Montag, 28. August 2017

Brief 312 vom 28./29.8.1942


Mein liebster Schatz !                                                   28.8.42     

Ich hatte die Absicht, heute nicht zu schreiben, weil ich nicht gern jeden Tag das gleiche Klagelied anstimmen will, daß ich keine Post erhalten habe. Neuigkeiten passieren hier nicht weiter, so daß einem mit der Zeit der Stoff ausgeht. Deine Briefe habe ich auch alle beantwortet. Wenn man dann jeden Tag nur über den Gang laufen muß, um ins Büro zu kommen und dann höchstens mittags oder abends aus dem Bau kommt und dann auch nur in das Kasino zum Essen, dann kannst Du Dir ungefähr einen Begriff machen, was man an Neuigkeiten hier täglich erlebt. Vor einigen Tagen berichtete ich Dir über die unglaublichen Preisverhältnisse. Heute lege ich Dir einen Zettel bei, aus dem Du ersehen kannst, was ungefähr die Sachen hier kosten, wenn man sie im freien Handel erwerben müßte. An sich ist es ja so, daß die Soldaten ja solche Sachen auch nicht kaufen brauchen.  Wenn ich so bedenke, welcher Wechsel das von der letzten Dienststelle nach hier in Bezug auf das Essen und vor allem im Hinblick auf die Küche und das Servieren ist, so kann ich nur feststellen, daß dieser Unterschied gewaltig ist. Zuletzt aßen wir bei unserer Mannschaftsunterkunft. Dort war wohl eine Küche eingerichtet worden, aber für eine Gelegenheit, sich dort hinzusetzen und sich aufzuhalten, konnte nicht gesorgt werden, weil kein Platz vorhanden war. Auf dem Hof stand ein umgestürztes Haus, da hat man sich dann während der Essenszeit auf den herumliegenden Balken niedergelassen oder an einer Hobelbank, die zwar nicht sauber gemacht war. Man gewann den Eindruck, es kümmert sich niemand um uns. Wie das werden sollte bei schlechtem Wetter, das stand noch nicht klar. Alles war unzulänglich, und es wurden auch keine großen Anstalten zur Verbesserung dieser Zustände gemacht. Hier ist nun alles so anders. Ich gelte zwar als unterster Dienstgrad und als zuletzt Hergekommener, als ganz kleiner Mann. Es kann ja sein, daß das bedrückend wirken könnte, wenn man einem das merken läßt.  Aber über diese Sachen müßte man sich hinwegsetzen. Die Tische sind weiß gedeckt, die Räume sehen sauber aus und sich mit Gemälden aus dem Museum geschmückt. Die Gemälde sind wirklich wehr schön. Auf den Tischen stehen um die jetzige Jahreszeit Blumen.  Der Kreis, zu dem ich gehöre, ist sonst sehr erlesen und gehört die ganze Tischrunde dem engeren St ab an. Ein Oberst sitzt ihm vor. Da nn ein Ministerialrat als Kriegsgerichts  fehlt . Zwei Dekane und zwar ein katholischer  und ein evangelischer, die sich sonderbarerweise ganz gut vertragen. Sie müssen zwar, weil sich in der Wehrmacht nicht gut tragbar sind. Dann zwei Hauptmänner von verschiedenen Dienststellen. Die Herren von unserer Abteilung, angeführt von unserem Oberrat. Außerdem noch einige verschieden hohe Tiere. Da kannst Du Dir vorstellen, wie klein und häßlich ich da aussehe. Bis jetzt macht mir das aber nichts aus, und ich hoffe, daß das auch nicht anders werden wird. Dieses Vorstellen, das Grüßen, die Verbeugungen und was so alles für Mätzchen da üblich sind, gehört nun einmal mit dazu und man muß da mitmachen. Da s Essen wird dann von den Ordonnanzen serviert, die alle in weißen Jacken. Es ist schon etwas anderes wie bei der FAK. Aber das sind ja nur Äußerlichkeiten. Das Essen war aber bei meiner vorhergehenden Dienststelle nicht schlecht. Hier kann ich aber sagen, daß es noch besser ist; nur die Brotrationen sind nicht so reichlich. Ich werde Dir gelegentlich darüber einmal schreiben.  Gestern habe ich Dir das Päckchen Nummer 36 abgesandt. Es sind 10 Eier drin. Ich hoffe, daß es gut ankommt und daß Du sie noch verwenden kannst. Ich bin froh um jede Kleinigkeit, die ich bekommen kann. Froher bin ich aber immer erst dann, wenn ich weiß, daß Du die Sachen erhalten hast, und daß Du sie verwenden kannst.  Dir und den Kindern herzliche Grüße und viele Küsse sendet Dein Ernst.


Mein liebes, gutes Mädel !                                                  29.8.42 
   
Mein Klagelied von den letzten Tagen brauche ich heute nicht wieder anzustimmen, denn ich bekam gestern Abend durch Kurier von Dir 7 Briefe. Vom 5. bis 11.8. waren sämtliche Briefe angekommen.  Von Kurt erhielt ich 2 Schreiben. Eines hat er auf der Fahrt geschrieben, das andere stammt schon wieder von seinem Einsatz.  Ich muß sagen, et tut mir leid, der arme Junge. Er schreibt selbst, daß er nicht mehr der Kerl sei, wie vor seiner Verwundung. Damals hat er eben einen Schock abbekommen, der ihm heute noch in den Nerven liege. Als ich seinen Brief überflog, mußte ich das auch an seiner Schrift feststellen. Alle Anfänge und die Wortenden haben so lange Schwünge, die darauf schließen lassen, daß die Nerven nicht in Ordnung sind. Wie es scheint, wartet er auf Post. Ich werde ihm umgehend wieder antworten. Er hat ja wieder die alte Feldpostnummer 19655. Ich nehme an, daß er nicht sehr weit von uns liegt, vielleicht in unserem Heeresbereich, denn sein Brief ist nur 7 Tage gegangen, das ist verhältnismäßig schnell. Bevor ich auf Deine Briefe eingehe, will ich erst noch etwas zu dem beigefügten Durchschlag schreiben. Gestern habe ich nun das endgültige Schreiben an den Oberbürgermeister abgesandt.  Ich weiß nicht, welches Dir nun zugkräftiger erscheint. Das letzte Schreiben ist also unter Mithilfe eines Juristen abgefaßt worden. Das Grundlegende ist jedenfalls noch klar ersichtlich, was ich zuerst aufgesetzt hatte. Auf meinen Wunsch hin hat mein Chef nun auch noch ein Schreiben an den Oberbürgermeister gerichtet, das er nach meiner Auffassung unter Berücksichtigung der Kürze der Zeit, die ich bei dieser Dienststelle bin, sehr nett geschrieben hat. Wenn das nicht hilft, dann wird nach meiner Ansicht kaum etwas anderes helfen. Ich bin gespannt, hinter was sich die Stadt zu verstecken versucht. Ich werde mich bei einer Ablehnung aber noch nicht zufrieden geben. Ich hoffe, auch dann noch Argumente zu finden. Ich will aber erst abwarten. Ich werde Dich jedoch immer auf dem Laufenden halten.  Zusammenfassend kann ich zu Deinen letzten Briefen sagen, daß Ihr die Tage des Besuches von Erna noch schön als Urlaubstage genutzt habt und daß Ihr auch ein paar Tage der Erholung gegönnt habt. DAß ich darum nun denke, Ihr seid vergnügungssüchtig, ist mir noch nicht in den Sinn gekommen. Dies habe ich dir in meinen verschiedenen Schreiben verschiedentlich zum Ausdruck gebracht. Im Gegenteil habe ich festgestellt, daß ich froh bin, daß Ihr auf diese Weise wieder einmal etwas herausgekommen seid. Daß ich das nicht so kann und mitmachen kann, ist ja nicht Dein Verschulden, daß ich nicht mit dabei sein kann. Früher, als wir das wirtschaftlich nicht machen konnten, hätte ich vielleicht Bedenken geäußert. Ich weiß aber ebenso, daß Du es dann von Dir auch nicht unternommen hättest, Ausflüge zu unternehmen, die Dich in Schulden bringen würden. Bei der heutigen Lage ist das ja ganz anders und ohne weiteres vertretbar. Gefreut hat mich besonders, daß Ihr Euch so gut vertragen habt, und daß Ihr auch öfter Anlaß zum lachen hattet. Daß sich Erna so gut eingefügt hat und Dir auch sonst behilflich war, ist doch ein Zeichen dafür, daß sie verträglich ist. Wenn Dein Vater anderer Meinung ist und auf verschiedene Fehler glaubte hinweisen zu müssen, dann ist mir das doch ein schlagender Gegenbeweis. Du hast jedenfalls Gelegenheit gehabt, sie während dieser Tage etwas genauer kennen zu lernen, und wie ich lese, hast Du bedauert, daß sie schon wieder weggefahren ist.  Ich glaube auch, soviel Menschenkenntnis zu besitzen, daß ich merke, web ich vor mir habe. Ich bin ja auch im allgemeinen auch nicht derjenige, der gleich mit dem ersten Menschen Freundschaft schließe. Wie Du aber aus meinen Eindrücken aus Leipzig gelesen hast, war ich für meinen Teil zufrieden mit ihr. Klar ist, daß wir alle unsere guten und unsere schlechten Eigenschaften haben.  Wichtig bei dieser Unterscheidung ist nur, was überwiegt. Auf Deine Briefe gehe ich im einzelnen noch ein. Heute, zum Samstag Nachmittag, will ich versuchen, in das Theater zu gehen. Es wird „Der Zigeunerbaron“ gespielt. Darüber werde ich Dir dann auch noch schreiben.  Herzliche Grüße und viele Küsse sende ich Dir un den Kindern. Dein Ernst.


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