Dienstag, 24. Mai 2016

Brief 130 vom 23./24.5.1941


Meine liebe Frau!                                                                                          23.5.41     

Heute habe ich 3 Päckchen an Dich ab gesandt. Es handelt sich um Nummer 7, 8 und 10. Nummer 9 sende ich morgen gleich ab, denn dafür fehlt mir das Verpackungsmaterial. In dem einen Päckchen habe ich zwei Bücher für Dich abgeschickt, damit Du, wenn Pfingsten je schlechtes Wetter sein sollte, etwas zu lesen hast. Ist dagegen schönes Wetter, kannst Du mit den neuen Schuhen ausgehen.  In das Päckchen, was noch aussteht, kommen die Schuhe für Helga.  Ich hoffe und wünsche, daß alles gut ankommt, alles paßt und Euch auch gefällt. Heute habe ich an Hellstern geschrieben, den Durchschlag füge ich Dir bei. Ehe ich an den Oberbürgermeister schreibe, will ich, daß er diesen Brief hat. Was meinst Du dazu, ist das richtig so? 
Das Wetter ist gegenwärtig etwas regnerisch. Letzten Samstag hatte ich mich vom Schießen gedrückt, beim morgigen Schießen wird das aber kaum gehen. Das macht aber nichts, gehen kann man ja einmal mit, was dabei herauskommt, wird sich schon zeigen.  Bei der heutigen Post war für mich nichts dabei. Doch man muß auch einmal warten können. Vorhin war ich mit meinen Kameraden im Stadtpark. Es war schön. Der Goldregen, der Flieder und der Schneeball blühten. Die Kastanien hatten ihre Kerzen aufgesteckt. Es ist eben etwas Schönes um den Frühling.
Wenn man um diese Jahreszeit nicht rauskommt, dann wird es überhaupt nichts. Als ich dann noch mein Päckchen, das noch nicht fertig geworden war, gepackt hatte, bin ich nach hause gegangen und habe noch gelesen. Es ist dann immer ganz angenehm, wenn man etwas zu lesen da hat. Mit meinem Radioapparat hatte sich die Angelegenheit etwas verzögert. Ich sollte ihn letzte Woche bestimmt bekommen. Meine Wirtsleute haben extra eine Leitung für mich legen lassen, doch ich denke, daß es morgen nun wirklich soweit ist. Das wäre dann immer noch eine Ergänzung der gegenwärtigen Abendunterhaltung.  Nächste Woche bekommt Helga auch wieder Ferien. Wenn dann das Wetter entsprechend ist, kann sie ja dann unten mit rumtollen. Ich glaube, sie wird nichts Dagegen haben.  Herzliche Grüße und viele Küsse sendet Dir und den Kindern  Dein Ernst

Mein liebes Mädel!                                                                                          24.5.41

Gestern habe ich, wie ich Dir ja schrieb, keine Post bekommen.  Heute auch nicht, aber es geht fast allen Kameraden so, wahrscheinlich liegt wieder etwas in der Luft. Warten können wir ja alle, und wenn man nicht allein davon betroffen ist, geht es schon noch.  Heute war nun Schießen. Ich dachte, zum zweiten Mal kann man sich nicht drücken und wollte mitgehen. Als ich beim Antreten dastehe, fragt mich der Spieß, ob ich auch mit wolle, denn es sei für mich keine Pflicht. Ich war erst etwas überrascht, sagte aber, daß ich das Schießen gern wieder einmal probieren möchte.  Er sah mich wohl mit einem gewissen milden Lächeln an, doch ich nahm das nicht weiter tragisch. Die Übung war drei Schuß auf dem Anschußtisch aufgelegt. Meine zwei Vorgesetzten von der Verwaltungsabteilung schießen gleich am Anfang. Der eine Schoß bei 36 zu erreichenden Ringen 32 und der andere 31 Ringe. Die forderten mich dann auch gleich zum Schießen auf. Ich dachte, wenn das man gut geht. Der erste Schuß ist eine 11, der zweite Schuß war rausgeballert und ist eine 7, das ärgerte mich schon. Beim letzten Schuß dachte ich, daß ich mich etwas zusammennehmen muß und hatte dann auch eine 12. Es waren dann immerhin noch 30 Ringe insgesamt.
Wie ich dann hinterher erfuhr, waren alle der Ansicht, daß ich nicht schießen könnte und ich habe dann auch an den anerkennenden Blicken und Worten gemerkt, daß ich dadurch wieder bei den Kameraden gewonnen hatte. Es ist eben so, den meisten tut der Stern, den ich habe, weh. Bei einer Kommandantur wie hier, wo schon lange dienende Soldaten dabei sind, kommt das noch viel mehr zur Geltung wie vorher beim Stadtkommissar. Ich kann das einesteils auch verstehen, doch gefreut habe ich mich im Stillen doch, daß ich mir nichts zeigen lassen brauchte, obwohl ich doch ein Jahr lang kein Gewehr nicht mehr in der Hand gehabt hatte. 
Heute ist mit der Mittagspost das Päckchen mit den Schuhen für Helga abgegangen. Ich weiß ja nicht, ob Du Deine Schuhe bei jedem Wetter anziehen kannst, das mußt Du selbst einmal ausprobieren. gespannt bin ich, ob sie Dir gefallen und ob sie alle passen.
Mit meinem Radioapparat ist es nun wirklich Tatsache geworden. Es ist ein schöner Apparat, der auch ohne Antenne geht. Er ist noch ganz neu. Jetzt kann man doch wenigstens wieder hören.
Vielleicht fahre ich morgen einmal nach Lille. Unser Postauto fährt am Sonntag schon um 11 Uhr. Wenn ich dann mit dem Zug heimfahre, habe ich etwas Zeit um mich dort aufzuhalten. Ich muß zusehen, ob ich Graser  treffe, weil ich mich nicht angemeldet habe.
Ich sende Dir sowie den Kindern recht herzliche Grüße und viele Küsse. Ich hoffe, daß ihr alle zusammen gesund seid. Mit vieler Liebe denkt immer an Euch Dein Ernst 

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