu Deinem Geburtstag warten, oder soll ich, wenn ich für früher eingeteilt werde, früher fahren. Gib mir doch umgehend Deine Ansicht bekannt. Freust Du Dich darüber, wenn ich in absehbarer Zeit heimkommen kann? Außerdem habe ich Dir noch mitzuteilen, daß ich mir hier einen Anzug bauen lasse, zum Preise von 65,-RM. Für die Kosten komme ich selbstverständlich selbst auf. Wie ich ihn heimbringe macht mir zwar einige Gedanken, doch ein Weg wird sich schon finden.
Auf den Inhalt meiner Päckchen, die ich jetzt im Laufe der Zeit absenden werde, möchte ich, soweit ich noch alle in Erinnerung habe, kurz eingehen. Es sind dabei für Dich zwei Trikotgarnituren in blau und rosa, ein Kragen für eine Bluse, verschiedene Taschentücher, ein Schal, eine Kombination in Seide, ebenfalls in blau. Ein Paar Handschuhe. Ich kann ja nicht sagen, ob ich immer das richtige getroffen habe, ich hoffe aber, daß Du alles richtig verwerten wirst. Heute habe ich nun noch Stoff zu je einem Kleid für Dich und Helga gekauft. Hier habe ich noch einen Schal und ein Nachthemd für Dich liegen. Ich habe nur noch den Wunsch, alles richtig heimzubringen und daß alles richtig ist. Ein Paar Strümpfe sind auch noch dabei. Jetzt bin ich auch ziemlich blank nach diesen Käufen.
Heute Abend war ich wieder im Kino. „Das Paradies der Junggesellen“ mit dem bekannten “Das kann doch einen Seemann“ usw. Ich habe mich dabei wieder ganz gut unterhalten für 20 Pfennig. Man vergißt sich dabei und merkt gar nicht mehr, daß man in Frankreich ist.
Fast jeden Tag findet sich in meinem Zimmer etwas Neues ein. Vorgestern kam  ein weiterer Teppich ins Zimmer. Gestern befanden sich zur vorschriftsmäßigen Abdunkelung dicke Vorhänge an den Fenstern. Wenn ich noch eine Weile hier bleiben sollte, wird es sogar wohnlich hier werden. Überlassen wir aber alles der Zukunft.
Hoffentlich seid Ihr alle gesund. Ich grüße und küsse Euch drei recht herzlich und wünsche nur, daß Du auch immer an Deinen Ernst denktst.
Grüße Vater von mir.


Meine liebe Annie!                                                                 L., den 16.7. 1940

Wieder habe ich heute vergebens auf einen Brief von Dir gewartet und doch habe ich wenigstens einen Gruß aus der Heimat erhalten. In unserer Tageszeitung, die wir  hier bekommen, war heute ein Bild vom Konzil vom Stadtgarten aus zu sehen. Es war ja gewissermaßen auch ein Gruß, wenn zwar nicht der, den ich erwartete.
Heute herrschte hier Liller Wetter. Den ganzen Tag trüb, zwischendrin immer einmal wieder Regen. Weiter sind hier noch in der Nacht sehr unangenehm zu vermerken die Schnaken. Man kann abends kaum einschlafen und wenn  man sich nicht ganz fest vermummt, so ist man frühmorgens ganz zerstochen.
Postkarten sind zwar keine schönen aufzutreiben, dafür sind sie sehr billig, das Stck. 2 1/2 Pfg.
Die beigefügte Karte zeigt einen Teil unseres Rathauses, damit du wenigstens annähernd einen Eindruck davon bekommst.
Über Mangel an Arbeit kann ich mich ja nicht beklagen. Vorteilhaft dabei ist nur, daß der Tag schnell herumgeht.
Heute habe ich die zweite Päckchensendung an Dich abgehen lassen. Es sind diesmal zwei größere Kartons. Im Ganzen sind von mir vier Stücke abgesandt. Ich hoffe nun, daß alles richtig ankommt. Die restlichen zwei, die noch zu meinem Kontingent für diesen Monat gehören, werde ich bald abgehen lassen.
Heute früh hatten wir wieder einmal Fliegerbesuch, was man durch heftige Flakabwehr feststellen konnte. Weiter kann ich Dir noch mitteilen, daß wir aus der Beschlagnahmung eine große Tüte Bohnenkaffee erhalten haben. Es ist also immer wieder einmal etwas umsonst zu erhalten.
Dich grüßt und küßt vielmals herzlich Dein Ernst.
Unseren Gören gib einen herzhaften Kuß und sagen ihnen, daß ich sie grüßen lasse. Sie sollen nur brav sein und Dich nicht ärgern.
Meine Hosenträger, die ich übrigens vergessen hatte, kannst Du mir vielleicht einmal mit zusenden, weil meine jetzigen , die ich mir noch in Köln gekauft hatte, den Dienst schon versagen.

Brief 27 vom 14.7.1940


Meine liebe Frau!                                                  Lille, den 14.Juli 1940

Ich hatte die Absicht, Dir einen langen Brief heute zu schreiben.
Die Zeit ist nun doch wieder herumgegangen und nun wird es doch nicht soviel werden, wie ich eigentlich vor hatte. Ich habe einige Päckchen für Dich fertig gemacht und das ist nicht so einfach, weil das Gewicht von 250 Gramm nicht überschritten werden darf.
Ich schicke morgen zwei von hier weg. In etwa 2 - 3 Tagen wieder 2 und nach diesem Zeitabstand werde ich die restlichen 2, die mir diesen Monat zugelassen sind, abschicken. Für den kommenden Monat habe ich dann wieder ein paar Sachen noch da liegen.
Nachdem diese Gewichtsbeschränkung besteht, hat man eben sehr mit Schwierigkeiten zu kämpfen, weil ich einige Artikel da habe, die an sich am Stück schon schwerer sind, als das, was zugelassen ist. Du wirst mir ja dann Bescheid geben, ob alle seine Ordnung hat. Was ich etwa geschickt habe, werde ich Dir dann in einem anderen Brief mitteilen.
 Heute ist nun Sonntag. Am Vormittag habe ich gearbeitet und heute Nachmittag habe ich mich rein privat hier auf dem Amt betätigt. Es ist ja nicht so einfach, sich in einer fremden Stadt so über den Sonntag hinwegzubringen, ohne immer viel Geld auszugeben. Ich war, das kann ich wohl sagen, ohne dabei rot zu werden, die letzten Tage sehr solid und bin auch gestern wieder 1/2 9 Uhr daheim gewesen. Ich habe dann meine Sachen gerichtet und die Päckchen an Dich vorbereitet. Ich habe immer geglaubt, heute vielleicht zum Sonntag von Dir Post zu erhalten, doch auch diesmal mußte ich mich wieder gedulden. Ich nehme an, daß nun in den nächsten Tagen bald etwas kommen wird. Man wird mit der Zeit ungeduldig und glaub es erzwingen zu können. Man muß sich eben darein finden und abwarten.
Solange ich noch keine Briefe von Dir beantworten muß, will ich Dir noch etwas von meinen Endrücken schildern, die ich hier so jeden Tag gewinnen kann. Vorher möchte ich Dich aber noch um verschiedenes bitten. Einige Herren, die hier als Dolmetscher wirken, haben mich um deutsche Zeitungen gebeten. Ich bitte Dich, sende mir doch einige der I.B und auch sonstige Zeitungen, die wir von den Eltern erhalten. Vielleicht kann man damit etwas aufklärend wirken. Ein anderer Herr hat danach gefragt, ob uns Hans Fritsche (Zeitungs- und Rundfunkschau) die Reden die er jede Woche gehalten hat, im Buchhandel zu erhalten wären. Wenn Du so etwas  in Konstanz bekommen kannst, so kaufe es doch und sende mir dies ebenfalls zu. Wenn Du damit einige Auslagen haben solltest, werde ich Dich schon irgendwie wieder entschädigen.
Den Gesamteindruck, den die Stadt hier auf mich gemacht hat, habe ich Dir ja schon geschildert. Über das Rathaus habe ich ja auch schon geschrieben, daß dies ein ganz neuer Bau ist. Eine Karte werde ich Dir demnächst mit beifügen, damit alles etwas anschaulicher wirkt. Stil ist zwar keiner dabei, aber dafür hat es ja auch viel Geld gekostet.
Die Leute schimpfen jetzt über die Sozis, die dafür soviel Geld verschwendet haben. Die Innenausstattung ist auch in keiner Weise kleinlich ausgefallen, so daß wir uns mit unseren Büromöbeln in Konstanz dagegen wirklich nicht sehen lassen können. Was die Außenansicht selbst noch anbelangt, so fällt ein ganz besonders hoher Turm auf, der ganz unmotiviert daneben steht. Er paßt zwar zu allem nicht dazu, doch wie gesagt, auf die Schönheit kam es dabei wahrscheinlich nicht besonders an.
Die halb abgebrochenen Häuser und die noch da stehenden sind vollkommen verrußt und verdreckt. Die Seitenfronten der Häuser und die Bauzäune sind mit schreienden Aufschriften oder Plakaten versehen, so daß man sagen könnte, ein Stadtbaumeister hätte hier eine sehr dankbare Aufgabe.
Die Lebensverhältnisse der Bevölkerung sind nach meiner Feststellung, die ich bis jetzt treffen konnte, nicht gerade überragend. Die durch die Deutschen eingesetzten Hilfsmaßnahmen werden wohl in Anspruch genommen, doch von einer ausgesprochenen Dankbarkeit kann wohl keine Rede sein.
Die Leute stehen schon stundenlang, bevor die Ausgabestellen geöffnet werden, Schlage und warten ebenso lange, bis sie an die Reihe kommen. Bei den Franzosen scheint man wahrscheinlich sehr viel Zeit zu haben. Unser Tempo ist ihnen nicht so bekannt und auch nicht so geläufig. Es kann ja sein, daß auch hier noch manche Änderung eintreten wird.
Wenn man das den Leuten hier sagt, daß wir anderes Arbeiten gewöhnt sind oder daß bei uns dies oder das besser sein, so bekommt man hier kaum eine zustimmende Antwort, und wenn, dann nur zögernd. 
Man merkt aber auch in allem, daß diese Herrschaften sich immer noch in ihrem alten Fahrwasser befinden. Man wird wohl nicht alles verallgemeinern können, doch für den Durchschnitt wird dies doch zutreffen. Das war uns ja auch schon früher bekannt. daß sich die französischen Frauen gerne anmalen und gerne neue Kleider anziehen. Dabei kann man aber oft beobachten, daß soweit auch alles in Ordnung ist, aber die Strümpfe sind entweder nicht gestopft oder nicht gewaschen. Weiterhin habe ich hier Kinder gesehen, die tatsächlich vor Schmutz starren, dabei bin ich noch nicht einmal so in die richtige Vorstadt und die Arbeiterviertel hineingekommen.
Wiederholt haben uns schon Kinder angehalten, sie möchten „Money“ oder „Sou“. In dieser Beziehung kann ich nun kein Verständnis aufbringen. Vor allem soll die französische Bevölkerung, die dazu in der Lage ist, dafür aufkommen, denn warum soll denn der deutsche Soldat noch für die Fehlpolitik der französischen Wirtschaft herhalten.
Im Übrigen haben wir ja durch den Einsatz der NSV gewiß schon viel getan. Aber gerade die besser situierten Leute scheinen hier nicht viel für ihre armen Volksgenossen übrig zu haben (bei uns soll es ja auch so etwas geben).
Wir haben uns bis jetzt aus aller Not selbst herausgeholfen, so kann ich auch grundsätzlich und aus diesen Gesichtspunkten heraus mich nicht dazu entschließen, hier etwas zu tun.
Was werdet Ihr wohl heute am Sonntag unternommen haben. Ich glaube kaum, daß Ihr so wechselhaftes Wetter habt, wie es hier bei uns der Fall ist. Meine Haushälterin sagt mir fast jeden morgen „il pluie“ es regnet.
Ja diese Frau macht mir schon einige Sorge, denn die will mir unbedingt französisch  beibringen und ich bin eigentlich gar nicht so scharf darauf. Wenn die Leute was von uns wollen, sollen sie deutsch lernen.
Gestern hat sie mir in meinem  Zimmer einen weiteren großen, zwar älteren Teppich herein gelegt. Sie will mir das wohnen scheinbar etwas angenehmer machen. Eigentlich komme ich ja nur zum schlafen dahin.
Euch alle grüße ich heute wieder recht herzlich. Gib unseren beiden Kerlchen einen herzhaften Kuß. Du sei aber von mir wieder besonders gegrüßt und geküßt. Ich bin auch in der Ferne immer noch Dein Ernst.

Sonntag, 12. Juli 2015

Brief 26 vom 11./12.7.1940


Meine liebe Annie!                                                          Lille, den 11.Juli 1940

Nachdem ich nun auch gestern um 9 Uhr, also anschließend nach dem Essen heimgekommen bin, ist heute dieser Fall schon wieder eingetreten. Meine „bonne“ fragt schon immer, ob sie die Türe schließen kann. Sie erwartet also doch normalerweise, daß man um diese Zeit noch gut ausgehen kann. Da ich nun aber noch die Aufgabe habe, Dir zu schreiben, so habe ich es doch vorgezogen, heimzugehen. Du siehst ja dabei wieder, welch erzieherischen Einfluß Du auch noch in der Ferne auf mich ausübst. Ich tröste mich aber trotzdem noch mit einem Schluck Cherry Brandy, den ich mir zugelegt habe, damit ich daheim an solchen Abenden nicht ganz trocken sitzen muß. Ich habe Dir ja schon einmal geschrieben, aus welchem Grunde man hier diese Getränke zu sich nimmt. Bei unseren Verhältnissen daheim werde ich dann diese Mätzchen wieder ganz von selbst bleiben lassen.
Einer Sache bin ich jetzt so ziemlich auf die Spur gekommen. Mein Einsatz hier ist mit aller Wahrscheinlichkeit darauf zurückzuführen, daß ich mich seinerzeit nach Polen gemeldet hatte. Es ist zwar etwas anderes daraus geworden, doch vielleicht habe ich noch das Glück, nachdem wir Soldaten ja doch nicht heimkönnen, mit nach England dann zu kommen.
Bei der Stärke des Reichs und der Schlagkraft unserer Wehrmacht fängt man auf einmal anders zu denken an. Man weiß nur noch eins, daß wir über England siegen werden und daß dieser Sieg nicht mehr lange auf sich warten lassen wird.
Heute beim Mittagessen ist uns wieder ganz Besonderes serviert worden. Die Vorspeisen, bestehend aus Pilzen und Kartoffelbrei wurde in Muscheln wie wir sie als Aschenbecher kennen, aufgetragen. Ja, für Abwechslung wird gesorgt.
Eine weitere Kleinigkeit habe ich Dir heute wieder gekauft; ich glaube aber, ich muß diese Andeutungen ganz weglassen, sonst wirst Du in Deiner Neugier ja ganz ungenießbar. Wie gesagt, Sorge macht nur die Übersendung. Doch da wird auch noch ein Weg und ein Rat zu finden sein. Post habe ich ja immer noch nicht von Dir erhalten, doch das kann ja auch noch nicht möglich sein.
An Nanni werde ich auch noch schreiben, damit ich einmal meine Schreibverpflichtung wieder erledige. An den Kamerad Gloger werde ich auch demnächst schreiben. Hast Du inzwischen die Schuhe schon erhalten und wenn ja, ist es das richtige? Du wirst mir ja zu gegebener Zeit berichten.
Nimm Du liebes Mädel wieder viele herzliche Grüße und Küsse entgegen von Deinem Ernst.
Küsse unsere beiden Strolche in meinem Auftrag herzlich. Vater grüße bitte von mir. –


Meine liebe Frau!                                                                 L., den 12.7.1940

Seit meinem kurzen Besuch bei Euch sind nun wieder 14 Tage verstrichen und annähernd 2 Monate, seit ich überhaupt einziehen mußte.
Wie lange mir nun die Zeit erscheint, dabei gehen doch im sonstigen Alltag diese Tage nur so dahin, ohne daß man  groß Notiz davon nimmt.
Seit diesen 14 Tagen habe ich nur einmal Post von Dir erhalten. Obwohl ich genau weiß, daß Du nicht daran schuldig bist, weil es durch die Änderung, die  nun einmal eingetreten ist, sich ergibt, so würde ich mich doch wieder freuen, wenn ich wüßte, wie alles bei Euch daheim steht.
Ich stelle mir wohl vieles vor, was Ihr wohl macht oder wie es sonst gehen wird, aber dabei fehlt mir doch die Gewißheit über alles, die ich dann aus Deinen Briefen herauslese.
In dieser Beziehung bist Du ja entschieden besser dran, denn den größten Teil meiner Briefe wirst Du wohl schon haben.
Der Dienst geht nun tagaus tagein seinen üblichen Gang mit den verschiedenen Abwechslungen. Eine Unterbrechung unseres Tagesprogramms ist nur dadurch eingetreten, daß wir heute Abend eine Theatervorstellung hatten, wie Du aus den beigefügten Eintrittskarten ersehen kannst. Es war nun nicht gerade überragend, aber immerhin haben wir uns heute Abend billig unterhalten. Durch diese Vorstellung ist es schon 1/2 12 Uhr geworden und ich bin heute auch nicht eher zum Briefschreiben gekommen. Du wirst daher für heute entschuldigen, daß ich schon Schluß mache.
Wahrscheinlich werde ich am Sonntag Dienst haben, wobei ich wahrscheinlich wieder etwas länger schreiben werde, vorausgesetzt, daß ich sonst nicht daran gehindert werde.
Gute Nacht liebes Mädel, küsse unsere beiden Stromer herzlich von mir und sie sollen nur ja brav bleiben. Du selbst sei aber vielmals und herzlich gegrüßt und geküßt von Deinem Ernst.