Meine
liebe Annie! 28.4.41
Nun
bin ich schon wieder seit gestern in der Stadt, in der ich vor meiner
Abkommandierung so lange Monate gearbeitet habe. Ich habe als erstes meine
Koffer dahin gebracht, wo wir uns früher soviel aufgehalten haben. Die
Überraschung über mein plötzliches Erscheinen konnte ich auf den Gesichtern
ziemlich deutlich feststellen. Teilweise hat die Ansicht vorgeherrscht, daß ich
gar nicht erst wieder hierher komme. Doch wo sie sich von meiner Gegenwart
überzeugt hatten, waren sie eines Besseren belehrt. Als nächsten Weg hatte ich
mir Kamerad Graser vorgenommen. Der hat auch große Augen gemacht, als ich so am
Sonntagvormittag bei ihm vor der Tür erschien. Er hat mich sehr freundlich
aufgenommen und meine erste Nacht habe ich in seinem großen Familienbett
zugebracht, das wir uns geteilt haben. Im Café Gongue habe ich zu Mittag
gegessen. Anschließend haben wir die Familie Fritz aufgesucht, die sich über
meinen Besuch auch gefreut haben. Wir wurden gleich zum Kaffee eingeladen, den
wir eigentlich erst nicht annehmen wollten, weil wir vor hatten, ins Kino zu
gehen. Sie nötigten uns dann schließlich doch dazu, so daß wir dann nachgaben
und sitzen blieben. Wir haben uns ganz nett erzählt, auf einmal klingelt es und
Dr. Thomas stand vor der Tür. Er hatte davon erfahren, daß ich da bin und ist
gleich mit dem Wagen, den er noch von früher hat, herüber gekommen. Er sagte,
ich sollte mich gleich fertig machen damit er mich mitnehmen könnte. Es hat
ziemlicher Vorstellungen bedurft, bis ich ihm klar gemacht hatte, daß das nicht
möglich sei. Er hat es dann wohl auch eingesehen, hat mich aber dann gebeten,
daß ich es möglich machen sollte, am 1. Mai zu ihm hinüber zu kommen. Dies habe
ich ihm auch versprochen. Ich habe festgestellt, daß sich meine beiden früheren
Kameraden Graser und Thomas gegenseitig auseinandergelebt haben, und daß
zwischen ihnen nicht mehr das Verhältnis besteht, wie es früher zwischen uns
dreien geherrscht hat. Ich habe das Gefühl gehabt, daß mir Thomas wieder einmal
sein Herz ausschütten will, genau so wie es der Graser gestern Abend bei
unserem Zuhausesein getan hat. Ich habe gemerkt, wie ich dem einen und dem
anderen gefehlt habe. Über den Besuch von Thomas habe ich mich
selbstverständlich sehr gefreut, umso mehr, weil er während meiner Abwesenheit
etwa sieben Mal hier war und erst in letzter Zeit zweimal Graser besucht
hat. Ein Zeichen dafür, wie er sich
über mein Kommen gefreut hat. Graser
war froh, daß ich zu der Einladung vom Tommi nicht zugesagt hatte. Laureyns war bei meinem Kommen samt Familie auch
erschienen, um mich zu begrüßen. Er hat mir dann auch gesagt, wie schlimm es
jetzt zu arbeiten sei, seit wir nicht mehr hier seien und daß bei den Franzosen
keine Organisation herrsche.
Heute
früh war ich nun auf meiner Dienststelle und habe mich gemeldet. Der betreffende Sachbearbeiter war heute
nicht da und ich muß morgen früh nochmals hinkommen. Es liegt nun eine
Verfügung vor, wonach ich zu einer Kreiskommandantur nach auswärts versetzt
werden soll. Es handelt sich hier um den Ort Douaie. Das ist etwa 30 - 40 km
südöstlich von hier. Ich habe aber gehört, daß sich andere Dienststellen auch
schon um meine Arbeitskraft bemüht haben. Wer nun den Sieg davonträgt, weiß ich
nicht. Mir ist es jedenfalls gleich, ich werde mich auch an dem Ort wieder in
die Sache hineinfinden, wo ich hingestellt werde.
Auf
dem Bürgermeisteramt habe ich heute morgen auch einen Besuch abgestattet. Der Bürgermeister war sehr nett zu mir und
hat geäußert, wie wünschenswert es wäre, daß eine Mittlerperson da wäre, die
die Dinge der Stadt und die Abwicklung zwischen den deutschen Dienststellen
ausführen würde. Ob es nicht möglich wäre, daß ich diese übernehmen könnte. Ich
habe ihm dann erklärt, daß dies nicht in meinem Machtbereich steht, sondern daß
ich mich dem zu fügen habe, was befohlen wird.
Mich
hat aber überall gefreut, daß unsere Arbeit die wir früher geleistet hatten, in
dieser Weise solche Anerkennung gefunden hat. Er hat sich auch gleich
erkundigt, ob ich eine Unterkunft habe, und wenn ich hier bleiben würde, wollte
er für eine entsprechende Wohngelegenheit besorgt sein. In dieser Beziehung
habe ich also nur Entgegenkommen gefunden.
Der
Mann, der mir auf unserer alten Dienststelle so unsympathisch war, sitzt ja hier
auf der Personalabteilung, den habe ich heute auch begrüßen dürfen. Ich
verstehe nicht, diese Menschen haben doch ein Sauglück. Er hat auch hier wieder
einen Posten erwischt, wo er sich wirklich nicht tot schindet. Es wäre ja bloß
schade um solchen Menschen. Ich bin ihm bestimmt nicht neidisch um seine
Tätigkeit, nur das hat mich dabei geärgert, daß ich ausgerechnet zu dem gehen
mußte, um meine erste Auskunft zu holen.
Ich
habe dir heute viel von mir und meinen Erlebnissen wie meinen Eindrücken
erzählt. Ich möchte nun für heute schließen. Bleib mir gesund und gib auf
unsere Kinder wieder schön acht. Gib jedem wieder einen herzhaften Kuß und
grüße sie von ihrem Vater. Sie sollen nur schön brav bleiben. Solange ich noch
keine feste Adresse habe, hat es keinen Zweck, wenn Du mir schreibst. Ich gebe
Dir dann jedenfalls umgehend darüber Bescheid. Nimm Du selbst wieder herzliche Grüße und Küsse entgegen
von Deinem Ernst.
Sobald
ich Dir meine Adresse schicke, sende mir von jedem von Euch einen Abdruck der
Fußgröße mit, ich habe hier eine Adresse für Schuhe erfahren.
Meine
liebe Frau ! 30.4.41
Wie
ich Dir in meinem Brief von vorgestern schon mitteilte, bin ich nun
abkommandiert. Heute früh reiste ich von dem früheren Ort ab und um 11 Uhr traf
ich nun hier ein. Ich hatte mich schon vorher erkundigt, was das für ein
Ort und für eine Gegend ist. Das was mir Da gesagt wurde, war bestimmt
nicht zuviel gesagt. Es ist ein trostloses Nest, das aber auch gar nichts
bietet. Der Bahnhof und verschiedene Teile der Stadt sind zerstört und auch
sonst ist alles so schmutzig.
In
unserem früheren Ort war es bestimmt auch nicht schön, aber immerhin es war
noch besser wie es hier ist. Die Diensträume lassen auch sehr zu wünschen
übrig. Über die Leute selbst kann ich mich noch nicht äußern, das werde ich
aber später noch nachholen. Das Essen muß ich mit der Mannschaft einnehmen.
Wenn das immer so ist, wie es heute war, dann werde ich nicht viel zu erwarten
haben. Doch das will ich noch nicht abschließend beurteilen. Hier sind
verschiedene so kleine Generäle, die alle was zu sagen haben. Zusammenfassend
kann ich schon heute feststellen, daß ich vom Regen in die Traufe gekommen bin.
Ich werde mich aber auch hier durchbeißen, da brauchst Du Dir keine Sorge zu
machen. Heute will ich mich durch Thomas abholen lassen.
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