Mittwoch, 12. August 2015

Brief 51 vom 26.8.1940


Meine liebe Annie!                                                                  O.U., den 26.8.1940       

 Deinen lieben Brief vom 21. habe ich heute bestens dankend erhalten. Das darin enthaltene Geld kam ebenfalls in meinen Besitz. Für alles nochmals meinen besten Dank. Deine Darlegungen wegen des Geldes erkenne ich also widerspruchslos an und werde das nun übersandte Geld nutzbringend hier verwenden. Sorgen bezüglich des Geldes habe ich im eigentlichen Sinne ja keine und ich bin es ja von zu Haus aus nicht gewohnt, so große Sprünge zu machen. Es freut mich aber, wenn ich so verschiedenes hier kaufen kann, doch bei den derzeitigen Einkünften ist dann der Rahmen sehr eng gezogen. Jetzt ist es mir möglich, den Kauf, den ich für Samstag vorzunehmen gedachte, schon morgen zu tätigen. Es soll dies für Dich eine Überraschung sein, doch die verrate ich nicht vorher, bevor sie in Deinem Besitz ist. Aus Deinem Brief sehe ich, daß zwischendrin von Dir noch Briefe unterwegs sind, die wahrscheinlich morgen noch eintreffen werden.
Wegen den Bohnen will ich Dir nur noch sagen, daß Du dann von den neuen, die Du für gut befunden hast, entsprechend Samen aufheben sollst. An Frau Diez werde ich noch kurz eine Karte senden. 
Nun möchte ich Dir aber von unserer Fahrt die ich ja in meinem letzten Brief angekündigt hatte, berichten.
Die rein sachlichen Feststellungen will ich vorweg nehmen. Wir hatten schönes Wetter, an Strecke wurden 320 km zurückgelegt, wir waren zusammen 8 Mann mit 2 Wagen. Sofern Dir eine Karte zur Verfügung steht, kannst Du ja die Strecke etwa verfolgen. Wir fuhren von hier über Armentiers, Balliene, Cassel, St.Omer, Boulogne. In Boulogne hatten wir dann Mittag gemacht. Hier hatten wir unseren ersten Ausblick aufs Meer. Boulogne liegt an einer ziemlichen Steilküste. Es muß schon zu früheren Zeiten eine Festung gewesen sein,  denn darauf deuten noch die alten Tore und Mauern hin. Auf der Fahrt nach Boulogne sind wir durch eine Gegend gekommen, die durch ihre Hügel mich an die Heimat erinnerte, in der Ihr jetzt daheim seid.  Die Ortschaften deuten zwar weniger darauf hin, doch in dieser Beziehung wird man hier so anspruchslos. Eins hat man aber wieder gesehen, daß draußen auf den Feldern geerntet wird, und daß die Getreideernte schon zum großen Teil eingebracht ist. Nach dem Essen haben wir dann unsere Fahrt fortgesetzt und sind dann die Küstenstraße entlang gefahren bis zu dem bekannten Kap Gris Nez. Dort hatten wir uns verfahren und mußten wieder ein ganzes Stück zurück.
Auf halbem Wege zwischen Boulogne und Calais hatten wir dann Gelegenheit zu baden. Ich kann das eine feststellen, es war wunderbar. Das Wasser schmeckte zwar salzig, aber trotz der Dünung ließ es sich ausgezeichnet schwimmen. Ein feiner Sand und eine schöne Brandung machten uns das Baden zu einer Freude. 27.8.40 Gestern Abend mußte ich mein Schreiben unterbrechen, weil hier ziemlicher Fliegerbetrieb und mein Zimmer nicht richtig abgedunkelt war. Ich konnte zwar nicht unterscheiden, ob es unsere oder andere waren. Ganz gleich, sicher ist sicher. Nach dem Baden fuhren wir dann nach Calais weiter. Der Bahnhof war ja vollkommen zerstört. Den Hafen konnten wir uns zwar nicht ansehen, wegen Sperrung des Hafens und der Innenstadt. Außerdem war es schon spät und wir wollten ja noch nach Dünkirchen weiter. Auf der Uferstrecke zwischen Boulogne und Calais konnte man den Eindruck gewinnen, daß für unsere Sicherheit alles getan wird. Die Fahrt nach Dünkirchen ging dann bei unserem schweren Wagen auch schnell vonstatten. Das Ufer sowie der Hafen sind zwar gesperrt, doch das, was wir noch gesehen haben, übertrifft bei weitem das, was man auf Bildern sehen kann. Hier kann man erst sehen, wie unsere Stuka-Bomben wirken. Man kann sagen, daß es dagegen kaum etwas gibt. Die Sprengungen sind bis in die Keller durchgegangen. Die Keller sind voller Schutt und Steine. Unter den Trümmern sollen noch die Toten liegen. Es ist ja auch durchaus erklärlich, denn die Aufräumungsarbeiten nehmen erst jetzt ihren Anfang. Ich habe dann im Kanal die versenkten Schlepper und Transportschiffe gesehen. Die Versenkung ist ja z.T. von den Engländern bzw. Franzosen zur Sperrung der Schiffahrt und zur Vernichtung der Waren vorgenommen worden. Von Dünkirchen aus sind wir dann auf den Rückzugsstraßen weitergefahren Richtung Ypern. Wenn man berücksichtigt, daß wir 3 Monate nach Beendigung der Kampfhandlungen die Straße passierten, so sind die Verheerungen immer noch gewaltig genug. Die Straßen waren eingesäumt von gebrauchsunfähigen Kraftwagen aller Art. Teils Räder, die auch in der Zwischenzeit  von der Bevölkerung ausgebaut worden sind. Große Kraftwagenparks, die ebenfalls  unbrauchbar gemacht worden sind, standen in Deckung abseits der Straße. Man kann sich kaum vorstellen, was da für Werte vernichtet worden sind. Zwischendrin  findet man immer wieder die typisch-französischen Einmanntanks, die ja auch teilweise von den anderen Verbündeten verwendet worden sind. Ypern liegt ja schon in Belgien. Man kann schon, ohne daß man eigentlich Grenzpfähle sieht, feststellen, daß man in ein anderes Land gekommen ist, alles sieht so sauber aus. Auf der Strecke sind wir durch Bergen gekommen, das auch schon aus früheren Zeiten als Festung ausgebaut war und auch bei den letzten Kämpfen für den Widerstand eingerichtet worden war. Der größte Teil der Häuser dieser Stadt war vollkommen zerstört und hat somit wegen des Widerstands bitter büßen müssen. Ypern selbst hat auf uns den denkbar günstigsten Eindruck gemacht. Im Gegensatz zu Lille  äußerst sauber. Von Ypern sind wir nach Langemarck gefahren und haben dort den deutschen Heldenfriedhof besucht. Diese Friedhöfe machen mit ihren vielen Kreuzen einen gewaltigen Eindruck. Schildern kann man davon nicht viel, man kann es nur erleben. Unsere Heimfahrt ging dann wieder über Armentiers zurück nach hier. Wir waren alle nach dem Erlebten reichlich müde, aber über den ganzen Verlauf der Fahrt  sowie über das schöne Wetter vollauf befriedigt. Ich habe versucht, Dir, soweit es nur möglich war, alles Wesentliche zu schildern, ich hoffe, daß Du etwas einen Überblick dadurch gewinnen kannst.
Für heute grüße und küsse ich Dich recht herzlich. Ich bin immer noch in treuer Verbundenheit und Liebe Dein Ernst. Helga und Jörg je einen herzlichen Kuß von ihrem Vater, durch Dich.

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