Mittwoch, 24. Mai 2017

Brief 260 vom 24.5.1942


Mein liebes Mädel !                                                            24.5.42   

Meine Hoffnung hat sich nun doch erfüllt. Deinen lieben Brief vom 9.5. habe ich heute erhalten. Das ist nun der erste Brief an meine neue Feldpostnummer. Wie ich daraus ersehe, mußt Du aber schon vorher einen weiteren Brief an mich geschrieben haben, denn Du nimmst auf verschieden Sachen Bezug, die ich mir bis zum Eintreffen dieses Briefes so erklären muß. Gestern Abend erfuhr ich, daß heute bestimmt wieder Post gebracht wird.
Ich weiß nun nicht, war es das stürmische Wetter oder war es die Spannung auf eine Nachricht von Dir. Ich war heute früh schon gegen 4 Uhr munter und konnte auch nicht richtig wieder einschlafen. Ich kam mir vor wie ein Kind, das auf das Klingelzeichen am Weihnachtsabend wartet. Immer, wenn jemand auf dem Gang bei uns herumlief, dachte ich, jetzt kommt der UvD und bringt die Post. Doch erst beim Wecken kam er zu uns ins Zimmer und legte Deinen Brief vor. 
Ich war schon aufgestanden. Zum Brieflesen habe ich mich dann erst noch einmal hingelegt, damit ich ihn mit der richtigen Ruhe lesen kann. Ich danke Dir für die Beifügung der Briefdurchschläge. Die werde ich mir erst einmal zurücklegen, wenn ich nichts mehr da habe. Hier habe ich erst einmal meinen Fabrikationsbetrieb erweitert und mir etwa hundert Briefumschläge vorbereitet.  Ich nehme an, daß sie ordentlich ankommen und ihren Zweck genau so erfüllen. Ich habe mich, obwohl es nicht der Anfang Deiner Briefreihe ist, trotzdem sehr gefreut, von Dir nun wieder Nachricht bekommen zu haben. Nun weiß ich doch, daß ich jetzt endlich den Anschluß an die Außenwelt wieder gewonnen habe.
Man kommt sich so völlig abgeschnitten vor, wenn man lange Zeit nichts Richtiges erfährt. Mit dem Namen Deiner früheren Klassenkameradin stimmt das. Sie ist aber Halbjüdin; was ja sonst rassenmäßig nicht weiter von den Volljuden unterscheidet. Wie mir Erna sagte, sitzt das Mädel da und hat keine Beschäftigung. In Polen geht man ja noch glimpflicher mit diesen Menschen um wie hier, doch darüber einmal bei einer anderen Gelegenheit.  Wegen dem Brauchen von irgendwelchen Sachen habe ich ja in meinen vorhergehenden Schreiben verschiedene Wünsche ausgesprochen. Heute fällt mir ein, daß mir etwas Zahnpasta fehlt. Wenn Du dort welche kaufen kannst, so schicke mir doch einmal eine Tube mit zu. Wenn Du Zigaretten hast, so sende sie nur mit her, denn die werde ich hier reißend los. Meist ist es ja so, daß der Bedarf größer ist wie die Zuteilung und die Sendungen. Wenn einmal ein Brief schneller da ist, wie die anderen, dann liegt das meist daran, daß ich ihn auf Urlaubgehenden Kameraden mitgeben kann. Gestern war dies auch wieder der Fall.  Ich denke aber, daß Du mir darum nicht böse bist, wenn Du einmal außer der Reihe Post von mir bekommst.
Vor einigen Tagen konnte ich Dir schon andeuten, daß wir Briefmarken bekommen, zur Benutzung der Luftpost. Die Briefe werden dann schneller gehen wie sonst. Der Postverkehr ist dann nicht nur einseitig, sondern geht auch von der Heimat zur Front. Die Briefe dürfen nicht mehr wie 10 Gramm wiegen. Andere Bestimmungen bestehen keine weiter. Ich werde Dir dann von den zugeteilten Marken etwas abgeben, damit Du mir auch einmal schreiben kannst, wenn etwas Eiliges vorliegen sollte. 
Was das mit dem Brief an Deinen Vater auf sich hat, muß ich nun erst abwarten. Auch darüber kann ich noch nichts schreiben, was Dein Vater über Erna geäußert hat. 
Bei dem schlechten Wetter kann man heute nicht einmal hinausgehen. Es ist darum gut, daß für einen ordentlichen Magenfahrplan gesorgt wurde. Heute früh gab es wieder Kuchen und Bohnenkaffee. Als Nachspeise ist Grießauflauf mit Fruchtsaft vorgesehen. Anschließend gibt es dann Likör. Um 2 Uhr ist dann Kaffee und Kuchen vorgesehen. Das Abendbrot wird dann auch wieder in Ordnung sein. Du wirst denken, treiben die eine Völlerei. Ich würde gern darauf verzichten, wenn ich wieder einmal eine Weile bei Euch sein könnte. Doch für heute nur wieder recht herzliche Grüße und ebenso herzliche Küsse sendet Dir und den Kindern Dein Ernst.

Brief 259 vom 23.5.1942


Meine liebe Annie !                                                          23.5.42  

In der letzten Nacht hat es, nach vielen schönen Sonnentagen, stark geregnet. Das trübe Wetter hält immer noch an, so daß es den Anschein hat, als wollte es über die Pfingstfeiertage nicht schön werden. Was nutzen hier schon viel die Feiertage oder Sonntage. Erstens wird gearbeitet und dann kann man ja hier aber auch gar nichts unternehmen. Wenn es das Wetter zuläßt, setze ich mich in den Park, sofern im Kino etwas geboten wird, werde ich es besuchen.
Das sind aber alles so Zwangsbehelfe. Man ist von all diesem Tun nicht zufrieden, weil man mit Gewalt die Zeit umbringen muß. Ein Kamerad, der immer meine Gesellschaft suchte, ist ein älterer Krieger. Das hat im allgemeinen nichts zu sagen. Aber der hat so eigenartige Ansichten und ein Wesen, das ich nicht so ohne weiteres verdauen kann. Mein Zimmerkamerad geht seine eigenen Wege, obwohl er sich Mühe gibt, sich mir gegenüber kameradschaftlich zu verhalten. Aber mit keinem kann man richtig warm werden.
Da ich bis jetzt meist noch jemand gefunden hatte, mit dem man einmal Gedanken austauschen konnte, so fehlt mir dies hier ganz und gar. Gerade hier, wo man trotz der ausreichenden Dienstzeit immer noch viele freie Zeit für sich hat, merkt man das in viel größerem Maße. Ich bin immer erst froh, wenn abends das Licht ausgeht und wenn man dann schlafen muß.
Deinem Vater habe ich heute auch noch geschrieben. Ich denke, daß ich jetzt sämtliche Schulden, soweit ich überhaupt welche hatte, erledigt habe. Jetzt habe ich so ziemlich jedem geschrieben, nun warte ich auf die Antworten, die nun in der nächsten Zeit eingehen müßten.
In den nächsten Tagen hoffe ich, auch wieder ein kleines Päckchen fertig machen zu können. Von letzthin habe ich noch eine Dose Fisch da. Heute gibt es wieder eine Tafel Schokolade. Die letzte hatte ich schon aufgehoben, so daß es sich jetzt lohnt, die Sachen zusammenzupacken. Es ist zwar nicht viel, aber ich hoffe, auch damit Euch eine kleine Freude machen zu können. . 
Was werdet Ihr wohl morgen an Pfingsten unternehmen. Geht nur, wenn es das Wetter zuläßt, einmal über den See. Wenn man in der gegenwärtigen Zeit auch keine großen Möglichkeiten hat, so ist es doch immerhin eine Abwechslung und Ihr kommt einmal aus dem täglichen Einerlei heraus.
Mit dem Geld brauchst Du ja nicht so Obacht geben. Denn dazu reicht es ja jetzt. Früher mußten wir immer auf jeden Pfennig sehen, was jetzt nicht mehr so der Fall ist.  Mein Schreibstoff ist mir für heute nun ausgegangen. Ich will darum schließen. Ich glaube, daß Du damit zufrieden sein wirst. Ich grüße Dich und die Kinder recht herzlich. Richt e auch an Vater wieder herzliche Grüße aus. Wie geht es ihm gesundheitlich. Ihr selbst seid recht herzlich geküßt von Deinem Ernst.

Montag, 22. Mai 2017

Brief 258 vom 22.5.1942


Meinen liebe Annie !                                                  22.5.42    

Posttag war heute und ich hatte mir ganz fest vorgenommen, nicht zu schreiben, weil ich wieder keine Post von Dir bekommen habe.  Wie zum Hohn erhielt ich eine Karte, die ich an Siegfried geschrieben hatte, wieder zurück. Diese war in Berlin am 12. abgestempelt worden, so daß ich mir sagen konnte, bis zu diesem Tag mußtest Du doch schon Post von mir erhalten haben. Ob der Weg nun von Berlin oder von Konstanz weiter hierher ist, weiß ich ja nicht. Jedenfalls war mir das heute früh wie eine kalte Dusche. Wenn man dann sieht, wie die anderen Kameraden alle Post erhielten, dann ist das ziemlich niederdrückend, wenn man leer dabei ausgeht. Immer wenn es dann heißt, morgen früh gibt es Post, dann hat man so eine stille Hoffnung, daß vielleicht auch etwas dabei sein könnte, doch wenn man dann wieder vor die Tatsache gestellt wird, daß dem nicht so ist, dann ist man wieder ziemlich ernüchtert. Doch was hilft da alles Grollen, man ändert daran ja doch nichts.
Ich bin auch davon überzeugt, daß Du mich keine Stunde länger waren läßt als dies notwendig ist. Wenn ich Dir das alles geschrieben habe, dann soll das kein Schuldbeweis für Dich sein. Ich denke aber auch, daß Du Verständnis dafür hast, wenn ich mir irgendwo meinen Groll von der Seele wälzen muß. Nimm dies bitte darum nicht alles so wörtlich wie es geschrieben ist, denn wie gesagt, Dich trifft ja keine Schuld an allem. Ich hoffe also wieder stark auf die nächste Post, die wahrscheinlich am Sonntag eintreffen soll. Die Hoffnung habe ich noch nicht aufgegeben und das ist doch auch ein Erfolg. 
Es ist hier davon gesprochen worden, daß es Briefmarken geben soll, die berechtigen, im Rahmen der erteilten Marken die Luftpost zu benutzen. Dann kannst Du ab und zu einmal schneller einen Brief von mir erhalten als sonst. Da wollen wir aber erst wieder warten, bis es soweit ist. 
Wie ich Dir, mir ist es jedenfalls so in Erinnerung, schon einmal mitgeteilt hatte, bin ich bei den hiesigen Verpflegungs- , Einkaufs- und Besoldungsverhältnissen nicht mehr auf die monatlichen Geldüberweisungen angewiesen, wie das bis jetzt der Fall war.  Sobald ich Klarheit habe über die Bezahlung des Restes an den Bekannten in Frankreich, wäre nur noch diese Sache zu klären.
Wenn Dir das Haushaltsgeld nicht reichen sollte, kannst Du ja das abändern. Bei Deiner sonstigen Gepflogenheit nehme ich an, daß Du einen Teil wieder auf die Kante legen wirst. Auf diese Weise hast du ja bald Dein Ziel erreicht, das Du vorhattest. Ich kann nur immer wieder feststellen, daß ich froh bin, daß ich letztes Jahr noch die Schuhe gekauft habe. Stoff hast du auch noch da und Jörg ist mit dem Anziehen auch noch versorgt. Du brauchst ja auch noch nicht gleich Bange haben, daß Du für die nächste Zeit nichts anzuziehen hättest.
Daß ich für zusätzliche Verpflegung für Euch nichts mehr tun kann, macht mir ab und zu Gedanken, vor allem, wenn ich hier immer wieder das viele Brot habe, das ich nicht allein essen kann.  An Siegfried habe ich nun gleich heute noch geschrieben. Den Durchschlag meines Schreibens habe ich beigefügt. Ich wollte nicht, daß er erst lange warten muß. Ich nehme zwar dabei an, daß er Wert auf meine Post legt.  Heute habe ich wieder einmal ein Buch ausgelesen, das nicht gerade so ein Schund war, wie ich ihn in den letzten Tagen oft lesen mußte, nur damit die Zeit herumging. Es kommt auch aus der Bücherreihe des  Verlags, wovon wir schon einige jetzt daheim haben. Mir hat das Büchlein sehr gut gefallen. Vor allem war es wieder eine willkommene Ablenkung. Herzlich grüße ich Dich und die Kinder und sende Euch allen viele Küsse. Dein Ernst.

Brief 257 vom 21.5.1942


Meine liebe Annie !                                                        21.5.42        

Weitere 4 Wochen kann ich nun nicht mehr auf Post von Dir warten und dabei jeden Tag an Dich schreiben, denn ich habe das Gefühl, daß mir dann der Stoff bald ausgehen wird. Soviel passiert hier nicht, daß man jeden Tag davon einen großen Brief schreiben kann.  Daß ich schon so einseitig teilweise bedrucktes Papier verwende, muß nun nicht etwa ein Zeichen dafür sein, daß ich jetzt langsam abbauen will, sondern das ist nur ein Zeichen der Sparsamkeit oder besser gesagt ein Mangel an Papier.
Im vergangenen Jahre hatte ich noch diese Bögen immer weggeworfen, aber da jetzt alles knapp und knapper wird, muß ich den Vorrat, den ich noch da hatte, etwas strecken. Man merkt eben überall, daß der Krieg nun schon länger geht, auch an diesen kleinen Sachen.
Heute ist zur Abwechslung wieder einmal Impfen. Mich trifft es 3 Wochen hintereinander. Es handelt sich um eine Impfung, die ich noch nicht mitgemacht habe und zwar gegen Cholera. Da, wo ich bis jetzt war, hat man das nicht gebraucht, aber hier sind die Verhältnisse so hervorragend, daß man auch dagegen einmal eine Spritze bekommen muß. Einige Kameraden, die selbst als gefährdet angesehen worden sind, haben eine Spritze gegen Fleckfieber erhalten. Fleckfieber tritt hier häufiger bei der Bevölkerung auf und dann wieder vorwiegend bei Kriegsgefangenen. Diese Leute überstehen das noch besser wie wir, darum treten bei den Einheimischen auch im Verhältnis nicht so viele Todesfälle auf wie bei uns hier Zugewanderten. Andere Länder, andere Sitten, aber auch andere Krankheiten.  Man muß sich überall vorsehen, aber trotz aller Vorsicht kann man doch etwas bekommen. Wenn es nur Ungeziefer ist. Aber gerade die Läuse werden als Krankheitsüberträger des Fleckfiebers angesehen.  Bis jetzt habe ich noch kein Ungeziefer gehabt. Ich bin darum nicht traurig und würde froh sein, wenn ich keines auffangen würde. Doch dafür kann man nicht garantieren, vor allem, wenn man auch immer wieder mit Publikum zu tun hat. 
Dieser Tage mußte ich hier einen ukrainischen Friseurladen aufsuchen. Der Haarschneider, der sich bei unserer Einheit bis jetzt befand, ist versetzt worden. Bis er sich dann dazu bequemte, mußte man ihm erst vielmals gute Worte geben und dann kam er immer noch nicht. Das mußte der Mann keinesfalls umsonst machen. Er wurde dafür bezahlt und das war dann sein eigenes Geld. Aber das reizte ihn nicht mehr. Also, wie gesagt, ich suchte diesmal einen ukrainischen Friseurladen auf.
Im Vorzimmer, soweit man überhaupt diesen Raum so ansprechen kann, war schon alles voller Menschen, also ländliche Einwohner. Als ich diese Brüder sah, stieg so ein gewisses Unbehagen in mir hoch. Alle so meist schmutzig und dann einen richtigen Lausepelz auf dem Kopf, daß es einem schon rein aus Einbildung anfing zu jucken. Ich habe mich dann in der Friseurstube gleich auf einen leeren Stuhl platziert. Verwundert war ich, als ich mich umsah und immer den Friseur suchte. Ich sah aber nur 6 Mädchen dabei, wie sie dem einen die Haare schnitten und den anderen rasierten oder was sonst für Anliegen die Leute hatten.
Ich vermißte die deutsche Sauberkeit und die Vielgestaltigkeit der Räume des französischen Friseurs. Schließlich lud mich so ein Mädchen ein, auf dem anderen Stuhl Platz zu nehmen. Ohne viel Umstände ging es dann los. Den Kamm habe ich mir immer erst wieder ansehen müssen, später dachte ich, ich gucke lieber nicht mehr hin, denn der Schmutz, der darin war, ließ mir auch einige Zweifel aufkommen. Doch ehe ich mich versah, waren die Haare heruntergenommen. Wie es mir schien, geht es für hiesige Verhältnisse. Diese Mühe, wie sie sich ein französischer Haarkünstler gibt, macht man sich hier nicht, obwohl die Preise auffallenderweise die gleichen sind. Ich bin dann nach dieser Prozedur gleich nach hause gegangen und habe mir die Birne gewaschen, denn man weiß ja nicht, was sich sonst alles entwickeln kann. Wie Du siehst, hat man in dieser Beziehung immer so seine Sorgen.  Recht herzlich grüße ich Dich und sende Dir dazu recht viele Küsse. Das gleiche gilt für unsere beiden Stromer.  Dein Ernst.  

Brief 256 vom 20.5.1942


Meine liebste Annie !                                                        20.5.42     
  
Ein arbeitsreicher Tag war heute einmal. Arbeiterwerbung und Zusammenstellung von Transporten zum Einsatz in die Landwirtschaft in Deutschland. Der Abtransport von 600 Arbeitern aus unserem Gebiet, dem ein gleicher Transport schon vorausgegangen ist und ein weiterer folgen wird, macht bei den schwierigen Eisenbahnverhältnissen schon manche Mühe. Ich hoffe aber, daß es auch klappt wie die anderen Arbeiten bisher auch geklappt haben. Hier kann man oder vielmehr muß man einen großen Teil der Arbeit telefonisch erledigen. Das spart einesteils viel Zeit, denn man kann das schneller durchführen. Aber alles muß man doch noch schriftlich festlegen, damit jeder weiß, was gemacht worden ist. Schreibkräfte sind sehr rar, so daß alles an einem selbst hängen bleibt.  Machen muß man hier alles. So habe ich schon letzthin und heute auch wieder den Wehrmachtsbericht aufnehmen müssen, weil der andere Mann eine andere Arbeit hatte. Ich scheue mich ja vor keiner Arbeit und mache deshalb auch nicht erst viel Gerede wie andere, nur damit sie nicht zuviel zugeteilt bekommen. Mir ist es jedenfalls lieber so, als wenn keine Arbeit vorliegt und der Tag dann kaum herumgeht.
Ich habe mich nur wieder wundern müssen, mit welch armseligen Gepäck die Leute hier fortfahren. Die Bessergestellten hatten einen kleinen Holzkoffer, die anderen kamen gerade mit dem an, was sie auf dem Leib trugen.  Meist nicht einmal Schuhe hatten sie an. Was für ein armseliger Haufen das so ist, kannst Du Dir dann vorstellen. Der Vornehmste hatte ein Paar weiße Schuhe an, einen Fotoapparat, der aus Großvaters Zeiten stammte. Dann hatte er noch einen Handkoffer bei sich, den er mit Bindfaden zusammengebunden hatte, damit er nicht auseinander fiel. Verschiedene Angehörige waren dann mit an den Zug gekommen. Die Leute wurden vorerst in Güterwagen geladen, weil nichts anderes zur Verfügung stand und dann ging es los bis zur nächsten Sammelstelle. Dort werden nochmals alle untersucht.  Als dann alles anfing zu heulen, habe ich mich dann schnellstens verzogen. Die Leute haben doch bei uns in der Landwirtschaft ein besseres Leben wie hier. Sie werden wohl strenger arbeiten müssen, aber sie können doch ein geordneteres Leben führen wie hier.
Als ich gestern Abend in den Kurpark spazieren ging, mußte ich wieder einmal besonders an Dich denken. Da schwirrten am Abend die Maikäfer, daß die Luft nur so brummte. Ich habe einige mit nach hause genommen und einem Kameraden ins Zimmer getan. Er hat sich dann gewundert, wo die Maikäfer herkamen. Als er das Licht anzündete, schwirrten die um die Lampe herum.  Der ganze Park stand bis vor kurzer Zeit noch unter Hochwasser, aber die Viecher sind nicht versoffen. Das waren ihrer so viele, daß man denken konnte, sie sind unter den denkbar günstigsten Bedingungen groß geworden. Aber auch den Ameisen hat das ganze Hochwasser nicht geschadet. Die bauen an ihren Bergen wieder herum, als wenn nichts gewesen wäre. Man staunt nur, wie sich die Natur auch gegen solche Einflüsse wieder schützt. 
Nächste Woche wird unser Oberst wieder auf Fahrt gehen. Ich nehme an, daß er diesmal den anderen Kameraden mitnehmen wird. So herrscht hier bei uns immer und immer wieder Betrieb. Manchmal etwas mehr und dafür ein andermal wieder weniger. Wenn es dann wenig wird, dann fällt einem das noch mehr auf, denn dann bekommt man gleich Langeweile. 
Herzliche Grüße sende ich Dir und den Kindern und ebenso viele Küsse.  Dein Ernst.

Freitag, 19. Mai 2017

Brief 255 vom 19.5.1942


Mein liebes Mädel !                                                                19.5.42          

Normalerweise hätte ich bis jetzt noch keine Post bekommen und ich werde wohl auf deren Eintreffen noch bis Pfingsten waren müssen. Wenn ich auch gerne weitere Nachricht von Dir hätte, so bin ich froh, daß Du mir dieses Kurzschreiben  auf gut Glück geschickt hattest. Wir bekommen hier ja nicht jeden Tag Post, sondern zwei höchstens dreimal in der Woche. Heute war wieder Posttag, nun kann am Freitag oder erst am Sonntag welche ankommen. Abgesandt wird jeden Tag welche, da entstehen keine Verzögerungen, nur hierher zu dauert es etwas länger. Ich kann mich nur darüber ärgern, daß man die Päckchen in Frankreich nicht weggeschickt hat. Das war doch bestimmt keine Mühe. Man braucht nur noch eine Marke darauf kleben und mit in den Postsack werfen.  Wenn man das aber nicht alles selbst macht, dann muß man immer damit rechnen, daß es nicht gemacht wird. Hoffentlich hat Dein Brief etwas genützt, ich habe bald gute Lust, auch noch einmal zu schreiben. Die Herrschaften sind aber so überbelastet, daß sie keine Zeit dafür haben. Vielen davon würde es nichts schaden, hier auch einmal einige Zeit mitzumachen, dann würde ihnen erst einmal die Augen übergehen und ihre sonstigen Ansprüche müßten sie ein wenig zurückschrauben. Ich hoffe aber, bald günstigere Nachricht in dieser Angelegenheit von Dir zu bekommen. 
Am vergangenen Sonntag hatte ich hier auch zum ersten Mal wieder OvD. Das war ein so anstrengender Dienst, daß ich ihn fast nicht gemerkt habe. In Frankreich war man ja wirklich übereifrig in dieser Beziehung, aber hier ist es so, daß nur ein Schreiber da bleibt und der gibt einem dann Mitteilung, wenn etwas besonderes vorfallen sollte. Wir haben in unserer Unterkunft Telefon, so daß man dann jederzeit erreichbar ist. Man kann also in dieser Eigenschaft ruhig in seinem Quartier schlafen gehen, man ist  also fast nicht gehindert.
Wundern muß man sich nur, welch starker Wechsel zwischen Winter und Sommer hier besteht, bis vor wenigen Tagen konnte ich doch immer noch schreiben, daß es hier sehr kalt sei und daß ich abends nicht einmal warm im Bett wurde. Vom Frühjahr hat man nichts weiter gemerkt, denn jetzt ist eine Wärme, die direkt sommerlich anmutet. Seit Sonntag gewittert es abends immer, so daß es für die Nacht etwas abkühlt, doch das ist fast unwesentlich.
Die Bäume treiben und alles andere auch, was nur möglich ist. Stellenweise blühen die wenigen Obstbäume, das sich in dem vielen jungen Grün ganz gut ausnimmt. Bei uns daheim wird wieder der Apfelbaum blühen oder schon geblüht haben. Das würde ich auch gern wieder einmal daheim erleben. Doch diesen Wunsch muß man auf einen späteren Zeitpunkt verschieben, wie die vielen andern Wünsche auch. 
Jetzt bin ich nun vollständig ausgerüstet. Gestern habe ich noch ein Gewehr empfangen. Am Pfingstsonntag ist Schießen, dann kann ich gleich einmal sehen, wie das Gewehr schießt. Es ist zwar kein deutsches, aber im Modell ähnlich wie unsere Gewehre. Das ist immer noch besser wie die russischen, die die Leute hier vorher empfangen hatten. Jetzt habe ich dann allerhand zu schleppen, wenn es hier wieder einmal weitergeht. Soweit man alles verladen kann und es nicht zu tragen braucht, dann geht es ja auch wieder, aber an der Schlepperei habe ich keine große Freude. Euch sende ich heute wieder recht herzliche Grüße und viele Küsse. Ich hoffe, daß Ihr alle gesund seid, was ja bei mir immer auch noch der Fall ist.
Es grüßt Dich nochmals herzlich Dein Ernst.

Brief 254 vom 18.5.1942


Meine liebe Frau !                                                                18.5.42                  
                 
In meiner Freude über Deinen gestrigen Brief hatte ich vergessen, von anderen Dingen zu berichten, was ich zwar heute auch noch gut nachholen kann, denn gar so wichtig ist es auch wieder nicht.  Eigentlich hatte ich ja die Absicht, gestern nicht zu schreiben, aber nachdem Dein lieber Brief so erwartet aber doch noch nicht vermutet eintraf, konnte ich nicht umhin, Dir meinen Dank dafür auszusprechen.
Ich muß Dir zwar wieder einmal von unserem Essen berichten, damit Du Dir keine Gedanken machst, daß wir hier etwa hungern müssen. Also gestern früh gab es wieder zwei kräftige Stückchen Kuchen. Die reichten dann gut bis zum Mittagessen. Zum Mittagessen gab es dann wieder sehr reichlich. Zuvor eine Suppe, in die viele Eier reingeschlagen waren. Als Hauptgang Nudeln, Kartoffeln mit Fleisch und Soße. Außerdem noch Roterübensalat.  Als Nachspeise gab es dann noch Grießbrei mit Fruchtsoße. Da staunst Du. Da kommt Ihr daheim nicht mit. Zum Abendbrot bekam jeder ein Stückchen Frischwurst und seine ihm zustehende Butter.  Damit ich aber zum Frühstück auch etwas habe, hatte ich nur ein Teil von der Abendportion gegessen, denn ich muß Dir verraten, daß ich trotz dieses reichlichen Essens noch am Nachmittag im Soldatenheim zum Kaffeetrinken war. Dort bekommen wir auch noch einmal Kuchen. Dann wird es Dir schon verständlich sein, wenn ich am Abend dann nicht so viel essen konnte. Ich will nun nicht sagen, daß das jeden Tag so reichlich zugeht, aber doch sind wir hier meist gut sattgeworden. Vorgestern bekamen wir zu den Bratkartoffeln gekochte Eier, die leider nicht mehr zu genießen waren, weil sie zu lange gelagert hatten. Das kann wohl einmal vorkommen, ist aber ärgerlich, wenn sowas passiert. Heute Mittag hatten wir Erbsensuppe und anschließend gab es zur Vervollständigung noch Eierkuchen. Ich schreibe dies Dir alles nur, damit Du weißt, daß ich hier nicht notleiden muß und daß für uns hier gesorgt wird. Ich bedauere nur, daß ich Euch davon nichts abgeben kann, denn ich weiß, daß Ihr es jetzt manchmal bitter notwendig habt. 
Einige kleine Bedürfnisse haben sich inzwischen eingestellt und ich bitte Dich, mir diese Sachen mit zugehen zu lassen. Da fehlt mir erstens schwarzer Nähfaden, dann einige Sicherheitsnadeln, bitte nicht zu große und nicht zu viele senden.  Dankbar wäre ich Dir, wenn Du mir meine Badehose und meine Sporthose mitschicken würdest, sonst müßte ich mir hier schon wieder eine anfertigen lassen, und das halte ich nicht für notwendig.  Von meiner Feldbluse, die ich Dir mit zugeschickt hatte, kannst Du mir vielleicht noch die Schulterstücke abmachen und mitsenden.  Ich denke, daß ich vielleicht eine Drillichjacke bekommen werde für den Sommer, dann könnte ich die darauf verwenden. 
Die Wärme hat hier seit einigen Tagen mit solcher Macht eingesetzt, daß man sich noch gar nicht so recht daran gewöhnen kann, vor allem, wo noch vor einigen Tagen das Wetter so kühl war, daß man sich abends mit dem Mantel ins Zimmer setzen mußte und soweit künstliche Mittel in Form von Getränken vorhanden waren, damit nachhelfen mußte.
Hier ist man ja der Natur wirklich näher wie in Frankreich. Denn dort hat man sehr wenig von Frühling gemerkt.  Hier, wo man in dieser „Stadt“ so ziemlich auf dem Dorfe lebt, sieht man die Veränderung eher. Durch das junge Grün erscheint das Bild nicht mehr so hart und wird etwas gefälliger. Mein Spaziergang war gestern wieder in den Kurpark, den ich nun einmal richtig bei Tage gesehen habe. Kameraden haben hier im Fluß schon gebadet.  Wie geht es Dir und den Kindern. Ich denke, daß Ihr alle noch wohlauf seid.
Ich sende Dir und den Kindern wieder recht herzliche Grüße und viele Küsse.
Dein Ernst.

Brief 253 vom 17.5.1942


Mein liebes gutes Mädel !                                                     17.5.42                   

Mein Wunsch, den ich in der letzten Woche ausgesprochen hatte und von dem ich glaubte, daß er wahrscheinlich doch nicht in Erfüllung gehen würde, nachdem ich mir im Laufe der Woche nochmals ausgerechnet hatte, daß die Zeit normalerweise dazu nicht langen würde, ist nun in Erfüllung gegangen. Ich erhielt heute den ersten Brief und zwar den, den Du an meine vermutlich neue Feldpostnummer gesandt hast.
Du wirst Dir vorstellen können, wie ich mich freute, von Dir wieder einmal eine Nachricht in Händen zu haben, nachdem ich jetzt seit genau 5 Wochen keine Post mehr von Dir bekommen hatte.
Bei dieser Dienststelle wußte man ja, wo ich stecke, von dort ist auch Dein Brief prompt weitergeleitet worden. Froh bin ich, daß ich jetzt weiß, daß alles daheim gesund ist, obwohl Dein Brief nun doch auch schon vor 15 Tagen geschrieben war. Aber immerhin man weiß doch wieder etwas davon, was daheim los ist.
Wenn Du schreibst, Nachricht hättest Du noch keine von mir bekommen, so meinst Du doch sicher, noch keine Nachricht von hier. Daß Du laufend Deine Post erledigt hast, konnte ich mir vorstellen, wenn dann der erste Brief von Dir eintrifft, werde ich ja viel zu lesen bekommen. Ich bin aber auch froh mit dem, was ich heute erhalten habe. Unerfreulich war, daß Du die von mir in Frankreich fertiggemachten Päckchen noch nicht erhalten hast. Die Feldpostnummer ist schon richtig, denn es ist ja die gleiche, die ich hatte. 
Daß Du von den Entschlüssen Deines Vaters nicht ganz erbaut bist, kann ich mir gut denken.  Ich habe dir ja auch in dem einen Brief geschrieben, was ich ihm zu seiner Stellungnahme in diesem Fall gesagt habe. Daß er damit rechnen muß, daß wir dann auch den Weg gehen, den wir für richtig halten, wenn er seinen eigenen Empfindungen nachgibt, weiß er. Er behauptet ja, daß Deine Mutter ihm noch in der Woche vor ihrem Tode gesagt habe, daß sie ihm das freistelle, sich nach ihrem Tode wieder zu verheiraten. Er behauptet ja sogar, mit Dir darüber gesprochen zu haben.
Daß Du darüber erstaunt warst, daß ich 2 Tage in Leipzig war, wundert mich etwas. Mein Fahrschein ging ja von Marburg nach Krakau. Daß ich da schlecht über Konstanz fahren kann, wird Dir wohl erklärlich sein, denn da hätte ich mit Anständen auf der Bahn rechnen müssen. Wenn ich aber unterwegs irgendwo Halt mache, das schert meist keinen Menschen. Ich habe mir darum auch gedacht, hierher käme ich immer noch zeitig genug.  Daß das der Fall war, hatte ich Dir ja schon mitgeteilt.
Wenn es mir nicht darum gewesen wäre, daß ich verpflegungsmäßig zur Last gelegen hätte, wäre ich vielleicht auch noch einen Tag länger geblieben. Das hätte hier nichts ausgemacht, denn ich wurde hier und auch unterwegs nicht kontrolliert, wie lange ich mich aufgehalten habe.
Diese kurze Unterbrechung war wohl ganz nett, aber wenn man so viel unterwegs ist, hat man auch nicht die richtige Ruhe bekommen.
Daß Du im Garten alles so schön geschafft hast, freut mich sehr und es ist mir eine Beruhigung für Euch,  daß Ihr wenigstens diesen kleinen Rückhalt habt. Daß es mir nicht gar so schlecht geht, hast du ja aus meinen früheren Briefen entnommen. Daß man Stimmungen unterworfen ist, hängt nun einmal wieder mit der Änderung zusammen. Man findet auch nicht immer gleich die passenden Kameraden, die man gern hätte. 
Heute zum Muttertag habe ich fest an Dich gedacht. Ich hoffe, daß die Blumen, die ich bestellt hatte, auch noch rechtzeitig an Dich gelangt sind. Sie sollten Dir ein lieber Gruß sein von mir, obwohl ich nicht da bin.
Heute sende ich Dir und den Kindern recht viele herzliche Grüße und Küsse,
Dein Ernst.

Brief 252 vom 16.5.1942


Meine liebe Annie !                                                         16.5.42                                                                 

Gestern habe ich Dir ja einen ziemlich langen Brief geschrieben.  Es waren ja alles Dinge, die Dir schon bestens bekannt waren. Ob sie Dich nun in der von mir gegebenen Form nochmals interessierten, weiß ich ja nicht. Mir war es jedenfalls ein Bedürfnis, nach Beendigung „meiner zweijährigen Dienstzeit“ einen Rückblick über den Ablauf dieser vergangenen zwei Jahre zusammenzustellen. Dies ist schließlich ein Tag, der ziemlich entscheidend in unser Leben eingegriffen hat, so daß man ihn nicht so ohne weiteres übergehen kann. Dieser Tag ist nun auch vorübergegangen und das dritte Soldatenjahr ist damit angebrochen. Wenn man diesen Einbruch auch nicht als Festtag begeht, so doch als Gedenktag. Ich bin darum gestern Abend bei uns über den Bach (es ist schon ein Fluß) gegangen.
Auf der anderen Seite ist ein, immer unter dem Gesichtspunkt der hiesigen Verhältnisse betrachtet, großes schönes Kurhaus, dabei befindet sich ein kleines Kiefernwäldchen. Dieses ganze Kurgelände erstreckt sich gewissermaßen auf einer Halbinsel, so daß man immer wieder an den Fluß kommt. Ich habe meinen Spaziergang ziemlich ausgedehnt, so daß es schon anfing zu dämmern.  Es war dann wirklich wunderschön im Wald. Der Kuckuck ließ seinen Ruf als Gute-Nacht-Gruß durch den Wald klingen, ein Vogel, der mir nicht bekannt ist, denn ich habe ihn nur singen hören und sonst habe ich ihn nicht gesehen, sang ein Abendlied, was mich sehr eigenartig berührte, denn es war in seiner Vielgestaltigkeit wirklich sehr schön. Ich nahm an, daß es eine Nachtigall gewesen sein muß.
Sobald ich freie Zeit haben werde, werde ich wieder diesen Park besuchen, denn er ist ja nur wenige Minuten von unserer Unterkunft entfernt. Aber nicht nur die Vögel waren zu hören, sondern die Bewohner des Sumpfes, der ja hier reichlich vorhanden ist, machten sich noch bemerkbar. So vor allem der Frosch, aber dann auch die Unken und dann wieder ein Vogel, der Seerohrsänger. Dieses waren alles Töne, die uns von unseren früheren Aufenthalten bei uns im Ried sehr bekannt waren, an das wurde ich auch dabei erinnert. 
Als ich dann heimkam, wurde mir noch eine Überraschung zuteil, die sich wohl auch auf Geistiges bezieht, aber das Wort Getränk zum Hauptwort hat. Es gab richtigen französischen Cognac. Wenn man hier sonst nichts weiter hat, wie diesen elenden Wodka, dann ist dies schon eine willkommene Abwechslung. Mit den wenigen Mengen, denn ich erhielt immerhin nur soviel, unter Zusammenlegung mit einem Kameraden, daß meine kleine Flasche voll wurde, muß man dann ziemlich haushalten. Aber ich werde sparsam damit umgehen, damit ich lange davon habe. Auf diese Weise kommt man hier zu seinen kleinen Freuden, die dann den Alltag immer wieder etwas abwechselnd beeinflussen.
Als letztes hätte ich noch zu berichten, daß ich einer Einladung gefolgt bin und mit in einen russischen Spielfilm gegangen bin.  Erstens einmal aus Interesse. Ein Kamerad erklärte diesen Film, der nach einem Roman gedreht war, der von einem Schriftsteller aus der zaristischen Zeit geschrieben war. Teilweise ist dieser Roman nach den bolschewistischen Idealen im Film umgeändert worden. Nachdem einem dies vorher erklärt worden war, konnte man der Handlung ganz gut folgen. Welch ein Unterschied aber wieder zu den französischen Filmen. Gesprochen wird nur ganz wenig, was in Frankreich einen großen Teil der Filme ausmacht. Man kann auf diese Art immer wieder vergleiche ziehen. 
Herzliche Grüße ich Dich und die Kinder und sende auch allen viele Küsse.
Dein Ernst.

Montag, 15. Mai 2017

Brief 251 vom 15.5.1942


Liebste Annie, meine liebe Frau !                                    15.5.42                                                                                 
Zwei Jahre sind es heute her, daß ich von Euch fort mußte. Was hat sich alles in diesen zwei Jahren ereignet. Manchmal meint man, es sei noch nicht solange her, doch wenn man sich alles wieder durch den Kopf gehen läßt, was man in dieser Zeit erlebt hat, dann scheint es viel länger her zu sein. Es war ein Tag mit genau so herrlichem Wetter wie heute. Wir gingen noch zusammen zur Bahn. Das erste Mal, daß wir uns für längere Zeit verabschieden mußten. Ich weiß, daß es für Dich keine Kleinigkeit war, nachdem wir die ganzen Jahre unserer Ehe, abgesehen von kleinen Dienstreisen, die ich manchmal machen mußte, immer zusammen waren. Dies sollte der erste längere Abschied, die erste längere Trennung sein. Damals ging die Reise nach Göding (?) Mit welchen Vorstellungen ist man seinerzeit zum Militär gegangen.  Was ist davon in Erfüllung gegangen und was nicht. Ich sehe Euch noch mit mir am Bahnhof stehen. Dich und die Kinder. Die letzten Minuten vor der Abfahrt waren so voller Spannung. Ihr standet auf dem Bahnsteig. Ich sehe das alles heute noch so vor mir. Der Zug fuhr dann los. Ihr seid noch neben dem Zuge hergelaufen. Als dann der Zug beim Konzil vorbeigefahren war, sah ich Auch nochmals winken und dann sah ich nicht mehr von Euch. Die Fahrt ging durch die Stadt hinaus nach Petershausen. Oben sah ich nochmal unser Haus und unsere Wohnung. All dies sind Dinge, die Dir und mir so bekannt sind. Straßen, die wir gemeinsam so oft gegangen sind, Erinnerungen tauchten auf, als wir am See lang fuhren, von gemeinsam erlebten Spaziergängen und Fahrten. Ich weiß noch, alle Kameraden waren frohen Muts, denn wir waren ja noch in der Heimat und die strammen Gewohnheiten des Militärs schienen ja noch so fern. Ich weiß aber auch noch, wie ich seinerzeit fortfuhr und den See und die Reichenau sah, wie ich dachte, wie lange wird es dauern, bis ich das alles einmal wiedersehe. Ob ich es gesund erleben werde oder wie. Diese Gedanken und diese Gemütsbewegungen habe ich seither nun schon viele Male durchlebt. Für mich war es in einer Hinsicht immer noch leichter, denn ich war meist im Kameradenkreise oder ich kam wieder zu Kameraden zurück. Euch mußte ich zurücklassen in einer Umgebung, die immer wieder daran erinnerte, daß ich diesen oder jenen Platz ausgefüllt habe.  Dieses Platz war aber nun nicht mehr besetzt, der war leer. Ich weiß genau, wie schwer es Dir dabei jedesmal gefallen ist, diesen Abschied zu überwinden. Ich muß aber sagen, Du hast Dich jedesmal tapfer gehalten und jedesmal, wenn ich Gelegenheit hatte, nach hause zu kommen, konnte ich mich freuen, wie Du Dir Mühe gegeben hast, alles zusammenzuhalten und zu ordnen.  Nach verhältnismäßig kurzer Zeit konnte ich meine militärische Laufbahn unterbrechen. Ich selbst konnte es erst nicht glauben, daß ich schon nach so verhältnismäßig kurzer Zeit Euch wiedersehen durfte. Welche Spannung war das, als ich von Salzburg über München kommend in Lindau eintraf. Ich konnte Euch keinen Bescheid zukommen lassen, weil alles so überraschend kam. Die Fahrt über den See werde ich nie vergessen. Als nach einem schweren Gewitterguß Konstanz in der Ferne auftauchte, war ich voller Freude. Ich kam dann bei uns oben an. Gepäck hatte ich ja nicht viel. Die Kinder waren auf der Straße und kannten ihren Vater nicht mehr, weil er in Uniform auf einmal so unvermutet auftauchte. Welche Freude war das bei uns allen, dieses erste, kurze Wiedersehen. Es gab wieder einen Abschied, der aber durch den Trost des kurzen Wiedersehens gemildert wurde. Diesmal ging die Fahrt nach Köln mit dem weiteren Ziel Lille. Auch da wieder alles so neu. erst noch die wenigen Tage Zivilleben in Köln, bis ich neu gekleidet war. Sobald dies aber durchgeführt war, ging es ab nach Frankreich über Brüssel.
Überall auch neue Eindrücke, die ich Dir ja auch schon früher immer, meist im einzelnen geschildert hatte. Lille bot mir in vieler Hinsicht allerhand Neues. Wenn ich mich nur daran erinnere, wie ich erst mit der Sprache nicht zurechtkam und mein erster Quartiergeber mir immer etwas erzählen wollte und ich keine Lust hatte, mir das anzuhören, weil ich doch nichts davon verstand.  Die schönen Büroräume und die spätere gute Unterbringung, abgesehen von dem anfänglich doch erst guten Essen. Alles in allem gesehen war doch eine schöne Zeit, wenn man sich in erster Linie vor Augen hält, daß man sich bei dem Wiederaufbau der öffentlichen Einrichtungen und der Organisation hat mitwirken können, doch hat man sich in anderer Beziehung nicht wohl gefühlt, weil man wußte, das ist nicht das eigentliche Aufgabengebiet, das einem zusteht. Darum habe ich mich auch immer bemüht, bald in Urlaub zu kommen. Im Oktober des gleichen Jahres gelang mir dies und kurz darauf zum Weihnachtsfest wieder. Jedesmal war es eine große Freude für uns alle. Im Oktober traf ich ja Kurt auch noch und sah ihn seither das letzte Mal. Nach meiner Rückkehr vom Weihnachtsurlaub im Jahre 1940 war ich noch einige Monate tätig und konnte dann wiederum nach Deutschland zurückkehren. Im Februar konnte ich Dir mitteilen, daß ich die Genehmigung erhielt, an einem 3monatigen Lehrgang in Karlsruhe teilzunehmen. Dir war das eine Beruhigung, mich in unserer Nähe zu wissen. Es war uns doch auch Gelegenheit gegeben, einige Male wiederzusehen. Der Abschied war dann noch so schwer, weil die Gewißheit eines baldigen, wenn auch kurzen Wiedersehens bestand. Aber auch diese Beurlaubung ging wieder zuende und durch die Auflösung meiner vorhergehenden Dienststelle, wußte ich nicht, wo geht es jetzt hin. Wieder einmal nahm ich den Stuttgarter Zug, den ich so oft benutzte. Das war wieder schwerer, weil Du Dir auch Sorge machtest, was nun werden würde. Weit kam ich von Lille nicht weg, doch damals schien es mir schwerer, als ich es bei meiner heutigen Lage ansehe. Schließlich hatte ich mich auch in Douai eingelebt und meinen Posten ausgefüllt. Eine Sorge und viel Kopfzerbrechen machte mir Deine Erkrankung. Ich wußte doch, daß Du ziemlich darniederlagst und keine Hilfe und Unterstützung hattest. Dazu waren noch die Kinder zu versorgen. Schließlich setzte sich die Gesundung doch wieder durch und ich konnte dann wieder lesen, daß Du es wieder geschafft hast. Da Ihr dann Gelegenheit hattest, nach Leipzig zu fahren, war wohl eine neue Belastung für Dich, aber auch ein Zeichen dafür, daß Du alles gut überstanden hast. Daß mir das außerdem noch eine Freude war, dieses letzte Wiedersehen mit Deiner lieben Mutter zu begehen, habe ich Dir früher schon öfter erklärt und brauche das heute nicht weiter besonders betonen.  Nun stand schon länger ein weiterer Urlaub von mir in Aussicht.  Dieses Wiedersehen war durch einen Schmerz überschattet, der die Freude nicht in dem Maße aufkommen ließ wie bei früheren Gelegenheiten. Andererseits war ich so froh, bei Dir sein zu können, damit Du über den ersten Schmerz, der Dir durch den Tod Deiner lieben Mutter entstanden war, hinwegkommen konntest. Daß ich Dir dabei eine Stütze sein konnte, bedeutet mir heute noch eine Genugtuung. Obwohl ein Wiedersehen für Weihnachten  oder Neujahr 1941 in Aussicht zu stehen schien und schließlich auch möglich gewesen wäre, es mußte leider unterbleiben. Mit Ungeduld wartete ich diesmal dar auf, Euch noch einmal sehen zu können. Ich wußte ja schon von der bevorstehenden Versetzung. Da ich Dir dies lieber persönlich sagen als schreiben wollte, lag darum nur zu nahe. Ende Februar dieses Jahres ging dann dieser Wunsch auch in Erfüllung. Obwohl ich Dir diese Mitteilung machen mußte, konnten wir bei diesem letzten Male ungetrübte Tage verleben. Die Bilder, die wir während dieses Urlaubs machen konnten, zeugen davon, daß wir die Tage unbeschwert hingenommen haben. Das Bild von Dir, das wir in Kathrinen aufnahmen, steht jetzt mit auf meinem Schreibtisch. Wenn ich Dich ansehe, scheint es so, als wolltest Du lachen. Es ist aber mehr ein Lächeln. Ich freue und erinnere mich dabei jedesmal an jenen Samstagnachmittag, wo wir dort draußen waren.  DAß ich die mir gebotene Gelegenheit für den kurzen Urlaub, den man mir von Douai aus gewähren wollte, nicht benutzte, wirst Du wohl einesteils verstehen. Wie Du meinen Entschluß aufgenommen hast, weiß ich noch nicht, denn ich habe ja schon solange keine Nachricht von Dir. Mir scheint, daß der Abschied, den wir diesmal gehabt hatten, verhältnismäßig schwerer geworden wäre, weil feststand, daß etwas Leichteres nicht kommen würde.  DAß ich Dir dann die immerhin erleichternde telegrafische Mitteilung machen konnte, daß ich nicht zur kämpfenden Truppe zurückkäme, wird Dir, das nehme ich an, das alles nicht ganz so schwer sein lassen, wie es früher erst schien. Ich weiß, Du hättest auch das getragen, weil Du dieses Los nicht allein getragen hättest, sondern ungezählte deutsche Frauen unter dem gleichen Schicksal wußtest. Nun sitze ich hier seit bald 3 Wochen auf der neuen Dienststelle. Habe wohl meine Arbeit, die aber doch nicht den Tag und vor allem den Abend voll ausfüllt. Manchmal kommt man sich vor wie ein Gefangener und möchte gerne ausbrechen, doch wo dann da Mauern zu sein scheinen, sind keine. Man stößt ins Leere. Ich hoffe,, über diesen scheußlichen Zustand hinwegzukommen, wenn ich mir etwas Arbeit mache. Vorwiegend beschäftige ich mich ja mit Briefeschreiben, das ist mir gewißermaßen Erholung.  So sind nun die vergangenen zwei Jahre hingegangen. Ausgefüllt mit Arbeit, mit der Umgewöhnung und Anpassung an neue Lebensverhältnisse, Aber auch mit dem Warten auf neuen Urlaub und damit auf eine Entspannung und Herauslösung aus dem bisherigen Leben. Wie lange dies nun noch so weitergeht, ist ja noch nicht abzusehen. Hoffen wir, wie ich das in verschiedenen Briefen zum Ausdruck gebracht habe, daß dieser Krieg einmal ein baldiges Ende nehmen möge.  Anläßlich dieses Jahrestages habe ich heute nun in großen Zügen einmal das noch einmal geschildert, was sich in meinem Soldaten  Beamtenleben an wesentlichen Dingen ereignet hat. Alle diese Dinge sind Dir ja samt und sonders bekannt, aber ich habe sie uns in dieser Zusammenfassung vor Augen führen wollen, denn erst so merkt man, was sich alle in dieser Zeit ereignet hat und wie lange doch eigentlich diese Zeit schon her ist, seit ich das erste Mal meine Lieben, von Euch Abschied genommen habe.  Ich will bei dieser Zusammenfassung nicht bleiben, ohne dem Wunsch und der Hoffnung Ausdruck zu geben, daß wir den Rest dieses Krieges genau so gesund überstehen wie bisher, damit wir in dem dann auch wieder einmal kommenden Frieden noch viele Jahre gemeinsam all den Verpflichtungen nachgehen können, die das Leben von uns fordern kann.  Ich grüße Dich und die Kinder heute recht herzlich. Bitte Dich, an Vater ebenfalls herzliche Grüße auszurichten. Euch Dreien sendet aber recht herzliche Küsse Dein Ernst.

Brief 250 vom 12./14.5.1942


Mein liebes Mädel !                                                           12.5.42                                                 

Wie sich das Wetter entscheidet, steht immer noch nicht fest.  Wird es nun Frühjahr oder bleibt es Winter. Der Wechsel ist immer so stark, daß man fast Zweifel hegen könnte, wie es sich entscheidet. Heute ist es draußen wohl wieder etwas wärmer, aber das ist meist nicht von langer Dauer. Durch Zufall erfuhr ich gestern von unserem Oberinspektor von einem Arbeitskameraden, der mit mir beim Stadtkommissar in Lille tätig war. Dieser Oberinspektor hat mit diesem Mann in Griechenland zusammengearbeitet. Heute höre ich nun, daß dieser Mann kürzlich auch in Krementschuk war, wo ich doch zuerst hingeleitet wurde und das nur rund 200 km südöstlich von hier eingesetzt ist. Man sieht doch daraus, wie klein die Welt eigentlich ist. Es hätte eigentlich erst so kommen sollen, daß dieser Mann hier eingesetzt werden sollte. Jetzt ist er aber zu der anderen Dienststelle gekommen. 
Vorhin ist mein neuer Zimmergenosse aus dem Urlaub zurückgekommen. Den ersten Eindruck, den ich von diesem Mann gewonnen habe, ist nicht der, daß ich mir sagen könnte, es wäre mir zeitlebens ein Vergnügen mit ihm zusammen sein zu können. Vielleicht bessert sich dieses Bild im Laufe der Zeit, das läßt sich nun einmal nicht so machen, daß man sich die Mitmenschen bestellt, wie man sie gern haben möchte. Man kann sich ja schließlich trösten, daß der Krieg nicht ewig dauert. 
Bettzeug habe ich jetzt also auch bekommen. Nun sieht das alles schon etwas menschlicher aus. Man muß immer Ausdauer haben in der Verfolgung seiner Ziele, denn sonst erreicht man hier nichts. 
Von unserer Dienstreise fällt mir noch etwas ein, was Dich vielleicht interessieren wird. Die Leute, die draußen auf den früheren russischen Staatsgütern eingesetzt waren, leben ja ziemlich einsam draußen, doch sie sind gewissermaßen die Herrscher aller Heerscharen. Daß die Leute mit Einrichtungsgegenständen nicht gerade überhäuft sind, nachdem die Russen all das zerstört haben, was ihnen noch möglich war, das läßt sich wohl denken. Bei einem dieser Bezirkslandwirte wurden uns dann Kinderteller vorgesetzt. Auf diesen waren Kinder abgebildet, wie es wohl der Wunschtraum der früheren Machthaber gewesen sein mag, viele auch nicht, denn das kann man ja auch nicht kontrollieren.
Die darauf abgebildeten gesunden Kinder, verdankten ihren Eindruck nur einem Spruch, der darüber stand, denn der hieß: „Iß und trinke, damit du kühn und stark wirst wie Woroshilow“. Soweit ging also schon die Sowjetpropaganda, daß man auf den Kindertellern seine Parolen anbringen mußte. Spaßiger war es bei dem anderen Landwirt, der hatte für 6 Mann nur 2 Trinkgläser und 4 Eßgeräte zur Verfügung. Das ist aber nun wieder weniger schlimm, indem man sich hilft und wartet, bis die anderen fertig sind. Das sind so kleine Episoden, die sich unterwegs hier ereignen können. 
Wenn Du mir ab und zu eine Zeitung schicken könntest, ganz gleich, ob es eine Illustrierte oder eine andere Zeitung ist, würdest Du mir eine Freude bereiten. Aber bitte sei so lieb, nicht zuviel. Tageszeitungen bekommen wir hier nicht.  Unser Radioapparat tut z.Zt. nicht, so daß man auch nicht immer auf dem Laufenden ist. Man erfährt dann doch wieder einmal, was in der übrigen Welt draußen vorgeht, wenn es meist auch schon überholt ist, aber das macht ja nichts, denn man ist ja in dieser Beziehung so anspruchslos geworden. 
Wie Du aus dem Durchschlag schon siehst, habe ich heute auch an Helga und Jörg geschrieben.  Ich weiß ja nicht, ob beide Briefe zu gleicher Zeit eintreffen.  Für heute Euch allen recht herzliche Grüße und Dir viele Küsse sende Dein Ernst. 
Sende mir doch bitte auch nochmals die Postkarten mit, die Du mir einmal nach Frankreich gesandt hattest. Es sind die vom Bodensee, die Nachbildungen des Malers Dieter sind.  Ich möchte sie mir hier an meine kahle Wand machen, damit es ein wenig freundlicher aussieht.

Mein liebstes Mädel !                                                           12.5.42           

Ich bin immer froh, wenn wieder so ein Tag herumgegangen ist. Man hat dann doch einmal ein wenig Zeit und kann sich dann zu Bett legen, so daß man von allem eine ganze Weile nichts mehr hört und sieht. Der Tag hatte ja heute nicht schlecht angefangen. Ich bin zwar kein Freund davon, daß man schon am frühen Morgen Lorbeerkränze überreicht bekommt. Der Oberst traf mich heute früh und bedankte sich bei mir für den Bericht von der Dienstreise und sagte, daß ich diesen sehr gut gemacht hätte und vor allem nur das kurz und knapp beschrieben hätte, was wesentlich sei. Mir ist es bei solchen Sachen immer etwas peinlich zumute. Ich bin dann immer froh, wenn diese Dinge wieder vorbei sind. Andere würden natürlich ein großes Gegacker mache, wie eine Henne, wenn sie ein Ei gelegt hat. Manchmal bedauere ich, daß ich das nicht auch in der Weise kann. Andererseits bin ich aber auch wieder froh darum, daß ich mich in dieser Hinsicht immer noch nicht geändert habe.  Wenn es die Leute von selbst merken, soll es mir recht sein, die, die es nicht merken oder nicht merken wollen, sollen es bleiben lassen. 
Jetzt wird es vielleicht doch warm werden. Heute Abend ist es nicht einmal kalt draußen, wie es in den letzten Nächten immer noch der Fall war. Als ich vorhin draußen war, denn wenn man hier etwas verrichten muß, muß man erst ein Stück über den Hof laufen, konnte ich feststellen, daß eine ganz linde Luft ging. Der Sternenhimmel war schön zu sehen. Der Große Wagen stand direkt über unserem Haus. Die Grillen zirpten und die Frösche im nahen Sumpf quakten. Es war eine fidele Abendstimmung, die die Nähe des Krieges nicht verspüren ließ. Hoffen wir, daß es bald wieder weitergeht, damit wir die Nähe des Friedens merken können. 
Denn sobald der Vormarsch wieder einsetzt, kommen wir ja dem Frieden und damit dem Kriegsende näher und näher. Ich hoffe, daß Dir die Blumen, die ich zum Muttertag in Konstanz bestellt und bezahlt hatte, von dem Geschäft Stadtmüller am Sonntag rechtzeitig zugestellt werden. Ich konnte ja nichts weiter tun, denn hier kann man ja rein nichts kaufen. Das war im letzten Jahre in Frankreich im bescheidenen Maß möglich. Zum Geldausgeben hat man fast keine Gelegenheit. Du brauchst mir hier also keine Zuschüsse mehr leisten, wie das bisher in Frankreich der Fall war. Wenn ich aber bedenke, was ich habe alles für Euch kaufen können, so bin ich wirklich froh darum, daß ich die Gelegenheiten, die sich im letzten Jahre noch boten, ausgenützt hatte. Mit manchen Sachen kannst Du Dir doch heute noch helfen und ich glaube mit manchen Bekleidungsstücken wärst Du schlecht bestellt. Darum tut mir auch das dort verwendete und ausgegebene Geld in keiner Weise leid, im Gegenteil freut es mich, wenn ich weiß, daß Du  Dir manchen Weg dadurch ersparen konntest und damit manche Erleichterung hattest. Die Kosten, die mir jetzt bei der Wiederaufnahme der Familienforschung entstehen, kann ich alle jetzt selbst bestreiten. Dafür habe ich noch immer Geld zur Verfügung. Du wirst also von mir dafür nicht in Anspruch genommen. Wenn Du Dir also Rücklagen machen willst, so hast Du ja jetzt Gelegenheit dazu. Ich weiß ja, daß auch Ihr keine großen Sprünge machen könnt, weil Euch in jeder Beziehung die Flügel beschnitten sind.  Ich bedaure es, daß ich Euch von dem überschüssigen Brot, das ich jeden Tag habe, nichts schicken kann, entweder wird es zu trocken oder es wird schimmlig. Du siehst daraus, daß wir hier bestimmt nicht knapp leben. Ich sende Dir und den Kindern recht viele und recht herzliche Grüße und Küsse. Bleibt mir gesund und denkt auch immer wieder an Euren Vater. Ernst. 

Mein liebstes Mädel !                                                          14.5.42   

Um einen Tag hatte ich mich gestern geirrt. Ich nahm an, daß erst der 12. sei, doch wie ich heute feststellen konnte, waren wir schon einen Tag weiter. es soll auch so recht sein. Meinen gestrigen Brief konnte ich gleich einem Kameraden mitgeben, der nach Deutschland auf Urlaub fuhr. Wenn ich diesen Brief noch rechtzeitig fertig bekomme, geht dieser vielleicht auch noch mit. Ich weiß ja nicht, in welcher Weise und in welcher Reihenfolge Dich meine Post erreicht, ich hoffe aber, daß Du mir nicht böse sein wirst, wenn Du einmal einen Brief früheren Datums erhältst. Heute haben wir richtiges Himmelfahrtswetter, das war in früheren Jahren immer Anlaß gewesen zu einem Ausflug, soweit das Wetter dies zuließ. Vor Jahren fuhren wir mit dem Rad in die Gegend. Ich kann mich gut erinnern, wie wir Pfingsten mit den Kindern einmal nach Lindau fuhren. Wenn die Fahrt auch anstrengend war, so war sie doch schön. Heute müßten ja unsere Beiden selbst mitstrampeln, wenn sie mitkommen wollten, denn jetzt könnte man sie schlecht noch auf längere Strecken mitfahren, weil sie zu schwer sind.  Pfingsten rückt nun immer näher. Eine andere Fahrt kommt mir da in den Sinn. Diese machten wir mit dem Faltboot und zwar war das unsere erste große Unternehmung. Wir waren ja noch Neulinge und wollten nach Schaffhausen fahren. Wenn man sich das überlegt, dann kann man sich nur wundern, mit welcher Einfalt man damals einfach loszog. Die Rückfahrt hat uns dann auch entsprechend belehrt. Aber als dann alles gut gegangen war, hat man sich doch gefreut, daß alles doch noch so geklappt hatte. Auch dieses Geschehnis liegt jetzt genau 10 Jahre zurück. Diesmal hockt man nun in dem lausigen Rußland und hofft, daß dieser ganze Krieg bald einmal ein Ende nehmen wird. Eine freudige Meldung konnten wir ja gestern schon hören, daß es im Südenden Russen bei unserem ersten größeren Angriffsunternehmen ziemlich Verluste an Gefangenen und Material gekostet hat. Bald wird dann auch die Zeit kommen, wo es an anderen Stellen weitergehen wird.  Daß unsere Küche sehr erfindungsreich ist, wenn es sich um die Namen der Speisen handelt, habe ich Dir ja schon einmal geschrieben.  Neulich stand auf dem Speisezettel „Spätzle mit Fruchtsaft“.  Obwohl ich nun nicht gerade ein Verfechter für sämtliche Spätzlegerichte bin, hatte ich mich doch gefreut, wieder einmal etwas vorgesetzt zu bekommen. Meine Überraschung war dann aber doch ziemlich groß, als mir dann, als mir dann lauter gekochte Mehlkugeln serviert wurden, die man alle einzeln zerbeißen mußte. Ich weiß nicht, wie man das sonst näher bezeichnen sollte. Alle waren wie Kaugummi. Gegessen hat man sie dann doch, wenn es auch alles andere war wie Spätzle. Im großen und ganzen  ist das Essen hier bestimmt in Ordnung und satt bin ich bis jetzt noch jedesmal geworden. Die ländlichen Einwohner stellen ja meist hier weniger Ansprüche. Von früh bis Abend kannst Du die Leute hier sehen, wie sie Sonnenblumenkerne kauen. Ich nehme an, daß sie auch noch anderes essen, aber auf der Straße und wo sie sonst noch herumstehen, sie beißen. Meist haben sie dann die Schalen  der Kerne auf den Lippen und dann muß man aufpassen, daß sie einem die Schalen nicht in das Gesicht spucken. Die Leute sind aber zufrieden und kennen das nicht anders. Große Bedürfnisse haben sie hier nicht, darum ist auch der Lebensstandard bedeutend niedriger wie bei uns. Ich schrieb Dir ja schon einmal man wundert sich, mit wie wenig ein Mensch auskommen kann. Ich will aber dabei betonen, daß ich mich, nachdem ich es nun einmal anders kennen gelernt habe, bestimmt nicht dabei wohlfühle, wenn ich hier so leben muß.
Recht herzlich grüße ich Dich und die Kinder. Ich wünsche Dir und den Kindern ein gesundes Pfingstfest, ich wünschte mir, daß wir einmal die Möglichkeit hätten, bald einen dieser Feiertage gemeinsam verleben zu können. Bleibt mir vor allem gesund, das ist heute alles, was ich als erstes wünschen kann. Nimm Du aber recht viele Küsse entgegen von Deinem Ernst.

Brief 249 vom 10./11.5.1942


Meine liebe Frau !                                                       10.5.42                                               

Den dritten Sonntag habe ich nun schon hinter mir in diesem Dorf.  Für deutsche Begriffe ist dies schon zuviel gesagt. Unterschiede hat man ja keine weiter zwischen Sonntag und Werktag, das habe ich Dir ja gestern schon geschrieben.
Wenn einem früh Kuchen auf den Tisch gestellt wird, dann weiß man, daß nur am Vormittag gearbeitet werden soll. So haben wir es auch heute gehalten. Nach dem Mittagessen habe ich mich eine Weile länger umgelegt. Ein Kamerad hat mich dann abgeholt zum Spazierengehen. Die Strecken sind ja hier so kurz, daß man bald seinen Spaziergang beendet hat. Man ist, wenn man etwas weiter geht, gleich aus der „Stadt“ draußen. Zum Kaffeetrinken sind wir dann in das Soldatenheim gegangen, ebenfalls zum Abendessen. Es gab da Bratkartoffeln und Rührei. Den Nachmittag habe ich also hinter mich gebracht.
Ich hatte erst die Absicht, an die Kinder einen Brief mit Maschine zu schreiben, aber heute Nachmittag war die Maschine besetzt, so daß ich das zu einem anderen passenden Tage nachholen werde.  Heute habe ich einen anderen Wunsch auf dem Herzen. Schreibe mir doch bitte einmal aus dem Anstellungsschreiben zum außerplanmäßigen Assessor die in diesem Schreiben festgelegten Artikel heraus, auf die das Anstellungsverhältnis begründet ist. Ich will mich vielleicht einmal an Pfluger wenden, wenn der noch auf dem Amte ist, daß er mir einmal diese Auszüge aus den entsprechenden Bestimmungen verschafft. Ich will einmal wissen, ob sich die Möglichkeit bietet, daß man, nachdem ich jetzt bald ein Jahr diesen hohen Dienstrang versehe, wieder anhaken kann. Ich wollte Dich erst bitten, auf das Rathaus zu gehen und dies dort zu besorgen, aber das wirst Du nicht gern wollen, darum wähle ich diesen Weg. Daß ich die Inspektorprüfung beim letzten Lehrgang nicht mitmachen konnte, ist ja nicht auf mein Verschulden zurückzuführen. Mein Chef hat mich sowieso schon gefragt, warum ich noch nicht Sekretär bin, wenn ich diese Prüfung schon hinter mir habe. Ich denke, wenn man sich nicht rührt, kümmert sich kein Mensch mehr um diese Sache. Ich will aber nicht, daß das in Vergessenheit gerät. 
Einen weiteren Wunsch habe ich dann noch. Besorge mir doch bei Gelegenheit Inspiroltabletten, die, die ich da habe, gehen so langsam dem Ende zu. Ich denke, daß Du mir diese Wünsche erfüllen kannst, ohne daß Du besonders große Schwierigkeiten dadurch hast.
Mit dem Garten wirst Du jetzt auch schon viel Arbeit haben, hoffentlich geht es Dir in diesem Jahr nicht so wie es im vergangenen Jahre war. Denn ich würde mir deshalb große Sorgen machen.  Ich bitte Dich darum, nimm Dir nicht gar zuviel vor. Ich will zusehen, daß ich hier noch einmal Samen von Möhren und Zwiebeln bekomme, damit Du diesen im nächsten Jahr hast. Die anderen Sachen, die ich in Frankreich noch besorgt hatte, hast Du hoffentlich erhalten. Diese Arbeit wird Dich sehr in Anspruch nehmen. Die Kartoffeln werden ebenfalls viel Arbeit gemacht haben.  Bei uns ist es ja nicht so wie hier, daß man dem Boden nachhelfen braucht, weil er an sich schon fruchtbar ist, sondern man muß doch immer etwas dazutun.
Es hat mir leid getan, daß ich nicht noch ein paar Tage hatte heimkommen konnte, denn dann würde ich wenigstens gerade die Arbeit mit dem Setzen der Kartoffeln übernommen haben. Ich bitte Dich darum nochmals, nimm Dir nicht zuviel von der Arbeit vor und lasse lieber etwas liegen, als daß Du mir dann wieder auf der Nase liegst. 
Denk einmal an, welchen Sonntagsgenuß ich heute noch hatte. Vorhin habe ich mein Monatsquantum französischen Rotwein ausgeschenkt erhalten. Davon habe ich mir ein Teil genommen, und damit ich noch einige Tage etwas davon habe, habe ich mir den Rest aufgehoben. Ist das nicht etwa etwas Festtägliches.
Ich grüße und küsse Dich und die Kinder nun recht herzlich. Dein Ernst.

Meine liebe, gute Annie !                                                     11.5.42         

Meinen Bericht über unsere Dienstreise hatte ich unserem Oberkriegsverwaltungsrat vorgelegt, bevor ich ihn unserem Oberst weitergab. Heute hat er mir nun gesagt, daß es gut sei. Aus seiner Äußerung merkte ich heraus, daß er das nicht erwartet hatte. Denn als ich ihm sagte, daß ich das von meinen Aufzeichnungen glatt in die Maschine geschrieben hatte, sagte er mir nochmals, daß das schon so an sich gut sei. Heute habe ich nun das Arbeitsgebiet unseres Oberinspektors übernommen. Der Oberst hatte ihn heute gefragt, ob er der Ansicht sei, daß ich diese Arbeit wohl machen könnte. Er hat ihm darauf geantwortet, daß der Assistent schon in Ordnung sei nach dem, was er bis jetzt gesehen habe und im übrigen soll man den Leuten nur Gelegenheit geben zum Arbeiten. Der Oberst hat ihm darauf geantwortet, daß er auf der Reise gemerkt hat, daß ich schon brauchbar sei. Diese beiden Sachen, die zwar wie Eigenlob erscheinen, habe ich heute vorausgenommen, denn ich denke, daß Dich auch einmal sowas interessiert, nicht nur immer meine Klagen von den letzten Tagen. Mit der anderen, mir jetzt übertragenen Arbeit, werde ich mich  in den nächsten Tagen soweit als möglich vertraut machen, denn Angst habe ich auch nicht vor etwas Neuem, denn ich werde mich schon irgendwie hineinfinden. 
Freuen würde ich mich, von Euch bald einmal wieder Post zu erhalten. Ich denke, daß es in einer Woche bald soweit sein wird. Ja, die Geduld darf man da nicht verlieren. Das Wetter ist hier immer noch sehr wechselhaft. Warum will es auch in diesem Jahre nicht recht werden. Ich kann mich entsinnen, daß es im letzten Jahr genau so kühl war. Ich weiß, ich hatte da mein Zimmer und konnte weder im Zimmer noch nachts im Bett recht warm werden Die einzige Gelegenheit zum Aufwärmen hatte ich auf dem Büro. Aber das ist hier nicht einmal der Fall. Ich nehme alles, was einigermaßen in der Nacht zum Zudecken geeignet erscheint, denn es ist ziemlich kühl. Beim Mittagessen muß man zusehen, daß man möglichst heiß ißt, sonst kommt man überhaupt nicht zu Wärme. Gestern habe ich zwar etwas Zuteilung an Wein bekommen. Es soll französischer sein, er scheint wohl etwas getauft zu sein, aber wenn man so Tag für Tag allein ist ohne richtigen Kameraden, so ist auch ein getaufter Rotwein etwas ganz besonderes. 
Ich will noch an Kurt heute schreiben, denn ich weiß ja auch noch nicht, wo er sich jetzt befindet. Darum bitte ich Dich wieder, diesen Brief an ihn weiterzuleiten. Außer dem Brief, den ich an die Kinder schreiben will, habe ich jetzt keine Verpflichtungen mehr. Ich habe zwar Deinem Vater und an Siegfried nur eine Karte geschrieben, wenn es mir anfällt, werde ich ihnen auch noch einen Brief zukommen lasse, aber das hängt ganz und gar von meiner Stimmung und Laune ab.  Der andere Assistent soll auch in diesen Tagen zurückkommen, Ich muß mir deshalb wieder ein Bett suchen, denn bisher habe ich in dessen Bett geschlafen. Ich denke, daß ich vielleicht auch etwas Bettzeug bekomme, obwohl ich keinen Anspruch darauf habe. Um jedes Stück, was man braucht, muß man erst ewig reden und jedes Mal kämpfen, bis man das endlich bekommt. Auch dann ist es meist noch nicht sicher, daß man es erhält.  Ich hoffe, daß Ihr, meine Lieben, alle gesund seid, was ich ja von mir auch mitteilen kann. Denn den Schnupfen den ich habe, werde ich bei dieser Witterung nicht so schnell loswerden.
Das ist ja auch nicht so schlimm. Ich sende Dir und unseren Kindern recht viele herzliche Grüße und Küsse und bin immer Dein Ernst

Brief 248 vom 8./9.5.1942


Mein liebes Mädel !              8.5.42                                                                                  

Heute sind wir wieder glücklich und sogar ohne Zwischenfall hier gelandet. Wir sind wieder mit dem Lastkraftwagen gefahren. Diesmal hatte ich mir aber einen Staubmantel besorgt, der mir gute Dienste geleistet hat. Es drang doch der Staub nicht bis auf den Körper durch. Die Wege waren durch den Wind schön abgetrocknet, so daß das Fahren schon ganz gut möglich war.
Man kann sich immer nur wieder wundern, wie schnell die Straßen nach dem vielen Schlamm befahrbar werden. Wenn man hier von schönen Straßen spricht, so sind das nach unseren Begriffen immer noch Feldwege, aber nur etwas breiter wie diese, sonst besteht da wirklich kein Unterschied. Nachdem ich mich wieder gesäubert hatte, habe ich mein Mittagsmahl wieder hier eingenommen. Am Nachmittag habe ich dann meinen Dienst aufgenommen, so daß alles soweit im alten Geleise ist. Ich habe gestern noch ein Kilo Butter besorgen können. Die habe ich vorhin noch verpackt und schicke sie Dir mit zu. Sie wird sich nach der langen Reise sicher nur noch zum Kochen verwenden lassen. Ich denke, wenn Du sie ausläßt und dann mit verwendest, kannst Du Dir doch auch wieder etwas damit helfen. Ich habe hier mein Teil, Du brauchst Dir deshalb keine Sorge zu machen, wenn ich sie nicht für mich hier behalte. Die Päckchen laufen unter der Nummer 2 und 3. Hoffentlich treffen sie gut bei Dir ein. 
Ich bin heute etwas übermüdet und will darum schon meinen Brief beenden. Bleibt mir nur gesund und nimm Du sowie auch die Kinder recht herzliche Grüße und viele Küsse entgegen von Deinem Ernst. Ich erhielt vorhin noch einige Briefmarken, die ich zum Aufheben mit beifüge.

Meine liebste Annie !             9.5.42              

Morgen ist schon wieder Sonntag und ich bin bereits 14 Tage hier.  Dann sind auch 4 Wochen vergangen, seit ich aus Frankreich weggefahren bin. Wenn man solche Zeitabschnitte übersieht, merkt man erst, wie eigentlich die Zeit vergeht. In diesen Tagen, am 15. sind dann genau zwei Jahre vergangen, daß ich beim Militär bin.  Meine ordentliche Dienstzeit habe ich trotz meines Alters, denn über das dienstpflichtige Alter wäre ich ja in normalen Zeiten hinaus gewesen, abgeleistet. Damals glaubten wir nicht, daß man solange mitmachen müßte. Man wächst ja aus allem heraus, wenn man dieses Landeserleben weiterführen muß. Heute hier und morgen da.  Nirgends gehört man hin und doch hat man schließlich ein Zuhause, das ein Anrecht auf einen hat. Aber was nützt das Hadern mit dem Schicksal, man muß immer wieder abwarten und hoffen, daß dieser Kampf auch einmal ein Ende hat. Wenn es nur einmal wieder weitergehen würde, damit man sich sagen kann, das ist wieder ein Stückchen dem Endziel näher. Wie gesagt, man muß ausharren und darf den Mut nicht verlieren.
Hier merkt man ja keinen Unterschied zwischen Samstag, Sonntag und den übrigen Wochentagen. Heute war wieder Dienst bis 6,30 Uhr. Morgen wird bis Mittag gearbeitet.  Als besondere Vergünstigung muß man ansehen, daß man nicht zum Wehrdienst eingeteilt wird. Wenn man wenigstens einen Erfolg bei der ganzen Sache sehen würde, dann hätte man doch eine Befriedigung. Man kommt aber abends heim und fragt sich, was man so den Tag über geleistet hat. Am Ende ist es nichts. So geht das dann tagaus tagein. Solange ich in Frankreich war, konnte ich doch immer noch sagen, in diesem oder jenem Arbeitsgebiet habe ich das und das zu tun gehabt, das ist aber bis jetzt hier noch nicht der Fall. Ich hoffe, daß dies jetzt anders werden wird.
Unser Oberinspektor wird von uns versetzt, jetzt soll ich hier das Sachgebiet der Steuern bearbeiten. Das eigenartige ist dann immer, daß man dann nur Arbeiten hat, die dann für hohe Tiere vorgesehen sind. Ich denke aber, daß ich durch die Übertragung eines selbständigen Arbeitsgebiets etwas mehr von der Arbeit habe wie bisher.
Heute habe ich noch an unserem Reisebericht zu schreiben gehabt. Morgen werde ich mich dann in das neue Arbeitsgebiet knien. Die Menschen sind hier meist sehr nett und ich komme auch soweit gut mit ihnen aus. Genau so ging es mir, als ich dieser Tage auf Dienstreise war, ich traf da einen Hauptfeldwebel, der mich gleich nach dem ersten Essen, bei dem er mich sah, zu sich einlud. Es war ein Wiener und ein wirklich netter Mensch. Auch hier kenne ich einige Kameraden, die mir anständig entgegenkommen. Aber denkst Du, daß ich ihnen irgendwie in einer Beziehung näher kam wie meinetwegen früher in Lille oder gar in Douai.
Ich weiß, daß ich mich nicht gleich mit jedem anfreunden und nicht jedem gleich vertrauen kann. Es waren nur wenige, mit denen ich mich verstand, die habe ich aber alle hergeben müssen.
Wenn man nicht so bei seiner Familie sein kann und dann auch von den Kameraden, die man im Laufe der Zeit gefunden hatte, wieder weg muß, dann erscheint einem alles doppelt schwer. So hat man doch immer jemand gehabt, mit dem man über verschiedene Sachen reden konnte.
Die Postverbindung mit Dir ist auch so langwierig, so daß man ganz im Leeren sitzt. Ich weiß, ich habe Dir vor einem Jahre etwa ähnlich geschrieben. Ich glaube aber auch, daß ich zu sehr an dem Alten, nun einmal angewohnten, klebe, es ist aber  so schwer, wenn man gern aus seiner Haut heraus möchte und kann nicht so wie man will. Du wirst denken, das ist heute ein ganzer Jammerbrief, nimm mir das bitte nicht übel, denn ich muß mir das einmal herunter schreiben, weil ich sonst doch keine Möglichkeit habe, es jemandem zu sagen. Dagegen helfen auch alle Kraftausdrücke nichts, die man sonst bei solchen Gelegenheiten beim Militär anzuwenden pflegt. Ich frage mich nur immer, wie mache ein Glück haben und andere die treibt es nur so herum.
Ich kann schließlich nicht in dem Maße klagen, wie viele andere dazu Veranlassung hätten. Aber ich denke in diesem Falle an die zwei Arbeitskameraden, die mit mir auch beim Stadtkommissar tätig waren und heute noch in Lille sitzen. Sie führen ein ruhiges und gleichmäßiges Dasein und wissen nicht, wie gut es ihnen geht. Ich werde mich durch alles auch wieder durchbeißen, das weißt Du und darum brauchst Du Dir keine Sorgen zu machen. Nur wenn man darüber nachdenkt, dann muß man sich immer nur wieder wundern.
Ich weiß auch, daß ich hier immer noch ein besseres Leben habe, wie bei der Truppe, wenn ich zu dieser hätte zurückkehren müssen.  Doch nun genug davon. Hoffen wir eines, daß bald alles zu einem glücklichen Ende führt. Da ich Dir nun genug von diesen Sachen vorgeheult habe, möchte ich doch noch von etwas anderem schreiben, damit Du nicht denkst, ich sei ganz und gar verbiestert. 
Gestern Abend bin ich ein Stück an die frische Luft gegangen. Als ich so die Dorfstraße, denn viel anderes kann man dazu hier nicht sagen, entlangging, entdeckte ich auf einem der Bäume ein Storchennest. Unweit davon war noch ein zweites. Beide waren bewohnt.  Ich muß sagen, so ein großer Vogel sieht doch schön aus, wenn er so dahin streicht. Bei uns sind sie ja so gut wie vertrieben. Hier in diesen ausgedehnten Sumpfgebieten finden sie ja ein reiches Nahrungs- und Betätigungsfeld. Es hat direkt Spaß gemacht, wie eines der Ehegesponste auf dem Nest saß und dann feste klapperte, wenn der andere zum Nest zuflog. Ein weiterer Vogel, der bei uns sehr selten auftritt, ist mir hier sehr zahlreich begegnet, das ist die Nebelkrähe. Sie ist hier fast zahlreicher wie die andere Krähe. In Krakau hatte ich mich schon gewundert, daß in den Parkanlagen einige Bäume waren, auf denen sich rund 10 solcher Krähennester befanden. In der Stadt, in der wir dieser Tage waren, fiel mir das wieder besonders auf, daß da Krähen sich in einer Anzahl aufhielten, wie ich dies bisher noch nicht beobachtet hatte. Einen weiteren Vogel habe ich unterwegs auf der Fahrt gesehen, der mir aber bis jetzt noch nicht bekannt ist, der aber auch durch seine Größe und sein schönes Gefieder, das an das des Eichelhähers stark erinnerte, mir besonders auffiel. Elstern halten sich auch ziemlich viele in den niederen Gebüschen, das sich längs der Bahn hinzieht, auf. Schwalben konnte ich trotz der kalten Witterung, die immer noch herrscht, vergangenen Sonntag schon beobachten. Ihr Tisch wird bei den vielen Fliegen und Mücken während der wärmeren Jahreszeit auch reichlich gedeckt sein. Die Spatzen darf ich in dieser Aufstellung nicht vergessen.  Sie sind genauso frech wie bei uns und wie ich sie in Frankreich angetroffen habe. Sie sind fast überall zuhause und lassen sich in ihren Streitereien nicht weiter stören. Die Krähen sind mit den Tieren hier sogar so vertraut daß sie den Panjepferden auf dem Rücken sitzen und ihnen das Ungeziefer vom Buckel herunterlesen. Jetzt im Frühjahr, wo die Pferde viel Haare lassen, zupfen sie ihnen auch die Haare aus dem Fell, um damit ihr grobes Nest, das sie bauen, auszupolstern. Jetzt habe ich Dir also noch von etwas anderem berichtet. Ich hoffe, daß Du nun mit mir zufrieden bist. Nimm mir das andere, was ich heute sonst noch geschrieben habe, nicht übel, aber auch nicht so schwer, denn ich mußte mich wieder einmal entlasten. 
Sei Du recht herzlich gegrüßt und ich hoffe, daß Du mit den Kindern vollauf gesund bist.
Ich sende euch auch noch recht  viele Küsse und bin immer Dein Ernst.

Sonntag, 7. Mai 2017

Brief 247 vom 6./7.5.1942


Meine liebste Frau !                             auf Dienstreise, den 6.5.42                                                    

Ein weiterer Reisetag ist nun bald wieder herum, da ich jetzt eine kleine Weile Zeit habe, will ich gleich die Gelegenheit ausnutzen, um Dir wieder vom Tagesablauf zu erzählen.  Heute früh sollten wir um 6,15 Uhr marschbereit sein. Die Nacht hatte ich sehr gut geschlafen, nur der Mond, der zum Fenster herein schien, machte mich einmal munter. Da es hier viel zeitiger Tag wird, kommt man ganz aus den Geleisen. Meine Uhr, die schon seit einer ganzen Weile verstaubt ist und die ich hier nicht in Reparatur geben will, konnte mir deshalb auch nicht anzeigen, wie spät es sei. Als es ein wenig im Bau unruhig wurde, bin ich aufgestanden. Ich habe mich dann reisefertig gemacht, um den Kameraden nicht zu stören, der hier auf der Kommandantur tätig ist.
Ich habe nach langer Zeit wieder einmal eine Falle bauen müssen, was mir auch einigermaßen gelungen ist. Als ich schon ziemlich fertig war, wurde der Kommandant munter und sagte, daß ich noch eine Stunde Zeit hätte. Ich habe mich dann ganz gemütlich fertig gemacht. Wir sind dann mit dem Wagen zum Zuge gefahren. Dort haben wir wie üblich fast eine Stunde auf den Zug warten müssen. Das war auch wieder eine Lokomotive und ein Packwagen. Er hat dann die Strecke abgerollt. Am Bahnhof wurden wir wieder mit dem Kraftwagen abgeholt. Es war ein ziemlich kalter Wind, von dem wir ziemlich durchgefroren waren. Die Sitzung wurde gleich abgehalten, die dann bis gegen Mittag ging. Auffallend war, daß diese Sonderführer, die von allen Soldaten entweder Kartoffelleutnant oder Kartoffelführer genannt werden, auch unsere Mannschaften und Unteroffiziere sich sehr reserviert verhalten haben. Also von Kameradschaft keine Spur.
Nach der Sitzung wurden wir doch noch zum Essen eingeladen. Nachdem man uns vorher sowie in Bezug auf Essen versprochen hatte, waren wir doch eigentlich verwundert. Es gab wohl Suppe und dann etwas Kartoffelbrei mit Fleisch und Soße. Hinterher gab es Kompott. Da es aber im ganzen Hause durch den Sturm überall zog und es nicht geheizt war, waren unsere Wärmereserven bald wieder verschwunden. Bald fuhren wir wieder nach unserem Standort. Wir fuhren mit einem ukrainischen Fahrer. Ich habe nur gestaunt, wie dieser Kerl bei diesen Wegen gefahren ist. Wagenspuren, Dreck, Schlamm, Acker usw. wechselten in bunter Folge. Zeitweise wußte man überhaupt nicht mehr, wo Straße aufhörte und Acker anfing. Schließlich bei einem großen Schlammloch blieb der Wagen stehen. Erst ging es noch ein wenig vorwärts und dann noch ein paar Mal rückwärts, dann war es endgültig aus. Ein paar Bauern, die zufällig mit ihren Pferden in der Nähe waren, mußten anspannen. Wenn man die mageren Pferde sah, bekam man geradezu Angst, daß sie einem auf der Strecke bleiben würden. Mit vereinten Kräften haben wir schließlich den Wagen wieder flott bekommen. Ein anderer blieb dann wieder stecken, so daß wir bis zu einem anderen Wagen eine große Strecke zu Fuß laufen mußten. Der andere Wagen hat uns dann nach hause gebracht. Hier gehören solche Zwischenfälle aber zu einer Reise, sonst ist sie nicht richtig verlaufen. Daß sie zünftig war, kannst Du ja aus dem etwa entnehmen, was ich Dir geschrieben habe.  Heute küsse und grüße ich Dich sowie unsere beiden Kinder recht herzlich.  Dein Ernst.

Meine liebe Annie !                                  auf Dienstreise, den 7.5.42        

Nach dem heutigen Reisetag muß ich Dir erst noch berichten, was ich gestern Abend getrieben habe. Ich wurde von dem Spieß hier zum ukrainischen Theater eingeladen. Dieser Einladung habe ich gern Folge geleistet. Von Theaterräumen kann ja keine Rede sein, aber die Leute haben sich sehr viel Mühe gegeben. Zuerst gab es ein Theaterstück in ukrainischer Sprache. Vorher wurde eine Kurze Inhaltserklärung in deutscher Sprache gegeben, um den vielen deutschen Zuhörern gerecht zu werden. Anschließend wurden gesangliche, artistische und andere musikalische Darbietungen gebracht. Vorher Vorträge in deutscher Sprache wurden geboten, die durch die Ausdrucksweise teilweise belustigend wirkten. Ich habe mich also ganz nett unterhalten. Damit ich zur heutigen Fahrt wieder frisch bin, habe ich mich bald zu Bett gelegt, denn ich möchte da in keiner Weise auffallen. 
Heute früh ging es wieder mit Kraftwagen in anderer Richtung zu einer Versammlung. Die Straßen waren innerhalb der letzten Nacht gut abgetrocknet. Man muß staunen, wie schnell die Straßen verschlammt sind und wie schnell sie wieder befahren werden können. Ein kräftiger Wind hatte ja auch gut nachgeholfen. Ich mußte heute mich auf den Lastkraftwagen setzen, der offen war. Als wir nach unserer Reise von rund 20 km ankamen, waren wir vor Staub nicht wieder zu erkennen. Bei diesen Landwirtschaftsführern wurden wir besser aufgenommen, wie am vorher vergangenen Tage. Dort bekamen wir wenigstens nach dieser Rumpelei etwas zu essen, nach der Sitzung, die wie die anderen verlief, wurden wir noch zum Mittagessen eingeladen, um dann schon wieder gegen 1 Uhr zurückzufahren. Zuhause kamen wir wieder genau so verstaubt und verdreckt an, aber wenn man Gelegenheit hat, sich wieder zu reinigen, dann geht es schon. Dies ist ja hier in besserem Maße vorhanden, wie bei uns. Denke Dir, hier gibt es sogar fließendes Wasser.
In dem Kommandanturgebäude befinden sich Einrichtungen höchsten Kulturfortschrittes  ein Wasserklosett , diese Errungenschaft der Menschheit habe ich hier wieder einmal ausnutzen dürfen. Das ganze Gebäude hat Dampfheizung. Ja, Dir wird es genau so gehen wie mir es gegangen ist, man kommt aus dem Staunen nicht heraus. Das war ein Gebäude der russischen Staatsbank, das noch nicht sehr lange steht. In Frankreich habe ich schon Gelegenheit gehabt, lotterige Arbeit zu sehen, hier bei diesem neuen Gebäude war durch den Regen die ganze Decke in der großen Empfangshalle versaut. Ein weiterer Fortschritt zu uns bedeutet, daß hier das Licht sogar fast die ganze Nacht brennt, wo es bei uns doch schon gleich nach 10 Uhr ausgeht. Man kann also immer noch Wunder erleben. Morgen werden wir wieder mit Kraftwagen zurückfahren, wie mir bekannt gegeben worden ist. Ich bin gespannt, welche Hindernisse dabei auftreten werden. Ich bin jedenfalls auf alles gefaßt. 
Als ich Dir kürzlich von den Schriftstücken schrieb, die sich noch bei Deinem Vater befinden, wird Dich etwas ganz besonders interessieren und Dir Freude bereiten. Es ist ein Rezeptbuch Deines Großvaters. Es stehen manche nette Sachen darin, doch die dazu benötigten Mittel sind für den heutigen Vorrat an Eiern beispielsweise unmöglich, aber das macht ja nichts, es kann ja sein, daß auch wieder einmal andere Zeiten kommen. Herzlich grüße und küsse ich Dich.  Ich hoffe, daß Ihr alle gesund seid.
Man hört immer wieder von englischen Fliegerangriffen auf Südwestdeutschland, so daß man immer in Sorge ist, vor allem, wenn man immer solange auf Nachricht waren muß. Ich werde mich aber dreinschicken müssen, denn ich kann leider nichts dazu tun. Gib unseren beiden Stromern jedem einen recht herzlichen Kuß, Du selbst sei aber nochmals recht fest geküßt von Deinem Ernst.