Meine liebe Annie! O.U., den 26.8.1940
Deinen lieben Brief vom 21. habe ich heute bestens dankend
erhalten. Das darin enthaltene Geld kam ebenfalls in meinen Besitz. Für alles
nochmals meinen besten Dank. Deine Darlegungen wegen des Geldes erkenne ich
also widerspruchslos an und werde das nun übersandte Geld nutzbringend hier
verwenden. Sorgen bezüglich des Geldes habe ich im eigentlichen Sinne ja keine
und ich bin es ja von zu Haus aus nicht gewohnt, so große Sprünge zu machen. Es
freut mich aber, wenn ich so verschiedenes hier kaufen kann, doch bei den
derzeitigen Einkünften ist dann der Rahmen sehr eng gezogen. Jetzt ist es mir
möglich, den Kauf, den ich für Samstag vorzunehmen gedachte, schon morgen zu
tätigen. Es soll dies für Dich eine Überraschung sein, doch die verrate ich
nicht vorher, bevor sie in Deinem Besitz ist. Aus Deinem Brief sehe ich, daß
zwischendrin von Dir noch Briefe unterwegs sind, die wahrscheinlich morgen noch
eintreffen werden.
Wegen den Bohnen will ich Dir nur noch
sagen, daß Du dann von den neuen, die Du für gut befunden hast, entsprechend Samen
aufheben sollst. An Frau Diez werde ich noch kurz eine Karte senden.
Nun möchte ich Dir aber von unserer Fahrt
die ich ja in meinem letzten Brief angekündigt hatte, berichten.
Die rein sachlichen Feststellungen will
ich vorweg nehmen. Wir hatten schönes Wetter, an Strecke wurden 320 km
zurückgelegt, wir waren zusammen 8 Mann mit 2 Wagen. Sofern Dir eine Karte zur
Verfügung steht, kannst Du ja die Strecke etwa verfolgen. Wir fuhren von hier
über Armentiers, Balliene, Cassel, St.Omer, Boulogne. In Boulogne hatten wir
dann Mittag gemacht. Hier hatten wir unseren ersten Ausblick aufs Meer.
Boulogne liegt an einer ziemlichen Steilküste. Es muß schon zu früheren Zeiten
eine Festung gewesen sein, denn darauf
deuten noch die alten Tore und Mauern hin. Auf der Fahrt nach Boulogne sind wir
durch eine Gegend gekommen, die durch ihre Hügel mich an die Heimat erinnerte,
in der Ihr jetzt daheim seid. Die
Ortschaften deuten zwar weniger darauf hin, doch in dieser Beziehung wird man
hier so anspruchslos. Eins hat man aber wieder gesehen, daß draußen auf den
Feldern geerntet wird, und daß die Getreideernte schon zum großen Teil
eingebracht ist. Nach dem Essen haben wir dann unsere Fahrt fortgesetzt und
sind dann die Küstenstraße entlang gefahren bis zu dem bekannten Kap Gris Nez.
Dort hatten wir uns verfahren und mußten wieder ein ganzes Stück zurück.
Auf halbem Wege zwischen Boulogne und
Calais hatten wir dann Gelegenheit zu baden. Ich kann das eine feststellen, es
war wunderbar. Das Wasser schmeckte zwar salzig, aber trotz der Dünung ließ es
sich ausgezeichnet schwimmen. Ein feiner Sand und eine schöne Brandung machten
uns das Baden zu einer Freude. 27.8.40 Gestern Abend mußte ich mein Schreiben
unterbrechen, weil hier ziemlicher Fliegerbetrieb und mein Zimmer nicht richtig
abgedunkelt war. Ich konnte zwar nicht unterscheiden, ob es unsere oder andere
waren. Ganz gleich, sicher ist sicher. Nach dem Baden fuhren wir dann nach Calais
weiter. Der Bahnhof war ja vollkommen zerstört. Den Hafen konnten wir uns zwar
nicht ansehen, wegen Sperrung des Hafens und der Innenstadt. Außerdem war es
schon spät und wir wollten ja noch nach Dünkirchen weiter. Auf der Uferstrecke
zwischen Boulogne und Calais konnte man den Eindruck gewinnen, daß für unsere
Sicherheit alles getan wird. Die Fahrt nach Dünkirchen ging dann bei unserem
schweren Wagen auch schnell vonstatten. Das Ufer sowie der Hafen sind zwar
gesperrt, doch das, was wir noch gesehen haben, übertrifft bei weitem das, was
man auf Bildern sehen kann. Hier kann man erst sehen, wie unsere Stuka-Bomben
wirken. Man kann sagen, daß es dagegen kaum etwas gibt. Die Sprengungen sind
bis in die Keller durchgegangen. Die Keller sind voller Schutt und Steine. Unter
den Trümmern sollen noch die Toten liegen. Es ist ja auch durchaus erklärlich,
denn die Aufräumungsarbeiten nehmen erst jetzt ihren Anfang. Ich habe dann im
Kanal die versenkten Schlepper und Transportschiffe gesehen. Die Versenkung ist
ja z.T. von den Engländern bzw. Franzosen zur Sperrung der Schiffahrt und zur
Vernichtung der Waren vorgenommen worden. Von Dünkirchen aus sind wir dann auf
den Rückzugsstraßen weitergefahren Richtung Ypern. Wenn man berücksichtigt, daß
wir 3 Monate nach Beendigung der Kampfhandlungen die Straße passierten, so sind
die Verheerungen immer noch gewaltig genug. Die Straßen waren eingesäumt von
gebrauchsunfähigen Kraftwagen aller Art. Teils Räder, die auch in der
Zwischenzeit von der Bevölkerung
ausgebaut worden sind. Große Kraftwagenparks, die ebenfalls unbrauchbar gemacht worden sind, standen in
Deckung abseits der Straße. Man kann sich kaum vorstellen, was da für Werte
vernichtet worden sind. Zwischendrin
findet man immer wieder die typisch-französischen Einmanntanks, die ja
auch teilweise von den anderen Verbündeten verwendet worden sind. Ypern liegt
ja schon in Belgien. Man kann schon, ohne daß man eigentlich Grenzpfähle sieht,
feststellen, daß man in ein anderes Land gekommen ist, alles sieht so sauber
aus. Auf der Strecke sind wir durch Bergen gekommen, das auch schon aus
früheren Zeiten als Festung ausgebaut war und auch bei den letzten Kämpfen für
den Widerstand eingerichtet worden war. Der größte Teil der Häuser dieser Stadt
war vollkommen zerstört und hat somit wegen des Widerstands bitter büßen
müssen. Ypern selbst hat auf uns den denkbar günstigsten Eindruck gemacht. Im
Gegensatz zu Lille äußerst sauber. Von
Ypern sind wir nach Langemarck gefahren und haben dort den deutschen Heldenfriedhof
besucht. Diese Friedhöfe machen mit ihren vielen Kreuzen einen gewaltigen
Eindruck. Schildern kann man davon nicht viel, man kann es nur erleben. Unsere
Heimfahrt ging dann wieder über Armentiers zurück nach hier. Wir waren alle
nach dem Erlebten reichlich müde, aber über den ganzen Verlauf der Fahrt sowie über das schöne Wetter vollauf befriedigt.
Ich habe versucht, Dir, soweit es nur möglich war, alles Wesentliche zu
schildern, ich hoffe, daß Du etwas einen Überblick dadurch gewinnen kannst.
Für heute grüße und küsse ich Dich recht
herzlich. Ich bin immer noch in treuer Verbundenheit und Liebe Dein Ernst. Helga
und Jörg je einen herzlichen Kuß von ihrem Vater, durch Dich.
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