Freitag, 19. Mai 2017

Brief 255 vom 19.5.1942


Mein liebes Mädel !                                                                19.5.42          

Normalerweise hätte ich bis jetzt noch keine Post bekommen und ich werde wohl auf deren Eintreffen noch bis Pfingsten waren müssen. Wenn ich auch gerne weitere Nachricht von Dir hätte, so bin ich froh, daß Du mir dieses Kurzschreiben  auf gut Glück geschickt hattest. Wir bekommen hier ja nicht jeden Tag Post, sondern zwei höchstens dreimal in der Woche. Heute war wieder Posttag, nun kann am Freitag oder erst am Sonntag welche ankommen. Abgesandt wird jeden Tag welche, da entstehen keine Verzögerungen, nur hierher zu dauert es etwas länger. Ich kann mich nur darüber ärgern, daß man die Päckchen in Frankreich nicht weggeschickt hat. Das war doch bestimmt keine Mühe. Man braucht nur noch eine Marke darauf kleben und mit in den Postsack werfen.  Wenn man das aber nicht alles selbst macht, dann muß man immer damit rechnen, daß es nicht gemacht wird. Hoffentlich hat Dein Brief etwas genützt, ich habe bald gute Lust, auch noch einmal zu schreiben. Die Herrschaften sind aber so überbelastet, daß sie keine Zeit dafür haben. Vielen davon würde es nichts schaden, hier auch einmal einige Zeit mitzumachen, dann würde ihnen erst einmal die Augen übergehen und ihre sonstigen Ansprüche müßten sie ein wenig zurückschrauben. Ich hoffe aber, bald günstigere Nachricht in dieser Angelegenheit von Dir zu bekommen. 
Am vergangenen Sonntag hatte ich hier auch zum ersten Mal wieder OvD. Das war ein so anstrengender Dienst, daß ich ihn fast nicht gemerkt habe. In Frankreich war man ja wirklich übereifrig in dieser Beziehung, aber hier ist es so, daß nur ein Schreiber da bleibt und der gibt einem dann Mitteilung, wenn etwas besonderes vorfallen sollte. Wir haben in unserer Unterkunft Telefon, so daß man dann jederzeit erreichbar ist. Man kann also in dieser Eigenschaft ruhig in seinem Quartier schlafen gehen, man ist  also fast nicht gehindert.
Wundern muß man sich nur, welch starker Wechsel zwischen Winter und Sommer hier besteht, bis vor wenigen Tagen konnte ich doch immer noch schreiben, daß es hier sehr kalt sei und daß ich abends nicht einmal warm im Bett wurde. Vom Frühjahr hat man nichts weiter gemerkt, denn jetzt ist eine Wärme, die direkt sommerlich anmutet. Seit Sonntag gewittert es abends immer, so daß es für die Nacht etwas abkühlt, doch das ist fast unwesentlich.
Die Bäume treiben und alles andere auch, was nur möglich ist. Stellenweise blühen die wenigen Obstbäume, das sich in dem vielen jungen Grün ganz gut ausnimmt. Bei uns daheim wird wieder der Apfelbaum blühen oder schon geblüht haben. Das würde ich auch gern wieder einmal daheim erleben. Doch diesen Wunsch muß man auf einen späteren Zeitpunkt verschieben, wie die vielen andern Wünsche auch. 
Jetzt bin ich nun vollständig ausgerüstet. Gestern habe ich noch ein Gewehr empfangen. Am Pfingstsonntag ist Schießen, dann kann ich gleich einmal sehen, wie das Gewehr schießt. Es ist zwar kein deutsches, aber im Modell ähnlich wie unsere Gewehre. Das ist immer noch besser wie die russischen, die die Leute hier vorher empfangen hatten. Jetzt habe ich dann allerhand zu schleppen, wenn es hier wieder einmal weitergeht. Soweit man alles verladen kann und es nicht zu tragen braucht, dann geht es ja auch wieder, aber an der Schlepperei habe ich keine große Freude. Euch sende ich heute wieder recht herzliche Grüße und viele Küsse. Ich hoffe, daß Ihr alle gesund seid, was ja bei mir immer auch noch der Fall ist.
Es grüßt Dich nochmals herzlich Dein Ernst.

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