Samstag, 14. Mai 2016

Brief 124 vom 12.5.1941


Mein liebes Mädel                                                                                     12.5.1941  

Vor einem Jahr ging es stark auf meine Einberufung hin. Ich kann mich noch sehr gut an diese Tage erinnern. Es waren doch Tage der Spannung. Der Feldzug gegen Frankreich hatte inzwischen begonnen und etwas Neues, Ungewisses lag vor einem. Wir haben aber alles gefaßt hingenommen und haben auch gewußt, warum dies alles nötig wurde. Ich habe früher ja schon festgestellt, was sich in dieser Zeitspanne ereignet hat. Wenn es noch länger gehen sollte, werden wir dies mit genau der gleichen Fassung auf uns nehmen, wie wir dies vor einem Jahr getan haben. 
Gestern am Sonntag haben wird ab 2 Uhr den Geburtstag unseres Kriegsverwaltungsrats gefeiert.  Es ist dabei ziemlich viel Wein, Bier und Cognac geflossen, doch ich habe mich noch rechtzeitig zurückziehen können. Bei dieser Gelegenheit habe ich aber unseren Kriegsverwaltungsrat als einen Pfundskerl kennen gelernt. Ich hatte Dir doch schon kürzlich geschrieben, wie er mich in Bezug auf meine Prüfung beim hiesigen Kommandanten herausgestrichen hat. Gestern hat er mir gesagt, wie er wegen mir bei unserer vorgesetzten Stelle, der OFK (Oberfeldkommandantur) vorgesprochen  und angeregt hat, daß ich aufgrund der Prüfung befördert werden sollte. Obwohl ihm dies bekannt ist, da dies von der Beförderung bei der Heimatbehörde abhängt, so hat er es doch getan. Ich habe ihm daraufhin gesagt, daß man bei uns in Konstanz sehr kurz tritt. Daraufhin sagte er mir, daß er bedauert, daß er von hier wegkäme, denn er hatte deshalb, - er ist ja in seiner Heimatstadt auch Bürgermeister einer Stadt mit 200000 Einwohnern -,  an unseren Bürgermeister in Konstanz wegen einer entsprechenden Einreichung geschrieben. Du kannst daraus ersehen, daß ich meine Arbeit auch hier  richtig mache. Das ist ja dann auch das, was einen dann befriedigt. 
Post hatte ich gestern keine bekommen. Ich glaube aber, daß ich heute wieder mit bedacht werde. Heute habe ich noch an Thomas geschrieben, denn er bat mich bei meinen Besuch darum. Die meisten Briefschulden habe ich somit erledigt. An Direktor Hellstern von der Stadtverwaltung habe ich mir ein Schreiben aufgesetzt, das ich dieser Tage ausfertigen will. Von der Stadtverwaltung ist wohl noch keine Antwort auf mein Schreiben eingegangen. Ich werde dann vielleicht noch an Dora schreiben und ebenso an Gerhard über Elsa. Dann habe ich, soviel ich mich entsinne, alles geschrieben. 
Bis heute früh hat seit etwa 10 Tagen hier ein wirklich schönes sonniges Wetter geherrscht. Die Bäume, die ich gesehen habe, haben schon geblüht.  Doch trotz der vielen Sonne ist es meist sehr kühl. Frühmorgens war es schon kalt. In den klaren Nächten waren dann die Voraussetzungen  auch entstanden und tagsüber war es fast immer sehr windig, so daß die Sonne nur an windstillen Orten zur Geltung kam.  Gestern früh hatte ich meinen Morgenspaziergang gemacht.  Es klingt geradeso, als ob ein Spießbürger das sagt. Es ist  hier aber gar nichts anderes möglich, weil man sich hier nichts weiter vornehmen kann. Wenn ich in dem Stadtgarten bin, dann sind meist noch keine Menschen da. Durch die vielen Bäume halten sich dann auch verschiedene Arten von Vögeln auf. Jetzt um diese Jahreszeit singen sie noch so schön, so daß man dann eine ganz kleine Entschädigung für das hat, was bei uns daheim geradezu selbstverständlich ist. 
Vorhin habe ich Deine beiden Briefe vom 8. und 9.5. erhalten. Recht herzlichen Dank dafür. An Legler-Gerhard werde  ich nun direkt schreiben. Das wird wahrscheinlich Abkd. (Arbeitskommando) heißen müssen. Für die mit gesandten Bilder danke ich Dir ebenfalls. Sie sind eben alle etwas kurz geraten, oder wir waren alle ein bißchen zu groß. Mit Rücksicht auf das schlechte Wetter sind sie alle ziemlich dunkel  geworden.
Deine Schilderung über die Goldene Hochzeit ist ja originell. Da kann man sich ungefähr einen Begriff  machen, wie es die Jahre früher zugegangen sein mag. Es freut mich, daß Vaters Kopf wieder in Ordnung ist, ich  nehme an, daß es ihm genau so geht. 
Mit meinen Wirtsleuten ist es also nicht ganz so schlimm, wie ich erst am Anfang gemeint habe. Als ich heute Abend heimkam, lag mein Schlafanzug, den ich ja die vergangenen Tage angehabt habe, frisch gewaschen auf meinem Bett. Das ist doch bei dem sonstigen Tempo der Franzosen bestimmt eine Leistung. Früh ausgezogen und abends frisch gewaschen und gebügelt. Ich muß sagen, ich war bestimmt überrascht. Meine Schuhe werden , ohne daß ich etwas weiter gesagt habe, regelmäßig geholt.  Ich weiß nicht, habe ich Dir das schon geschrieben. In dem Hause sind doch zwei kleine Mädchen im Alter von etwa 4 bis 6 Jahren. Die brauchen mich nur zu sehen, dann springen sie mir nach und ich muß mich mit ihnen unterhalten. Das geht ja nicht immer, aber ab und zu muß man sich doch mit ihnen abgeben. Wenn auch die Kameraden versuchen, mich in ihren Kreis zu ziehen, so finde ich das anerkennenswert. Ich glaube aber nicht, daß hier jemals so ein Verhältnis zustande kommt, wie es in der vorhergehenden Umgebung der Fall war. Ich habe auch an Thomas einen entsprechenden  Brief geschrieben, in dem ich zum Ausdruck gebracht habe, daß es mich freuen würde, wenn wir, wenn er aus dem Urlaub kommt, öfter Gelegenheit haben, uns zu treffen.  
Jörg soll nun ja auf der Straße Obacht geben. Er hat ja nun selbst gesehen, wie schnell es geht, wenn man nicht aufpaßt. Solche kleinen Begebenheiten aus der Stadt, wie sie in der Zeitung stehen, interessieren mich immer. Du kannst mir dies also immer wieder mitteilen.  Bis jetzt haben wir es noch verstanden, uns hier gegen den Weiberzirkus durchzusetzen. Die Briefeschreiberei hat also durch die Tipsen zu erfolgen.
Nun aber Schluß für heute. Recht herzliche Grüße und Küsse sendet Dir und den Kindern Dein Ernst

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