Mittwoch, 12. August 2015

Brief 54 vom 31.8.1940


Meine liebe kleine Frau!                                                      O.U., den 31.August 1940

Gestern Abend wollte ich noch Deine lieben beiden Briefe beantworten, doch erst heute früh komme ich dazu, weil ich gestern ziemlich müde war. Deine Briefe habe ich noch in der Wohnung liegen, so daß ich versuche zu dem zu schreiben, was mir im Gedächtnis geblieben ist. Fragen, die noch offen bleiben sollten, werde ich dann beim nächsten Mal beantworten.
Ich freue mich, daß Du die Bluse schon erhalten hast und daß sie Dir zusagt. Wegen des fehlenden Knopfes habe ich mir auch keine großen Gedanken gemacht, denn ich weiß ja, daß Dir das keine Schwierigkeiten macht. Ich denke, daß sie zu dem Kostüm passen wird. Demnächst werde ich dann die anderen Sachen an Dich abschicken. Die restlichen 10,-RM ginge in Deinen beiden gestrigen Briefen ein. Ich habe nun gestern meinen Anzug abgeholt und ihn gestern Abend einmal angezogen um zu sehen, wie er paßt. Es war allerdings nur ein Tragen in der Wohnung, aber ich habe mir von meinem Kameraden bestätigen lassen, daß er gut sitzt und aussieht.
Wegen den Zwiebeln hast Du alles recht gemacht.
Die Sache mit Deinen Eltern werde ich vielleicht heute noch erledigen, ich werde ihnen schreiben, daß es mir leid tut, daß ich ihnen nichts schicken kann, denn ich müßte die wenigen Päckchen, die zugelassen sind, in erster Linie an Euch senden. Ob sie dann beleidigt sind, ist mir ganz gleich, denn sie müssen auch einmal auf andere Rücksicht nehmen, bisher haben wir das immer getan.
Morgen ist nun wieder Sonntag. Wie ich gestern von unserer vorgesetzten Dienststelle erfahren habe, wird morgen eine Fahrt nach Gent mit Omnibussen unternommen.  Ich werde sicherlich mit dabei sein, denn so etwas soll man sich nicht entgehen lassen, vor allem, wenn es nichts kostet; im Gegenteil, wir stellen uns an einem solchen Tag immer noch etwas besser, weil wir da unser Verpflegungsgeld ausbezahlt bekommen. Mit dem Geld kann man immer mehr anfangen, als mit der festen Verpflegung. Von der Fahrt selbst werde ich dann wieder schreiben, wie ich dies bisher auch immer getan habe. Ich wünschte nur, daß Du mit dabei sein könntest, dann könnte ich mir erstens den Bericht ersparen, und im Übrigen wäre mir das viel angenehmer mit Dir über die Dinge selbst zu sprechen. Es geht nun einmal nicht und wir lassen wie bisher auch, den Dingen ihren Lauf.
Am Mittwoch habe ich ein Päckchen an Dich wieder zur Absendung gebracht mit der ersten gekauften Wolle. Wenn es genau so schnell geht wie das letzte, kannst du es noch vor Deinem Geburtstag bekommen. Heute werde ich die andere Wolle noch an Dich absenden und zwar auf das Konto eines Kameraden, der mir dies zur Verfügung gestellt hat. Ich könnte mir dies ja für später aufsparen und einmal selbst mitbringen, doch ich möchte nicht unnötig mich mit diesen Sachen hier belasten.
Nun mein liebes Mädel grüße ich Dich vielmals und herzlich und sende Dir, wieder leider nur brieflich, viele Küsse und bitte Dich auch weiterhin so fleißig an mich zu denken Dein Ernst.
Unseren beiden Stromern wieder herzliche Grüße und Küsse. Grüße Vater herzlich von mir.


Meine liebe Annie!                                                                  O.U. den 31. August 1940

Ich habe Dir ja heute früh schon einen Brief gesandt und nun möchte ich den für heute fälligen schreiben. Der Nachrichtendienst ist gerade vorbei und jetzt habe ich mich gleich hergesetzt, um Deinen Brief vom 28., der heute einging, mit zu beantworten. Ich danke Dir vielmals dafür. Doch vorerst möchte ich noch zu den vorhergehenden Briefen, die ich heute früh nicht voll beantworten konnte, Stellung nehmen.
Was das Geld anbelangt, so freue ich mich, daß Du es möglich gemacht hast, 40,-RM frei zu machen. Eins interessiert mich aber noch dabei, hast Du eigentlich ein paar Mark da, wenn ich einmal auf Urlaub kommen sollte. Denn ich muß diese Frage schon stellen, weil ich für den Tag dann nur 1,20 RM Verpflegungsgeld und den Wehrsold bekomme. Es macht zwar dann täglich immer noch 3,-RM und ich denke, daß Du damit schon auskommen wirst. Doch ich wollte dich schonend darauf vorbereiten, daß es doch einmal möglich sein könnte, daß Du mich daheim wieder einmal füttern müßtest.
Was nun die Äpfel betrifft, so weiß ich, daß wir sie in den früheren Jahren immer Ende September bis Anfang Oktober abgenommen haben. Wenn Du aber schon vorher welche abnehmen willst, so kannst Du ja die reifsten zwischendrin rauspflücken, die ihr dann zum Essen nehmt.
Der Frau Diez habe ich am Mittwoch auch noch eine Postkarte geschrieben und ihr mein Beileid erfüllt, denn die Leute haben uns auch in einer Zeit geholfen, wo es uns ziemlich dreckig gegangen ist. Deine Äußerung bezüglich Deiner Stellung zu England veranlaßt mich, wieder auf die Flieger zurückzukommen, die Dir sicher der Grund gewesen sind, mir dies mitzuteilen. Ja wir sehen hier wiederholt die Flieger in Richtung England und wir sehen ihnen immer nach, zählen wie viele fliegen und senden im Geist immer unsere besten Wünsche mit, zu einem guten Erfolg und glückliche Heimkehr . Wenn sie dann wieder kommen, sind sie meistens nicht in geschlossener Formation. Die wenn sie wieder staffelweise anbrausen, dann zählt man immer unwillkürlich ob sie auch wieder vollzählig sind. An manchen Tagen sieht man wieder weniger Flieger, doch in der Nacht hört man sie wieder brummen. Viele meiner Kameraden behaupten  dann, sie könnten die feindlichen von unseren Fliegern unterscheiden. Ich möchte es zwar stark bezweifeln, doch solche Menschen muß man in ihrem Glauben lassen, solange sie kein Unheil damit anstiften. Ein anderes Bild, was mir heute Abend wieder besonders aufgefallen ist, sind hier die Kriegsgefangenen. Früh morgens marschieren sie zur Arbeit, sie machen einen durchaus schlechten Eindruck, obwohl sie doch im eigenen Lande leben. Die Haltung ist denkbar lässig und schlampig. Es mag wohl stimmen, daß niemand da ist, der für Disziplin zu sorgen hat und die Ausrüstung nicht mehr so auf dem Laufenden gehalten wird. Doch sei es wie es sei, ich war zwar nicht bei der kämpfenden Truppe, doch ich kann mir nicht vorstellen, daß der Kampfwert so außerordentlich hoch ist, und daß deutsche Soldaten unter den gleichen Umständen so schlecht daher kämen. Man sieht aber daraus wieder, daß das Erscheinungsbild maßgebend ist.
Das ist nicht schlecht mit den Paddlern. An Thässler kann ich mich schon noch erinnern. So, der hat sich in Konstanz auch wieder einmal sehen lassen. Der Ansicht bin ich mit Dich auch, daß die Paddelei eine schöne Sache war. Manche schöne Stunde haben wir dabei mit erlebt. Der Buttgereit ändert sich, glaub ich, auch nicht mehr. Die Mottenjagd von Vater ist ja wieder einmal typisch. Ich bin nur froh, daß er rechnen und zählen gelernt hat. Wenn Ihr Abendbrot esst, bin ich ja noch ziemlich im Dienst.
Heute habe ich noch die andere Wolle an Dich abgeschickt. Es ist zweierlei und ich habe mir gedacht, daß Du sie miteinander zu einem Pullover verstrickst. Wie Du das nun gestaltest, überlasse ich dann ganz und gar Deinem guten Geschmack. Morgen Mittag fahren wir erst nach Gent. Diese Fahrt war zwar als Ganztagesfahrt erst gedacht, weil wir noch an die Küste zum Baden fahren wollten. Das Baden wurde aus bestimmten Gründen abgesagt und nun wird nur die Fahrt nach Gent etwas. Es ist ja gleich, ich denke, daß auch das mir gefallen wird. Ich habe heute die Bilder von unserer letzten Fahrt abgeholt, die ich mit einem geborgten Apparat gemacht hatte. Sie sind so leidlich geworden. In Ergänzung mit anderen Bildern, die ein mir bekannter Herr in dieser Gegend ebenfalls gemacht hat, werde ich Dir diese im Laufe der nächsten Woche mit zusenden. Morgen werde ich den Apparat wieder mitnehmen, denn ich habe ihn mir schon wieder entliehen. Ich werde Dir dann wieder von dem Erfolg oder Mißerfolg berichten.
Am Montag werden wir dann den Dir schon angekündigten Umzug vornehme. Mein Kamerad will eigentlich heute noch umziehen, was aus diesem Vorhaben geworden ist, muß ich erst sehen, wenn ich heimkomme. Bei uns war in unserer jetzigen Wohnung bisher das Wasser nicht ganz in Ordnung. Vor wenigen Tagen waren nun die Arbeiter da, um das Pflaster aufzureißen und alles wieder zu machen. Als ich am Abend heimkomme, mußte ich feststellen, daß das Wasser wirklich läuft, denn es kam mir schon bis auf die Straße entgegen. Ich schließe die Haustüre auf, kommt mir schon ein größerer Schwall die Stufe entgegen. Im Vorraum steht das Wasser etwa 10 cm hoch und in der Küche rauscht die Wasserleitung, daß es nur so eine Lust war. Die Küche selbst war vollkommen überschwemmt. Todesmutig, wie ich nun einmal bin, habe ich den Sprung in die Küche gewagt und habe erst einmal die Quelle allen Übels abgestellt und mir die Bescherung genau angesehen. Eine dicke Fußmatte, die das Wasser schön aufgestaut hatte, habe ich dann weggenommen und mich dann wieder verzogen. Meinen Kameraden hatte ich dann erst benachrichtigt. damit er auch ein bißchen davon hat. Wir haben uns dann gemeinsam an die Arbeit gemacht und den Schaden beseitigt, soweit dies in unseren Kräften stand. Ja so etwas muß man als „Junggeselle“ erleben.  Ich sehe Dich ja schon dabei lachen, doch ich kann Dir sagen, daß mich nichts erschüttert. Nicht einmal die Tropfsteinhöhle, die aus unserem Keller geworden war, denn das Wasser ist nur so durch die Decke getropft. Es ist ja auch wieder vorbei gegangen und die, die nach uns kommen, sollen sich mit dem Schaden abfinden, der evtl. daraus entstanden ist.
Morgen will ich noch verschiedene Briefe am Vormittag erledigen. Die Durchschläge sende ich Dir dann wieder in den nächsten Briefe mit.
Unseren Wirt haben wir vor einigen Tagen festsetzen lassen müssen, weil er uns mit dem Essen immer, oder besser gesagt eine lange Zeit ziemlich schlecht bedient hat. Das ist nun so lange gegangen, bis es unserem General zu bunt geworden ist, seit diesem Tage geht es bedeutend besser und wir können wirklich nicht klagen. Das Essen ist schmackhaft und auch reichlich. Wenn wir abends etwas trinken wollen, so müssen wir dies selbst bezahlen. Bisher hatte die Karaffe immer 8,-Fr. gekostet, seit der andere Wirt eingesetzt ist, bezahlen wir nur noch 6 Fr. Diese Herrschaften denken, wir merken das nicht und sie können uns übers Ohr hauen, doch die quittierte Rechnung kriegen sie gleich vorgelegt. Ich habe ja mich im Allgemeinen mit dem Essen immer abgefunden, weil ich ja schließlich das Kommisessen gewöhnt war. Ich will damit nicht sagen, daß das schlecht ist, doch immerhin einen guten Magen und keine Zimperlichkeit verlangt hat. Ich fühle mich auch ganz wohl, wenn ich bis jetzt auch noch nicht festgestellt habe, daß ich zugenommen habe.
Über unsere neue Wohnung werde ich demnächst etwas mehr schreiben, vor allem, wie wir eingerichtet sind usw. Hier bei uns im Dienst soll mir wahrscheinlich ein selbständigeres Arbeitsgebiet zugeteilt werden. Ich werde abwarten und das machen, was von mir verlangt wird. Warten bin ich ja gewöhnt und in die Arbeit selbst werde ich mich schon reinfinden. Die einzige Schwierigkeit ist nur die, daß ich viel Publikumsverkehr mit Franzosen habe und da muß ich zusehen, wie ich mit denen zu Wege komme. Ich werde die Sache schon schaukeln, Du weißt ja, daß Du Dir in dieser Beziehung keine Sorge machen brauchst.
Heute habe ich wieder einmal eine ganze Masse geschrieben und ich hoffe, daß Du mit mir zufrieden bist. Grüße und küsse unsere beiden Stromer wieder herzlich von mir. Helga muß wohl ab Montag wieder in die Schule. Du selber nimm wieder recht viele herzliche Grüße und Küsse entgegen von Deinem Ernst.
An Vater herzlichen Gruß; für ihn habe ich noch Zigarren gekauft. Es sind zwar nur 20 Stück von der Sorte, die er schon hat, doch ich denke, er verschmäht sie mir auch nicht.

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