Samstag, 28. Mai 2016

Brief 131 vom 26./27.5.1941


Meine liebe Annie!                                                                                      26.5.41   

Am gestrigen Sonntag war ich in Lille. Mit unserem Postwagen bin ich am Vormittag hinübergefahren. Wie ich dann aber feststellen mußte, hatte Graser Dienst. Gegen ½ 4 Uhr war er dann frei. Bis zu seiner Ankunft hatte ich mich in unser altes Lokal gesetzt.  Dort wurde ich entgegen meinem Eindruck beim letzten Besuch freundlich aufgenommen. Die Leute waren gerade beim Mittagessen und luden mich gleich mit dazu ein. Nachdem ich noch nichts gegessen hatte, nahm ich dankend an. Wir haben uns dann noch unterhalten. Später kam dann Graser und wir sind dann noch beieinander gesessen. Mit dem Abendzug hatte ich heimfahren wollen.
Es kamen dann aber von Graser noch Arbeitskameraden, so daß sehr schlecht wegzukommen war. Ich habe mich dann endlich doch losgerissen, mußte aber am Bahnhof feststellen, daß der Zug gerade hinausgefahren war. Ich bin dann wieder mit zurück und entschloß mich, mit dem Frühzug wieder hierher zu fahren. Wir sind dann noch ganz gut beieinander gesessen und Graser und ich sind dann in seine Wohnung gegangen, wo ich dann auch Unterkunft gefunden hatte. Mit dem Frühzug  bin ich dann  ½ 6 Uhr zurückgefahren, so daß ich rechtzeitig zum Antreten und Dienst da war.
Deinen lieben Brief vom 20. habe ich erhalten, ebenso das Päckchen, das noch ausstand. Ich danke Dir vielmals dafür. Gefreut hat mich Deine Mitteilung, daß Du das Päckchen mit den Pralinen erhalten hast und daß sie Dir, wie ich annehme, zusagen. Wenn dann die Kinder auch zufrieden sind mit der Schokolade, ist es ja auch in Ordnung. Wie ich Dir zwar schon schrieb, war sie teuer, doch schließlich hat man ja den Kindern eine Freude bereitet.
Für das mit gesandte Paßbild danke ich Dir. Ich finde, es entspricht nicht ganz der Natur. Es wirkt verhältnismäßig etwas steif. Da sieht man, daß die Berufsfotografen nicht viel mehr fertig bringen wie wir, denn wir haben doch Bilder da, die sehr gut getroffen sind und von denen man sagen kann, daß sie mehr dem entsprechen, wie das gesandte Bild. Ich freue mich aber trotzdem über das Bild. Auch Jörgs Fotografie ist ja auch ganz gut gemacht, doch auch nicht ganz richtig getroffen.
Heute sende ich Dir den Durchschlag meiner Antwort an den Oberbürgermeister mit. Ich habe das Schreiben unserem Assessor vorgelegt, und er sagte, daß es in Ordnung sei. Wahrscheinlich wird er von hier aus etwas dazu schreiben. Er will aber erst nochmals mit dem Kommandanten vorher sprechen. Die Antwort geht jedenfalls in den nächsten Tagen heraus.  Nun sende ich Dir recht herzliche Pfingstgrüße. Ich denke doch, daß Ihr, wenn das Wetter einigermaßen schön ist, ein wenig ins Freie geht. Letztes Jahr war an Pfingsten unser Ausflug nach Überlingen, Sipplingen auf den Haldenhof. Das war doch ein schöner Tag. Wenn Ihr wollt, könnt Ihr wenigstens ein Stück mit dem Schiff fahren. Verlebt die kurzen Feiertage gesund, denn ich werde ich Gedanken bei Euch sein. Es ist möglich, daß ich über Pfingsten entweder bei Thomas oder bei Graser bin. Das ist noch nicht ganz klar, doch das zeigt sich erst in diesen Tagen. Wenn ich sehe, was die beiden anderen treiben.  Nehmt recht viele Grüße und Küsse entgegen und sei Du recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deinem Ernst

Mein liebes Mädel!                                                                                        27.5.41

Ich Danke Dir vielmals für Deinen lieben Brief vom 22.5.41, den ich heute erhielt. Eigentlich hatte ich die Absicht, ihn Dir auf anderem Weg zu bestätigen. Als ich heute aus dem Kino nach der Kommandantur  kam, wollte ich Dir telefonieren, das war so gegen ½ 10 Uhr, aber die Verbindung haben wir nicht ganz durch bekommen. Die Kameraden von der Telefonzentrale  bzw. vom hiesigen Fernsprechamt sind bis Friedrichshafen gekommen und dann ging es nicht mehr weiter. Ich hoffe, daß wir aber demnächst die Verbindung mit Nummer 309 in Konstanz zusammenstellen können. Ich denke, daß Webers Dich dann schon an den Apparat holen. Nachdem ich diese Feiertage nicht mit Euch verbringen kann, wollte ich doch wenigstens kurz mit Dir sprechen. Aber auch in diesem Falle sage ich mir, aufgeschoben ist nicht aufgehoben. 
Jetzt zu Deinem Brief. Heute lege ich Dir nun aber die Abschrift meiner Antwort an die Stadt bei. Etwas müssen die mir jetzt doch wieder schreiben. Wenn dann nochmals ein nichtssagender Bescheid kommt, dann habe ich mir noch etwas aufgespart. Dann werde ich ihnen schreiben, daß ich wohl die Erklärung unterzeichne, mir aber trotzdem unter Umständen vorbehalte, mich um eine andere Stellung umzusehen. Ich gebe mich diesmal nicht gleich zufrieden. Es hat zwar nicht des Anstoßes Deines Vaters bedurft, aber er hat in seinem Schreiben recht. Ich kann mich nicht auf die Dauer so hinausziehen lassen. Ich denke mir zwar, daß die Stadt sich wieder ablehnend verhält, doch man kann mir dann nicht sagen, daß ich nichts unternommen hätte. Wegen des Zeugnisses werde ich mich wohl zufrieden geben müssen.  Wegen des Gehaltszettels kannst Du wegen mir dann noch warten, bis die nächste Zahlung erfolgt. Was die Schokolade anbelangt, so haben wir beide uns vorbeiverstanden. Es stimmt wohl, daß ich einmal nur Milchschokolade gekauft habe, doch die anderen Male habe ich die andere gekauft, weil mir die Milchschokolade zu teuer war. Ich habe hier noch zwei kleine Tafeln und die zwei großen, die Du dort hast, die kostet 5,-RM.  Ich schrieb darum auch, daß Ihr sie vorsichtig verwenden sollt. Die in der weißen Packung soll wohl Gesundheitsschokolade sein, doch wie ich auf der Rückseite gelesen habe, handelt es sich um eine alte Verpackung, die mit dem gleichen Inhalt nicht identisch ist. Ich habe sie probiert, man kann sie aber auch essen. 
Zum Brief Siegfrieds  habe ich nicht viel hinzuzufügen. Das Bild lasse ich wieder mit zugehen, ebenso den Brief. Ich freue mich auch, wenn die Geschichte mit der Erna wieder eingerenkt ist. 
Die Gartenerfolge spornen ja ohne weiteres an, wenn man gleich in solchen Massen erntet wie Du. Wegen den Erdbeeren kann man ja einmal zusehen, ob man so von anderen Gärtnern ein paar Setzlinge bekommt.  Ich grüße und küsse Euch alle Ihr meine Lieben und Dich ganz besonders Dein Ernst

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