Montag, 15. Mai 2017

Brief 251 vom 15.5.1942


Liebste Annie, meine liebe Frau !                                    15.5.42                                                                                 
Zwei Jahre sind es heute her, daß ich von Euch fort mußte. Was hat sich alles in diesen zwei Jahren ereignet. Manchmal meint man, es sei noch nicht solange her, doch wenn man sich alles wieder durch den Kopf gehen läßt, was man in dieser Zeit erlebt hat, dann scheint es viel länger her zu sein. Es war ein Tag mit genau so herrlichem Wetter wie heute. Wir gingen noch zusammen zur Bahn. Das erste Mal, daß wir uns für längere Zeit verabschieden mußten. Ich weiß, daß es für Dich keine Kleinigkeit war, nachdem wir die ganzen Jahre unserer Ehe, abgesehen von kleinen Dienstreisen, die ich manchmal machen mußte, immer zusammen waren. Dies sollte der erste längere Abschied, die erste längere Trennung sein. Damals ging die Reise nach Göding (?) Mit welchen Vorstellungen ist man seinerzeit zum Militär gegangen.  Was ist davon in Erfüllung gegangen und was nicht. Ich sehe Euch noch mit mir am Bahnhof stehen. Dich und die Kinder. Die letzten Minuten vor der Abfahrt waren so voller Spannung. Ihr standet auf dem Bahnsteig. Ich sehe das alles heute noch so vor mir. Der Zug fuhr dann los. Ihr seid noch neben dem Zuge hergelaufen. Als dann der Zug beim Konzil vorbeigefahren war, sah ich Auch nochmals winken und dann sah ich nicht mehr von Euch. Die Fahrt ging durch die Stadt hinaus nach Petershausen. Oben sah ich nochmal unser Haus und unsere Wohnung. All dies sind Dinge, die Dir und mir so bekannt sind. Straßen, die wir gemeinsam so oft gegangen sind, Erinnerungen tauchten auf, als wir am See lang fuhren, von gemeinsam erlebten Spaziergängen und Fahrten. Ich weiß noch, alle Kameraden waren frohen Muts, denn wir waren ja noch in der Heimat und die strammen Gewohnheiten des Militärs schienen ja noch so fern. Ich weiß aber auch noch, wie ich seinerzeit fortfuhr und den See und die Reichenau sah, wie ich dachte, wie lange wird es dauern, bis ich das alles einmal wiedersehe. Ob ich es gesund erleben werde oder wie. Diese Gedanken und diese Gemütsbewegungen habe ich seither nun schon viele Male durchlebt. Für mich war es in einer Hinsicht immer noch leichter, denn ich war meist im Kameradenkreise oder ich kam wieder zu Kameraden zurück. Euch mußte ich zurücklassen in einer Umgebung, die immer wieder daran erinnerte, daß ich diesen oder jenen Platz ausgefüllt habe.  Dieses Platz war aber nun nicht mehr besetzt, der war leer. Ich weiß genau, wie schwer es Dir dabei jedesmal gefallen ist, diesen Abschied zu überwinden. Ich muß aber sagen, Du hast Dich jedesmal tapfer gehalten und jedesmal, wenn ich Gelegenheit hatte, nach hause zu kommen, konnte ich mich freuen, wie Du Dir Mühe gegeben hast, alles zusammenzuhalten und zu ordnen.  Nach verhältnismäßig kurzer Zeit konnte ich meine militärische Laufbahn unterbrechen. Ich selbst konnte es erst nicht glauben, daß ich schon nach so verhältnismäßig kurzer Zeit Euch wiedersehen durfte. Welche Spannung war das, als ich von Salzburg über München kommend in Lindau eintraf. Ich konnte Euch keinen Bescheid zukommen lassen, weil alles so überraschend kam. Die Fahrt über den See werde ich nie vergessen. Als nach einem schweren Gewitterguß Konstanz in der Ferne auftauchte, war ich voller Freude. Ich kam dann bei uns oben an. Gepäck hatte ich ja nicht viel. Die Kinder waren auf der Straße und kannten ihren Vater nicht mehr, weil er in Uniform auf einmal so unvermutet auftauchte. Welche Freude war das bei uns allen, dieses erste, kurze Wiedersehen. Es gab wieder einen Abschied, der aber durch den Trost des kurzen Wiedersehens gemildert wurde. Diesmal ging die Fahrt nach Köln mit dem weiteren Ziel Lille. Auch da wieder alles so neu. erst noch die wenigen Tage Zivilleben in Köln, bis ich neu gekleidet war. Sobald dies aber durchgeführt war, ging es ab nach Frankreich über Brüssel.
Überall auch neue Eindrücke, die ich Dir ja auch schon früher immer, meist im einzelnen geschildert hatte. Lille bot mir in vieler Hinsicht allerhand Neues. Wenn ich mich nur daran erinnere, wie ich erst mit der Sprache nicht zurechtkam und mein erster Quartiergeber mir immer etwas erzählen wollte und ich keine Lust hatte, mir das anzuhören, weil ich doch nichts davon verstand.  Die schönen Büroräume und die spätere gute Unterbringung, abgesehen von dem anfänglich doch erst guten Essen. Alles in allem gesehen war doch eine schöne Zeit, wenn man sich in erster Linie vor Augen hält, daß man sich bei dem Wiederaufbau der öffentlichen Einrichtungen und der Organisation hat mitwirken können, doch hat man sich in anderer Beziehung nicht wohl gefühlt, weil man wußte, das ist nicht das eigentliche Aufgabengebiet, das einem zusteht. Darum habe ich mich auch immer bemüht, bald in Urlaub zu kommen. Im Oktober des gleichen Jahres gelang mir dies und kurz darauf zum Weihnachtsfest wieder. Jedesmal war es eine große Freude für uns alle. Im Oktober traf ich ja Kurt auch noch und sah ihn seither das letzte Mal. Nach meiner Rückkehr vom Weihnachtsurlaub im Jahre 1940 war ich noch einige Monate tätig und konnte dann wiederum nach Deutschland zurückkehren. Im Februar konnte ich Dir mitteilen, daß ich die Genehmigung erhielt, an einem 3monatigen Lehrgang in Karlsruhe teilzunehmen. Dir war das eine Beruhigung, mich in unserer Nähe zu wissen. Es war uns doch auch Gelegenheit gegeben, einige Male wiederzusehen. Der Abschied war dann noch so schwer, weil die Gewißheit eines baldigen, wenn auch kurzen Wiedersehens bestand. Aber auch diese Beurlaubung ging wieder zuende und durch die Auflösung meiner vorhergehenden Dienststelle, wußte ich nicht, wo geht es jetzt hin. Wieder einmal nahm ich den Stuttgarter Zug, den ich so oft benutzte. Das war wieder schwerer, weil Du Dir auch Sorge machtest, was nun werden würde. Weit kam ich von Lille nicht weg, doch damals schien es mir schwerer, als ich es bei meiner heutigen Lage ansehe. Schließlich hatte ich mich auch in Douai eingelebt und meinen Posten ausgefüllt. Eine Sorge und viel Kopfzerbrechen machte mir Deine Erkrankung. Ich wußte doch, daß Du ziemlich darniederlagst und keine Hilfe und Unterstützung hattest. Dazu waren noch die Kinder zu versorgen. Schließlich setzte sich die Gesundung doch wieder durch und ich konnte dann wieder lesen, daß Du es wieder geschafft hast. Da Ihr dann Gelegenheit hattest, nach Leipzig zu fahren, war wohl eine neue Belastung für Dich, aber auch ein Zeichen dafür, daß Du alles gut überstanden hast. Daß mir das außerdem noch eine Freude war, dieses letzte Wiedersehen mit Deiner lieben Mutter zu begehen, habe ich Dir früher schon öfter erklärt und brauche das heute nicht weiter besonders betonen.  Nun stand schon länger ein weiterer Urlaub von mir in Aussicht.  Dieses Wiedersehen war durch einen Schmerz überschattet, der die Freude nicht in dem Maße aufkommen ließ wie bei früheren Gelegenheiten. Andererseits war ich so froh, bei Dir sein zu können, damit Du über den ersten Schmerz, der Dir durch den Tod Deiner lieben Mutter entstanden war, hinwegkommen konntest. Daß ich Dir dabei eine Stütze sein konnte, bedeutet mir heute noch eine Genugtuung. Obwohl ein Wiedersehen für Weihnachten  oder Neujahr 1941 in Aussicht zu stehen schien und schließlich auch möglich gewesen wäre, es mußte leider unterbleiben. Mit Ungeduld wartete ich diesmal dar auf, Euch noch einmal sehen zu können. Ich wußte ja schon von der bevorstehenden Versetzung. Da ich Dir dies lieber persönlich sagen als schreiben wollte, lag darum nur zu nahe. Ende Februar dieses Jahres ging dann dieser Wunsch auch in Erfüllung. Obwohl ich Dir diese Mitteilung machen mußte, konnten wir bei diesem letzten Male ungetrübte Tage verleben. Die Bilder, die wir während dieses Urlaubs machen konnten, zeugen davon, daß wir die Tage unbeschwert hingenommen haben. Das Bild von Dir, das wir in Kathrinen aufnahmen, steht jetzt mit auf meinem Schreibtisch. Wenn ich Dich ansehe, scheint es so, als wolltest Du lachen. Es ist aber mehr ein Lächeln. Ich freue und erinnere mich dabei jedesmal an jenen Samstagnachmittag, wo wir dort draußen waren.  DAß ich die mir gebotene Gelegenheit für den kurzen Urlaub, den man mir von Douai aus gewähren wollte, nicht benutzte, wirst Du wohl einesteils verstehen. Wie Du meinen Entschluß aufgenommen hast, weiß ich noch nicht, denn ich habe ja schon solange keine Nachricht von Dir. Mir scheint, daß der Abschied, den wir diesmal gehabt hatten, verhältnismäßig schwerer geworden wäre, weil feststand, daß etwas Leichteres nicht kommen würde.  DAß ich Dir dann die immerhin erleichternde telegrafische Mitteilung machen konnte, daß ich nicht zur kämpfenden Truppe zurückkäme, wird Dir, das nehme ich an, das alles nicht ganz so schwer sein lassen, wie es früher erst schien. Ich weiß, Du hättest auch das getragen, weil Du dieses Los nicht allein getragen hättest, sondern ungezählte deutsche Frauen unter dem gleichen Schicksal wußtest. Nun sitze ich hier seit bald 3 Wochen auf der neuen Dienststelle. Habe wohl meine Arbeit, die aber doch nicht den Tag und vor allem den Abend voll ausfüllt. Manchmal kommt man sich vor wie ein Gefangener und möchte gerne ausbrechen, doch wo dann da Mauern zu sein scheinen, sind keine. Man stößt ins Leere. Ich hoffe,, über diesen scheußlichen Zustand hinwegzukommen, wenn ich mir etwas Arbeit mache. Vorwiegend beschäftige ich mich ja mit Briefeschreiben, das ist mir gewißermaßen Erholung.  So sind nun die vergangenen zwei Jahre hingegangen. Ausgefüllt mit Arbeit, mit der Umgewöhnung und Anpassung an neue Lebensverhältnisse, Aber auch mit dem Warten auf neuen Urlaub und damit auf eine Entspannung und Herauslösung aus dem bisherigen Leben. Wie lange dies nun noch so weitergeht, ist ja noch nicht abzusehen. Hoffen wir, wie ich das in verschiedenen Briefen zum Ausdruck gebracht habe, daß dieser Krieg einmal ein baldiges Ende nehmen möge.  Anläßlich dieses Jahrestages habe ich heute nun in großen Zügen einmal das noch einmal geschildert, was sich in meinem Soldaten  Beamtenleben an wesentlichen Dingen ereignet hat. Alle diese Dinge sind Dir ja samt und sonders bekannt, aber ich habe sie uns in dieser Zusammenfassung vor Augen führen wollen, denn erst so merkt man, was sich alle in dieser Zeit ereignet hat und wie lange doch eigentlich diese Zeit schon her ist, seit ich das erste Mal meine Lieben, von Euch Abschied genommen habe.  Ich will bei dieser Zusammenfassung nicht bleiben, ohne dem Wunsch und der Hoffnung Ausdruck zu geben, daß wir den Rest dieses Krieges genau so gesund überstehen wie bisher, damit wir in dem dann auch wieder einmal kommenden Frieden noch viele Jahre gemeinsam all den Verpflichtungen nachgehen können, die das Leben von uns fordern kann.  Ich grüße Dich und die Kinder heute recht herzlich. Bitte Dich, an Vater ebenfalls herzliche Grüße auszurichten. Euch Dreien sendet aber recht herzliche Küsse Dein Ernst.

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