Montag, 15. Mai 2017

Brief 248 vom 8./9.5.1942


Mein liebes Mädel !              8.5.42                                                                                  

Heute sind wir wieder glücklich und sogar ohne Zwischenfall hier gelandet. Wir sind wieder mit dem Lastkraftwagen gefahren. Diesmal hatte ich mir aber einen Staubmantel besorgt, der mir gute Dienste geleistet hat. Es drang doch der Staub nicht bis auf den Körper durch. Die Wege waren durch den Wind schön abgetrocknet, so daß das Fahren schon ganz gut möglich war.
Man kann sich immer nur wieder wundern, wie schnell die Straßen nach dem vielen Schlamm befahrbar werden. Wenn man hier von schönen Straßen spricht, so sind das nach unseren Begriffen immer noch Feldwege, aber nur etwas breiter wie diese, sonst besteht da wirklich kein Unterschied. Nachdem ich mich wieder gesäubert hatte, habe ich mein Mittagsmahl wieder hier eingenommen. Am Nachmittag habe ich dann meinen Dienst aufgenommen, so daß alles soweit im alten Geleise ist. Ich habe gestern noch ein Kilo Butter besorgen können. Die habe ich vorhin noch verpackt und schicke sie Dir mit zu. Sie wird sich nach der langen Reise sicher nur noch zum Kochen verwenden lassen. Ich denke, wenn Du sie ausläßt und dann mit verwendest, kannst Du Dir doch auch wieder etwas damit helfen. Ich habe hier mein Teil, Du brauchst Dir deshalb keine Sorge zu machen, wenn ich sie nicht für mich hier behalte. Die Päckchen laufen unter der Nummer 2 und 3. Hoffentlich treffen sie gut bei Dir ein. 
Ich bin heute etwas übermüdet und will darum schon meinen Brief beenden. Bleibt mir nur gesund und nimm Du sowie auch die Kinder recht herzliche Grüße und viele Küsse entgegen von Deinem Ernst. Ich erhielt vorhin noch einige Briefmarken, die ich zum Aufheben mit beifüge.

Meine liebste Annie !             9.5.42              

Morgen ist schon wieder Sonntag und ich bin bereits 14 Tage hier.  Dann sind auch 4 Wochen vergangen, seit ich aus Frankreich weggefahren bin. Wenn man solche Zeitabschnitte übersieht, merkt man erst, wie eigentlich die Zeit vergeht. In diesen Tagen, am 15. sind dann genau zwei Jahre vergangen, daß ich beim Militär bin.  Meine ordentliche Dienstzeit habe ich trotz meines Alters, denn über das dienstpflichtige Alter wäre ich ja in normalen Zeiten hinaus gewesen, abgeleistet. Damals glaubten wir nicht, daß man solange mitmachen müßte. Man wächst ja aus allem heraus, wenn man dieses Landeserleben weiterführen muß. Heute hier und morgen da.  Nirgends gehört man hin und doch hat man schließlich ein Zuhause, das ein Anrecht auf einen hat. Aber was nützt das Hadern mit dem Schicksal, man muß immer wieder abwarten und hoffen, daß dieser Kampf auch einmal ein Ende hat. Wenn es nur einmal wieder weitergehen würde, damit man sich sagen kann, das ist wieder ein Stückchen dem Endziel näher. Wie gesagt, man muß ausharren und darf den Mut nicht verlieren.
Hier merkt man ja keinen Unterschied zwischen Samstag, Sonntag und den übrigen Wochentagen. Heute war wieder Dienst bis 6,30 Uhr. Morgen wird bis Mittag gearbeitet.  Als besondere Vergünstigung muß man ansehen, daß man nicht zum Wehrdienst eingeteilt wird. Wenn man wenigstens einen Erfolg bei der ganzen Sache sehen würde, dann hätte man doch eine Befriedigung. Man kommt aber abends heim und fragt sich, was man so den Tag über geleistet hat. Am Ende ist es nichts. So geht das dann tagaus tagein. Solange ich in Frankreich war, konnte ich doch immer noch sagen, in diesem oder jenem Arbeitsgebiet habe ich das und das zu tun gehabt, das ist aber bis jetzt hier noch nicht der Fall. Ich hoffe, daß dies jetzt anders werden wird.
Unser Oberinspektor wird von uns versetzt, jetzt soll ich hier das Sachgebiet der Steuern bearbeiten. Das eigenartige ist dann immer, daß man dann nur Arbeiten hat, die dann für hohe Tiere vorgesehen sind. Ich denke aber, daß ich durch die Übertragung eines selbständigen Arbeitsgebiets etwas mehr von der Arbeit habe wie bisher.
Heute habe ich noch an unserem Reisebericht zu schreiben gehabt. Morgen werde ich mich dann in das neue Arbeitsgebiet knien. Die Menschen sind hier meist sehr nett und ich komme auch soweit gut mit ihnen aus. Genau so ging es mir, als ich dieser Tage auf Dienstreise war, ich traf da einen Hauptfeldwebel, der mich gleich nach dem ersten Essen, bei dem er mich sah, zu sich einlud. Es war ein Wiener und ein wirklich netter Mensch. Auch hier kenne ich einige Kameraden, die mir anständig entgegenkommen. Aber denkst Du, daß ich ihnen irgendwie in einer Beziehung näher kam wie meinetwegen früher in Lille oder gar in Douai.
Ich weiß, daß ich mich nicht gleich mit jedem anfreunden und nicht jedem gleich vertrauen kann. Es waren nur wenige, mit denen ich mich verstand, die habe ich aber alle hergeben müssen.
Wenn man nicht so bei seiner Familie sein kann und dann auch von den Kameraden, die man im Laufe der Zeit gefunden hatte, wieder weg muß, dann erscheint einem alles doppelt schwer. So hat man doch immer jemand gehabt, mit dem man über verschiedene Sachen reden konnte.
Die Postverbindung mit Dir ist auch so langwierig, so daß man ganz im Leeren sitzt. Ich weiß, ich habe Dir vor einem Jahre etwa ähnlich geschrieben. Ich glaube aber auch, daß ich zu sehr an dem Alten, nun einmal angewohnten, klebe, es ist aber  so schwer, wenn man gern aus seiner Haut heraus möchte und kann nicht so wie man will. Du wirst denken, das ist heute ein ganzer Jammerbrief, nimm mir das bitte nicht übel, denn ich muß mir das einmal herunter schreiben, weil ich sonst doch keine Möglichkeit habe, es jemandem zu sagen. Dagegen helfen auch alle Kraftausdrücke nichts, die man sonst bei solchen Gelegenheiten beim Militär anzuwenden pflegt. Ich frage mich nur immer, wie mache ein Glück haben und andere die treibt es nur so herum.
Ich kann schließlich nicht in dem Maße klagen, wie viele andere dazu Veranlassung hätten. Aber ich denke in diesem Falle an die zwei Arbeitskameraden, die mit mir auch beim Stadtkommissar tätig waren und heute noch in Lille sitzen. Sie führen ein ruhiges und gleichmäßiges Dasein und wissen nicht, wie gut es ihnen geht. Ich werde mich durch alles auch wieder durchbeißen, das weißt Du und darum brauchst Du Dir keine Sorgen zu machen. Nur wenn man darüber nachdenkt, dann muß man sich immer nur wieder wundern.
Ich weiß auch, daß ich hier immer noch ein besseres Leben habe, wie bei der Truppe, wenn ich zu dieser hätte zurückkehren müssen.  Doch nun genug davon. Hoffen wir eines, daß bald alles zu einem glücklichen Ende führt. Da ich Dir nun genug von diesen Sachen vorgeheult habe, möchte ich doch noch von etwas anderem schreiben, damit Du nicht denkst, ich sei ganz und gar verbiestert. 
Gestern Abend bin ich ein Stück an die frische Luft gegangen. Als ich so die Dorfstraße, denn viel anderes kann man dazu hier nicht sagen, entlangging, entdeckte ich auf einem der Bäume ein Storchennest. Unweit davon war noch ein zweites. Beide waren bewohnt.  Ich muß sagen, so ein großer Vogel sieht doch schön aus, wenn er so dahin streicht. Bei uns sind sie ja so gut wie vertrieben. Hier in diesen ausgedehnten Sumpfgebieten finden sie ja ein reiches Nahrungs- und Betätigungsfeld. Es hat direkt Spaß gemacht, wie eines der Ehegesponste auf dem Nest saß und dann feste klapperte, wenn der andere zum Nest zuflog. Ein weiterer Vogel, der bei uns sehr selten auftritt, ist mir hier sehr zahlreich begegnet, das ist die Nebelkrähe. Sie ist hier fast zahlreicher wie die andere Krähe. In Krakau hatte ich mich schon gewundert, daß in den Parkanlagen einige Bäume waren, auf denen sich rund 10 solcher Krähennester befanden. In der Stadt, in der wir dieser Tage waren, fiel mir das wieder besonders auf, daß da Krähen sich in einer Anzahl aufhielten, wie ich dies bisher noch nicht beobachtet hatte. Einen weiteren Vogel habe ich unterwegs auf der Fahrt gesehen, der mir aber bis jetzt noch nicht bekannt ist, der aber auch durch seine Größe und sein schönes Gefieder, das an das des Eichelhähers stark erinnerte, mir besonders auffiel. Elstern halten sich auch ziemlich viele in den niederen Gebüschen, das sich längs der Bahn hinzieht, auf. Schwalben konnte ich trotz der kalten Witterung, die immer noch herrscht, vergangenen Sonntag schon beobachten. Ihr Tisch wird bei den vielen Fliegen und Mücken während der wärmeren Jahreszeit auch reichlich gedeckt sein. Die Spatzen darf ich in dieser Aufstellung nicht vergessen.  Sie sind genauso frech wie bei uns und wie ich sie in Frankreich angetroffen habe. Sie sind fast überall zuhause und lassen sich in ihren Streitereien nicht weiter stören. Die Krähen sind mit den Tieren hier sogar so vertraut daß sie den Panjepferden auf dem Rücken sitzen und ihnen das Ungeziefer vom Buckel herunterlesen. Jetzt im Frühjahr, wo die Pferde viel Haare lassen, zupfen sie ihnen auch die Haare aus dem Fell, um damit ihr grobes Nest, das sie bauen, auszupolstern. Jetzt habe ich Dir also noch von etwas anderem berichtet. Ich hoffe, daß Du nun mit mir zufrieden bist. Nimm mir das andere, was ich heute sonst noch geschrieben habe, nicht übel, aber auch nicht so schwer, denn ich mußte mich wieder einmal entlasten. 
Sei Du recht herzlich gegrüßt und ich hoffe, daß Du mit den Kindern vollauf gesund bist.
Ich sende euch auch noch recht  viele Küsse und bin immer Dein Ernst.

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