Donnerstag, 19. Mai 2016

Brief 127 vom 17.5.1941


Meine liebe Annie!                                                                                       17.5.41          

Heute, am Tag nach meiner Inbesitznahme meines neuen Platzes, habe ich mir einen Fliederstrauß auf meinen Platz stellen lassen.  Ein wenig Frühling hat nun auf meinem Schreibtisch Einzug gehalten. Heute am Samstagnachmittag haben wir dienstfrei. Erst war ich in meiner Wohnung und habe das 2. Buch ausgelesen, dann habe ich noch einen kleinen Rundgang durch die Stadt gemacht. Erst am Kanal entlang und dann über Abraumhalden hinweg wieder in die Stadt. Es ist ein richtig sonniger Frühlingstag. Die Wärme kann man gut ertragen, nachdem es bis jetzt wohl viel sonniges Wetter war, doch fehlte ihr gegen den kühlen Wind die nötige Wärme. Bis jetzt konnte man unter der Feldbluse den Pullover noch vertragen.  Ich denke aber, daß man nunmehr darauf verzichten kann.  Morgen ist nun Dein Tag der Familie. Ich bedauere, daß ich Dir dazu nicht persönlich meine Wünsche übermitteln kann. Ich hoffe, daß Dich mein Päckchen, das ich letzte Woche ab gesandt hatte, und das für diesen Zweck bestimmt war, noch rechtzeitig erreicht hat.  Ich kann mich noch gut entsinnen, wie ich vor einigen Jahren am Samstag hinausgegangen war, um Dir einige Feldblumen zu suchen.  In späterer Zeit bin ich dann einmal mit den Kindern gegangen und habe Dir verschiedene Blumenvasen geschenkt. Das sind so Erinnerungen, die man so hervorkramt und sich freut, wie man es in früheren Jahren gemacht hat. Nun ist es bereits über ein Jahr, seit Briefe von mir zu Dir gehen und umgekehrt wandern. Wie lange werden wir das abwarten müssen. Wir vertrauen auf den Führer und tun den Dienst, der von uns verlangt wird. Du siehst, daß sich mein Standpunkt innerhalb dieses Jahres nicht gewendet hat und ich bin auch nicht willens, ihn zu ändern.  Heute vor einem Jahr an einem Samstag kam ich mit meinen andren Kameraden im Garnisonsort an. Da ist nun ein Jahr voller Ereignisse beim Kommis vorbei.
Vorhin erhielt ich Deine beiden lieben Briefe vom 13.  und 14., über die ich mich sehr gefreut habe. Die weiteren Beilagen des einen Briefes sind teils erfreulich, teils nicht. Meinst Du, ich kann mit dem Zeugnis zufrieden sein. Ändern kann ich ja daran auch nichts mehr. Wegen der Verpflichtung habe ich mich insofern geärgert, als in dem Begleitschreiben  steht, daß der Oberbürgermeister  in Aussicht stellt, mich später in eine bessere Vergütungsgruppe einzustufen. Ich werde hier mit unserem Abteilungsleiter am Montag sprechen, was er dazu meint. Die ganze Sache geht ja von dem Intriganten Lang aus. Das Schreiben stammt ja schon vom 3. Mai wie ich gerade sehe. Es ist an meine alte Feldpostnummer gesandt worden.
Nun haben die sich nicht mehr zu helfen gewußt und haben Dir alles zugesandt. Es eilt ja auch nicht so sehr, nachdem man solange gewartet hat. 
Wenn mit den Erdbeeren nicht mehr viel los ist, dann hauen wir alle raus. Es ist auch so damit, man muß einmal eine andere Sorte probieren. Die hat sich ausgetragen.  Wenn die Sträucher besser tragen, so ist wenigstens da ein Ausgleich. Ich werde versuchen, daß ich noch etwas Zucker bekomme, damit Du noch das zu Marmelade verarbeiten kannst, was im Garten anfällt. Ich weiß noch nicht, wie mir das gelingt, aber versuchen werde ich es.  Ich verstehe gar nicht, daß die Beträge von dem Gehaltszettel so ungleich lauten. Es gehört sich doch, daß man Zuschußbeträge besonders vermerkt, und wenn man Abzüge macht, daß man die auch aufführt. Man weiß ja sonst nicht, was einem eigentlich zusteht. Vor allem machen mich die Pfennigbeträge stutzig.
Ich bitte Dich, laß Dir einmal genau Aufklärung geben, wie sich das in letzter Zeit zusammensetzt, denn man verliert ja ganz und gar die Kontrolle. Ich glaube wohl kaum, daß es nicht stimmen würde, doch die Übersicht geht verloren, und nachdem es unser Geld ist, steht einem das Recht zu, daß man entsprechende Auskunft erhält.  Im Garten kannst Du ja nun auch Tomaten setzen, ebenso kann das Gurkenbeet fertiggemacht werden, sofern Du es noch nicht getan haben solltest.  Ja, Jörg soll nur die Zeit noch ausnützen, denn wenn er in die Schule kommt, fällt doch manche Stunde weg. Dann heißt es auch für ihn, wie bei Helga auch, erst die Aufgaben machen. Soldatenspielen kann einen Jungen auch ganz fesseln; vor allem, wenn man sich so im Freien tummeln kann und wenn man sich so schöne Hütten bauen kann. Bald wird für ihn auch die Zeit vorbei sein.  Ich habe doch nun auch ziemlich in der letzten Zeit Briefe an Bekannte geschrieben,  aber bis jetzt habe ich nur von Dir Antwort bekommen. Sie ist mir zwar die liebste, denn wir stehen uns doch in allem am nächsten. Das geht schon allein daraus hervor, daß ich so regelmäßig von Dir Post erhalte; Du hoffentlich von mir auch. Die anderen werden schon wieder einmal schreiben. Ich brauche dann auch nicht vorher zu antworten. Ich grüße Dich für heute recht herzlich und sende Dir gleichzeitig viele Küsse; Helga und Jörg gib bitte Davon etwas ab. Dein Ernst

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