Samstag, 25. Juli 2020

Brief 620 vom 5.3.45


Du meine liebe kleine Frau !            5.3.45                                                                                                                   09
Zuvor Dir und den Kindern einen recht herzlichen und lieben Kuß.  Dies zwar nicht aus Freude, daß ich wieder hier bei der Truppe gelandet bin, sondern weil ich froh bin, Dir, trotz meiner Mutmaßung, daß es nicht gleich zu einem weiteren Brief langen würde, doch noch dazu reicht. Ich kann Dir nur sagen, daß das wirklich eine Fahrt mit Hindernissen war. Allerdings waren das Hindernisse, die etwas künstlich aufgerichtet worden sind, denn Du weißt ja, daß ich Dir früher schon immer schrieb, daß ich in einem solchen Fall immer zu zeitig gekommen bin. Um einem derartigen Übel abzuhelfen, haben wir von vornherein vorgebeugt. Aber eines freut mich hierbei, daß ich Erna und auch Alice besuchen konnte, denn wie Du aus meinem gestrigen Brief schon gesehen hast, war sie schon gekränkt. Ich habe ihr dann zum Abschied das eine Bild von den Kindern gegeben, wo sie Pflaumen essend sitzen. Sie hat sich dann augenscheinlich darüber gefreut. Sie erhält ja nun durch Erna noch die Zigaretten. Ich nehme an, daß sie das auch als ein Zeichen der Verbundenheit wertet. Sie ist ja an sich recht weich.
Leider sind diese Besuche immer so kurz, wenn man kaum recht warm wird; oder man wird warm und muß sich dann wieder trennen. Aber wer hat denn da größere Erfahrungen wie Du? Du hast ja schon so oft den Abschiedsschmerz verspüren müssen.
Zwar ging mir es genau nicht anders. So groß wie die Spannung bei der Anfahrt und dann die Freude des Wiedersehens ist, so schmerzlich ist dann die Trennung. Aber die Tage, die dazwischen liegen sind ja die Tage, nach denen man sich sehnt.
Das Schicksal Deiner Tante Agnes ist auch nicht leicht. So wie sie mitteilte, sind sie gerade noch so aus Rosenberg herausgekommen. Erst wurden sie beruhigt, daß kein Anlaß zur Besorgnis vorliegen würde. Plötzlich war alles verschwunden, und sie mußten sich auf den Weg machen, damit sie noch den letzten Zug erreichten. In Dresden sind sie nach ihren Aussagen dem großen Bombardement entronnen. Vorher hatten sie sich in Lübben  erst niederlassen wollen, aber auch dort haben sie bald weiterziehen müssen.
Wie es den einzelnen Kindern geht, ist ihnen nicht bekannt, denn die Nachrichten sind überallhin unterbrochen. Es ist für die Leute gewiß nicht leicht, da noch guten Mutes zu sein. Es ist ja auch für uns alle nicht so einfach, vor allem, wenn man den Wehrmachtsbericht hört. Deine Tante Agnes hat auf mich, wenn ich so sagen soll, einen recht guten Eindruck gemacht. Dein Onkel hat sich über die Bilder, die ich zeigte, recht gefreut und sagte einmal übers andere, wenn er ein Bild von Helga sah, das ist so richtig die Marianne. Der Onkel läuft am Stock, doch ist die Tante noch sehr rüstig und sieht trotz des weißen Haares recht frisch aus. Alice hat mich dann noch zum Essen eingeladen. Es gab grüne Klöße. Einen habe ich angenommen, mehr wollte ich nicht haben, denn ich denke, daß sie unter den Verhältnissen selbst zu kämpfen haben.
Aber nun noch den Rest unserer Fahrt. Wir sind vor Mitternacht in Taucha abgerollt. Wir hatten einen ordentlichen Wagen erhalten und sind über Eilenburg, Torgau durchgefahren bis Fleckenberg. Wie es heißt „alles aussteigen“, merkten wir zu unserem Schrecken, daß wir eine Station zu weit gefahren waren. Das ist mir eigentlich während meiner ganzen Reisezeit noch nicht vorgekommen. Aber das mag wohl auch daher rühren, daß man so desinteressiert wird. Heute früh sind wir nun zurückgereist und kamen hier an Ort und Stelle gegen neun Uhr an. Immerhin muß es als eine Leistung betrachtet werden, für eine Strecke von 50 km solange zu brauchen. Aber immerhin haben wir es ohne Anstände geschafft. Bis jetzt haben wir uns nun überall gemeldet. Einen Kameraden habe ich bis jetzt getroffen. Es ist möglich, daß noch einige andere hier vor mir schon angekommen sind.
Wenn ich nur erst einmal Nachricht erhalten würde. Vielleicht habe ich doch Glück, daß bald etwas von Dir eintrifft. Ich hoffe immer wieder, daß Ihr noch alle gesund seid. Ich lasse Dir heute eine Karte zugehen, von der ich hoffe, daß sie Dich und die Kinder bei voller Gesundheit erreichen und daß Ihr dafür Verwendung habt.  Lasse Dich und die Kinder recht herzlich grüßen und vielmals küssen von Deinem immer an Euch denkenden Ernst.

Du mein liebes Mädel !     (ohne Datum)                  

Ich habe für den heutigen Tag Quartierwache. Da ist die Gelegenheit günstig, daß ich Dir und den Kindern wieder meine besten Grüße zukommen lassen kann. Ich freue mich besonders, daß ich Dir eine kleine Beigabe mit übersenden kann, von der ich hoffe, daß sie Deinen Beifall finden wird. Ich habe diese Marken gegen Zigaretten eintauschen können, Du mußt Dir also deshalb keine Gedanken machen, daß ich mir das etwa abspare. Ich habe noch einige Marken hier, die ich Dir so nach und nach mit zusende. Um mich brauchst Du Dir weiter keine Gedanken machen, denn ich habe immer noch soviel Verpflegung, daß ich immer satt werde. Ein Kamerad bringt ab und zu Brot mit, so daß das schon hinhaut. Wie ich schon sagte, ist die Verpflegung der Zeit entsprechend ausreichend, so daß man immer noch nicht Anlaß zur Klage hätte.
So schwarz, wie uns die Dinge gezeichnet wurden, sehe ich bis jetzt die Lage in diesem Verein nicht. Es ist ja nicht ausgeschlossen, daß sich das noch ändert, aber dann ist ja immer noch Zeit dazu, daß man sich darauf einstellt. 
Der Tageslauf wickelt sich bei uns bis jetzt folgendermaßen ab. Früh 6 Uhr Wecken. Bis 7 Uhr muß dann Kaffee geholt und getrunken werden, weil dann um diese Zeit angetreten wird.
Dort wird alles verlesen und dann geht es zum Arbeitsdienst.  Dieser richtet sich ganz nach den anfallenden Arbeiten. Da gibt es Holzfällen und laden,  abfahren  des Holzes,
Bau von Verteidigungsanlagen usw. Dieser Betrieb läuft dann bis 11,30 dann wird Mittag gemacht. Zwischen 13,00 bis 13,30 ist dann wieder Antreten. In der Zwischenzeit wird dann Essen gefaßt und selbstverständlich auch verdrückt. Am Nachmittag geht dann der Betrieb bis 17,00. Wie Du aus allem ersiehst, wäre das immer noch ertragbar. Ich für mein Teil bin auch bestimmt nicht unzufrieden, aber Du weißt ja, daß es notorische Meckerer gibt, die einfach krank sind, wenn sie nichts zu meckern haben. Es liegt zwar auch keine Veranlassung vor, auf dies hier alles ein Loblied zu singen, denn Du kennst mich ja und weißt auch, mit welcher Begeisterung ich nun Soldat bin. Wenn ich es nicht für Euch tun würde, dann hätte ich erstens nicht einmal ein Ziel und außerdem würde mich das alles so anekeln, daß ich mir wahrscheinlich zur Last leben würde. Aber das ist wohl eine Angelegenheit, die nicht weiter des Großen und Breiten erörtert werden braucht. 
Ich würde mich richtig freuen, wenn ich doch bald Post von Dir erhielte. In der jetzt so mit Spannung geladenen Zeit ist es doppelt schwer, wenn man längere Zeit so im Ungewissen schwebt. Zwar muß man sich immer wieder wundern, wie das so viele Kameraden hinnehmen, wenn sie von ihren Angehörigen durch die großen Evakuierungen hervorgerufen, solange ohne Post sind. Auf die Dauer gesehen, wäre mir das ein quälender Schmerz, wenn ich mir vor stellen müßte, ich hätte keine Verbindung mehr mit Dir und den Kindern. Ich wünsche und hoffe recht fest, daß dieser Fall nicht eintreten möge. Es ist Euch zu wünschen, daß das Kriegsgeschehen hoffentlich recht bald eine Wendung nehmen möge, denn auf die Dauer ist die Belastung für das deutsche Volk doch recht drückend, wenn nicht für einzelne Volksteile schon gesagt werden kann, erdrückend. 
Hier oben in unserem Sanatorium geht es recht frisch zu. Ich schilderte Dir doch schon kurz, daß es ziemlich luftig zugeht. Ich erinnere mich hier lebhaft an die auch Dir bekanntgewordene Fahrt nach Amelshain im Winter.
Wenn wir hier wohl auch etwas wärmer ausgerüstet sind, aber sonst ist die Kälte und vor allem die Anlage des Bodens durchaus kühl. Ob das für uns Dauerquartier sein soll oder ob wir im Laufe der Tage woanders hinkommen, das wird sich ja im Laufe der Zeit erst herausstellen.  Vorerst hätte ich Dir heute weiter nichts zu berichten.
Ich wünsche mir nur, daß Ihr, meine liebe Gesellschaft, alle noch gesund seid. In dieser Hoffnung gebe ich Euch jedem eine recht herzhaften Kuß und grüße Euch Drei recht recht innig. Auch an Vater bitte ich wieder recht freundliche Grüße auszurichten. Ich bin stets Dein Ernst.

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