Mittwoch, 24. Mai 2017

Brief 259 vom 23.5.1942


Meine liebe Annie !                                                          23.5.42  

In der letzten Nacht hat es, nach vielen schönen Sonnentagen, stark geregnet. Das trübe Wetter hält immer noch an, so daß es den Anschein hat, als wollte es über die Pfingstfeiertage nicht schön werden. Was nutzen hier schon viel die Feiertage oder Sonntage. Erstens wird gearbeitet und dann kann man ja hier aber auch gar nichts unternehmen. Wenn es das Wetter zuläßt, setze ich mich in den Park, sofern im Kino etwas geboten wird, werde ich es besuchen.
Das sind aber alles so Zwangsbehelfe. Man ist von all diesem Tun nicht zufrieden, weil man mit Gewalt die Zeit umbringen muß. Ein Kamerad, der immer meine Gesellschaft suchte, ist ein älterer Krieger. Das hat im allgemeinen nichts zu sagen. Aber der hat so eigenartige Ansichten und ein Wesen, das ich nicht so ohne weiteres verdauen kann. Mein Zimmerkamerad geht seine eigenen Wege, obwohl er sich Mühe gibt, sich mir gegenüber kameradschaftlich zu verhalten. Aber mit keinem kann man richtig warm werden.
Da ich bis jetzt meist noch jemand gefunden hatte, mit dem man einmal Gedanken austauschen konnte, so fehlt mir dies hier ganz und gar. Gerade hier, wo man trotz der ausreichenden Dienstzeit immer noch viele freie Zeit für sich hat, merkt man das in viel größerem Maße. Ich bin immer erst froh, wenn abends das Licht ausgeht und wenn man dann schlafen muß.
Deinem Vater habe ich heute auch noch geschrieben. Ich denke, daß ich jetzt sämtliche Schulden, soweit ich überhaupt welche hatte, erledigt habe. Jetzt habe ich so ziemlich jedem geschrieben, nun warte ich auf die Antworten, die nun in der nächsten Zeit eingehen müßten.
In den nächsten Tagen hoffe ich, auch wieder ein kleines Päckchen fertig machen zu können. Von letzthin habe ich noch eine Dose Fisch da. Heute gibt es wieder eine Tafel Schokolade. Die letzte hatte ich schon aufgehoben, so daß es sich jetzt lohnt, die Sachen zusammenzupacken. Es ist zwar nicht viel, aber ich hoffe, auch damit Euch eine kleine Freude machen zu können. . 
Was werdet Ihr wohl morgen an Pfingsten unternehmen. Geht nur, wenn es das Wetter zuläßt, einmal über den See. Wenn man in der gegenwärtigen Zeit auch keine großen Möglichkeiten hat, so ist es doch immerhin eine Abwechslung und Ihr kommt einmal aus dem täglichen Einerlei heraus.
Mit dem Geld brauchst Du ja nicht so Obacht geben. Denn dazu reicht es ja jetzt. Früher mußten wir immer auf jeden Pfennig sehen, was jetzt nicht mehr so der Fall ist.  Mein Schreibstoff ist mir für heute nun ausgegangen. Ich will darum schließen. Ich glaube, daß Du damit zufrieden sein wirst. Ich grüße Dich und die Kinder recht herzlich. Richt e auch an Vater wieder herzliche Grüße aus. Wie geht es ihm gesundheitlich. Ihr selbst seid recht herzlich geküßt von Deinem Ernst.

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