Samstag, 25. Juli 2020

Brief 627 vom 30.4.45


Du meine gute Annie, liebstes Mädel !                                        30.4.45                                                      

Eine Zusammenfassung der Dinge, die ich in letzter Zeit durchlebt habe, konnte ich  Dir vor wenigen Tagen abgeben. Ich dachte, daß es das letzte Mal für längere Zeit gewesen war, daß ich Dir schreiben könnte. Ich bin aber nun noch einige Tage auf freiem Fuß geblieben und erfuhr durch das Radio, daß Konstanz im Zuge der Kampfhandlungen in die Hand der Feinde gefallen ist.
Daß Ihr französische Besatzung dort habt, ist zwar weniger erfreulich, aber kann man sich einen Wächter aussuchen, den man wünscht, wenn man gefangen ist? Ich hoffe nur, daß Ihr von schweren Kämpfen verschont worden seid, denn die allgemeine Lage war doch einmal so, daß für uns der Krieg als verloren betrachtet werden muß.
Daß wir nach diesen langen Kriegsjahren zu einem solchen Ergebnis kommen mußten, das ist ein tiefes Unglück. Was hilft es aber, daß wir uns durch vieles Nachdenken  darüber das Leben noch schwerer machen als es schon ist. Es wäre mir ein Trost, wenn ich die Möglichkeit hätte, Euch in dieser Zeit eine Stütze sein zu können, aber leider sind wir so weit von einander entfernt. Wo wir nun hinkommen, wenn ich mich in die Gefangenschaft begebe, das sich nun nicht mehr länger hinausziehen läßt, das weiß ich nicht. wir sind eben gezwungen, uns in das auferlegte Schicksal zu fügen. Es sind vorwiegend schwere Gedanken, die mich beschäftigen.  aber, wie gesagt, alles Zermartern des Hirns hat keinen Zweck, denn man kann ja trotz allem nichts mehr ändern. 
Am vergangenen Freitag hatte ich mich hier auf der Polizei gemeldet. Dort wurde mir gesagt, daß ich heute noch einmal wiederkommen soll, um die Abwicklung aus der Wehrmacht durchführen zu lassen.  Ich soll mich auf einige Tage einrichten mit Verpflegung und auch mit Wäsche.  Das ist leicht gesagt, denn ich habe ja nirgends einen Anspruch auf Verpflegung usw.  Aber es wird schon gehen. Ob es nun tatsächlich nur auf einige Tage ist, das kann man nicht sagen. Man begegnet solchen Anweisungen immer mit großer Vorsicht. Sollte es sich tatsächlich nur auf einige Tage beziehen, dann ist es schließlich auch recht.  Von vorneherein will ich mich aber auf das Schlimmste gefaßt machen. Man kann sich hinterher mit etwas leichter eher abfinden, als wenn es umgekehrt der Fall wäre.
Bei meinem Gang zur Polizei hatte ich treuliche Begleiter. Erna mit Ursula und Elsa Legler waren mitgegangen, um zu erfahren, ob ich gleich wegkam. Als das nun anders kam, als wir geglaubt hatten, da sind wir anschließend noch zu Alice gegangen, die sich recht darüber gefreut hatte, daß ich diesen ersten Schritt unternommen hatte. Tante Agnes, die sich wohl noch größere Sorgen gemacht hatte, war ebenso froh. Ich muß mich nur immer wieder fragen, wie es kommt, daß man soviel Anteil nimmt an meinem Schicksal Ja, nun habe ich die ganze Zeit von mir erzählt und glaube mir, meine Gedanken sind immer bei Euch, meine Lieben. Anweisungen möchte ich gerne geben über dies und jenes, und doch hat das keinen Sinn, denn ich weiß erstens nicht, was sich alles bei Euch zugetragen hat, und dann ist es ja ungewiß, ob dieser Brief je in Deinen Besitz kommt.
Ich habe aber nun einmal das Bedürfnis, mir Verschiedenes vom Herzen herunter zuschreiben, weil ich weiß, daß ich Dir damit manches leichter machen könnt, wenn Du Gewißheit über die Ereignisse bekommst, was sich in meiner Umgebung ereignet hat. Ich kann mir das ja selbst ganz gut erklären, denn mir wäre es ebenfalls eine Beruhigung, wenn ich Nachricht von Dir hätte, ob Ihr nun wohlauf seid oder was sonst geschehen ist.
Wenn man diese schönen Frühlingstage draußen sieht und dann all dieses Geschehen betrachtet, dann könnte man fast verzweifeln. Was hat man sich früher an solchen Dingen aufrichten können. Heute hinterläßt das wenig Eindruck. Ob man sich daran später wieder einmal unbeschwert erfreuen kann? Was wäre das für eine Erholung, wenn man gemeinsam einen unserer Waldspaziergänge unternehmen könnte. Doch das müssen wir alles in den Hintergrund stellen. Noch bin ich gesund.  Erna und Ursula sowie die Eisenbahnsträßler auch.
Was in Mockau los ist, das wissen wir nicht. Obwohl Dein Vater wieder in Volkmarsdorf gewesen ist, hat er sich um  keinen von uns gekümmert. Aber das ist wohl eine abgeschlossene Sache. Ich wünsche Euch meine Drei, eine recht gute Gesundheit. Hoffentlich übersteht Ihr alles gut, und wenn es das Schicksal uns gestattet, dann sehen wir uns vielleicht doch einmal gesund wieder.
Vorerst ist alles noch recht dunkel. Wenn wir auch innerlich zerbrochen scheinen, so wollen wir nach außen hin den Kopf hochhalten, denn warum sollen wir unser Unglück anderen zur Schau tragen.
In aufrichtiger Liebe zu Euch allen bin und bleibe ich stets Euer Vaterle und Dein Ernst.

Brief 626 vom 27.4.45


Du mein über alles geliebter Schatz, meine gute Frau !                                                           27.4.45   
Abgesandt 15.1.46 angekommen 26.1.46

Als ich den letzten Brief an Dich abgehen ließ, da standen wir zwar schon in Erwartung der Dinge, von denen man im Unterbewußten sagen konnte, wie sie kommen würden.
Das Schicksal hat sich leider auch so erfüllt, wie es die trüben Voraussehungen uns erscheinen ließen. Alles hat einen Verlauf genommen, wie wir ihn uns am Anfang dieses harten schweren Ringens nicht hatten träumen lassen. Aber wenn wir auch noch so mit dem Schicksal hadern wollten, wir ändern nichts mehr an den Tatsachen. Das, was mich die ganzen langen Jahre des Krieges aufrecht erhalten hat, das ist es auch, das mich davon abhielt, all dem ein Ende zu setzen, was nun weiter über uns hereinbrechen wird. Ich habe immer noch den Hoffnungsschimmer, doch einmal zu Euch, meine Lieben, zurückkehren zu dürfen. Dies wird mir, bei dem ungewissen, was mir ab heute bevorsteht, immer Trost in unserem Schmerz sein. Was nun noch an Nachrichten in Deine Hände gekommen ist, das weiß ich nicht. Ich will darum ganz kurz zusammenfassend berichten, was sich an wichtigen Dingen ereignet hat.
Ich kam zur Marscheinheit von der Kaserne in die Brendser Schule. Dort stellte ich die Frage, wie es sich mit meinem früheren Beamtenverhältnis gestaltet. Nach Rücksprache mit dem Bataillon wurde mir erklärt, daß ich Reserveoffiziersbewerber werden müßte, und daß eine Versetzung zu einer anderen Kompanie in die Kaserne notwendig würde.
Das Einrücken unserer Feinde brachte nun manche Verwirrung in den gesamten Verwaltungsapparat, und man hatte wenig Sinn für diese Dinge. Für mich trat nur das eine in Erscheinung, daß ich von dieser Marscheinheit wegkam und damit einem schnellen Zugriff entzogen war. Den Ablauf der Kampfhandlungen in dem Raum von Leipzig erfuhrst Du ja zu einem Teil aus den Nachrichten, die die Zeitungen brachten. Wie sich alles im Einzelnen abgespielt hat hier zu schildern, das ist wohl für den Moment überflüssig. Wesentlich hervorgehoben zu werden, erscheint mir, daß ich Dir sage, daß man hier alles hin und hergezogen hat, und daß einem alles so vorkam, als würde irgendwie Verrat getrieben. Andererseits drohte man mit den schlimmsten Strafen. Es war eine Stimmung allgemein spürbar, die erkennen ließ, daß man sich verraten und verkauft vorkam. Schließlich wurden wir zu kleinen Einheiten auseinandergezogen, und die Einheit, zu der ich kam, erhielt die Aufgabe, zur Verteidigung von Leipzig mit eingesetzt zu werden. Ein Unterfangen, das einem von Anfang an sinnlos vorkam, weil von außen her keine Vorbereitungen für einen solchen Fall getroffen waren. Ausrüstungen und Waffen waren im Vergleich zu dem, was uns von Feindesseite entgegengestellt werden würde, derart mangelhaft, daß einem der Widerspruch zwischen Maßnahmen und Handlung immer klarer vor Augen kam.
Daß die Bevölkerung selbst eine fast bedrohliche Haltung einnahm, das will ich nur so nebenbei mit bemerken.
Wir bekamen dann eine Stellung in Seehausen zugewiesen, die zwischen Mockau und Tekla liegt. Dort haben wir uns dann so schlecht und recht eine Stellung gebaut, doch für eine Verteidigung der Stadt Leipzig konnte dies nie und nimmer von entscheidender Bedeutung sein. Schließlich ist man ja Soldat und man erfüllt seine Pflicht so, wie es schlechterdings von einem verlangt werden kann. Die Widersprüche, die von außen her auf alle einwirkten, die kamen dann auch insoweit auf die Kameraden zur Auswirkung, daß sich jeder sagte, wir stehen hier auf einem Posten, die von einer bestimmten Seite die Selbstaufopferung verlangt, aber die selbst nicht bereit ist, dieses persönliche Opfer zu bringen.
Am 19. war dann alles soweit, daß wir unsere Stellung auf unserem Stützpunkt kampflos verließen. um bei einem Einsatz in der Stadt mitzuwirken. Als wir uns in der Mitte der Stadt befanden, fing von allen Seiten die Schießerei an. Ich denke, daß ich mich die ganzen Jahre hindurch nicht als Feigling benommen habe, und ich hätte bestimmt den Mut besessen, in einem ehrlichen Kampf ein Ende zu finden.  Aber wie ich Dir schon kurz andeuten konnte, hat hier alles einen derartigen Verlauf genommen, daß einem alles widersinnig erschien.
Kurz und gut, durch eigenartige Umstände kam ich von der Truppe ab. Einige Hausbewohner nahmen mich erst einmal auf, doch bald kam denen die Angst, daß irgendwelche Vergeltungen an ihnen geübt würden, weil sich in ihrem Haus ein Landser aufhielt, und es kam sogar soweit, daß wir uns entfernen mußten, weil von Seiten der Hausbewohner die Polizei angerufen worden war, daß wir uns dort aufhielten.
Das hatte mir einen solchen Stoß gegeben, daß ich hätte schier verzweifeln können am deutschen Menschen. Denn all die vergangenen Jahre hat man sich in aller Welt in Dreck und Unbill herumtreiben lassen, und dafür bekam man nun diesen Eselstritt. Ich wandte mich dann nach Mockau zu Deinem Vater. Dort wurde ich anfänglich erst gut aufgenommen, aber Lotte befand sich in Bezug auf ihre eigene Person in einer solchen Auflösung, daß ich schon Bedenken bekam.  Doch mein Entschluß, weiter zu ziehen wurde dann ohne weiteres erleichtert, als sich nach Deines Vaters Reden die Hausgenossen darüber unterhielten, daß sich Landser im Haus aufhielten, und daß sie das auf keinen Fall zulassen könnten. Die Flucht mußte ich darum fortsetzen, denn die Fortgänge der Ereignisse in der dortigen Gegend ließ ein weiteres Aufschieben kaum zu. Wir gingen in Richtung auf den Park von Abtnauendorf. Dort trafen wir noch auf eine größere Einheit, die anscheinend aber auch nicht mehr gewillt war, sich in ernsthafte Kampfhandlungen einzulassen. Es erschien uns aber geraten, trotz allem Abstand zu halten nach all dem, was schon hinter uns lag.
Wir verzogen uns in eine Gartenlaube, und dort nächtigten wir auch zunächst. Am folgenden Tag ging ich dann nochmals in die Wohnung Deines Vaters, um zu hören, was sich alles zugetragen hat. Überall hingen weiße Fahnen aus den Fenstern. Dein Vater war teils erschüttert, aber ich weiß nicht, ich vermißte doch die persönliche Anteilnahme. Die fremde Frau hat eben doch einen solchen ungünstigen Einfluß auf ihn, daß eine Bindung, wie sie zu Lebzeiten Deiner lieben Mutter bestand, nicht mehr oder kaum noch zu spüren ist. Ich bekam dann schließlich von ihm eine Zivilhose und eine Mütze. Von anderer Seite erhielt ich noch eine Jacke, so daß ich erst einmal die Schale wechseln konnte. 
Nachdem ich erkannt hatte, daß ein Verbleiben dort für mich nicht gerade zweckmäßig sei, weil ich doch nicht gern gesehen bin, erschien es mir ratsam, mich an Erna und an Kühns zu wenden in der Hoffnung, daß ich wahrscheinlich von dort aus ein Weiterkommen finden würde, weil ich erst einmal eine Abklärung der Dinge abwarten wollte. Als ich dort ankam, fand ich für alles ein solches Verständnis, daß ich wirklich gerührt war über derart viel Anteilnahme. Siegfried war ja inzwischen wieder abgerückt, und Erna hatte sich bei Kühns eingerichtet. Verpflegung stand mir ja von keiner Seite mehr zur Verfügung, doch ohne viel Aufhebens wurde ich dort aufgenommen. Da die Wohnverhältnisse aber doch ziemlich knapp sind, reifte in mir der Entschluß, mich bei Leglers umzutun, ob ich dort erstens etwas anderes anzuziehen bekommen kann.
Am folgenden Tag ging ich nun zu Elsa Legler und fand hier das gleiche freundschaftliche Verständnis, wie bei Kühns. Nach all dem, was mir vorher begegnet war, tat einem das in diesem Zusammenbruch so wohl, daß es noch treue Freunde gibt. Sie bat mich dann auch, Unterkommen bei ihr zu nehmen, was ich mir erst vorbehielt, weil ich mich doch erst noch mit Erna besprechen wollte. Unter Berücksichtigung der Verhältnisse hielt auch sie es für ratsam, daß ich mein Exil bei Leglers aufschlagen soll. Wie vorbehaltlos ich hier nun aufgenommen wurde, das war wirklich rührend, und wird mich wohl zur dauernden Dankbarkeit verpflichten. Sie hat mir von dem, was ihnen für ihre Ernährung zur Verfügung stand, gegeben, wie wenn ich meinen Anteil dazu beigetragen hätte.
Mein Einwand, daß ich das nicht annehmen könnte, weil ich ja keine Möglichkeit sehe, ihr das in irgendeiner Form ersetzen zu können, wies sie zurück mit dem Bemerken, daß wir schon durchkommen würden. Man sieht aus allem daß einem gute Freunde eher helfen als die nächsten Verwandten. Von Erna abgesehen.  Alice konnte ich schlecht aufsuchen, weil ja dort alles überbelegt war, und Onkel Krall hat durch den Eintritt dieses Zusammenbrechens innerlich so viel gelitten, daß sein Widerstand und sein Lebenswille gebrochen war. Am 23. ist er, bei vollem  Bewußtsein, und wie mir Tante Agnes bei ihrem Besuch hier mitteilte, mit seinen Gedanken an Siegfried und an mich gestorben.
Gestern ist er beerdigt worden. Alice und Tante Agnes kamen nun gestern zu mir.
Ich konnte mein Beileid ausdrücken. Aus Leglers Garten konnte ich einen Blumenstrauß hinüberschicken lassen. Das letzte Geleit hätte ich ihm gerne gegeben, aber ich bin doch ein Gefangener. Alice und Tante Agnes hatten sich in so lieber Weise meiner erinnert. Sie brachten mir zu Essen mit. Bei solchen Beweisen des Gedenkens und der Liebe könnte einem direkt das Herz aufgehen. Ich war insoweit froh, daß ich doch bei Elsa Legler einen kleinen Teil der Schuld abtragen konnte.  Alice und Tante Agnes letztere in sehr mütterlicher Weise, baten mich nun mit Rücksicht auf Euch, Ihr Lieben, daß ich mich den Behörden stellen solle. Sie hatten Ankündigungen eingezogen über den mutmaßlichen Verlauf, was mit einem geschieht. Ich habe mich nun auch zu diesem Entschluß durchgerungen und will mich heute Nachmittag melden.
Was mit uns nun passiert, das weiß ich noch nicht. Ob wir nun weggeschafft werden oder was vorgenommen wird, das ist mir unklar. Ich muß aber etwas tun, sonst zerre ich an meinen Nerven doch mehr, als ich durch ein weiteres  Erbleiben in dem hier gewiß sehr netten Kreis gutmache. Ob und wann Dir dieser Brief jemals zugeleitet werden kann, das weiß ich nicht. Dir soll dies ein Gruß und gleichzeitig eine Rechtfertigung sein über das, was sich nun alles in meiner Umgebung zugetragen hat. Meine Gedanken gelten immer Dir und den Kindern. Wie wird sich alles bei Euch abgewickelt haben? Mein Wunsch wäre, daß Siegfried vielleicht bei Dir gelandet ist und Dir während  der Ereignisse eine Stütze war. Ob sich dieser Wunsch nun erfüllt hat, das hängt nun im Dunkel.
Hoffentlich seid Ihr aus allem erst einmal gesund herausgekommen.  Wie Ihr nun unter der Besatzung lebt und was sich unter ihr zuträgt, das kann ich von hier aus leider nicht erkennen. Aller Wahrscheinlichkeit nach haben sich die Franzosen breitgemacht.
Gern würde ich Euch schützen, aber ein Herauskommen ist ja nicht möglich. Alles, was nun Euch und Euer persönliches Wohlergehen betrifft, das macht mir Gedanken.
Jetzt, wo Ihr mich braucht, jetzt muß ich fern von Dir und den Kindern sein. Daß Du alles allein ausfechten mußt, das tut mir so unendlich weh. 
Wie ich schon sagte, wann wir uns wiedersehen können, das steht im Dunkel. Wie Du mit allem verfahren sollst, das weißt Du ja im Wesentlichen aus meinen früheren Schreiben. Ich hoffe aber auch, daß die Kinder ihrem Mutterle in dieser Notzeit eine Stütze sein werden, damit Ihr alles besser überstehen könnt. Sobald sich nur irgendeine Möglichkeit bietet, daß ich mich zu Euch durchschlagen kann, dann bin ich auf dem Wege zu Euch, des kannst du versichert sein. Ich hoffe nur, wenn mir das Glück vergönnt ist, daß ich Euch alle gesund antreffe. Wenn wir zusammen sind, werden wir schon einen Weg wieder finden, der uns weiterführt. Sollte ich lange von Euch fort sein müssen, dann behaltet mich in Treuem Andenken, wie ich es stets tun werde. Ring und Uhr lasse ich hier zurück. Ich will nicht haben, daß man mir dies abnimmt, und daß diese Dinge in Hände fallen, die darauf kein Anrecht haben. Ich könnte dies nur in verbissener Wut hinnehmen.
Darum möchte ich gleich einer solchen Maßnahme von vornherein aus dem Weg gehen.
Sollte dieses Unterpfand unserer Verbundenheit eher bei Dir sein als ich, dann denke daran, daß ich eines Tages mir dies holen werde. Bis dahin widmet mir Eure Gedanken.
All mein Sinnen und Trachten gilt immer und ewig nur Dir und den Kindern. Haltet treu zusammen, ich bin im Geiste jederzeit bei Euch. Ich hoffe, daß ich dann später Euer Vaterle sein kann, wie ich es bei unserem Zusammensein stets habe sein dürfen.
Bleibt tapfer und aufrecht und vergeßt nicht, daß ich immer bei Euch weile. Wenn auch alles jetzt schwer ist, ich hoffe es für Euch ertragen zu können. Darum laßt Euch noch einmal umarmen und recht herzlich küssen. Meine innigen Grüße gelten Euch Dreien und auch Vater. Wir wollen uns von der Not nicht niederdrücken lassen.
Trotz allem bin ich nicht ganz mutlos und bleibe stets Euer treues Vaterle und stets

Brief 625 vom 4.4.45


Mein liebes, gutes Mädel !                                                                     4.4.45

An den Tag vor einem Jahr erinnere ich mich deshalb noch so gut, weil ich damals bei Euch in Urlaub war und die Kinder darauf aufmerksam machte, daß das Datum vier Vieren aufwies. Damals sah man zwar noch anders in die Zukunft. Man hoffte auf den Frieden. Alles hat sich anders entwickelt, wie uns das erzählt wurde und wie wir uns das vorgestellt haben. Aber sprechen wir von etwas anderem. Ich war gestern Nachmittag mit Siegfried zusammen. Wir haben die Stätten unserer Jugendzeit aufgesucht und sind durch die verschiedenen Straßen gegangen. Er hatte es ermöglicht, daß ich von hier freikam. Ich bin dann noch zur Dienstausgabe zurückgegangen und anschließend hatte ich die Genehmigung, daß ich die ganze Nacht von hier wegbleiben durfte. Wir sind dann gleich nach der Dienstausgabe losgezogen und sind quer durch die Stadt in die Nordstraße gelaufen. Als wir dort ankamen, war Ursula schon auf dem Damm und wartete auf uns. Erna hat dann gleich mit dem Essen aufgewartet.
Es kommt mir immer etwas peinlich vor, wenn ich da mitessen muß, aber das läßt sie sich nicht nehmen. Wir sind dann noch nett zusammengesessen, haben von früher gesprochen und von dem, was sich in der letzten zugetragen hat.
Wir haben unsere Bilder angesehen, so daß die Zeit ziemlich schnell verflog. Ich sollte ja zur Nacht in der Nordstraße bleiben. Freundlicherweise wurde mir das Zimmer von den Nachbarn zur Verfügung gestellt. Erna hatte alles frisch bezogen, ein Schlafanzug war auch da; es fehlte also an nichts. Heute früh habe ich mich dann um 7 Uhr auf die Straßenbahn geschwungen, nachdem ich erst noch Kaffee trinken mußte. Ich hatte dann noch mit Erna ausgemacht, daß ich heute zu Papa gehen will, damit er nicht vergrämt wird.
Vergessen hatte ich noch anzufügen, daß ich am Nachmittag mit Siegfried Alice programmgemäß besuchte, die sich recht gefreut hatte, als wir Beide auftauchten. Daß Tante Agnes mit dem Onkel nicht minder erfreut waren, das kannst Du Dir wohl denken. Als ich heute früh zum Dienst hier zurückkam, fand ich Deinen lieben Brief vor Nummer 24 vom 18.3. Der war von der Adresse in Dobichau  nachgesandt worden. Ich hatte nicht geglaubt, daß das so klappen würde. Es ist zwar aus der Kette der übrigen Briefe herausgerissen, und man muß sich den Zusammenhang etwas zurechtlegen.  Du wunderst Dich in Deinem Schreiben darüber, daß das Papa und Lotte so aushalten.
Ich nehme an, daß ich Dir nach meinem Besuch wieder ähnliche Dinge berichten kann.
Ich wundere mich nicht, weil diese Frau, wie mir Erna jetzt erst bestätigte, ihm Sand in die Augen streut. Es ist nur so, daß er es nicht merkt, und daß er glaubt, sie würde alles für ihn opfern unter Hintansetzung ihrer Person.
Manchmal scheint er es zu fühlen oder will es sich nicht merken lassen. Du fragst mich, ob ich nicht hätte in Hamburg eher wegreisen können. Das wäre durchaus möglich gewesen, aber ich dachte, daß ich mir das nicht entgehen lasse, und nach Leipzig zu dem Haufen hier komme ich noch schnell genug. Ich habe mich bei dieser Gelegenheit auch noch etwas umsehen können, wenn auch die Alarme dabei etwas hinderlich waren. Daß jetzt in Konstanz viele Verwundete liegen, das ist vielleicht für Euch von Vorteil, und Ihr braucht dann in diesem Falle mit Bombardierungen weniger zu rechnen. Interessant ist, daß die Schweizer sich in ihre alte Heimat retten, weil Ihnen der Boden bei uns anscheinend zu heiß wird. Man kann es ihnen nicht verwehren, aber man könnte da den Eindruck gewinnen, daß die Ratten das Schiff verlassen, weil es leckt.
Wie sich die militärische Lage in dem hiesigen Raum weiter entwickelt, wird sich bald herausstellen. Was man mit uns plant, ist ja keinem von uns bekannt. Man hat keinen Einfluß auf diese Dinge, denn wir sind ja doch nur Werkzeug. Also machen wir in bewährter Weise weiter mit.  Dich und die Kinder grüße ich recht herzlich. Bleibt mir nur gesund, denn meine Aufgabe besteht doch mehr oder weniger darin, für Euch zu schaffen und zu leben. Ich küsse Dich und die Kinder innig und bleibe, wie das schon immer war, Euer Vaterle und Dein Ernst.         Bitte neue Post an die Adresse Deines Vaters in Zukunft richten.

Brief 624 vom 2.4.45


Du mein liebster Schatz !             2.4.45                                                                                                                                
Daß ich eine solche Osterüberraschung gestern noch erleben würde, das hätte ich mir bestimmt nicht träumen lassen, als wir hier nach Leipzig herüberrückten. Ich hatte an alles eher geglaubt, als daß ich daran gedacht hätte, daß Siegfried es mit seinem Urlaub noch schaffen würde. Es hat mich jedenfalls aufrichtig gefreut, als ich ihn gestern Abend noch, wenn auch etwas verspätet, begrüßen konnte.
Ich teilte Dir ja gestern in meinem Brief mit, daß wir zur Feldbestellung reif geworden sind. Wir hatten nun hier den ganzen Tag Zirkus. Raustreten und Antreten und Sachenfassen und Papiere in Ordnung bringen und Schießen usw. usw. Zu guter Letzt habe ich dann doch ein Dienstende, aber unsere Soldbücher waren noch nicht fertig gestellt, weil sie vorbereitet werden mußten. An ein Ausgehen ohne Soldbuch ist schlecht zu denken, wenn man keine Schwierigkeiten haben will. Unter vielen Schwierigkeiten ist es mir dann doch gelungen, nachdem ich erst noch den Hauptmann habe darum angehen müssen, eine Bescheinigung zu erlangen, die mir das Ausgehen ermöglichte. Ich bin dann gleich in die Stadt gefahren, weil ich annahm, daß die Wohngemeinschaft zwischen Erna und Papa mit Lotte noch besteht. Als ich hinkam, war außer der Familie Weiß niemand da, die mich ja inzwischen kennengelernt hatte, und bei der ich mich dann bis zur Ankunft von Siegfried und Erna aufhielt. Das Fräulein sagte mir dann bei meiner Vorsprache, daß Herr Michel da sei. Ich sagte daraufhin, daß ich das wüßte, war aber in dem Glauben, daß damit Papa gemeint sei. Erst im Laufe des Gesprächs stellte sich heraus, daß es sich um Siegfried handelte. Als ich das erfuhr, wurde ich schon etwas unruhiger Meine Geduld wurde aber insofern auf eine Probe gestellt, als die ganze Familie erst gegen 9 Uhr von Alice zurückkam. Wir fanden dann aber immer noch Gelegenheit, uns bis nach 11 Uhr etwas auszusprechen, denn vor Mitternacht mußte ich  wieder in der Kaserne sein. Von Erna wurde ich, wie ich das nicht anders von ihr kennengelernt hatte, gastlich aufgenommen. Das heißt, sie hat das getan, was in ihren Kräften stand.
Ich freute mich, daß ich Gelegenheit hatte, ihr gestern mehr als 5 Pfund Mehl auszuhändigen, die ich gegen Tausch von einigen Zigaretten von einem Kameraden erhalten hatte. Da ich wiederholt bei ihr gegessen hatte, habe ich das als kleine Entschädigung betrachtet.
Erst hatte ich die Absicht, diese Marken Dir zu schicken, aber das ist gegenwärtig so eine unsichere Sache, ganz abgesehen davon, daß diese Marken im Laufe dieser Woche verfallen. Ich denke, daß Du dafür Verständnis haben wirst, wenn ich auch genau weiß, daß Dir damit sicherlich wieder etwas geholfen worden wäre. Siegfried erwähnte im Laufe unseres Gesprächs, daß er, wenn er wieder zurückfährt, versuchen will, bei Euch vorbeizukommen, und daß er auf der Herreise schon in Lindau gewesen sei. Wenn ihm das gelingt, dann bitte ich Dich, daß Du ihm von den Zigaretten immerhin soviel mitgibst, daß er auf der Rückfahrt keinen Mangel hat. Auch von unseren Schnäpsen setze ihm etwas vor. Aber das bedarf ja groß keiner weiteren Anweisung, denn ich weiß, daß Du ihm auch das tun wirst, was in Deinen Kräften steht.
Bei meinem Besuch erhielt ich auch Dein Schreiben vom 13.3. Nummer 20 ausgehändigt, das mich zu allem hin noch recht erfreut hat. Was Deine Frage anlangt wegen unseres Jungen, ob ich es ratsam hielte, wenn Du mit ihm wegen des Bettnässens zum Arzt gingst so wäre das schon zu erwägen. Schließlich könnte er doch einen Rat geben. Wenn es einem unsinnig erscheint, dann kann man ihn befolgen oder auch man kann es bleiben lassen. Wenn inzwischen keine Besserung eingetreten ist, dann fasse das nur ruhig einmal ins Auge.  Über eins habe ich mir gerade gestern Gedanken gemacht. Es war von einem Aufruf der deutschen Volkserhebung im Westen die Rede.  Ich bitte Dich, soweit für Dich keine Veranlassung vorliegt, Dich an solchen Schießereien nicht zu beteiligen, weil ich der Ansicht bin, daß das eine Angelegenheit der Männer, aber nicht der Frauen und Kinder ist. Ob Dich dieser Brief noch erreichen wird, kann ich ja nicht sagen, denn die Entwicklung nimmt jetzt einen derartig schnellen Verlauf, daß man sich nicht mehr traut, länger als bis morgen in die Zukunft zu sehen. Haltet Euch nur immer, wie Ihr es Eurer Würde gegenüber vertreten könnt, seid aber auch dessen eingedenk, daß wir noch immer da sind.  Heute werden wir aller Wahrscheinlichkeit nach in die Brendiser Schule marschieren, um dort über die weiteren Dinge zu beraten.
Warten und Warten und immer wieder Warten, das ist eben mit das oberste Gesetz beim Barras, an das wir uns in den langen Jahren gewöhnt haben.
Ich hoffe aber, daß wir heute Ausgang bekommen, und daß ich dann Alice besuchen kann, weil das ja in unmittelbarer Nachbarschaft der Schule liegt. Siegfried hat mich gebeten, bei Kurt Kühn vorbeizukommen, wo sich heute die ganze Familie aufhalten wird. Kühn ist auch zufällig anwesend, so daß sich das für Beide ganz gut trifft.  Es wird sich für mich sicherlich noch Gelegenheit finden, daß ich nach Mockau hinauskomme, wann und wie, das weiß ich heute noch nicht. Zu berichten wäre, daß Papa und Lotte gestern in der Nordstraße Abschied genommen haben und wieder in ihre Wohnung zurückgegangen sind, weil ihnen sonst die Wohnung abgesprochen worden wäre. Das wäre so das, was sich hier an Neuigkeiten erzählen läßt. Bis morgen, denn da hoffe ich wieder schreiben zu können.
Ich grüße dich und die Kinder immer und immer wieder recht herzlich, wie ich Euch im Geiste auch herzlich umarme und Euch jedem einen herzlichen und lieben Kuß aufdrücke.
Ich bin und bleibe immer Euer Vaterle und Dein Ernst.

Brief 623 vom 20.3.45


Meinem liebsten Schatz !         20.3.45          

Ob ich heute sonst noch dazukomme, Dir zu schreiben, das kann ich noch nicht sagen.
Wir haben jetzt Schießdienst. Ich habe meine Übung durchgeschossen und bin nun schon ein so guter Schütze geworden, daß ich in die Scharfschützenklasse eingereiht worden bin. Das ist noch nie vorgekommen. Ich kann es mir selbst nicht erklären.
Es ist aber einmal so, da ist nichts mehr daran zu machen. Ich habe auf 200 Meter Entfernung auf eine Scheibe 7, 9 und 11 getroffen, das ist wirklich mir selbst erstaunlich.
Wie dem auch sei, jetzt habe ich hier Absperrdienst und die freie Zeit, die mir hierbei zur Verfügung steht, die verwende ich gleich zum Briefeschreiben an Dich. Ich habe zwar kein besseres Papier bei mir, doch das ist wohl nicht so bedeutsam. Heute Nachmittag werden wir unsere Sachen packen, denn es geht nun sicherlich doch von hier fort.
Wie ich höre, nach Dommitzsch an der Elbe. Das liegt unweit von Torgau. Wie ich Dir gestern Abend noch kurz schrieb, hatte ich in der vergangenen Nacht Streife gehabt.
Was uns aber nicht hinderte, heute früh gleich Dienst zu machen.  Das ist mir aber alles nicht weiter schlimm, wenn ich bedenken muß, daß von Dir immer noch keine Post eingetroffen ist. Ich weiß gar nicht, was ich von der ganzen Sache halten soll.
Ich versuche mir immer einzureden, daß die schlechten Verhältnisse schuld seien, aber dann sage ich mir, daß doch einer von Deinen Briefen einmal nach hier durchkommen müßte. Wenn ich mir auch schon seit Wochen Gedanken um Euch mache, so beginnen die Sorgen um Euch doch langsam Form anzunehmen und sich zu verdichten, denn das kann ja bald nicht möglich sein, daß in einem Zeitraum von vier Wochen nur ein Brief nach hier kommt. Ich weiß nicht, was ich von allem halten soll. Manchmal komme ich mir ganz ratlos Vor. Ja heute vor vier Wochen, da waren wir den letzten Urlaubstag zusammen. Es kann einem leicht weh ums Herz werden, wenn man daran denkt. Man hat doch niemand weiter, mit dem man hier zusammenlebt. Man hat Kameraden und hat keine. Wenn ich mich auch mit manchen verstehe, so kann mich das nicht befriedigen, weil zu allen das persönliche Verhältnis fehlt. Man gewinnt zu keinem innere Wärme.
Ganz abgesehen davon, drückt die gesamte Lage auch auf die Stimmung. Manchmal habe ich es regelrecht satt. Wenn meine Gedanken nicht immer bei Euch sein könnten, dann könnte man es richtig satt bekommen. So macht man aber in diesem allgemeinen Wirrwarr mit und hofft auf ein günstiges Ende. Es ist zwar traurig, wenn man eine derartige Einstellung an den Tag legt, aber alle Umstände, die auf mich hier einwirken, können gegenwärtig keine andere Stimmung hervorrufen. Dann soll man Deinem Vater noch gut zusprechen. Es ist manchmal viel verlangt. Bei dieser Sachlage und bei diesen Zeitverhältnissen komme ich aber auch nicht dazu, ihm einen Brief zu schreiben.
Das Wetter ist jetzt einigermaßen erträglich. Noch regnet es nicht, aber die wenigen trockenen Tage, die wir jetzt hatten, werden wahrscheinlich bald durch Regen  abgelöst werden.
Ich wünsche mir, daß mein Hoffen, das Euch alle gesund wähnt, bald durch einen Brief von Dir bestätigt wird. Lasse es darum bitte bei diesen Zeilen bewenden. Du kannst versichert sein, daß ich immer in Gedanken bei Euch weile und daß diese Euch immer umkreisen. Hoffentlich können sie Euch auch zum Schutz dienen. Ich küsse Dich, Helga und Jörg recht recht innig. Seid auch recht herzlich gegrüßt von Eurem Vaterle und von Deinem Ernst.

Brief 622 vom 9.3.45

Du meine liebe kleine Annie !          9.3.45          

Immer noch habe ich keine Post von Dir. Es ist mir bald unwahrscheinlich, daß seit meiner Abreise noch keine Post bis nach Leipzig und von Dir hierher gekommen sein soll. Ich weiß nicht, was ich denken soll. Ich hoffe fest, daß Euch nicht zugestoßen ist, doch erscheint es mir sonderbar, daß alle Briefe solange unterwegs sein sollen.
Zwar ist es heute nicht leicht mit dem Postverkehr, denn die Luftangriffe behindern auch diesen. Hin und wieder hören wir, die Massen der Flieger in der Nacht über uns hinweg brausen. Am anderen Tag hört man dann ja aus dem Wehrmachtsbericht, was sich wieder ereignet hat. Es ist ja keine Kleinigkeit, und es heißt jedes Mal, die Zähne zusammenbeißen. Heute habe ich einmal am Vormittag Stellung gebaut und am Nachmittag habe ich Ausbildung am Panzerschreck mitgemacht. Es war wirklich ein erträglicher Dienst. Das Wetter war recht annehmbar. Auch heute ist es wieder Abend geworden. Das sollte wohl nicht die Einstellung zum Leben sein, aber durch diesen langjährigen Landserbetrieb kommt man soweit.
Ja, wenn ich zurückdenke, dann muß ich mich wieder an die Zeit vor einem Monat erinnern, da war ich schon voller Spannung, Euch wiederzusehen. Die Überraschung war dann doch recht groß für Euch, als ich so unverhofft vor der Tür auftauchte. Auch für mich war es eine große Freude, als ich das Glück hatte, Euch alle in den Arm zu nehmen. Was waren das für herrliche Stunden. Wie unbeschwert haben wir die wenigen Tage leben dürfen.  Aber es geht doch alles so geschwind vorbei, und die Trennung ist doch recht schwer. Wenn es mir aber zu lang wird, bis ich Nachricht von Dir bekomme, dann lese ich mir Deine Zeilen durch, die Du mir so heimlich zugesteckt hast. Ich finde, die Worte sind direkt klassisch, die Du für diese Stimmung gefunden hast. Sie sind mir ein kleiner Trost dafür, daß wir uns nun wieder fern sein müssen. Hier ist bei uns eine kleine Verbesserung eingetreten. Von unserem kalten Strohboden sind wir heruntergekommen und konnten jetzt bei einem Bauern ein Zimmer beziehen. Es ist auch Massenquartier auf dem Fußboden, aber das ist ja nicht das Schlimmste; besser ist, daß wir hier ordentliche Wände und ein ordentliches Dach über dem Kopf haben. Die Wärme ist doch immerhin so, daß man sich nicht die Handschuhe anziehen muß, wenn man sich umlegt.  Ich bin jedenfalls recht zufrieden damit, wenn es auch kein Paradiesbett ist.
Eine Karte lege ich Dir auch heute wieder mit bei. Verwende sie zu Eurer Gesundheit.  Morgen werden ich wahrscheinlich nach Torgau fahren, um mich fotografieren zu lassen. Diesmal wird es nun doch soweit kommen, daß in mein Soldatenbuch ein Bild hineinkommt. Aber davon werde ich Dir morgen berichten können.  Lasse mich nun schließen, denn es ist Zeit zum Zubettgehen. Einen recht herzlichen und lieben Kuß gebe ich Dir und den Kindern. Viele Grüße füge ich bei und bin immer Euer Vaterle und Dein Ernst.

Brief 621 vom 8.3.45


Du mein herzliebster Schatz !               8.3.45 
                                                                                       
Die Arbeit ist vollbracht, könnte ich jetzt sagen, denn es ist Abend geworden über die Schafferei, doch es ist ein schönes Gefühl, wenn man sich körperlich etwas ausgearbeitet hat. Aber es müßte eben eine andere Arbeit sein und man müßte nicht mitten im Kriege stehen.
Wir waren heute den ganzen Tag schanzen. Laufgraben haben wir im Wald gezogen. Früh waren die Pfützen leicht gefroren. Beim Ausmarsch hatten wir erst an den Händen gefroren, doch bald war es ganz schön warm geworden. Die Sonne kam dann auch heraus und ließ schon den Vorfrühling ahnen.  Die hohen Kiefern wiegten ihre Wipfel im Wind, aber trotz allem, überall spürt man den Krieg. Zur Mittagszeit sind wir in unser Quartier zurück marschiert. Auch am Nachmittag haben wir dann den gleichen Dienst verrichtet. Doch das Wetter hatte umgeschlagen, denn es kam zum Schneien. Als wir dann nach hause kamen, hatten wir Gelegenheit, uns an unserem Ofen aufzuwärmen. Es ist zwar bei uns auf der Tenne recht luftig, aber ich kann ja immer noch sagen, daß ich mit meinem Überanzug noch nicht schlecht angezogen bin. Um nun unseren von unserem Schaffen hervorgerufenen Durst zu löschen, bin  ich mit einem Kameraden in die Dorfwirtschaft gegangen, um ein Bier zu trinken.
Bei dieser Gelegenheit kann man dann im Radio noch so einiges hören, was draußen in der Welt vor sich geht. Um aber die Zeit noch nützlich anzuwenden, will ich Dir meinen heutigen Gruß noch zukommen lassen, denn Du sollst doch nicht warten müssen.
Ich will Dir auch wieder eine Karte beilegen, damit ich diese Dinge los werde. Hoffentlich bekommt Ihr alles gesund in Eure Hände. Anläßlich eines Gesprächs mit einem Kameraden hat sich ergeben, daß ich recht schnell die Nummer der Radioröhre brauche, die bei unserem Kamerad kaputt ist. Es ist unwahrscheinlich, daß ich die Gelegenheit hätte, einen Ersatz dafür zu erhalten. Wenn Du diesen Brief erhältst, dann lasse mich bitte bald die Daten wissen. Auf Post warte ich leider immer noch vergeblich, aber mein Hoffen ist immer noch ungeschwächt. Lasse Dich und die Kinder recht herzlich grüßen und vielmals herzinnig küssen von Deinem Ernst.

Brief 620 vom 5.3.45


Du meine liebe kleine Frau !            5.3.45                                                                                                                   09
Zuvor Dir und den Kindern einen recht herzlichen und lieben Kuß.  Dies zwar nicht aus Freude, daß ich wieder hier bei der Truppe gelandet bin, sondern weil ich froh bin, Dir, trotz meiner Mutmaßung, daß es nicht gleich zu einem weiteren Brief langen würde, doch noch dazu reicht. Ich kann Dir nur sagen, daß das wirklich eine Fahrt mit Hindernissen war. Allerdings waren das Hindernisse, die etwas künstlich aufgerichtet worden sind, denn Du weißt ja, daß ich Dir früher schon immer schrieb, daß ich in einem solchen Fall immer zu zeitig gekommen bin. Um einem derartigen Übel abzuhelfen, haben wir von vornherein vorgebeugt. Aber eines freut mich hierbei, daß ich Erna und auch Alice besuchen konnte, denn wie Du aus meinem gestrigen Brief schon gesehen hast, war sie schon gekränkt. Ich habe ihr dann zum Abschied das eine Bild von den Kindern gegeben, wo sie Pflaumen essend sitzen. Sie hat sich dann augenscheinlich darüber gefreut. Sie erhält ja nun durch Erna noch die Zigaretten. Ich nehme an, daß sie das auch als ein Zeichen der Verbundenheit wertet. Sie ist ja an sich recht weich.
Leider sind diese Besuche immer so kurz, wenn man kaum recht warm wird; oder man wird warm und muß sich dann wieder trennen. Aber wer hat denn da größere Erfahrungen wie Du? Du hast ja schon so oft den Abschiedsschmerz verspüren müssen.
Zwar ging mir es genau nicht anders. So groß wie die Spannung bei der Anfahrt und dann die Freude des Wiedersehens ist, so schmerzlich ist dann die Trennung. Aber die Tage, die dazwischen liegen sind ja die Tage, nach denen man sich sehnt.
Das Schicksal Deiner Tante Agnes ist auch nicht leicht. So wie sie mitteilte, sind sie gerade noch so aus Rosenberg herausgekommen. Erst wurden sie beruhigt, daß kein Anlaß zur Besorgnis vorliegen würde. Plötzlich war alles verschwunden, und sie mußten sich auf den Weg machen, damit sie noch den letzten Zug erreichten. In Dresden sind sie nach ihren Aussagen dem großen Bombardement entronnen. Vorher hatten sie sich in Lübben  erst niederlassen wollen, aber auch dort haben sie bald weiterziehen müssen.
Wie es den einzelnen Kindern geht, ist ihnen nicht bekannt, denn die Nachrichten sind überallhin unterbrochen. Es ist für die Leute gewiß nicht leicht, da noch guten Mutes zu sein. Es ist ja auch für uns alle nicht so einfach, vor allem, wenn man den Wehrmachtsbericht hört. Deine Tante Agnes hat auf mich, wenn ich so sagen soll, einen recht guten Eindruck gemacht. Dein Onkel hat sich über die Bilder, die ich zeigte, recht gefreut und sagte einmal übers andere, wenn er ein Bild von Helga sah, das ist so richtig die Marianne. Der Onkel läuft am Stock, doch ist die Tante noch sehr rüstig und sieht trotz des weißen Haares recht frisch aus. Alice hat mich dann noch zum Essen eingeladen. Es gab grüne Klöße. Einen habe ich angenommen, mehr wollte ich nicht haben, denn ich denke, daß sie unter den Verhältnissen selbst zu kämpfen haben.
Aber nun noch den Rest unserer Fahrt. Wir sind vor Mitternacht in Taucha abgerollt. Wir hatten einen ordentlichen Wagen erhalten und sind über Eilenburg, Torgau durchgefahren bis Fleckenberg. Wie es heißt „alles aussteigen“, merkten wir zu unserem Schrecken, daß wir eine Station zu weit gefahren waren. Das ist mir eigentlich während meiner ganzen Reisezeit noch nicht vorgekommen. Aber das mag wohl auch daher rühren, daß man so desinteressiert wird. Heute früh sind wir nun zurückgereist und kamen hier an Ort und Stelle gegen neun Uhr an. Immerhin muß es als eine Leistung betrachtet werden, für eine Strecke von 50 km solange zu brauchen. Aber immerhin haben wir es ohne Anstände geschafft. Bis jetzt haben wir uns nun überall gemeldet. Einen Kameraden habe ich bis jetzt getroffen. Es ist möglich, daß noch einige andere hier vor mir schon angekommen sind.
Wenn ich nur erst einmal Nachricht erhalten würde. Vielleicht habe ich doch Glück, daß bald etwas von Dir eintrifft. Ich hoffe immer wieder, daß Ihr noch alle gesund seid. Ich lasse Dir heute eine Karte zugehen, von der ich hoffe, daß sie Dich und die Kinder bei voller Gesundheit erreichen und daß Ihr dafür Verwendung habt.  Lasse Dich und die Kinder recht herzlich grüßen und vielmals küssen von Deinem immer an Euch denkenden Ernst.

Du mein liebes Mädel !     (ohne Datum)                  

Ich habe für den heutigen Tag Quartierwache. Da ist die Gelegenheit günstig, daß ich Dir und den Kindern wieder meine besten Grüße zukommen lassen kann. Ich freue mich besonders, daß ich Dir eine kleine Beigabe mit übersenden kann, von der ich hoffe, daß sie Deinen Beifall finden wird. Ich habe diese Marken gegen Zigaretten eintauschen können, Du mußt Dir also deshalb keine Gedanken machen, daß ich mir das etwa abspare. Ich habe noch einige Marken hier, die ich Dir so nach und nach mit zusende. Um mich brauchst Du Dir weiter keine Gedanken machen, denn ich habe immer noch soviel Verpflegung, daß ich immer satt werde. Ein Kamerad bringt ab und zu Brot mit, so daß das schon hinhaut. Wie ich schon sagte, ist die Verpflegung der Zeit entsprechend ausreichend, so daß man immer noch nicht Anlaß zur Klage hätte.
So schwarz, wie uns die Dinge gezeichnet wurden, sehe ich bis jetzt die Lage in diesem Verein nicht. Es ist ja nicht ausgeschlossen, daß sich das noch ändert, aber dann ist ja immer noch Zeit dazu, daß man sich darauf einstellt. 
Der Tageslauf wickelt sich bei uns bis jetzt folgendermaßen ab. Früh 6 Uhr Wecken. Bis 7 Uhr muß dann Kaffee geholt und getrunken werden, weil dann um diese Zeit angetreten wird.
Dort wird alles verlesen und dann geht es zum Arbeitsdienst.  Dieser richtet sich ganz nach den anfallenden Arbeiten. Da gibt es Holzfällen und laden,  abfahren  des Holzes,
Bau von Verteidigungsanlagen usw. Dieser Betrieb läuft dann bis 11,30 dann wird Mittag gemacht. Zwischen 13,00 bis 13,30 ist dann wieder Antreten. In der Zwischenzeit wird dann Essen gefaßt und selbstverständlich auch verdrückt. Am Nachmittag geht dann der Betrieb bis 17,00. Wie Du aus allem ersiehst, wäre das immer noch ertragbar. Ich für mein Teil bin auch bestimmt nicht unzufrieden, aber Du weißt ja, daß es notorische Meckerer gibt, die einfach krank sind, wenn sie nichts zu meckern haben. Es liegt zwar auch keine Veranlassung vor, auf dies hier alles ein Loblied zu singen, denn Du kennst mich ja und weißt auch, mit welcher Begeisterung ich nun Soldat bin. Wenn ich es nicht für Euch tun würde, dann hätte ich erstens nicht einmal ein Ziel und außerdem würde mich das alles so anekeln, daß ich mir wahrscheinlich zur Last leben würde. Aber das ist wohl eine Angelegenheit, die nicht weiter des Großen und Breiten erörtert werden braucht. 
Ich würde mich richtig freuen, wenn ich doch bald Post von Dir erhielte. In der jetzt so mit Spannung geladenen Zeit ist es doppelt schwer, wenn man längere Zeit so im Ungewissen schwebt. Zwar muß man sich immer wieder wundern, wie das so viele Kameraden hinnehmen, wenn sie von ihren Angehörigen durch die großen Evakuierungen hervorgerufen, solange ohne Post sind. Auf die Dauer gesehen, wäre mir das ein quälender Schmerz, wenn ich mir vor stellen müßte, ich hätte keine Verbindung mehr mit Dir und den Kindern. Ich wünsche und hoffe recht fest, daß dieser Fall nicht eintreten möge. Es ist Euch zu wünschen, daß das Kriegsgeschehen hoffentlich recht bald eine Wendung nehmen möge, denn auf die Dauer ist die Belastung für das deutsche Volk doch recht drückend, wenn nicht für einzelne Volksteile schon gesagt werden kann, erdrückend. 
Hier oben in unserem Sanatorium geht es recht frisch zu. Ich schilderte Dir doch schon kurz, daß es ziemlich luftig zugeht. Ich erinnere mich hier lebhaft an die auch Dir bekanntgewordene Fahrt nach Amelshain im Winter.
Wenn wir hier wohl auch etwas wärmer ausgerüstet sind, aber sonst ist die Kälte und vor allem die Anlage des Bodens durchaus kühl. Ob das für uns Dauerquartier sein soll oder ob wir im Laufe der Tage woanders hinkommen, das wird sich ja im Laufe der Zeit erst herausstellen.  Vorerst hätte ich Dir heute weiter nichts zu berichten.
Ich wünsche mir nur, daß Ihr, meine liebe Gesellschaft, alle noch gesund seid. In dieser Hoffnung gebe ich Euch jedem eine recht herzhaften Kuß und grüße Euch Drei recht recht innig. Auch an Vater bitte ich wieder recht freundliche Grüße auszurichten. Ich bin stets Dein Ernst.

Donnerstag, 19. März 2020

Brief 619 vom 1.3.1945


Meine liebe gute Annie !                                                                                                    1.3.45        

Wie Du schon aus der kuriosen Überschrift siehst, schein ich auch schon etwas durchgedreht zu sein. Aber es ist auch so vieles, was in den vergangenen Tagen auf mich eingewirkt hat, daß man es eigentlich schon mit Recht sein könnte. Aber ich will versuchen, alles wieder schön der Reihe nach zu ordnen. Ich konnte Dir in meinem letzten Brief aus Hamburg von dem Weitergang der Dinge berichten. Ich war nun bei den Leuten noch zum Mittagessen geblieben, zu dem ich freundlich eingeladen war, dann hatte ich den Brief an Dich im Wehrmachtsbetreuungsheim geschrieben. Als dann meine Zeit gekommen war, ging ich zum Zuge. Dort fiel ich zuerst einmal auf, weil ich über die Zeit dort in Hamburg geblieben war. Als ich dem Feldwebel sagte, daß ich meine „Verwandten in Hamburg“ noch aufgesucht hätte, zeigte er schon etwas mehr Verständnis für die Dinge, doch ließ er sich noch mein Soldbuch geben. Ich muß fast feststellen, daß mir diesmal die Auszeichnungen aus der Patsche geholfen haben, denn ausgerechnet dieses Seite blätterte er auf und reichte es mir zurück mit dem Bemerken, daß ich mich nur auf den Weg machen und nicht erwischen lassen solle. Ich habe mich dann auch schnurstracks auf den Zug geschwungen und ließ mich nach Wittenberge führen, dort hatte ich erst gegen morgen Anschluß nach Stendal. In Stendal habe ich dann erst einmal wieder Marschverpflegung gefaßt, denn ich mußte ja auf meinen Schein unbedingt wieder einen Nachweis über meinen Aufenthalt haben.  Gleich Nachmittag konnte ich mich dann Richtung Magdeburg in Marsch setzen. Dort klappte es gleich mit einem Anschluß über Dessau nach Leipzig. Die Fahrt ging verhältnismäßig gut vonstatten. Mit nicht allzu großer Verspätung kamen wir hier an. Zwar konnten wir nur bis Widerizsch (?) fahren, denn der Hauptbahnhof ist im Moment noch nicht befahrbar. Also hieß es laufen bis zur Stadt. Ich bin aber schon unterwegs abgebogen.  In der Ferne sah man wohl einzelnen Feuerschein, aber das war ja schließlich zu erwarten, wenn ein Angriff über die Stadt gegangen war. Ich kam dann links gleich beim Rathaus heraus und mußte gleich feststellen, daß das Rathaus abgebrannt war.  Auch der Bahndamm hatte etwas abbekommen. Ich glaubte aber immer noch, daß das Haus von Papa verschont worden sei. Aber ich sah dann schon Papa vor dem brennenden Haus Wache stehen. Ich kann Dir sagen, daß ich schon etwas erschüttert war, als ich diesen Mann so vor der Brandruine stehen sah. Das Wiedersehen hatte ich mir auch anders vorgestellt, und man weiß heute noch nicht, was uns allen noch beschieden ist, bis der Krieg zuende gegangen ist. Ich mache mir vor allem Sorge um Euch, weil ich hier erst aus der Zeitung und dann von Erna höre, daß auch einige Orte am Bodensee angegriffen worden wären. Nun hoffe ich, daß Ihr nicht davon betroffen worden seid. Der Gedanke und die Ungewißheit quälen mich. Als ich nach Mockau kam glaubte ich, daß Post von Dir angekommen wäre, aber leider hat sich diese Hoffnung zerschlagen. Ja, als ich dann mit Papa sprach, konnte er mir nun sagen, daß seine Wohnung noch hergerichtet werden könne. Ich habe mir dann alles angesehen. Ich war dann doch einigermaßen etwas beruhigt. Dein Vater war dann etwas verärgert, in einem solchen Falle nun nicht mehr zur Erna zu können, zunichte gemacht worden ist. Ich habe mich dann bereit erklärt, mit Erna zu sprechen. Ich habe mich dann später verabschiedet und habe den Marsch in die Stadt angetreten. Ich mußte Erna aus dem Bett klingeln. Sie hat mich wieder freundlich empfangen, und ich muß nur immer wieder sagen, daß ich lieber hierher gehe als in die Mockauerstraße, weil ich die Leidensmiene von Lotte auf die Dauer nicht sehen kann. Sie war gestern auch wieder ganz fertig, aber das ist ja bei ihr keine Ausnahme. Ich habe dann mit Erna gesprochen, und sie stand einer Aufnahme für eine Übergangszeit von Papa und Lotte nicht ablehnend gegenüber. Wir wollen nun nachher nach Mockau, um nach dem Rechten zu sehen. Ich nehme an, daß dort alles soweit wieder eingeräumt sein wird. Aber die Beiden sollen sich erst einmal von dem Schrecken erholen, und dann können sie ja  wieder dorthin ziehen. Das wäre die gegenwärtige Lage. Ich will mich nun morgen früh in der Kaserne melden, denn dieses freie Leben muß wieder einmal aufgesteckt werden. Die kleine Ursula macht hier einen mächtigen Umtrieb. Nachdem ich mich nun schon mit ihr fest unterhalten habe, klammert sie sich fest an mich. Alles wird nun vorgemacht und vieles gibt es zu erzählen. Sie ist aber auch wirklich ein liebes Kind, das sich ganz gut führt. Die Michel´sche Art kommt manchmal in ihrem Temperament zum Durchbruch. In ihrem Gesicht hat sie aber etwas, was an die Bilder von Dir früher erinnert, also so die Art Deiner Mutter. Ihre Puppe Ingrid nimmt einen großen Lebensraum bei ihr ein. Auch ihr Kafter, das eigentlich Kasper heißen soll, ist eine richtige Persönlichkeit. Sie hat nun vorher gleich ihr Signum

Brief 618 vom 23.2.1945


 SCHILDERUNG DER ABSETZUNG AUS DEM KESSEL AUS OSTPREUßEN   PILLAU

Mein liebes Mädel !                                                                                          Leipzig, 23.2.45

Nun bin ich doch in Leipzig gelandet. Die Verspätung hat gut 20 Stunden betragen und es war wieder ein Durchmogeln von Station zu Station. Die erste Etappe bis nach Stuttgart nahm 12 Stunden in Anspruch, die nächste bis Würzburg genau soviel. Die Weiterreise über Bamberg, Probstzella, Saalfeld nahm dann verhältnismäßig nicht so lange Zeit in Anspruch. Hier traf ich gestern Abend gegen 10 Uhr ein. Ich habe gleich Erna aufgesucht, um dort mein Gepäck zu lassen. Sie hat sich sehr gefreut und war wirklich sehr nett. Ich habe mich erst etwas frisch gemacht und habe dann den Weg nach Mockau angetreten. Hier traf ich gegen Mitternacht ein und mußte nun Papa und Lotte aus dem Bette holen. Hier haben wir uns bis 2 Uhr unterhalten und dann ging´s ins Bett. Das wäre in kurzen Zügen das, was sich ereignet hat. Über meine weiteren Pläne bin ich mir nicht ganz im klaren. Wenn ich meinen ganzen Aufenthalt hier etwas tarnen will, dann ist es wahrscheinlich am zweckmäßigsten, wenn ich doch erst nach Hamburg weiterreise, um mich dann von dort wieder nach Leipzig versetzen zu lassen. Ich glaube, daß das die beste Lösung ist. Sowie ich hier weiterreise, gebe ich Dir noch kurz Bescheid, damit Du weißt, was weiter geschehen ist. Sonst habe ich alles gut überstanden. Mit dem Zuge waren wir wiederholt im Luftschutzkeller wir sind also im Eisenbahntunnel stehen geblieben.  Mein liebes Mädel, ich habe mich nun  wieder für die schönen Tage, die Du mir während meines kurzen Urlaubs bereitet hast, recht herzlich zu danken. Du hast wieder alles getan, was Dir nur irgend wie möglich war und auch die Kinder haben mir die Tage mit verschönern helfen. Daß alles so schön und harmonisch verlaufen konnte, ist doch immer wieder Deiner Güte und Deinem großen Einfühlungsvermögen zu verdanken. So groß wie die Freude des Wiedersehens war, so schmerzlich ist dann immer der Abschied.  Es hat mir diesmal wohl ganz besonders wehgetan, weil man so gar nichts für Euch tun kann, denn die Dinge sind doch diesmal unklarer denn je, und man hat nur die Gewißheit, daß man alles gesund daheim verlassen hat. Ich sehe Euch, meine Lieben, noch am Zuge stehen und mir die Hände drücken, doch der Zug rückt an und ich bin allein. Im Dämmerschein der Lampe sehe ich Euch noch stehen und alles scheint ausgelöscht zu sein. Aber eines bleibt uns ja noch, und das ist die Hoffnung auf ein gesundes Wiedersehen, das uns bis jetzt immer noch beschieden war. Wir wollen für das nächste Mal glauben, daß uns das Schicksal ein genau so unverhofftes und plötzliches Zusammenkommen läßt. Bleibt mir nur gesund und haltet Euch weiterhin, aber vor allem seid nochmals herzlich bedankt für alles, was Ihr mir getan habt. Ich hoffe, daß ich Euch das in irgendeiner Form wieder entgelten kann. Nehmt recht herzliche und innige Grüße entgegen, laßt Euch alle zusammen vielmals küssen von Eurem Vaterle und 

Deinem Ernst.

Brief 617 vom 16.1.1945


Mein liebstes Mädel !                                                                                       16.1.45   

Die Post hat mich gestern wieder einmal nicht bedacht. Außer von Deinem Vater, der mir einige Briefumschläge und Briefpapier sandte, erhielt ich keine Post. Man kannja schließlich auch nicht verlangen, daß jeden Tag etwas eingeht.  aber das läßt sich nun nicht verheimlichen, daß der Empfang liebe Zeilen doch eine recht angenehme Abwechslung in unserem Alltag ist. Dafür hatte ich eben vorgestern gleich drei Briefe von Dir. Als ich sie mir noch einmal durchlas, da mußte ich im Stillen für mich lachen, als unser Mädel den Anspruch erhebt, schneidig auszusehen. Sie ist ja einmal ein kleines Äffle, das zwar schon mächtig in die Länge geschossen ist. Das sind eben die Sorgen der Kinder, wenn sie größer werden. Aber das gute Mutterherz hat es doch nicht überwinden können und hat gleich die Windjacke geopfert, damit das Mädel schneidig aussieht. Daß unser Herr Sohn nicht nachziehen will, das kann ich mir ohne weiteres denken, denn gerade so ein neues Stück , vor allem, wenn es modern und schnittig aussieht, dann reizt das. Wie ich aus dem letzten Brief von Dir lesen kann, hast du doch den Radioapparat irgendwo untergebracht. Daß das keine Kleinigkeit ist, ihn jetzt gemacht zu bekommen, das ist ja ohne weiteres erklärlich. Aber ich hatte Dir ja schon gesagt, daß Du eben etwas unternehmen mußt, damit Du zu Deinem Ziel kommst. Es ist ja ein Einrichtungsstück geworden, das man heute fast nicht mehr entbehren kann. Hoffentlich hast Du Glück und erhältst ihn bald wieder zurück.  Seit gestern ist das Wetter hier sehr winterlich geworden. Es hat lange geschneit, und alles ist schön mit Schnee überzogen. Nur in den Gräben macht da wenig Spaß, denn der Wind hat sie uns zum Teil recht verweht. Da heißt es schaufeln, damit sie nicht ganz zugeschneit werden. Dann muß man ja auch damit rechnen, daß das alles taut, und dann haben wir die Schweinerei im Graben. Zur Nacht hin hatte es aufgeklart. Es war eine herrliche Sternennacht, und der Morgen hatte eine Klarheit, wie ich sie selten erlebt habe. Der Himmel blau und dazu überall der frische Schnee. Es war ein Anblick, der recht friedlich anmutete, doch die raue Wirklichkeit läßt sich nun einmal nicht hinwegtäuschen.  Heute jährt sich zum zweiten Mal der Tag, an dem unser lieber Kurt sein Leben in diesem grausamen Kriege opferte. Wie oft, muß ich an ihn denken.  Was hatte er nicht für Pläne, wenn der Krieg vorbei ist. Das ist nun alles zunichte geworden. Man könnte wohl manchmal sagen, daß ihm manches, was sich bisher ereignet hat, erspart geblieben ist, aber das hätte er auch so ausgehalten, wie ich es auch durchhalte. Wenn man nach dem Sinn des Sterbens sucht, dann könnte man sich manchmal sagen, daß für das, was bis jetzt erreicht worden ist, die Opfer zu groß sind.  Es ist ja nicht nur unser Kurt; die Zahl ist wohl ins Ungeheuerliche gestiegen, wenn man gleichzeitig noch die Opfer durch Terrorangriffe denkt. Man kann dann höchstens wieder einen Sinn darin sehen, wenn man sich sagt, daß diese Opfer gerechtfertigt werden müssen durch ein siegreiches Beenden dieses Krieges. Wenn ich den Brief von Nannie lese, dann muß ich immer wieder, wie auch in den vorhergehenden, feststellen, daß sie mächtig darunter leidet, daß dieser arme Junge draußen geblieben ist.  Niemand kann sich um das Grab kümmern. Wahrscheinlich wird alles dem Verfall preisgegeben sein. Das Andenken an ihn kann man bewahren und hegen. Daß wir ihn nicht vergessen, das versteht sich ja von selbst. An einem solchen Tag, da ist das Gedenken besonders stark.  Recht herzlich grüße ich Dich und die Kinder. Bleibt Ihr mir nur gesund und grüßt auch Vater wieder von mir. Ich lasse für die neuen Jahreswünsche bestens danken. Dir und den Kinder gebe ich jedem einen herzlichen und kräftigen Kuß und bin  wie immer 

Dein Ernst.

Brief 616 vom 15.1.1945


Mein liebster Schatz !                                                                                                15.1.45    

Endlich habe ich wieder einige Post von Dir erhalten, über die ich mich recht gefreut habe, denn ich war gestern derart abgespannt, daß ich beim Briefeschreiben keine richtigen Gedanken fassen konnte. Durch Deine lieben Zeilen habe ich eine Ablenkung erfahren, und gleichzeitig bin ich etwas entspannt worden. s fließt mir auch heute wieder etwas besser aus der Hand. Seit Tagen hieß es, daß wir mit irgendwelchen Überraschungen des Gegners rechnen müßten. Das ist ja schließlich auch erklärlich, wenn man bedenkt, daß wir keine großen Kampfhandlungen in der letzten Zeit in unserem Raum hatten. Durch die Auslösung einer Offensive des Russen in unserem unmittelbaren Nachbarabschnitt, ist die erhöhte Alarmbereitschaft etwas aufgelockert worden, so daß man auch wieder eher etwas zu sich kommen kann. Mir selbst würde das nicht allzu viel ausmachen, aber alle Menschen, mit denen man umgeht, die sind gereizt und Nervös. Wenn ich, wie in der vergangenen Nacht, vier Stunden hintereinander geschlafen habe, dann geht es doch wieder besser. Also, wie gesagt, es läßt sich heute besser an, und das ist ja wichtig. Ich habe nun durch die neu eingetretene Situation eine für mich neue Waffe erhalten. Es ist ein Schnellfeuergewehr, mit dem man schon etwas machen kann. Das habe ich gestern auseinandergenommen. Wenn man so ein Ding hat, dann hat es keinen Zweck, wenn man sich nicht damit auskennt. Die habe ich gestern eingehend untersucht.  ABer nun zu Deinen Briefen. Es sind die vom 1. bis 4.1.. Wie ich lese, seid Ihr ordentlich ins Neue Jahr gerutscht. Wie ich diesen Übergang erlebt habe, weiß Du ja schon . Ich freue mich, daß Ihr beieinander gewesen seid, und daß Ihr, allerdings den Umständen entsprechend, an der alten, hergebrachten Weise festgehalten habt und auf den Kartoffelsalat nicht verzichtet habt. Für die guten Wünsche zum Jahreswechsel danke ich Dir; hoffen wir, daß sie in Erfüllung gehen.  Der Schneefall um die Jahreswende kam den Kindern sicherlich recht gelegen, denn gerade während der Ferienzeit ist das doch eine schöne Abwechslung. Da hat wohl Helga auch fest mitgemacht. Hatten wir nicht zwei Schlitten? Dann hat es doch da keine Schwierigkeiten gegeben, wer fahren darf und wer nicht. Ich kann mir denken, daß Jörg da große Angst gehabt hat, daß er zu kurz kommt. Sie sollen aber gerade hinter dem Bismarckturm recht Obacht geben, denn an den vielen Bäumen hat es schon manchen Bruch gegeben, und zwar nicht der Schlittenbruch, sondern auch manchmal sind die Knochen gesplittert.  Das EK ist nun auch bei Dir eingetroffen. Hast Du eigentlich die Urkunde dazu erhalten? DAvon hast Du mir bis jetzt noch nichts geschrieben. Genau so weiß ich nicht, ist mein Weihnachts- und mein Brief für Neujahr angekommen. Der Brief zum Nikolaustag für die Kinder ist anscheinend auch verloren gegangen. Dann gib ihnen doch das Geld, was ich ihnen zugedacht hatte. Ich hänge dadurch mit einigen Dingen in der Luft und weiß nicht, was eigentlich so richtig los ist. Das Geschenk von 100 Rm für die Kinder ist sicherlich auch eine Freude. Wenn sie so weitermachen, dann haben sie bald ihre tausend Mark beieinander. Daß er diesen Betrag gespendet hat, ist ja ordentlich.   Daß man einen Deiner Briefe zurückgesandt hat mit dem Vermerk, „Neue Anschrift abwarten“ ist mir unverständlich. Das muß ja ein großer Idiot gewesen sein, der das gemacht hat. Aber wie ich von meinem Feldwebel höre, ist genau der gleiche Fall passiert. Ich kann mir das nicht vorstellen. Männer wie er und ich sind in der Kompanie bekannt wie kaum jemand. Aber es gibt immer wieder einmal Schnitzer. Dumm ist nur, daß sich die Angehörigen Gedanken machen, ob nicht etwas passiert ist. Es ist alles kalr, das kann ich Dir noch einmal ausdrücklich bestätigen.  Daß Du den Kindern jedem eine Windbluse gemacht hast, wird ihnen sicherlich eine große Freude gewesen sein. Das bitterböse Gesicht von Helga kann ich mir vorstellen, wenn sie herumlaufen muß mit Sachen, die nun gar nicht geschmackvoll sind. Jetzt sind ja beide wieder befriedigt.  Heute habe ich Dir wieder einmal etwas mehr als gestern erzählt. Ich denke, daß Du wieder zufriedener mit mir bist. Lasse Dich nur recht herzlich grüßen und viel, vielmals küssen von Deinem immer an 

Euch denkenden Ernst.

Brief 615 vom 13.1.1945


Meine liebe gute Annie !                                                                                             13.1.45

 Wenn meine Gedanken auch wie immer bei Euch weilen, so weiß ich doch nicht, wie viel zu schreiben ich heute in der Lage bin. Zeit hätte ich ja, aber ich bin äußerst abgespannt Seit achtundvierzig Stunden habe ich nur mit ganz wenige Unterbrechung gewacht. An Schlafen kann ich gegenwärtig nicht so denken, wie man es gern möchte. Es kann sich wahrscheinlich noch einige Tage so hinziehen. Die Gedanken kann man dann doch nicht so sammeln, aber Du sollst immer wieder sehen, daß ich an Euch denke und daß ich Euch nicht vergesse. Diese Schreiben sind nun einmal der sichtbare Beweis dafür. Ich weiß, daß es Dir wohl nicht erst eines besonderen Beweises bedarf. Es handelt sich ja auch nicht darum, sonder mir sind diese wenigen Minuten, die ich mich zum Schreiben hinsetze und manchmal aus Zeitmangel zwinge, die Minuten der Erholung aus dem hiesigen Erleben. Da kann ich meine Gedanken zusammenfassen und besonders mit bestimmter Zielsetzung nach hause wandern lassen.  Schreibe ich nicht, dann werde ich durch dies oder jenes abgelenkt. Das kann aber so nicht eintreten. Das ist eben unsere Aufgabe, wach und munter zu bleiben. Ich schlafe tatsächlich nur noch wie ein Tier. Wenn ich nicht gerade im ersten Schlaf bin, den ich so für die erste Stunde rechne, da höre ich jeden, der kommt und jedes Geräusch. Daß das keine Ruhe ist, das ist wohl ganz klar. Aber immerhin bin ich nach ganz kurzer Ruhezeit fast vollkommen frisch. Man wundert sich, wie schnell man unter gegebenen Umständen ausgeruht ist. Zwar muß man damit rechnen, daß das bei nächstbester Gelegenheit nachgeholt wird. In dieser Situation gibt es nun Kameraden, die fressen eine Zigarette nach der anderen. Das ist mir kein Bedürfnis bis jetzt. Denen hilft es, aber ich habe das noch nicht nötig. Ich hoffe auch, daß das nicht einmal notwendig sein wird.  Das ist recht, daß die Kinder die Ferien täglich zum Ausschlafen benutzen. Wenn dann die Schule mit ihrem geregelten Betrieb angeht, dann steckt ihnen doch bald die Müdigkeit wieder in den Knochen.  Das Wetter ist bei uns wieder milder geworden. Nur stellenweise ist der Fluß aufgebrochen. Doch zum größten Teil trägt das Eis noch. Wenn wir Glück haben, dann wird der Winter nicht allzu streng. Aber trotz allem heißt es hier Obachtgeben. Lasse mich jetzt bitte schließen. Ich grüße Dich und die Kinder recht herzlich und viele Küsse für ich wieder bei. Ich bin stets 

Dein Ernst.

Brief 614 vom 12.1.1945


Du mein liebstes Mädle !                                                                                           12.1.45 

 Mein Tagesgruß soll nun auch werden, denn es geht wieder auf die Zeit zu, da es heißt, sich fertig machen und Essen fassen. Gleichzeitig muß man ja dann auch seine Post abgeben. Wenn man diesen Punkt nicht trifft, dann ist das absenden des Briefes verpatzt bis zum nächsten Tag. Also dann einmal los. Ein Brief ging von Dir gestern nicht ein. Ich bekam überhaupt keine Post. Aber das ist ja kein Grund zum lamentieren. Aber ich habe ja noch einiges, was wohl aus Deinen vergangenen Briefen zu beantworten ist; auch sonst gibt es einiges zu schreiben. Da wäre die Mitteilung von Deinem Vater, daß der Elternverein aufgelöst worden sei. Dieses Schreiben ist doch gewissermaßen eine Art Todesurteil. Wenn man so bedenkt, steckt doch ein ziemliches Stück Leben Deines VAters und im weiteren Sinne unserer Familie darin. Was hat sich gerade während dieser 25 Jahre alles ereignet, und wie ist das Leben Deiner Eltern von diesem Verein beeinflußt worden. Manches hätte vielleicht andere Wendungen genommen. Manches Positive hat sich zweifellos dabei auch herausgestellt. Gerade wie in diesem Schreiben, die Kinderlandverschickungen hervorgehoben werden. Eine Angelegenheit, die heute von Partei wegen so herausgestellt wird. Dort war es eine Sache, die schon lange vorher geübt wurde. Du hättest wahrscheinlich nicht nach der Ostmark gekommen, und wenn der Verein, oder die Dinge, die damit zusammenhängen nicht gewesen wäre, hätten wir uns sicherlich nicht kennen gelernt. Manchen Gedanken könnte man dabei weiterspinnen. Aber es ist nicht die Zeit dazu, daß man nun Tränen der Wehmut vergißt, wenn man einer abgeschlossenen Angelegenheit das letzte Wort spricht. Mit Stolz kann Dein Vater immerhin auf die geleistete Arbeit zurückblicken. Was dabei zum inneren Familienleben sich ergeben hat, das ist ja eine besondere Angelegenheit. Ich werde Deinem Vater dazu in meinem nächsten Brief an ihn noch einige Worte richten. Nannie schreibt in ihrem letzten Brief auch um Päckchenmarken. Ehe ich ihr darüber etwas Zusagendes mitteile, will ich erst einmal bei Dir anfragen, ob Du etwas dagegen einzuwenden hast, wenn ich ihr die nächste Marke zugehen ließe. Ich werde sie zwar gleich darauf aufmerksam machen, daß es eben nur große Marken gibt, und ob ihr das nicht zuviel wird. Denn ich will nicht haben, daß sie sich in Unkosten stürzt, denn wir haben immer noch soviel zu essen, daß  man auskommt, und mehr braucht man ja auch nicht. Andererseits kannst Du mir Kleinigkeiten schicken, die ihr nicht so entbehrt, wenn die Möglichkeit des Absendens besteht. Also teile mir darüber Deine Ansicht bitte mit. _ DAß Du so mit Würmern zu tun hast, ist ja höchst unangenehm. Aber daß das für mich ein Grund zum Ekeln wäre, das kann ja nicht zutreffen. Erstens bin ich schon allerhand gewöhnt; daß ich nicht empfindlich bin, das weißt Du auch. Also da nur keine falsche Scham. Ich wünsche Dir nur recht viel Erfolg zu Deiner Kur. Jörg ist doch dafür auch immer sehr empfindlich. Hat er nichts davon abbekommen oder hast Du sie von ihm? Für die Grüße von Resi danke ich, ich lasse sie erwidern, wenn Du sie triffst. Ich habe schon einmal gefragt, was macht denn Fritz? Hat sie überhaupt wieder etwas von seiner Einheit gehört. Wie nimmt sie das auf?  Die Nummern der Sparbücher hatte ich mir schon früher notiert. Die Kinder haben ja auch schon ganz nette Beträge zusammen. Hoffentlich können sie es einmal für sich entsprechend verwerten. Aber auch Du wirst mich ja nun bald erreicht haben.  Daß Ihr jetzt öfter wieder inn der kleinen Stube sitzt, ist doch für Euch auch gemütlicher. Nicht allein, daß Du damit Heizung sparst, sondern auch so hat sie vieles an sich, was das Leben in ihr angenehm macht. Wenn ich an den geflochtenen Stuhl denke, so sehe ich im Geiste noch unseren Kurt damit an dem einen Weihnachtsfest ankommen. Er konnte nicht viele Worte machen. und doch freute er sich im Stillen, daß ihm das möglich war. In diesen Tagen sind nun zwei Jahre vergangen, seit er sein Leben ließ. Immer werde ich in Stolz und Ehre an ihn denken. Er war ein prima Kerl. Daß er manchmal nicht immer ganz frei war, das muß man verschiedenen Umständen zugute rechnen, die auf seine Entwicklung eingewirkt haben. Lasse Dich recht herzlich grüßen. Dir und den Kindern viele liebe Küsse sendet Euer Vaterle und 

Dein Ernst. 

Brief 613 vom 11.1.1945


 Mein liebes gutes Mädel !                                                                                          11.1.45       

Da braucht man sich nicht wundern, wenn man hin und wieder lange auf Post warten muß, wenn ab und zu ein Schreiben irgendwo hängen bleibt. Gestern trudelte Dein wirklich lieber Brief vom 9.12. auch schon ein. Der muß sich wahrscheinlich unterwegs ausgeruht haben, Aber an Inhalt hat er ja trotz des langen Ausbleibens nicht verloren. Man merkt aus Deinen Zeilen, daß Du wieder einmal frisch und munter gewesen bist, daß Du wieder einmal Laune gehabt hast. Man ist ja nicht an jedem Tag gleich gut aufgelegt, das weiß ich ja auch von mir selbst. Wenn ich nicht gerade sagen könnte, daß ich mich bisher zu einem Brief quälen müßte, den ich an Dich schreiben wollte, so gibt es doch hin und wieder Stunden, da hat man das Bedürfnis, wie immer zu schreiben und es kommt und kommt nicht das zustande, was man eigentlich vor hat. Ich kann mir vorstellen, daß die zwei Wochen Wartezeit schon eine gewisse Nervenanspannung bedeuten, und daß dann eine Lösung dieser Spannung eintritt, wenn man gleich mit mehreren Schreiben bedacht wird. Wenn zwar die Kinder schon darunter leiden müssen, wenn so ein Masseneintreffen von Briefen eintritt, dann müßte man schon etwas dagegen tun. Nicht genug, daß Du Helga kitzelst, so hattest Du noch die verwerfliche Absicht, die gleiche Prozedur auch an mir auszuüben. Habe ich ein Glück gehabt, daß ich noch hier draußen bin. Nicht nur, daß Du mich kitzeln wolltest, Du hattest auch noch vor, mich zu piesaken und an den Haaren zu ziehen. Das ist doch die Höhe. Wichtig ist ja, daß sich alles wieder gegeben hat und ich nehme an, daß Euer Leben auch wieder in geordnete Bahnen gekommen ist. Du fragst, ob wir uns früher mit Schätzlein oder ähnlichem angeredet hätten. Ich weiß es zwar auch nicht genau, es ist mir zwar auch jetzt nicht ganz klar, was die Veranlassung war, daß ich etwas derartiges geäußert habe. Wenn Du von Dir sagen kannst, daß Du noch nicht so abgeklärt wärst, wie ich es behauptet habe, dann ist ja auch alles in Ordnung. Von mir wolltest Du nun wahrscheinlich auch eine entsprechende Erklärung haben, denn Deine Zeilen zielen darauf hin. Ich habe manchmal das Gefühl, daß ich noch der gleiche Dummkopf sei, der ich früher auch war. Ich meine, ich würde die gleiche Dummheit nochmals machen und Dich wieder heiraten. Ich habe ja bis jetzt keine schlechten Erfahrungen gemacht. Zwar bin ich wohl bald die Hälfte unserer Ehejahre nicht daheim und kann damit sagen, daß ich ganz gut mit Dir zurechtkomme und wirtschaften kann, aber ich glaube, daß die Jahre vorher, die wir zusammen gemeinsam verlebt haben, auch nicht die schlechtesten waren. Das ist doch wieder ein tolles Kompliment. Du wirst sagen, das sieht dir ganz und gar ähnlich. Aber daran kannst Du vielleicht auch erkennen, daß ich mich in den vergangenen Jahren nicht sonderlich geändert habe. Meinst du, ich sei abgeklärt und kühler geworden? Das nicht, aber der gleiche Flegel oder Lümmel bist Du auch noch, wirst du sagen. Gut, dann nehme ich das eben hin und gehe reumütig in mich. Wenn Du mir nach 13jähriger Ehe Liebeserklärungen machst, wie Du schreibst, so wird das doch höchste Zeit, denn früher hattest Du das doch ganz vergessen. Aber es fehlt noch etwas Schmalz (Schmelz?). Wenn ich so manchmal die Briefe von den jungen Kameraden sehe, die an ihre Freundinnen  und Bräute schreiben, da können einem die Augen übergehen. An Überschriften konnte ich ohne weiteres etwas lernen. Aber in dieser Beziehung waren wir schon von früher Jugend auf prosaisch, wie Du früher immer sagtest.  Wenn Du mir mitteilst, daß ich hier mit Kameraden im Bunker sitze und Du wegen der Einquartierung maulen würdest, so hat das nicht ganz seine Richtigkeit. Ich will wissen, daß meine Wohnstatt, meine Heimat für mich offen steht, wenn ich einmal nach hause kommen darf. Ich möchte mir nicht Gedanken machen müssen, daß in der an sich schon kleinen Wohnung noch jemand haust, und den ich erst fragen müßte, ob ich kommen darf. Es ist genug, daß wir hier draußen unter solchen Verhältnissen leben müssen. Das läßt sich hier nicht anders einrichten. Daheim geht das aber. Die Not der Ausquartierten ist bestimmt groß, aber zur Linderung dieser Not muß eben die Aufsichtsbehörde da eingreifen, wo es möglich ist und nicht dort, wo die Menschen schon aufeinander sitzen. Ich denke, daß wir in dieser Geschichte nun vollkommen klar sehen.  Daß meine SA-Hose für unseren Jungen noch so gute Zwecke erfüllt ist ja in Ordnung. So fressen höchstens die Motten das Ding auf und für ihn haben sie noch Zweck. Ich werde schon wieder etwas finden, wenn ich sie noch einmal brauchen sollte. Die nächsten 14 Tage kommt das ja noch nicht infrage. Daß Du mir für die Zur Verfügungsstellung dankst, ist nicht weiter notwendig. Besser wäre es schon, wenn das unser Herr Sohn tun würde. Ich weiß zwar, daß er zu sehr mit Spielen und Basteln beschäftigt ist, da hat er weniger Zeit für einen alten Vater.  Gestern bekam ich noch von Nannie einen Brief. Sie schreibt wieder ganz vernünftig.  Ich werde ihr bald diesen Brief beantworten. Dann lasse ich Dir ihre Zeilen wieder mit zugehen. _ Ich schrieb Dir wohl schon gestern von unserem Bunker, wie riesig da alles ist. Ich habe dabei so an das Buch „Jürn Jakob Swehn...“ denken müssen. Das wäre sogar für dieses Ehepaar ein Kunststück gewesen, mit Kreide Zeichen der einzelnen Zimmer abzuteilen. Vor allem bei einer solchen Besatzung. Die hatten wenigstens noch den Vorteil, daß sie keine Ratten hatten. Mit diesen Biestern kann man auch nicht so umgehen wie man will, denn die sind imstande und streichen die Kreise weg.  Ich selbst unterhalte mich am meisten, wenn die Kameraden wie wild tun. Erstens werden die tollsten Märchen erzählt und jedem sieht man dabei an, wie er sich ekelt. Ich könnte ja auch nicht behaupten, daß ich meine Freude an diesen Viechern hätte, aber ich habe dabei doch meine Ruhe und bin trotz allem imstande, mich noch über die anderen zu amüsieren. Weniger schön ist dagegen die Läuseplage. Aber ich habe mir schon ein Mittel besorgen lassen, das dem abhelfen soll. Hoffentlich wird es dann wieder einmal anders. Wenn Du wieder Deinen Spaß an meinem Klagelied haben solltest, dann schicke ich Dir einmal eine ausgequetschte mit, damit Du diese Viecher auch einmal kennen lernst. Was sagst Du nun zu dieser Drohung?  Die Gegend ist wieder einmal voller eisenhaltiger Luft. In der Nachbarschaft wummert es wieder einmal ganz gewaltig. Da darf man nicht neugierig sein und die Nase muß man wegnehmen.  Jetzt habe ich Dir wieder allerhand vorgeklönt und Kohl steht auch allerhand auf diesem so geduldigen Papier. So hast Du es nun bis hierher geschafft. Nun ist es sowieso Schluß. Lasse Dich darum mit den Kindern recht herzlich grüßen und vielmals küssen. Ich bin in alter Frische immer Euer Vaterle und 
Dein Ernst.  

 Schicke doch bitte wieder einmal einige Feldpostbriefe. Es wird knapp.

Brief 612 vom 10.1.1945


 Mein liebster Schatz !                                                                                              10.1.45                  

Als ich diesen Brief beginnen wollte hieß es, daß wir uns fertig machen müßten. Also blieb es bei dem guten Willen. Wir haben nun schon vorzeitig unseren Stellungswechsel was uns nicht ganz in den Kram paßte, aber beim Barras wird man ja nicht gefragt, ob man will oder nicht. Da heißt es eben abmarschieren, wenn es befohlen wird. Bevor wir abrückten, bekam ich noch zwei liebe Briefe von Dir, die ich Dir auch hier beantworten werde. Es sind Deine Schreiben 128/129, für die ich Dir vorerst recht herzlich danke. Die Post konnte ich gerade noch lesen, dann hieß es abmarschieren. Ich hatte ja mit meinem Fuß wieder etwas Glück, denn ich konnte mich auf ein Fahrzeug platzieren, da fiel wenigstens die Schlepperei des Gepäcks  weg. Es wurde zwar etwas kühl auf dem Bock, aber schließlich haben wir doch die neue Stellungen erreicht. Diese ist ja für uns wieder vollkommen neu, und ich kann schon sagen, daß sie Überraschungen in genügender Menge für uns hatte. Von der vorhergehenden Stellung waren wir wohl in Bezug auf Unterkunft etwas verwöhnt, aber das, was wir hier antrafen, das ist dann doch etwas stark. Das wirft uns in die erste Zeit zurück, in der wir über den Bach kamen. Ein Bunker ist es, mit allen Schikanen. Wenn man nicht gebückt stehen will und gern einmal den Kopf aufrecht tragen möchte, dann ist es hier am besten, wenn man sich auf den Knieen bewegt. Außer der Verlausung, die bei mir zwar etwas nachgelassen hat, haben wir nun noch eine neue Errungenschaft zu verzeichnen, wir haben hier Ratten. Die Biester bewegen sich mit Vorliebe auf dem Tisch und in unseren Betten. Man muß schon etwas Humor haben, wenn man hier zufrieden sein soll. ABer wir werden ja auch nicht ewig in dieser Stellung bleiben. Auch sonst gibt es hier manche Unannehmlichkeiten, die früher nicht in diesem Maße hervorgetreten sind. Aber es hilft eben alles nichts und mit Jammern verbessert man sich auch nicht die Lage. Licht ist zwar bei uns ganz großer Luxus, denn beim Bunkerbau hat man anscheinend erst hinterher gemerkt, daß er dunkel ist. Wenn Du in unserem Keller daheim das Gitter hoch machst, dann ist es gegen hier taghell, aber deshalb kann ich trotz allem nicht das Briefeschreiben einstellen. Mit der Zeit gewöhnt sich das Auge an diesen Zustand, und wenn man sich dazu hält, bekommt man während der hellsten Zeit doch einen Brief fertig. Zwar werde ich immer wieder einmal zwischendurch gestört. In der Zeit, in der ich jetzt diese Seite geschrieben habe, habe ich schon wieder drei T34 geknackt. Die Abschußzahlen haben sich aber seit einigen Tagen schwer verringert. Ich hoffe, daß ich diese Biester doch wieder einmal für eine Zeit ganz loswerde.  Nun zu Deinen Briefen. Die kleine Zeichnung von Helga ist wirklich gut gelungen. Wenn sie Freude daran hat, dann soll sie sich nur etwas stärker damit beschäftigen. Alles, was es so an Gegenständen im Haushalt gibt, läßt sich ja gut zeichnen. Das ist das beste Lern und Anschauungsmaterial . Für das nächste Bildchen, ich denke an eine kleine Skizze, werde ich ihr einen kleine Geldbetrag aussetzen, der ihr dann weiteren Ansporn für frohes Lernen sein soll. Sie soll auch meiner Ansich nach mehr Gegenstände zeichnen, denn es ist nichts schwerer zu zeichnen wie der Mensch. Wenn sie das hin und wieder versucht, dann ist es recht, aber sie sollte doch erst einmal tote Gegenstände nehmen. Häuser, Bäume oder ähnliche Dinge. Ich wünsche ihr also weiterhin viel Glück zu ihren Arbeiten. Eine Prämie gilt es also zu verdienen. Auch über Jörg und seine Bastelei habe ich immer meine Freude. Es macht mir Spaß, wenn Du mir berichtest, daß er das oder jenes sich gebaut hat. Gewundert habe ich mich nur, daß er sogar selbst seine Figuren schneidet. Das ist doch schon etwas schwieriger. Aber Geschick hat er anscheinend, das muß man ihm wohl lassen. Daß Du nun Deine Sorge mit ihm hast, weil er alles andere darüber vergißt, das kann ich mir vorstellen. Mit Geschick bringst Du ihn ja schon dahin, wo Du ihn haben willst.  Deine Mitteilung über die Zimmerangelegenheit hat mir etwas zu denken gegeben. Ich habe früher schon immer dagegengesprochen, wenn du an fremde Leute unser Zimmer abgegeben hast. Wie Du aus dem Beispiel ersiehst, hat man nur durch seine Gutmütigkeit Schwierigkeiten. Daß die lieben Nachbarn so Obacht auf uns geben, das ist nun einmal eine Tatsache, um die werden wir nicht herumkommen. Wir werden dagegen auch nicht sonderlich stark kämpfen können. Wenn die Dinge jedenfalls so liegen, wie Du sie mir schilderst, dann kommt eine Vergebung des Zimmers auf keinen Fall infrage.  Ich habe jedenfalls keine Lust, auf dem Abtreter zu übernachten, weil es verschiedenen Herrschaften in Konstanz so gefallen würde. Ich tue schon seit Jahren meine Pflicht. Wenn ich auch keinen Dank dafür haben will, aber auf eines habe ich ja immer noch Anspruch, das ist meine Familie und meine Wohnung, wenn ich einmal nach hause kommen sollte. Wir gehen in dieser Richtung einig, und das ist ja die Hauptsa che. Lasse Dich nur nicht auf die Hühneraugen treten und beharre auf Deinem Stand punkt. _ Was sonst noch aus Deinen Briefen zu beantworten ist, das werde ich morgen mit erledigen. Zum Abschluß grüße ich Dich und die Kinder wieder recht herzlich. Viele liebe Küsse kriegst Du, Helga und Jörg von 

Deinem Ernst.

Brief 611 vom 8.1.1945


Du meine Liebste !                                                                                                  8.1.45       

Deinen letzten Brief vom ersten Weihnachtstag erhielt ich am 3.  Die vergangenen Tage habe ich leider vergeblich auf einen Gruß von Dir gewartet. Es muß dies aber mit der allgemeinen Postbeförderung von unsrer Kante herauf zusammenhängen, denn meine anderen Kameraden, die aus unserer Gegend Post erwarten, ergeht es genau nicht anders. Da heißt es also weiter abwarten. Gestern habe ich einmal nicht an Dich geschrieben, wenn ich auch Gelegenheit dazu gehabt hätte. Ich war nicht so recht in Stimmung dazu. Vorgestern hatten wir nach dem Kameradschaftsabend einen Ruhetag eingeschaltet und gestern früh ging es mit unserer Ausbildung weiter. Wir haben Angriff geübt und mußten in eine Stellung einbrechen. Dabei passierte mir wieder einmal ein Pech, denn ich habe mir zur Abwechslung den Fuß übertreten. Diesmal ist es das rechte Fußgelenk. Das linke Fußgelenk und das Kniegelenk habe ich ja schon dran gehabt. Da wäre also jetzt noch das rechte Kniegelenk heil. Es ist diesmal nicht ganz so schlimm, denn ich denke, daß ich bald wieder richtig mitschlurfen kann. Für heute , dem Tag, an dem die große Übung steigt, ist es ja aus. Dafür habe ich hier Telefonwache, während alle anderen Kameraden weg sind. Das läßt sich nun nicht ändern. Hauptsache ist, daß es bald wieder ins richtige Gleis kommt, alles andere wird sich schon finden. Was macht eigentlich Dein Fuß? Hast Du noch größere Beschwerden damit, oder hat es sich jetzt ganz gegeben. _ Gegenwärtig herrscht hier ein einigermaßen ordentliches Winterwetter. Heute morgen hat es auf den alten verharschten Schnee wieder neue flocken gegeben. Es sieht alles wie frisch überzogen aus. Die Tannen und Kiefernbäumchen, die zur Tarnung vor dem Bunkerfenster stehen, sind leicht bereift und haben dadurch ein etwas festliches Kleid bekommen. Der Himmel ist zwar gleichmäßig grau und verspricht noch mehr Schnee. Ist es bei Euch ebenso kalt wie in Leipzig gewesen? Hier war die Temperaturschwankung nicht ordentlich stark. Da wird für Dich bald wieder eine Schuhsorge eintreten, denn Jörg wird dann bei einigermaßen ordentlichem Eisverhältnissen Schlittschuhlaufen wollen. Das ist eben in dieser Zeit nicht so einfach. Wegen des Kalenders mußt Du Dir weiter keine Lauferei machen, denn Dein Vater sandte mir erst einmal einen zu und versprach, daß er mir bald einen ordentlichen Taschenkalender folgen lassen will, sobald er den bestellten erhält.  Ich komme noch einmal auf die Angelegenheit wegen einer Räumung von Konstanz zurück.  Durch die Maßnahmen, die gegenwärtig in militärischer Hinsicht laufen, ist dieser Fall wohl wieder etwas in den Hintergrund getreten, doch ich erwähne dies vor allem deshalb, weil Du selbst in einem Deiner letzten Briefe davon sprichst. Dein Vater kommt auf Deine Zeilen zurück und meint, daß Du bzw. ich mich mit entscheiden müßte. Du würdest im Fall der Notwendigkeit lieber auf das Angebot von Erna eingehen, weil Du glaubst, daß es auf die Dauer mit Lotte doch nicht gut gehen würde, Daß Dein Vater großen Wert darauf legt, daß im Notfall seine Tochter zu ihm kommt, ist ihm hoch anzurechnen, aber es spielen eben manchmal noch gewisse Dinge mit, die in diesem Falle eben darin liegen, daß Leute vielleicht den guten Willen haben mögen, aber Schwierigkeiten bestehen nun einmal und denen soll man nach Möglichkeit aus dem Weg gehen.  Ich kann mir vorstellen, daß Du mit Erna leichter hantieren könntest als im anderen Fall. Zudem ist ja die Platzfrage recht entscheidend. Zwar muß man eben auch damit rechnen, daß Siegfried eines Tages auf Urlaub erscheinen würde, aber da ließe sich dann schon eine Regelung finden. Wenn ich so das eine gegen das andere abwäge, komme ich ebenfalls zu dem Schluß, daß eine einstweilige Unterkunft bei Erna günstiger ist. Es müßte dann im Ernstfall Deinem Vater die Notwendigkeit klargemacht werden. Aber hoffen wir, daß die Dinge für uns weiterhin einen günstigen Verlauf nehmen.  Ich grüße Dich und die Kinder recht herzlich. Vater wünsche ich gute Besserung mit seiner Bauchgeschichte. Hoffentlich renkt sich das wieder ein. Wenn er noch weiterhin Schmerzen haben sollte, dann müßte er eben einen Arzt oder den Bandagisten aufsuchen. Bleibt Ihr meine drei Lieben alle gesund und nehmt recht liebe und viele Küsse entgegen von 

Deinem Ernst.