Meine liebe Frau! O.U. den 2.September 1940
Deinen lieben Brief vom 29. habe ich heute
erhalten. Ich habe mich, soweit er die „lieben Kollegen“ vom Amt betrifft, sehr
darüber geärgert. Ich muß feststellen, daß sich seit dem Weltkrieg auch in
dieser Beziehung nichts geändert hat. Die Schlawiner sitzen daheim und wollen
dann wieder Krieg am Stammtisch aus führen. Es ist nur zu bedauern, daß diese
Herren, die doch auch einmal dabei gewesen sein wollen, so wenig Verständnis
für die anderen haben und nur ihre eigenen Taten für vollwertig ansehen. Die
können gut ihr Maul verreißen. Die sitzen daheim und haben immerhin sonst ein
geregeltes Leben, sie sollten sich nur einmal hierher setzen und die Sache eine
Weile wieder mitmachen, dann könnte man sehen, wie sie dann diesen Krieg beurteilen. Ich denke immerhin,
daß ich Gelegenheit haben werde, mit diesen Herrschaften wieder einmal über
diese Angelegenheit sprechen zu können. Im Übrigen sollte man denken: Götz von
Berlichingen.
Was die Gastfreundschaft der Bevölkerung
anbelangt, so kann ich aus meiner eigenen Erfahrung sagen, daß diese nur
bedingt ist durch die gegenwärtigen
Verhältnisse und daß uns diese Leute lieber etwas anderes geben würden. Doch
darüber zu schreiben ist nicht am Ort. Ich denke, daß ich Dir persönlich diese
Sache erklären kann. Auch bzg. der Mädels hat es keinen Zweck, daß ich ein
langes Palaver anfange, denn der Zweck wäre dadurch doch nicht erreicht, denn
Du hast ja schon einzig durch Deine Antwort den Herren gesagt, was Du darüber
denkst. Im Übrigen danke ich Dir für das Vertrauen, das Du mir immer wieder
entgegen bringst. Bedauerlich ist aber, daß diese Brüder einfach nicht über die
alte Mainlinie hinweg denken können und weiterhin noch das, daß sie die Leute,
die sie in ihrem Widerstandswillen stüzten sollten, weil schließlich die Männer
nicht daheim sind, den Frauen Anlaß geben, sich schwere Gedanken zu machen.
Wenn ich nicht genau wüßte, daß Du ohne diese Gesellschaft besser über alles
hinwegkommst, so müßte ich mir tatsächlich Sorge wegen Dir machen. Ich bin froh,
daß ich mir jetzt diesen Ärger wieder heruntergeschrieben habe, denn ich bin
schon heute den ganzen Nachmittag nicht zu genießen gewesen. Ich glaube, daß
Dir dies auch eine gewisse Beruhigung verschafft, wenn ich zwar etwas aggressiv
geschrieben habe, doch das richtet sich ja nicht gegen Dich, sondern gegen die
anderen.
Was mich geärgert hat, habe ich vorweg genommen
und nun will ich Dir von unserer Fahrt nach Gent berichten. Wir sind also am
Nachmittag weggefahren. Unverkennbar ist die Grenze festzustellen, denn die
Häuser und die Straßen haben gleich ein anderes Bild in Belgien. Das Wetter war
ausgezeichnet und die Wagen, es waren insgesamt sieben, fuhren nicht schlecht.
Gegen 1/2 4 Uhr kamen wir in Gent an. Schon der erst Eindruck war gut. In den
Außenbezirken der Stadt Grünanlagen,
die Häuser sind gepflegter, in den Geschäften sind die Auslagen geordneter und
auch die Menschen scheinen schon durch ihre äußere Haltung besser zu sein.
Als wir dann aus unseren Wagen
ausgestiegen waren, nutzte jeder die zur Verfügung stehende Zeit auf seine Art.
Mit einem Kameraden vom Amt bin ich dann gegangen. Wir haben uns erst einmal
die verschiedenen Kirchen, die von einer großen Vergangenheit der Stadt zeugen,
angesehen. Wunderbar ist hier die bauliche Entwicklung zu beobachten. Vom
romanischen, gotischen Baustil über Renaissance und Barock . Alles ist
vertreten, und doch bietet die Stadt ein ziemlich einheitliches Bild, vor allem
auch deshalb, weil die neueren Bauten immer noch in der gleichen Art ausgeführt
worden sind.
Zuletzt sind wir dann noch in eine Burg
gegangen, die durch Ausbesserung des früher Verfallenen einen guten Einblick in
den Aufbau der niederdeutschen Burgen und Schlösser gibt. Große Säle und Hallen
wechseln mit kleinen Zimmern und Kammern. Steile Aufgänge und finstere
Verließe. Es war wirklich sehr interessant. Vor allem auch dann, als man von
der Zinne der Burg einen Blick über die Stadt hatte, den ich so leicht nicht
vergessen werde.
Ich habe mit einem geliehenen Apparat verschiedene
Aufnahmen gemacht, die ich Dir dann nach Fertigstellung zusenden werde. Bis
wir dann die verschiedenen
Besichtigungen hinter uns hatten, war es nicht mehr weit bis zum Aufbruch. Wir
sind dann noch in ein Cafe gegangen, wo wir einen Kaffee getrunken haben und
ein ausgezeichnetes Eis mit Fruchtsalat gegessen haben. 1/2 7 Uhr sind wir dann
wieder heimgefahren und gegen 9 Uhr waren wir wieder in Lille.
Unterwegs sind wir dann noch durch
Kortrijk / Courtrai gekommen, dessen Marktplatz ebenfalls einen schönen
geschlossenen Eindruck hinterlassen hat. Man kann den deutschen Einfluß auf die
Bauweise nicht verleugnen, denn man fühlt sich, wenn man dieses Bild sieht,
unbedingt in eine deutsche Stadt zurückversetzt. An der Strecke haben wir
teilweise noch die Einwirkungen des Krieges beobachten können, doch es war
vieles schon aufgeräumt und manches schon
wieder im Bau. An verschiedenen Stellen, besonders am Grenzübergang
waren Bunker zu sehen, die aber mehr oder weniger zerstört waren. Ich muß
sagen, daß dies einer meiner schönsten Nachmittage war, die ich hier verbracht
habe.
Als wir dann hier wieder ausstiegen,
konnte ich noch eine weitere Feststellung treffen, wir waren im
Bodensee-Alpen-Express gefahren. Es ist dies ein Omnibus aus Friedrichshafen,
der bei uns verschiedene Mal vorbeigefahren ist. Damals, wo ich ihn gesehen
habe, hätte ich mir nicht träumen lassen, daß der mich einmal durch Flandern
fahren würde.
Zu einem Brief an die Eltern bin ich bis
heute noch nicht gekommen, ich werde aber zusehen, dies bald zu erledigen.
Im Garten hast du aber wieder fest
geschafft, ich muß aus Deinen Schilderungen erkennen, daß Du mit viel Fleiß und
Liebe am Garten arbeitest und ich danke Dir auch vielmals dafür.
Gestern war nun der Tag, an dem für uns
das 10. Ehejahr angefangen hat. Ich wünsche nur, daß der in meinem Brief, den
ich darüber an Dich geschrieben habe, ausgesprochene Wunsch in Erfüllung geht,
daß wir in diesem neuen Jahr unserer Arbeit in der gewohnten Weise wieder
nachgehen können.
Nun mein liebes Mädel, sei für heute
wieder herzlich gegrüßt und geküßt von Deinem Ernst. Helga und Jörg je einen
herzlichen Kuß, er braucht nicht mehr zu weinen, wenn er einmal umsonst auf
Helga an der Schule gewartet hat.
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