Donnerstag, 5. Mai 2016

Brief 120 vom 4./5.5.1941


Meine liebe Frau !                                                                                    O.U. den 4.5.41    

Heute bin ich nun schon wieder eine Woche in Frankreich. Wenige Tage braucht es nur noch, dann ist es auch schon ein Jahr her, seit ich zum Heer einberufen wurde. Die Zeit vergeht, man glaubt es kaum und man meint es sei alles erst kürzlich gewesen. Die Stimmung, die mich gegenwärtig beherrscht ist fast die gleiche, wie sie seinerzeit war, als ich die ersten Wochen in der Kaserne zubrachte. Ich weiß zwar nicht, wie ich es begründen soll, aber ich habe so das Gefühl, als ob es damals ebenso gewesen sei. Ich gebe zu, ich habe manche Erleichterungen, die ich damals bestimmt nicht hatte - dies fällt mir jetzt wohl immer ein, wenn ich unseren Wachtposten vor der Kommandantur sehe, wie er so bei jedem Wetter draußen stehen muß - doch es sind hier so bestimmte Verhältnisse, die einem direkt gegen den Strich gehen. Ich werde mich gegen Unbilliges, was von mir verlangt wird, zu wehren wissen, doch überall werde ich wohl kaum durchdrücken.
Wie ich Dir gestern schon schrieb, bin ich heute Offizier vom Dienst.  Dies geht von abends 6 bis zum anderen Abend 6 Uhr. Dies ist nur dann von Bedeutung, wenn irgendetwas Eintritt, damit jemand da ist, der eine Entscheidung treffen kann. Ich bin nun heute heimgegangen und habe auf der Dienststelle hinterlassen, wo ich stecke. Es ist also nicht gerade anstrengend. Heute kam der Spieß und sagte zu mir, daß ich ab morgen auch mit antreten soll, wenn alles früh antritt. Ich werde ja morgen sehen, wo die mich hinstellen wollen.
Gestern Nachmittag war dienstfrei und heute haben wir auch nichts weiter zu tun. Ich hatte mir, ehe ich hierher kam, noch in der Stadt in der Frontbuchhandlung zwei Bücher gekauft und zwar von Thoma „Jagerloisl“ und von Ludwig Finkh “Vogt und Herzog“. Über das Thomabuch habe ich mich gestern hergemacht. Ich habe es bald ausgelesen. Bei Gelegenheit schicke ich sie Dir mit zu. Am Abend war hier eine K.d.F.-Veranstaltung, die ich besuchte. Das Programm sende ich Dir wieder mit. Die Kräfte waren zum Teil etwas blaß. Es kommen eben nicht solche Kräfte hierher wie wir es von früher her im Allgemeinen gewohnt waren. Es war aber eine Abwechslung, die man dann doch dankbar entgegennimmt.  Ein Kamerad hat mich dann noch mit in eine Wirtschaft gelotst, wo ich dann noch einen Kameraden traf, den ich von der früheren Stadt her kannte, der bei der Luftwaffe hier tätig ist. Wir haben uns beide gefreut. Obwohl wir früher nicht viel zusammen gesprochen haben, so berührte es mich doch eigenartig, wenn sich auf einmal so gegenseitige Interessen herausstellen.
Heute früh bin ich gegen 9 Uhr aufgestanden und dann, nachdem ich mich fertiggemacht hatte, zum essen gegangen. Ich habe dann einen ausgedehnten Spaziergang durch die Stadt gemacht. Die Ausdehnung ist zwar nicht sehr weit. Ich glaube aber, daß ich das meiste und wichtigste gesehen habe.
Dann war ich beim Mittagessen und habe mich dann anschließend heimbegeben um verschiedene Briefe zu schreiben. Deine Eltern und Kurt haben von mir Bescheid. Die anderen Briefe, die ich noch zu schreiben habe, kommen in den nächsten Tagen dran. Weil die Sonne noch so schön schien, bin ich dann meinen Weg in entgegen gesetzter Richtung gegangen. Gegen 6 Uhr bin ich zum Essen und habe mir dann die Reichstagsrede des Führers angehört. Nun sitze ich wieder daheim und schreibe diesen Brief. Man hat direkt Mühe, hier solch einen freien Tag tot zuschlagen, vor allem wenn man einmal nicht in die Wirtschaft gehen will. Dies ist auch deshalb schwieriger, weil es immerhin trotz des Sonnenscheins im ungeheizten Zimmer auf die Dauer kalt ist.  Ich denke, daß dies mit dem weiteren Fortschreiten der schöneren Jahreszeit etwas besser wird, so daß man dann in seiner Bude etwas mehr lesen kann. Außerdem bekomme ich noch einen Radioapparat, dann hat man an solchem Tag doch etwas mehr Unterhaltung.
                                                                                                                            5.5.41

Der Dienstag ist nun auch vollständig vorbei. Heute früh war nun das Antreten, an dem ich mit teilnehmen muß. Es war insofern nicht so schlimm, als ich bei den übrigen Feldwebeln stand.  Dadurch war es ganz harmlos.
Bei meinem gestrigen Rundgang durch die Stadt habe ich eine interessante Entdeckung gemacht.  Doch vorerst möchte ich Dich auf etwas anderes hinweisen. Letztes Jahr hatten wir mit unserem Wagen eine Reise hier durch die Gegend gemacht. Ich sandte Dir unter Anderem verschiedene Postkarten. Dabei befand sich eine von einem Saal aus unserer Stadt.  Wenn es möglich ist, werde ich Dir noch einige Bilder bei Gelegenheit schicken. Ich nehme nun an, daß Du auch weißt, was ich für eine Karte meine.
Doch jetzt zur Stadt selbst. Sie muß früher starkes Kulturzentrum gewesen sein. Das Rathaus und eine Kirche stellen wirklich wichtige Bauten Dar. Doch leider ist alles schlecht erhalten. Teilweise sehr verwittert. Die Pfaffen müssen aber auch hier ein großes Wort früher gesprochen haben.  Ich denke, daß dies vor allem während der spanischen Zeit war, wie ich noch in Erinnerung habe, übten seinerzeit die Grafen und die Pfaffen eine solche Herrschaft aus, daß sie mit Gewalt  aus dem Land geworfen wurden. Vom Krieg her ist sehr viel zerstört.  Vor allem der Bahnhof, von dem nur noch einige Reste stehen. Die übrigen Gebäude, die sich in der Nähe befanden, sind ebenfalls durch die Stuka-Bomben vollkommen zerstört. Am Marktplatz ist dasselbe Bild. Der Schutt wurde von der Luftwaffe für die Flugplätze weggeräumt. Jetzt sieht man nur noch Eisenteile, Bettstellen, Heizkörper von Dampfheizungen herumliegen. Einzelne Gebäude haben außer der völligen Zerstörung stark gelitten. Die Stadt ist durch die letztjährigen Ereignisse stark mitgenommen. Für heute soll es genug sein.
Wie geht es Dir und den Kindern. Du wirst Dich wieder sehr im Garten beschäftigt haben. Ich möchte, wie früher, so auch heute wieder betonen, übernimm Dich nicht Dabei.  Bleibt mir alle recht gesund und grüßt Vater von mir. Gib unseren Kindern herzliche Grüße und Küsse und sei Du selbst recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deinem Ernst. 

Meine liebe Annie!                                                                       O.U. , den 5.5.1941

Mit der ½ 3 Uhr Post ist vorhin mein Brief vom Sonntag abgegangen. Ich werde nun gleich wieder einen nächsten anfangen. Etwas muß man tun und dann bleibt als liebste Beschäftigung doch noch das Briefeschreiben an daheim. Über Mittag habe ich etwas daheim Zeitung gelesen und mich so etwas ausgeruht. Eigentlich wollte ich am Nachmittag in die frühere Stadt fahren, doch wir bekommen heute Nachmittag Besuch von auswärts und da ist es besser, wenn ich dann hier bin. Ich werde dann morgen mit unsrem Postauto fahren. Doch muß ich etwas wegen meines Wehrsolds regeln, außerdem muß ich in die Zahnstation und will versuchen, meinen Zahn in Ordnung bringen zu lassen. Weiterhin will ich Graser noch besuchen, wenn ich Zeit dazu habe. Wenn mir morgen die Zeit nicht reicht, fahre ich bei Gelegenheit wieder hin. Ein paar Bücher wollte ich mir auch noch kaufen. Na, ich will mal sehen, was ich alles schaffe.  Da ich ja noch keine Nachricht von Dir habe und auch noch nicht haben kann, will ich meine Beobachtungen über Land und Leute etwas weiter fortsetzen. Obwohl wir nur 35 km von Lille entfernt sind, ist doch schon in der Bevölkerungsschichtung eine ganz andere Feststellung zu treffen. Gut 10 % der Einwohner unseres ganzen Gebiets sind Polen. Interessant ist, daß im hiesigen Stadtpark, der auch vorhanden ist, an der Benutzungstafel sogar in polnischer Sprache mit geschrieben ist. Juden sind eigenartigerweise nicht in großer Zahl vorhanden. Zwei Geschäfte befinden sich noch im Betrieb. Sonst sind noch Italiener, Spanier und noch andre Völker vertreten. Slowaken, die auch hier waren, haben sich zum größten Teil in ihre Heimat begeben. Wie ich Dir schon mitteilte, leben hier die Leute teilweise von der Landwirtschaft, doch meistenteils sind sie in den Gruben beschäftigt, die sich in ausreichender Anzahl in der Gegend befinden. Die Leute selbst sind ziemlich ablehnend. Diese Ablehnung nimmt manchmal sehr ernste Formen an. Unser Spieß war am Sonntag mit noch einem Kameraden in einer Wirtschaft allein. Nach der Schilderung soll sich plötzlich ein Teil der Anwesenden gegen die beiden gestellt haben. Trotzdem, daß sie die Pistolen gezogen hatten, konnten sie nichts machen, weil sich die anwesenden Frauen dazwischen gestellt hatten. Es kamen dann nach einer Weile mehrere Soldaten hinzu, die dann mit unseren beiden das Lokal aufgeräumt hatten.  Es klingt zwar etwas nach Wildwest, doch man merkt daraus, daß man vorsichtig sein muß. Ich sehe deshalb auch zu, daß ich, was bei dieser Jahreszeit ja möglich ist, noch bei Tageslicht heimkomme. Wirtschaften sind ja hier in sehr ausreichendem Maße vorhanden. Es ist erstaunlich, von was die Leute bei dieser Überbesetzung leben. Daß die Verhältnisse etwas gespannt sind, geht aber schon daraus hervor, daß manche für Wehrmachtsangehörige geschlossen werden mußten. Wiederum ist es jedem verboten, in Lokalen zu verkehren, in die deutsche Soldaten gehen.  Ich bin nun bald heimgegangen und habe noch in einem Buch gelesen. Für heute grüße ich Dich vielmals und sende Dir noch viele Küsse. Unseren beiden Stromern ebenfalls herzliche Grüße und Küsse von Deinem Ernst.

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