Montag, 15. Mai 2017

Brief 250 vom 12./14.5.1942


Mein liebes Mädel !                                                           12.5.42                                                 

Wie sich das Wetter entscheidet, steht immer noch nicht fest.  Wird es nun Frühjahr oder bleibt es Winter. Der Wechsel ist immer so stark, daß man fast Zweifel hegen könnte, wie es sich entscheidet. Heute ist es draußen wohl wieder etwas wärmer, aber das ist meist nicht von langer Dauer. Durch Zufall erfuhr ich gestern von unserem Oberinspektor von einem Arbeitskameraden, der mit mir beim Stadtkommissar in Lille tätig war. Dieser Oberinspektor hat mit diesem Mann in Griechenland zusammengearbeitet. Heute höre ich nun, daß dieser Mann kürzlich auch in Krementschuk war, wo ich doch zuerst hingeleitet wurde und das nur rund 200 km südöstlich von hier eingesetzt ist. Man sieht doch daraus, wie klein die Welt eigentlich ist. Es hätte eigentlich erst so kommen sollen, daß dieser Mann hier eingesetzt werden sollte. Jetzt ist er aber zu der anderen Dienststelle gekommen. 
Vorhin ist mein neuer Zimmergenosse aus dem Urlaub zurückgekommen. Den ersten Eindruck, den ich von diesem Mann gewonnen habe, ist nicht der, daß ich mir sagen könnte, es wäre mir zeitlebens ein Vergnügen mit ihm zusammen sein zu können. Vielleicht bessert sich dieses Bild im Laufe der Zeit, das läßt sich nun einmal nicht so machen, daß man sich die Mitmenschen bestellt, wie man sie gern haben möchte. Man kann sich ja schließlich trösten, daß der Krieg nicht ewig dauert. 
Bettzeug habe ich jetzt also auch bekommen. Nun sieht das alles schon etwas menschlicher aus. Man muß immer Ausdauer haben in der Verfolgung seiner Ziele, denn sonst erreicht man hier nichts. 
Von unserer Dienstreise fällt mir noch etwas ein, was Dich vielleicht interessieren wird. Die Leute, die draußen auf den früheren russischen Staatsgütern eingesetzt waren, leben ja ziemlich einsam draußen, doch sie sind gewissermaßen die Herrscher aller Heerscharen. Daß die Leute mit Einrichtungsgegenständen nicht gerade überhäuft sind, nachdem die Russen all das zerstört haben, was ihnen noch möglich war, das läßt sich wohl denken. Bei einem dieser Bezirkslandwirte wurden uns dann Kinderteller vorgesetzt. Auf diesen waren Kinder abgebildet, wie es wohl der Wunschtraum der früheren Machthaber gewesen sein mag, viele auch nicht, denn das kann man ja auch nicht kontrollieren.
Die darauf abgebildeten gesunden Kinder, verdankten ihren Eindruck nur einem Spruch, der darüber stand, denn der hieß: „Iß und trinke, damit du kühn und stark wirst wie Woroshilow“. Soweit ging also schon die Sowjetpropaganda, daß man auf den Kindertellern seine Parolen anbringen mußte. Spaßiger war es bei dem anderen Landwirt, der hatte für 6 Mann nur 2 Trinkgläser und 4 Eßgeräte zur Verfügung. Das ist aber nun wieder weniger schlimm, indem man sich hilft und wartet, bis die anderen fertig sind. Das sind so kleine Episoden, die sich unterwegs hier ereignen können. 
Wenn Du mir ab und zu eine Zeitung schicken könntest, ganz gleich, ob es eine Illustrierte oder eine andere Zeitung ist, würdest Du mir eine Freude bereiten. Aber bitte sei so lieb, nicht zuviel. Tageszeitungen bekommen wir hier nicht.  Unser Radioapparat tut z.Zt. nicht, so daß man auch nicht immer auf dem Laufenden ist. Man erfährt dann doch wieder einmal, was in der übrigen Welt draußen vorgeht, wenn es meist auch schon überholt ist, aber das macht ja nichts, denn man ist ja in dieser Beziehung so anspruchslos geworden. 
Wie Du aus dem Durchschlag schon siehst, habe ich heute auch an Helga und Jörg geschrieben.  Ich weiß ja nicht, ob beide Briefe zu gleicher Zeit eintreffen.  Für heute Euch allen recht herzliche Grüße und Dir viele Küsse sende Dein Ernst. 
Sende mir doch bitte auch nochmals die Postkarten mit, die Du mir einmal nach Frankreich gesandt hattest. Es sind die vom Bodensee, die Nachbildungen des Malers Dieter sind.  Ich möchte sie mir hier an meine kahle Wand machen, damit es ein wenig freundlicher aussieht.

Mein liebstes Mädel !                                                           12.5.42           

Ich bin immer froh, wenn wieder so ein Tag herumgegangen ist. Man hat dann doch einmal ein wenig Zeit und kann sich dann zu Bett legen, so daß man von allem eine ganze Weile nichts mehr hört und sieht. Der Tag hatte ja heute nicht schlecht angefangen. Ich bin zwar kein Freund davon, daß man schon am frühen Morgen Lorbeerkränze überreicht bekommt. Der Oberst traf mich heute früh und bedankte sich bei mir für den Bericht von der Dienstreise und sagte, daß ich diesen sehr gut gemacht hätte und vor allem nur das kurz und knapp beschrieben hätte, was wesentlich sei. Mir ist es bei solchen Sachen immer etwas peinlich zumute. Ich bin dann immer froh, wenn diese Dinge wieder vorbei sind. Andere würden natürlich ein großes Gegacker mache, wie eine Henne, wenn sie ein Ei gelegt hat. Manchmal bedauere ich, daß ich das nicht auch in der Weise kann. Andererseits bin ich aber auch wieder froh darum, daß ich mich in dieser Hinsicht immer noch nicht geändert habe.  Wenn es die Leute von selbst merken, soll es mir recht sein, die, die es nicht merken oder nicht merken wollen, sollen es bleiben lassen. 
Jetzt wird es vielleicht doch warm werden. Heute Abend ist es nicht einmal kalt draußen, wie es in den letzten Nächten immer noch der Fall war. Als ich vorhin draußen war, denn wenn man hier etwas verrichten muß, muß man erst ein Stück über den Hof laufen, konnte ich feststellen, daß eine ganz linde Luft ging. Der Sternenhimmel war schön zu sehen. Der Große Wagen stand direkt über unserem Haus. Die Grillen zirpten und die Frösche im nahen Sumpf quakten. Es war eine fidele Abendstimmung, die die Nähe des Krieges nicht verspüren ließ. Hoffen wir, daß es bald wieder weitergeht, damit wir die Nähe des Friedens merken können. 
Denn sobald der Vormarsch wieder einsetzt, kommen wir ja dem Frieden und damit dem Kriegsende näher und näher. Ich hoffe, daß Dir die Blumen, die ich zum Muttertag in Konstanz bestellt und bezahlt hatte, von dem Geschäft Stadtmüller am Sonntag rechtzeitig zugestellt werden. Ich konnte ja nichts weiter tun, denn hier kann man ja rein nichts kaufen. Das war im letzten Jahre in Frankreich im bescheidenen Maß möglich. Zum Geldausgeben hat man fast keine Gelegenheit. Du brauchst mir hier also keine Zuschüsse mehr leisten, wie das bisher in Frankreich der Fall war. Wenn ich aber bedenke, was ich habe alles für Euch kaufen können, so bin ich wirklich froh darum, daß ich die Gelegenheiten, die sich im letzten Jahre noch boten, ausgenützt hatte. Mit manchen Sachen kannst Du Dir doch heute noch helfen und ich glaube mit manchen Bekleidungsstücken wärst Du schlecht bestellt. Darum tut mir auch das dort verwendete und ausgegebene Geld in keiner Weise leid, im Gegenteil freut es mich, wenn ich weiß, daß Du  Dir manchen Weg dadurch ersparen konntest und damit manche Erleichterung hattest. Die Kosten, die mir jetzt bei der Wiederaufnahme der Familienforschung entstehen, kann ich alle jetzt selbst bestreiten. Dafür habe ich noch immer Geld zur Verfügung. Du wirst also von mir dafür nicht in Anspruch genommen. Wenn Du Dir also Rücklagen machen willst, so hast Du ja jetzt Gelegenheit dazu. Ich weiß ja, daß auch Ihr keine großen Sprünge machen könnt, weil Euch in jeder Beziehung die Flügel beschnitten sind.  Ich bedaure es, daß ich Euch von dem überschüssigen Brot, das ich jeden Tag habe, nichts schicken kann, entweder wird es zu trocken oder es wird schimmlig. Du siehst daraus, daß wir hier bestimmt nicht knapp leben. Ich sende Dir und den Kindern recht viele und recht herzliche Grüße und Küsse. Bleibt mir gesund und denkt auch immer wieder an Euren Vater. Ernst. 

Mein liebstes Mädel !                                                          14.5.42   

Um einen Tag hatte ich mich gestern geirrt. Ich nahm an, daß erst der 12. sei, doch wie ich heute feststellen konnte, waren wir schon einen Tag weiter. es soll auch so recht sein. Meinen gestrigen Brief konnte ich gleich einem Kameraden mitgeben, der nach Deutschland auf Urlaub fuhr. Wenn ich diesen Brief noch rechtzeitig fertig bekomme, geht dieser vielleicht auch noch mit. Ich weiß ja nicht, in welcher Weise und in welcher Reihenfolge Dich meine Post erreicht, ich hoffe aber, daß Du mir nicht böse sein wirst, wenn Du einmal einen Brief früheren Datums erhältst. Heute haben wir richtiges Himmelfahrtswetter, das war in früheren Jahren immer Anlaß gewesen zu einem Ausflug, soweit das Wetter dies zuließ. Vor Jahren fuhren wir mit dem Rad in die Gegend. Ich kann mich gut erinnern, wie wir Pfingsten mit den Kindern einmal nach Lindau fuhren. Wenn die Fahrt auch anstrengend war, so war sie doch schön. Heute müßten ja unsere Beiden selbst mitstrampeln, wenn sie mitkommen wollten, denn jetzt könnte man sie schlecht noch auf längere Strecken mitfahren, weil sie zu schwer sind.  Pfingsten rückt nun immer näher. Eine andere Fahrt kommt mir da in den Sinn. Diese machten wir mit dem Faltboot und zwar war das unsere erste große Unternehmung. Wir waren ja noch Neulinge und wollten nach Schaffhausen fahren. Wenn man sich das überlegt, dann kann man sich nur wundern, mit welcher Einfalt man damals einfach loszog. Die Rückfahrt hat uns dann auch entsprechend belehrt. Aber als dann alles gut gegangen war, hat man sich doch gefreut, daß alles doch noch so geklappt hatte. Auch dieses Geschehnis liegt jetzt genau 10 Jahre zurück. Diesmal hockt man nun in dem lausigen Rußland und hofft, daß dieser ganze Krieg bald einmal ein Ende nehmen wird. Eine freudige Meldung konnten wir ja gestern schon hören, daß es im Südenden Russen bei unserem ersten größeren Angriffsunternehmen ziemlich Verluste an Gefangenen und Material gekostet hat. Bald wird dann auch die Zeit kommen, wo es an anderen Stellen weitergehen wird.  Daß unsere Küche sehr erfindungsreich ist, wenn es sich um die Namen der Speisen handelt, habe ich Dir ja schon einmal geschrieben.  Neulich stand auf dem Speisezettel „Spätzle mit Fruchtsaft“.  Obwohl ich nun nicht gerade ein Verfechter für sämtliche Spätzlegerichte bin, hatte ich mich doch gefreut, wieder einmal etwas vorgesetzt zu bekommen. Meine Überraschung war dann aber doch ziemlich groß, als mir dann, als mir dann lauter gekochte Mehlkugeln serviert wurden, die man alle einzeln zerbeißen mußte. Ich weiß nicht, wie man das sonst näher bezeichnen sollte. Alle waren wie Kaugummi. Gegessen hat man sie dann doch, wenn es auch alles andere war wie Spätzle. Im großen und ganzen  ist das Essen hier bestimmt in Ordnung und satt bin ich bis jetzt noch jedesmal geworden. Die ländlichen Einwohner stellen ja meist hier weniger Ansprüche. Von früh bis Abend kannst Du die Leute hier sehen, wie sie Sonnenblumenkerne kauen. Ich nehme an, daß sie auch noch anderes essen, aber auf der Straße und wo sie sonst noch herumstehen, sie beißen. Meist haben sie dann die Schalen  der Kerne auf den Lippen und dann muß man aufpassen, daß sie einem die Schalen nicht in das Gesicht spucken. Die Leute sind aber zufrieden und kennen das nicht anders. Große Bedürfnisse haben sie hier nicht, darum ist auch der Lebensstandard bedeutend niedriger wie bei uns. Ich schrieb Dir ja schon einmal man wundert sich, mit wie wenig ein Mensch auskommen kann. Ich will aber dabei betonen, daß ich mich, nachdem ich es nun einmal anders kennen gelernt habe, bestimmt nicht dabei wohlfühle, wenn ich hier so leben muß.
Recht herzlich grüße ich Dich und die Kinder. Ich wünsche Dir und den Kindern ein gesundes Pfingstfest, ich wünschte mir, daß wir einmal die Möglichkeit hätten, bald einen dieser Feiertage gemeinsam verleben zu können. Bleibt mir vor allem gesund, das ist heute alles, was ich als erstes wünschen kann. Nimm Du aber recht viele Küsse entgegen von Deinem Ernst.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen