Montag, 2. Mai 2016

Brief 118 vom 28./30.4.1941


Meine liebe Annie!                                                                                                                 28.4.41      

Nun bin ich schon wieder seit gestern in der Stadt, in der ich vor meiner Abkommandierung so lange Monate gearbeitet habe. Ich habe als erstes meine Koffer dahin gebracht, wo wir uns früher soviel aufgehalten haben. Die Überraschung über mein plötzliches Erscheinen konnte ich auf den Gesichtern ziemlich deutlich feststellen. Teilweise hat die Ansicht vorgeherrscht, daß ich gar nicht erst wieder hierher komme. Doch wo sie sich von meiner Gegenwart überzeugt hatten, waren sie eines Besseren belehrt. Als nächsten Weg hatte ich mir Kamerad Graser vorgenommen. Der hat auch große Augen gemacht, als ich so am Sonntagvormittag bei ihm vor der Tür erschien. Er hat mich sehr freundlich aufgenommen und meine erste Nacht habe ich in seinem großen Familienbett zugebracht, das wir uns geteilt haben. Im Café Gongue habe ich zu Mittag gegessen. Anschließend haben wir die Familie Fritz aufgesucht, die sich über meinen Besuch auch gefreut haben. Wir wurden gleich zum Kaffee eingeladen, den wir eigentlich erst nicht annehmen wollten, weil wir vor hatten, ins Kino zu gehen. Sie nötigten uns dann schließlich doch dazu, so daß wir dann nachgaben und sitzen blieben. Wir haben uns ganz nett erzählt, auf einmal klingelt es und Dr. Thomas stand vor der Tür. Er hatte davon erfahren, daß ich da bin und ist gleich mit dem Wagen, den er noch von früher hat, herüber gekommen. Er sagte, ich sollte mich gleich fertig machen damit er mich mitnehmen könnte. Es hat ziemlicher Vorstellungen bedurft, bis ich ihm klar gemacht hatte, daß das nicht möglich sei. Er hat es dann wohl auch eingesehen, hat mich aber dann gebeten, daß ich es möglich machen sollte, am 1. Mai zu ihm hinüber zu kommen. Dies habe ich ihm auch versprochen. Ich habe festgestellt, daß sich meine beiden früheren Kameraden Graser und Thomas gegenseitig auseinandergelebt haben, und daß zwischen ihnen nicht mehr das Verhältnis besteht, wie es früher zwischen uns dreien geherrscht hat. Ich habe das Gefühl gehabt, daß mir Thomas wieder einmal sein Herz ausschütten will, genau so wie es der Graser gestern Abend bei unserem Zuhausesein getan hat. Ich habe gemerkt, wie ich dem einen und dem anderen gefehlt habe. Über den Besuch von Thomas habe ich mich selbstverständlich sehr gefreut, umso mehr, weil er während meiner Abwesenheit etwa sieben Mal hier war und erst in letzter Zeit zweimal Graser besucht hat.  Ein Zeichen dafür, wie er sich über mein Kommen gefreut hat.  Graser war froh, daß ich zu der Einladung vom Tommi nicht  zugesagt hatte. Laureyns war bei meinem Kommen samt Familie auch erschienen, um mich zu begrüßen. Er hat mir dann auch gesagt, wie schlimm es jetzt zu arbeiten sei, seit wir nicht mehr hier seien und daß bei den Franzosen keine Organisation herrsche.
Heute früh war ich nun auf meiner Dienststelle und habe mich gemeldet.  Der betreffende Sachbearbeiter war heute nicht da und ich muß morgen früh nochmals hinkommen. Es liegt nun eine Verfügung vor, wonach ich zu einer Kreiskommandantur nach auswärts versetzt werden soll. Es handelt sich hier um den Ort Douaie. Das ist etwa 30 - 40 km südöstlich von hier. Ich habe aber gehört, daß sich andere Dienststellen auch schon um meine Arbeitskraft bemüht haben. Wer nun den Sieg davonträgt, weiß ich nicht. Mir ist es jedenfalls gleich, ich werde mich auch an dem Ort wieder in die Sache hineinfinden, wo ich hingestellt werde.
Auf dem Bürgermeisteramt habe ich heute morgen auch einen Besuch abgestattet.  Der Bürgermeister war sehr nett zu mir und hat geäußert, wie wünschenswert es wäre, daß eine Mittlerperson da wäre, die die Dinge der Stadt und die Abwicklung zwischen den deutschen Dienststellen ausführen würde. Ob es nicht möglich wäre, daß ich diese übernehmen könnte. Ich habe ihm dann erklärt, daß dies nicht in meinem Machtbereich steht, sondern daß ich mich dem zu fügen habe, was befohlen wird.
Mich hat aber überall gefreut, daß unsere Arbeit die wir früher geleistet hatten, in dieser Weise solche Anerkennung gefunden hat. Er hat sich auch gleich erkundigt, ob ich eine Unterkunft habe, und wenn ich hier bleiben würde, wollte er für eine entsprechende Wohngelegenheit besorgt sein. In dieser Beziehung habe ich also nur Entgegenkommen gefunden.
Der Mann, der mir auf unserer alten Dienststelle so unsympathisch war, sitzt ja hier auf der Personalabteilung, den habe ich heute auch begrüßen dürfen. Ich verstehe nicht, diese Menschen haben doch ein Sauglück. Er hat auch hier wieder einen Posten erwischt, wo er sich wirklich nicht tot schindet. Es wäre ja bloß schade um solchen Menschen. Ich bin ihm bestimmt nicht neidisch um seine Tätigkeit, nur das hat mich dabei geärgert, daß ich ausgerechnet zu dem gehen mußte, um meine erste Auskunft zu holen.
Ich habe dir heute viel von mir und meinen Erlebnissen wie meinen Eindrücken erzählt. Ich möchte nun für heute schließen. Bleib mir gesund und gib auf unsere Kinder wieder schön acht. Gib jedem wieder einen herzhaften Kuß und grüße sie von ihrem Vater. Sie sollen nur schön brav bleiben. Solange ich noch keine feste Adresse habe, hat es keinen Zweck, wenn Du mir schreibst. Ich gebe Dir dann jedenfalls umgehend darüber Bescheid. Nimm Du selbst  wieder herzliche Grüße und Küsse entgegen von Deinem Ernst.
Sobald ich Dir meine Adresse schicke, sende mir von jedem von Euch einen Abdruck der Fußgröße mit, ich habe hier eine Adresse für Schuhe erfahren.

Meine liebe Frau !                                                                                                                                30.4.41
Wie ich Dir in meinem Brief von vorgestern schon mitteilte, bin ich nun abkommandiert. Heute früh reiste ich von dem früheren Ort ab und um 11 Uhr traf ich nun hier ein. Ich hatte mich schon vorher erkundigt, was das für ein Ort  und für eine Gegend ist.  Das was mir Da gesagt wurde, war bestimmt nicht zuviel gesagt. Es ist ein trostloses Nest, das aber auch gar nichts bietet. Der Bahnhof und verschiedene Teile der Stadt sind zerstört und auch sonst ist alles so schmutzig.
In unserem früheren Ort war es bestimmt auch nicht schön, aber immerhin es war noch besser wie es hier ist. Die Diensträume lassen auch sehr zu wünschen übrig.  Über  die Leute selbst kann ich mich noch nicht äußern, das werde ich aber später noch nachholen. Das Essen muß ich mit der Mannschaft einnehmen. Wenn das immer so ist, wie es heute war, dann werde ich nicht viel zu erwarten haben. Doch das will ich noch nicht abschließend beurteilen. Hier sind verschiedene so kleine Generäle, die alle was zu sagen haben. Zusammenfassend kann ich schon heute feststellen, daß ich vom Regen in die Traufe gekommen bin. Ich werde mich aber auch hier durchbeißen, da brauchst Du Dir keine Sorge zu machen. Heute will ich mich durch Thomas abholen lassen.

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