Samstag, 14. Mai 2016

Brief 125 vom 14./15.5.1941


Meine liebe Annie !                                                                                           14.5.41   

Herzlich Danke ich Dir für Deinen Brief vom 10.5. Aus meinem Schreiben und aus Deiner Antwort ersehe ich, daß Du weißt wo und wie ich untergebracht bin. Ob ich aber so jetzt nach X(Lille) fahren kann, muß ich erst einmal sehen. Mit Graser allein ist wohl nicht das richtige Verhältnis. Er ist ein lieber Kerl und ich weiß auch, daß er mich gern aufnimmt. Bei meiner Abreise hat er es mir wiederholt angeboten, daß ich bei ihm ohne weiteres übernachten kann, wenn ich nach X komme. Mit Thomas ist es meines Erachtens doch eine andere Sache, ich habe ihn auch in meinem Brief gebeten, daß er mir Bescheid geben soll, wenn er aus dem Urlaub zurückkommt. Ich denke, daß ich vielleicht mit dem Postwagen, den ich ja letzte Woche schon einmal benutzte, wieder zu ihm fahre.  Dieser Aufenthalt ist meist sehr kurz und Graser ist dann meist im Dienst und hat dann wenig Zeit. 
Mit Deiner Näherei bist Du ja ziemlich in Anspruch genommen. Ich sehe aber, daß Du doch Freude daran hast, wenn Dir wieder ein Stück gelungen ist. Mache Dir aus den Sommerstoffen, die ich Dir zugesandt hatte, auch etwas rechtes, denn Du brauchst ja nicht immer nur aus altem Stoff etwas zu machen. Mit Vaters Furunkulose sieh Dich nur vor, denn sowas ist ansteckend und bedarf äußerster Vorsicht. Daß sich daneben schon wieder kleine Herde bilden ist ein Zeichen dafür, daß dies seine Ursache aus der alten Stelle hat. Vater kannst Du von mir ausrichten, er soll damit keinen Unsinn treiben. Wenn es nicht besser wird und es wieder von neuem anfängt, dann soll er einen Arzt aufsuchen, der dies entsprechend behandeln soll. 
Die Geschichte von meinen Eltern bezüglich der Wohnungseinrichtung ist mir nicht bekannt gewesen. Ich finde sie auch sehr originell.
Von der Obstbaumblüte, die wir hier gehabt haben, schrieb ich Dir ja in meinem letzten Brief. Ja ich weiß, was wir immer für eine Freude an der Blüte vor dem Fenster hatten. Dies war ja auch einer der entscheidenden Gründe, daß wir den Baum nicht raus gemacht haben. Wegen der Schuhe für die Kinder sagte mir Graser, daß er es nicht machen könnte, weil jetzt hier auch Bezugscheine verlangt würden. Ich habe hier nun Auftrag bei einem Herrn gegeben. Er will einmal sehen, was er erreicht. 
Gewisse Kreise machen, wie ich Dir schon schrieb, englische Propaganda mit äußerst primitiven Mitteln. An die Wand malen sie ein V, was „Victory“  Sieg bedeutet. Beigeschlossen sende ich Dir nun auch so ein V. Es ist zwar von der anderen Seite. Das ist doch nicht schlecht gemacht. Vor allem der englische Sieg ist doch ganz überzeugend.  
Für euren Blumengruß danke ich auch recht herzlich. Heute mache ich wieder zwei Päckchen fertig mit Schokolade.  Ich wünsche Euch guten Appetit dazu, und ich hoffe, daß alles gut ankommt. In den nächsten Tagen werde ich zwei Bücher ausgelesen haben, die ich Dir dann auch zusenden werde.  Mir selbst geht es soweit gut. Obst und was man sonst noch zusätzlich bekommt, kaufe ich mir. Apfelsinen, Feigen und Datteln, ebenso Bananen. Auf Schokolade bin ich nicht so scharf, vielleicht kaufe ich mir einmal Pralinen. Eier, die Kameraden besorgt haben, lasse ich mir ab und zu machen. Die sind aber in letzter Zeit so teuer geworden, daß ich mir wahrscheinlich Schinken oder Wurst besorgen lasse. Du siehst, daß ich also immer noch etwas zu essen habe, und daß es mir den Umständen entsprechend nicht schlecht geht.  Recht herzliche Grüße und Küsse sendet Dir und unseren beiden Schlawanzern Dein Ernst.

Meine liebe Frau !                                                                                                 15.5.41

Gestern bekam ich Deinen lieben Brief vom 11.5. Wiederum Danke ich Dir recht herzlich dafür. Die mit gesandten Blumen werde ich mir aufheben und zu den schon gesandten legen. Wenn Du solchen Erfolg mit unserem Rhabarber hast, dann ist das ja sehr erfreulich. Ist eigentlich auch der, den wir schon immer haben, der also weiter unten steht, auch so ertragreich? Die Kinder haben also ihren Spaß am Omnibusfahren. So haben sie doch auch etwas von den Briefen. Ja, die Geschichten im Haus sind schon interessant, doch es ist am besten, man hält sich aus allem heraus, so wie wir es immer getan haben. Es ist zwar nicht immer zu vermeiden, daß man das eine oder andere mit anhören muß. Soweit es uns aber nicht betrifft, halten wir uns zurück, im andern Fall schlägt man eben zu und läßt sich nichts gefallen. In diesem Zusammenhang will ich Dir ein Ereignis schildern, das mich heute eigenartig berührt hat.
Ein Franzose kam heute zu mir mit einer Forderung, die nicht zu unserer Aufgabe gehört. Ich habe ihm dies mitgeteilt, daraufhin stellte er noch mehrere unzumutbare Forderungen, so daß ich ihm die Türe wies. Er wankte und wich nicht. Ich sah mich deshalb gezwungen, ihn am Kragen zu packen und rauszuschmeißen. Als er draußen war, sagte er, wie unser Dolmetscher sagte, „Leck mich im Arsch“. Ich selbst hatte es nicht gehört, aber Kameraden von der Feldgendarmerie hatten sich ohne mein Wissen dieser Sache angenommen. Ich wurde dann zur Vernehmung dieses Mannes geladen. Am Anfang behauptete er, nicht mehr zu wissen, was er gesagt habe. Als ihm dann der Feldwebel eine kräftige Ohrfeige heruntergehauen hatte, wußte er immer noch nichts. Auch dann, als er mit einem Bambusstock einige über den Rücken gestrichen bekommen hatte, behauptete er immer noch, daß er nichts gesagt habe. Die Männer haben ihn dann gepackt und ihm tüchtig ein paar übergezogen. Das hat dann geholfen und er gab dann seine Aussage auch zu. Zuerst scheint einem diese Menschenbehandlung grausam zu sein, doch ich glaube, daß es notwendig ist, auf diese Art durchzugreifen, weil diese Brüder sonst denken, sie können sich gegen uns alles erlauben. Wahrscheinlich wird er noch einige Tage ins Loch wandern. Hinzufügen muß ich noch, daß er gestern schon bei mir in der gleiche Weise aufgetreten war und eine ordentliche Fahne von Alkoholduft hinter sich herzog. Heute war es mit ihm genau das gleiche. Ich bin ja schon von früher vom Fürsorgeamt auch allerhand gewöhnt gewesen, aber diese Menschen sind hier bald noch schlimmer. 
Ich sagte Dir ja in meinem letzten Schreiben, daß ich mir Obst und Früchte kaufe. Man kann wohl sagen, daß es hier schon alles gibt. Spargel gab´s schon am 1.Mai zu essen, als ich bei Thomas zum Mittagessen eingeladen war. Bei uns wird er hier zum Mittagessen nicht gegeben. Kirschen und Erdbeeren habe ich auch schon im Schaufenster gesehen. 250g Kirschen kosten aber 65 Pfennig. Ein kleines Körbchen Erdbeeren, das wohl auch nicht mehr enthält kostet 75 Pfennig. Frische Bohnen werden ebenfalls schon verkauft. Wenn man aber sowas kaufen will, muß man es teuer bezahlen.  Mir selbst geht es gut.
Das Wetter ist heute regnerisch, aber nicht besonders kalt. Helga kann auch wieder einmal einen Brief schreiben, ich würde mich darüber freuen, wenn sie wieder auch etwas zeigen würde. Es braucht nun nicht gleich zu sein, aber bei Gelegenheit einmal.  Am Dienstag war ich im Kino. Es wurde der Film gegeben, den ich in Karlsruhe schon einmal gesehen hatte „Hochzeitsnacht“.  Man geht aber hin, um sich abzulenken, wenn es auch nicht überwältigend ist. Außerdem will man ja auch die Wochenschau sehen.  Heute läuft nun ein kümmerlicher Film „Der 4. kommt nicht“. Hier müssen wir ja Eintritt zahlen. Wenn man aber sonst nichts sehen kann, sucht man solche Abwechslung immer auf.
Eigenartig war nur in der letzten Wochenschau, daß Hess zum 1. Mai sprach. Nach der Affäre, die sich mit ihm nun zugetragen hat, sieht man diesen Mann mit gemischten Gefühlen an. Seine Handlung wird ja von allen Kameraden einträchtig abgelehnt.
Ich sende Euch allen viele und herzliche Grüße und Küsse. Helga und Jörg kannst Du ja in der üblichen Weise bedenken. Du selbst nimm wieder besondere Grüße und Küsse entgegen von Deinem Ernst.
Wenn Vater wider zu Dir rauf kommt, richte ihm ebenfalls herzliche Grüße von mir aus.

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