Sonntag, 7. Mai 2017

Brief 244 vom 30.04.1942


Meine liebe Annie !                                                           30.4.42        
Wieder ist der Tag zu Ende gegangen und ich will mich nun an meinen Tagesbrief setzen. Meine Briefeschreiberei war heute bald in Frage gestellt, weil ich keine Briefumschläge mehr da hatte.  Wie Du aber siehst, habe ich eine Eigenfabrik aufgemacht. Ich denke, daß diese auch ihren Zweck erfüllen werden. Nur die russische Tinte, die ich zum Schreiben habe, sagt mir noch nicht zu. Ich muß sehen, wo ich andere organisieren kann. Das ist hier eben alles schwieriger wie in Frankreich, denn sowas zählt ja schon zu den Kulturgütern.  Gestern bekam ich den Befehl, mich heute beim Oberst, unserem Kommandanten, zu melden. Als ich mich meldete, eröffnete er mir, daß er sich am Samstag oder Sonntag für 4 bis 5 Tage auf Dienstreise begibt und daß ich ihn als Protokollführer begleiten soll. Die Reise wird auf das Land gehen innerhalb unseres Verwaltungsbezirks. Bei dieser Gelegenheit werde ich die Möglichkeit haben, einmal mit der Bevölkerung näher bekannt zu werden. Die Wegeverhältnisse sind durch die Schneeschmelze und den Eisgang auf den Flüssen, der die meisten Brücken zerstört hat, jetzt noch mit einigen Hindernissen verbunden, doch über die Eindrücke, die ich dabei gewinnen konnte, werde ich Dir dann zu gegebener Zeit berichten.
Ob ich während dieser Tage viel zum Schreiben kommen werde, kann ich jetzt noch nicht sagen, doch wenn es sich ermöglichen läßt, schreibe ich regelmäßig weiter.  Daß ich in einem russischen Kurort gelandet bin, habe ich Dir ja schon geschrieben. Was für einer das ist, habe ich Dir auch schon etwas geschildert. Heute will ich Dir aber von etwas anderem berichten. In diesem Ort ist eine Mineralquelle, die früher von den Bonzen und den Juden in Anspruch genommen werden konnte, weil die arbeitende Bevölkerung sich das nicht leisten konnte und auch nicht hierher kam. Jetzt genießen wir die Segnungen dieser Quelle. Das hiesige Wasser, das wir für den täglichen Bedarf haben, weist ziemlich die gleichen Bestandteile auf wie das eigentliche Mineralwasser. Wenn man eine Flasche von diesem Wasser aufmacht, so knallt das, wie wenn man eine Sektflasche aufmacht. Das kommt von den natürlichen Gasen, die in dem Wasser enthalten sind. Die ersten Tage wußte ich von der Zusammensetzung des Wassers noch nicht viel, doch jetzt kann ich mir erklären, warum ich die erste Nacht solche Blähungen hatte, daß es mir schien, ich hätte Durchfall. Da war mir so schlecht, daß ich munter wurde. Das sind aber nur die Gase, die sich im Körper noch auswirken. Für was das nun gut ist, weiß ich noch nicht. Eines habe ich festgestellt, daß es mir bis jetzt noch nicht geschadet hat, das ist ja die Hauptsache. Salze, die in dem Wasser noch enthalten sind, geben ihm einen unangenehmen Beigeschmack, der sich aber beim Tee, den wir meist mit wenig Zucker bekommen, auswirkt. Man kann sich da nur helfen, indem man dem Tee etwas Wodka beifügt, solange man den noch hat, dann läßt er sich auch ganz gut trinken. 
Das Wetter ist hier auch sehr wechselhaft. Heute hat es wieder geregnet, daß die Straßen mit dickem Schlamm bedeckt waren. Ich sende Dir und unseren Kindern  viele herzliche Grüße und viele Küsse. Dein Ernst. 

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