Meine
liebe Annie ! 14.5.41
Herzlich
Danke ich Dir für Deinen Brief vom 10.5. Aus meinem Schreiben und aus Deiner
Antwort ersehe ich, daß Du weißt wo und wie ich untergebracht bin. Ob ich aber
so jetzt nach X(Lille) fahren kann, muß ich erst einmal sehen. Mit Graser
allein ist wohl nicht das richtige Verhältnis. Er ist ein lieber Kerl und ich
weiß auch, daß er mich gern aufnimmt. Bei meiner Abreise hat er es mir
wiederholt angeboten, daß ich bei ihm ohne weiteres übernachten kann, wenn ich
nach X komme. Mit Thomas ist es meines Erachtens doch eine andere Sache, ich
habe ihn auch in meinem Brief gebeten, daß er mir Bescheid geben soll, wenn er
aus dem Urlaub zurückkommt. Ich denke, daß ich vielleicht mit dem Postwagen,
den ich ja letzte Woche schon einmal benutzte, wieder zu ihm fahre. Dieser Aufenthalt ist meist sehr kurz und
Graser ist dann meist im Dienst und hat dann wenig Zeit.
Mit
Deiner Näherei bist Du ja ziemlich in Anspruch genommen. Ich sehe aber, daß Du
doch Freude daran hast, wenn Dir wieder ein Stück gelungen ist. Mache Dir aus
den Sommerstoffen, die ich Dir zugesandt hatte, auch etwas rechtes, denn Du
brauchst ja nicht immer nur aus altem Stoff etwas zu machen. Mit Vaters
Furunkulose sieh Dich nur vor, denn sowas ist ansteckend und bedarf äußerster
Vorsicht. Daß sich daneben schon wieder kleine Herde bilden ist ein Zeichen dafür,
daß dies seine Ursache aus der alten Stelle hat. Vater kannst Du von mir
ausrichten, er soll damit keinen Unsinn treiben. Wenn es nicht besser wird und
es wieder von neuem anfängt, dann soll er einen Arzt aufsuchen, der dies
entsprechend behandeln soll.
Die
Geschichte von meinen Eltern bezüglich der Wohnungseinrichtung ist mir nicht
bekannt gewesen. Ich finde sie auch sehr originell.
Von
der Obstbaumblüte, die wir hier gehabt haben, schrieb ich Dir ja in meinem
letzten Brief. Ja ich weiß, was wir immer für eine Freude an der Blüte vor dem
Fenster hatten. Dies war ja auch einer der entscheidenden Gründe, daß wir den
Baum nicht raus gemacht haben. Wegen der Schuhe für die Kinder sagte mir
Graser, daß er es nicht machen könnte, weil jetzt hier auch Bezugscheine
verlangt würden. Ich habe hier nun Auftrag bei einem Herrn gegeben. Er will einmal
sehen, was er erreicht.
Gewisse
Kreise machen, wie ich Dir schon schrieb, englische Propaganda mit äußerst
primitiven Mitteln. An die Wand malen sie ein V, was „Victory“ Sieg bedeutet. Beigeschlossen sende ich Dir
nun auch so ein V. Es ist zwar von der anderen Seite. Das ist doch nicht
schlecht gemacht. Vor allem der englische Sieg ist doch ganz überzeugend.
Für
euren Blumengruß danke ich auch recht herzlich. Heute mache ich wieder zwei
Päckchen fertig mit Schokolade. Ich
wünsche Euch guten Appetit dazu, und ich hoffe, daß alles gut ankommt. In den
nächsten Tagen werde ich zwei Bücher ausgelesen haben, die ich Dir dann auch
zusenden werde. Mir selbst geht es
soweit gut. Obst und was man sonst noch zusätzlich bekommt, kaufe ich mir.
Apfelsinen, Feigen und Datteln, ebenso Bananen. Auf Schokolade bin ich nicht so
scharf, vielleicht kaufe ich mir einmal Pralinen. Eier, die Kameraden besorgt
haben, lasse ich mir ab und zu machen. Die sind aber in letzter Zeit so teuer
geworden, daß ich mir wahrscheinlich Schinken oder Wurst besorgen lasse. Du
siehst, daß ich also immer noch etwas zu essen habe, und daß es mir den
Umständen entsprechend nicht schlecht geht.
Recht herzliche Grüße und Küsse sendet Dir und unseren beiden
Schlawanzern Dein Ernst.
Meine
liebe Frau ! 15.5.41
Gestern
bekam ich Deinen lieben Brief vom 11.5. Wiederum Danke ich Dir recht herzlich dafür.
Die mit gesandten Blumen werde ich mir aufheben und zu den schon gesandten
legen. Wenn Du solchen Erfolg mit unserem Rhabarber hast, dann ist das ja sehr
erfreulich. Ist eigentlich auch der, den wir schon immer haben, der also weiter
unten steht, auch so ertragreich? Die Kinder haben also ihren Spaß am
Omnibusfahren. So haben sie doch auch etwas von den Briefen. Ja, die
Geschichten im Haus sind schon interessant, doch es ist am besten, man hält
sich aus allem heraus, so wie wir es immer getan haben. Es ist zwar nicht immer
zu vermeiden, daß man das eine oder andere mit anhören muß. Soweit es uns aber
nicht betrifft, halten wir uns zurück, im andern Fall schlägt man eben zu und
läßt sich nichts gefallen. In diesem Zusammenhang will ich Dir ein Ereignis
schildern, das mich heute eigenartig berührt hat.
Ein
Franzose kam heute zu mir mit einer Forderung, die nicht zu unserer Aufgabe
gehört. Ich habe ihm dies mitgeteilt, daraufhin stellte er noch mehrere
unzumutbare Forderungen, so daß ich ihm die Türe wies. Er wankte und wich
nicht. Ich sah mich deshalb gezwungen, ihn am Kragen zu packen und
rauszuschmeißen. Als er draußen war, sagte er, wie unser Dolmetscher sagte,
„Leck mich im Arsch“. Ich selbst hatte es nicht gehört, aber Kameraden von der
Feldgendarmerie hatten sich ohne mein Wissen dieser Sache angenommen. Ich wurde
dann zur Vernehmung dieses Mannes geladen. Am Anfang behauptete er, nicht mehr
zu wissen, was er gesagt habe. Als ihm dann der Feldwebel eine kräftige
Ohrfeige heruntergehauen hatte, wußte er immer noch nichts. Auch dann, als er
mit einem Bambusstock einige über den Rücken gestrichen bekommen hatte,
behauptete er immer noch, daß er nichts gesagt habe. Die Männer haben ihn dann
gepackt und ihm tüchtig ein paar übergezogen. Das hat dann geholfen und er gab
dann seine Aussage auch zu. Zuerst scheint einem diese Menschenbehandlung
grausam zu sein, doch ich glaube, daß es notwendig ist, auf diese Art
durchzugreifen, weil diese Brüder sonst denken, sie können sich gegen uns alles
erlauben. Wahrscheinlich wird er noch einige Tage ins Loch wandern. Hinzufügen
muß ich noch, daß er gestern schon bei mir in der gleiche Weise aufgetreten war
und eine ordentliche Fahne von Alkoholduft hinter sich herzog. Heute war es mit
ihm genau das gleiche. Ich bin ja schon von früher vom Fürsorgeamt auch
allerhand gewöhnt gewesen, aber diese Menschen sind hier bald noch
schlimmer.
Ich
sagte Dir ja in meinem letzten Schreiben, daß ich mir Obst und Früchte kaufe.
Man kann wohl sagen, daß es hier schon alles gibt. Spargel gab´s schon am 1.Mai
zu essen, als ich bei Thomas zum Mittagessen eingeladen war. Bei uns wird er
hier zum Mittagessen nicht gegeben. Kirschen und Erdbeeren habe ich auch schon
im Schaufenster gesehen. 250g Kirschen kosten aber 65 Pfennig. Ein kleines
Körbchen Erdbeeren, das wohl auch nicht mehr enthält kostet 75 Pfennig. Frische
Bohnen werden ebenfalls schon verkauft. Wenn man aber sowas kaufen will, muß
man es teuer bezahlen. Mir selbst geht
es gut.
Das
Wetter ist heute regnerisch, aber nicht besonders kalt. Helga kann auch wieder
einmal einen Brief schreiben, ich würde mich darüber freuen, wenn sie wieder
auch etwas zeigen würde. Es braucht nun nicht gleich zu sein, aber bei Gelegenheit
einmal. Am Dienstag war ich im Kino. Es
wurde der Film gegeben, den ich in Karlsruhe schon einmal gesehen hatte
„Hochzeitsnacht“. Man geht aber hin, um
sich abzulenken, wenn es auch nicht überwältigend ist. Außerdem will man ja
auch die Wochenschau sehen. Heute läuft
nun ein kümmerlicher Film „Der 4. kommt nicht“. Hier müssen wir ja Eintritt
zahlen. Wenn man aber sonst nichts sehen kann, sucht man solche Abwechslung immer
auf.
Eigenartig
war nur in der letzten Wochenschau, daß Hess zum 1. Mai sprach. Nach der
Affäre, die sich mit ihm nun zugetragen hat, sieht man diesen Mann mit
gemischten Gefühlen an. Seine Handlung wird ja von allen Kameraden einträchtig
abgelehnt.
Ich
sende Euch allen viele und herzliche Grüße und Küsse. Helga und Jörg kannst Du
ja in der üblichen Weise bedenken. Du selbst nimm wieder besondere Grüße und
Küsse entgegen von Deinem Ernst.
Wenn
Vater wider zu Dir rauf kommt, richte ihm ebenfalls herzliche Grüße von mir
aus.
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