Sonntag, 7. Mai 2017

Brief 245 vom 1./3.5.1942


Mein liebes Mädel !                                              1.5.42                                                                                                       
Meine Anfänge haben wir wieder. Vor einem Jahr befand ich mich bei Dr. Thomas. Ich weiß noch, daß ich mich in dieser Zeit in einer unglücklichen Stimmung befand. Ich war froh, daß ich über die ersten Tage hinwegkam, um mich wieder an die Verhältnisse zu gewöhnen. Es waren doch ganz veränderte Verhältnisse, die ich dort vorfand, die ich in dieser Form im Vergleich zu meiner Tätigkeit beim Stadtkommissar noch nicht kannte. Die Auswirkungen machen sich jetzt noch bemerkbar.
Heute sprach ich mit meinem Chef über diese Dinge, weil er mir sagte, daß die Beurteilung, die ich von meiner letzten Dienststelle habe, so eigenartig sei.  Über meine dienstlichen Leistungen konnte man mir nichts nachsagen. Diese Beurteilung ist auch gut. Man hat mir aber in anderer Hinsicht noch eins ausgewischt, indem man hineingeschrieben hat, ich sei unkameradschaftlich.
Ich habe dies auch meinem Kriegsverwaltungsrat erklärt, auf was das zurückzuführen ist. Daß das an dem Kleinkrieg liegt, der dort geherrscht hat. Er meinte auch, daß er auf solche Beurteilungen keinen besonderen Wert legt und daß er das dem Obersten auch mitgeteilt hatte. Ich hätte hier nun Gelegenheit, unter Beweis zu stellen, daß es nicht an dem sei, was man mir da angehängt hat. Ich habe hierzu noch bemerkt, daß ich mich beispielsweise noch mit Kameraden schreibe, mit denen ich in Lille vor über einem Jahr zusammen gewesen sei.
Da kannst Du aber einmal sehen, wie weit der Haß der Herren Führer gehen kann und wie sie jeden Sinn für Objektivität dabei verlieren.  Bei dieser Gelegenheit machte mich mein Chef noch darauf aufmerksam, daß unser Oberst großen Wert auf strammes militärisches Auftreten legt. Das habe ich hier ja schon allenthalben gemerkt. Was mich selbst betrifft, so wird von Seiten der Mannschaften und Unteroffiziere streng auf den Rang geachtet. Hier heißt es nur Herr Assistent innerhalb der Diensträume und auf der Straße wird genau auf das Grüßen geachtet. Dieses Theater macht man eben mit, weil es verlangt wird. 
Morgen wird bei uns der erste Mai gefeiert. Für ordentliche Verpflegung ist gesorgt worden. Ab 14 Uhr gibt es sogar Bier, was hier eine ganz große Seltenheit ist. Heute Mittag gibt es Graupensuppe und zum Abendessen Bratkartoffeln und für jeden Mann zwei Eier. Morgen gibt es aber Suppe, Hauptgang und Nachspeise. Zum Abendessen geht es auch groß zu. In dieser Beziehung habe ich es hier ganz gut getroffen.
Dies wird sich zwar auch ändern, wenn wir den Platz hier wechseln.  Gestern Abend habe ich nach längerer Zeit wieder einmal eine Flickerei selbst vornehmen müssen. Meine Handschuhe hatten schon wieder die Nähte entzwei, so daß ich selbst nähen mußte. Das macht mir wohl etwas Mühe, aber jetzt habe ich meine Freude daran, daß sie wieder ganz sind. Andere kleine Arbeiten an meiner Bluse und an meinem Mantel muß ich auch noch vornehmen, damit man hier nicht noch verlottert.  Bis jetzt habe ich immer noch Zeitungen zum Lesen, die Kameraden hier liegen haben, im Übrigen steht bei meiner Freizeitgestaltung an erster Stelle „Schreiben“. Denn ausgehen kann man hier nicht. Nach Dienstschluß ist man einzig und allein auf sein Zimmer angewiesen, weil etwas anderes nicht vorhanden ist. Kino soll es wohl auch geben, aber die Vorstellungen sind so selten, daß man das kaum in Betracht ziehen kann. Zeitungen, wie wir sie in Frankreich bekamen, gibt es hier nicht. Man ist immer wieder auf sich selbst angewiesen.
Herzliche Grüße sendet Dir, mein liebes Mädel und unseren Kindern verbunden mit vielen Küssen Dein Ernst.

Mein liebstes Mädel !                                                   3.5.42            

Gestern habe ich einmal nicht geschrieben. Am Vormittag hatten wir wieder gearbeitet und am Nachmittag war für uns frei. Wir hatten erst ein gutes Mittagessen. Erst gab es eine schöne Suppe, dann Kartoffeln, Soße, Braten. Wer wollte, bekam noch Nudeln dazu. Als Nachspeise gab es dann Grießauflauf mit einem Obstsaft.  Vor längerer Zeit war schon Bier beschafft worden, das nun zur Feier des Tages ausgeschenkt wurde.
Ich hatte mich an der Bezahlung mit beteiligt, weil ich schließlich meinen Einstand geben mußte. Das war eine günstige Gelegenheit dazu. Zum Abendessen war eine internationale Speisekarte zusammengestellt worden. Bratwurst (ukrainisch) mit Kartoffelsalat (deutsch) und italienischem Salat und russischen Eiern, chinesischer Tee, Butter, die man des Wechsels wegen holländisch getauft hatte. Außerdem gab es noch deutsche und russische Zigaretten. Ist das nicht abwechslungsreich? Das Essen war wirklich gut und mit gutem Geschmack zubereitet worden. Die Tische waren sogar weiß gedeckt worden, man kommt sich ganz komisch dabei vor, wenn man sonst alles so schmutzig hier vorfindet.  Nach dem Essen habe ich mich erst einmal schlafen gelegt und dann bin ich noch eine Stunde spazieren gegangen. Nach dem Essen und Trinken, das wir gestern hatten, war das schon notwendig. Am Abend habe ich mich dann bald zu Bett gelegt, habe aber nicht besonders gut geschlafen.
Heute zum Sonntag haben wir am Vormittag erst wieder Dienst, denn nur in dieser Hinsicht unterscheidet sich der Sonntag von den Wochentagen. Arbeit habe ich so gut wie keine, also sitzt man seine Zeit auf dem Büro ab, damit der Tag vergeht. Manchmal kommt es einem wie eine Sünde vor, so den ganzen Tag herumzusitzen und den Tag totzuschlagen. Unsere Fahrt nach auswärts, die gestern Abend schon steigen sollte, ist auf morgen Abend verschoben worden.  Heute Nachmittag ist für uns eine Veranstaltung, die ich besuchen will, damit man sich ein wenig vergißt, denn es ist doch alles zu eintönig. Gestern auch. Die Kameraden können sich da vergnügen und haben ihre Freude an den lächerlichsten Sachen. Ich kann da nicht so mitmachen. Ich sehe zu und freue mich, daß die anderen ihren Spaß daran haben. 
Als ich gestern heimging, kam ich an der Kirche vorbei. Ich habe einen Blick hineingetan. Es war ziemlich dunkel. Die Leute sangen, was ich mir eine Weile mit angehört habe. Ich habe nur die schönen Stimmen bewundern können.  Ganz fabelhafte waren dabei. Man staunt nur darüber, wie klar und hell diese Menschen singen können. 
Heute früh wurde ich stark an zuhause erinnert. Zum Frühstück gab es Kuchen. Die Kameraden hatten genau so einen Zopf backen lassen, wie Du auch immer backst mit Marmelade. Der Teig ist zwar etwas anders, aber es ist doch schön, wenn man auf eine solche Art an zuhause erinnert wird.  Bis Dich mein Brief erreicht, wird ziemliche Zeit vergehen. Ich will Dir darum für den Muttertag meine besten Wünsche übermitteln. Ich hätte Dir gern selbst wieder ein paar Blumen in die Vase gestellt, aber das läßt sich ja alles nicht machen. Ich hoffe aber, daß Dir trotzdem welche beschert werden. Unsere Kinder werden sich sicher wieder Mühe geben, um Dir mit ihren bescheidenen Mitteln diesen Tag zu einem Ehrentag zu gestalten.  Ich entsinne mich noch gut des einen Muttertags, an dem ich Dir die schöne Vase schenken konnte. Ich weiß noch gut, welche Freude Du daran hattest. Ich hoffe fest, diesen wie verschiedene andere Familientage wieder einmal mit Dir und den Kindern feiern zu dürfen. Manchmal kann man es nicht begreifen, dass man nicht daheim sein kann und daß man noch kein Ende dieser Zeit absehen kann, aber man darf sich von diesen Tatsachen nicht überwältigen lassen.
Ich danke Dir auch heute wieder recht herzlich für all die Treue und für all die Liebe, die Du mir in all den Jahren unseres Zusammenlebens bewiesen hast. Ich danke Dir aber auch für all die Aufopferung und für die Pflichttreue, die Du der Familie gegenüber entgegengebracht hast. Mir ist es immer eine Beruhigung, wenn ich Dich gesund daheim weiß, weil ich dann die Gewißheit habe, daß daheim alles seinen geregelten Gang geht und daß alles seine Ordnung hat. Die Kinder bedürfen während dieser harten Kriegszeit einer besonderen Betreuung und die Versorgung daheim ist nicht so einfach wie in normalen Zeiten. Daß das aber immer noch soweit geklappt hat, rechne ich immer noch als Dein Verdienst an. Ich danke Dir darum nochmals für alles recht herzlich und wünsche Dir für das kommende Jahr wieder ganze Gesundung.  Verlebe diesen Tag gesund und sei überzeugt, daß ich an diesem Tage besonders in Gedanken bei Euch sein werde. 
Ich denke, daß Du nun im Laufe dieser Woche doch meinen ersten Brief von hier bekommen wirst, damit Du mir dann auch bald wieder schreiben kannst. Es ist eine lange Zeit, seit ich nichts mehr von Dir bekommen habe. Heute sind es bereits 3 Wochen her und bis ich Nachricht bekomme,. werden noch weitere 14 Tage vergehen.  Dir und unseren beiden Lausern sende ich recht viele und herzliche Grüße und Küsse. Dein Ernst.

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