Samstag, 25. Juli 2020

Brief 622 vom 9.3.45

Du meine liebe kleine Annie !          9.3.45          

Immer noch habe ich keine Post von Dir. Es ist mir bald unwahrscheinlich, daß seit meiner Abreise noch keine Post bis nach Leipzig und von Dir hierher gekommen sein soll. Ich weiß nicht, was ich denken soll. Ich hoffe fest, daß Euch nicht zugestoßen ist, doch erscheint es mir sonderbar, daß alle Briefe solange unterwegs sein sollen.
Zwar ist es heute nicht leicht mit dem Postverkehr, denn die Luftangriffe behindern auch diesen. Hin und wieder hören wir, die Massen der Flieger in der Nacht über uns hinweg brausen. Am anderen Tag hört man dann ja aus dem Wehrmachtsbericht, was sich wieder ereignet hat. Es ist ja keine Kleinigkeit, und es heißt jedes Mal, die Zähne zusammenbeißen. Heute habe ich einmal am Vormittag Stellung gebaut und am Nachmittag habe ich Ausbildung am Panzerschreck mitgemacht. Es war wirklich ein erträglicher Dienst. Das Wetter war recht annehmbar. Auch heute ist es wieder Abend geworden. Das sollte wohl nicht die Einstellung zum Leben sein, aber durch diesen langjährigen Landserbetrieb kommt man soweit.
Ja, wenn ich zurückdenke, dann muß ich mich wieder an die Zeit vor einem Monat erinnern, da war ich schon voller Spannung, Euch wiederzusehen. Die Überraschung war dann doch recht groß für Euch, als ich so unverhofft vor der Tür auftauchte. Auch für mich war es eine große Freude, als ich das Glück hatte, Euch alle in den Arm zu nehmen. Was waren das für herrliche Stunden. Wie unbeschwert haben wir die wenigen Tage leben dürfen.  Aber es geht doch alles so geschwind vorbei, und die Trennung ist doch recht schwer. Wenn es mir aber zu lang wird, bis ich Nachricht von Dir bekomme, dann lese ich mir Deine Zeilen durch, die Du mir so heimlich zugesteckt hast. Ich finde, die Worte sind direkt klassisch, die Du für diese Stimmung gefunden hast. Sie sind mir ein kleiner Trost dafür, daß wir uns nun wieder fern sein müssen. Hier ist bei uns eine kleine Verbesserung eingetreten. Von unserem kalten Strohboden sind wir heruntergekommen und konnten jetzt bei einem Bauern ein Zimmer beziehen. Es ist auch Massenquartier auf dem Fußboden, aber das ist ja nicht das Schlimmste; besser ist, daß wir hier ordentliche Wände und ein ordentliches Dach über dem Kopf haben. Die Wärme ist doch immerhin so, daß man sich nicht die Handschuhe anziehen muß, wenn man sich umlegt.  Ich bin jedenfalls recht zufrieden damit, wenn es auch kein Paradiesbett ist.
Eine Karte lege ich Dir auch heute wieder mit bei. Verwende sie zu Eurer Gesundheit.  Morgen werden ich wahrscheinlich nach Torgau fahren, um mich fotografieren zu lassen. Diesmal wird es nun doch soweit kommen, daß in mein Soldatenbuch ein Bild hineinkommt. Aber davon werde ich Dir morgen berichten können.  Lasse mich nun schließen, denn es ist Zeit zum Zubettgehen. Einen recht herzlichen und lieben Kuß gebe ich Dir und den Kindern. Viele Grüße füge ich bei und bin immer Euer Vaterle und Dein Ernst.

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