Donnerstag, 7. September 2017

Brief 313 vom 30./31.8.1942


Mein liebster Schatz !                                            30.8.42         

Sonntag ist heute wieder. Wie es scheint, sollen wir heute am Nachmittag einmal frei machen. Gestern Nachmittag war ich, wie ich Dir schon kurz andeutete, im Theater. Es wurde „Der Zigeunerbaron“ gespielt. Die Darsteller waren alles Ukrainer. Die Sprache ist aber kein großes Hindernis, denn mit der kurzen Inhaltsangabe und mit dem Spiel kommt man so einigermaßen mit. Dann habe ich schon so viele Vorstellungen in anderer Sprache gesehen, ich denke nur den das französische Kino, daß hat man schon bald von Erfahrungen und Gewohnheit sprechen kann. Das Orchester ist sehr gut und die Musik ist gut wiedergegeben. Die eine Mark hat sich gelohnt. Auch die Ausstattung war ganz ordentlich wie auch die Künstler in gesanglicher Hinsicht, mit Unterschied zwar, gut waren. Das Ballett hat mir ausnehmend gut gefallen. Vom Theater selbst war ich immerhin etwas überrascht, denn es machte einen sauberen Eindruck. Wenn auch Hammer und Sichel als Emblem der früheren roten Machthaber immer noch an die vergangene Zeit erinnern. Der Besuch ist auffallend gut. Wenn man bedenkt, daß das hier ein ständiges Theater ist, da es sich hier um eine moderne Stadt handelt, muß man sagen, daß in Bezug auf Unterhaltung offenbar gesorgt wurde. Außer dem Theater sind vor allem noch mehrere Kinos und noch einige Theater vorhanden. Es ist alles im Galoppziel aufgebaut worden, aber sieht bis jetzt noch ganz ordentlich aus.  Ein interessanter Vorfall, der mir hier bekannt wurde. In einem unserer Abschnitte griff der Russe mit Panzern an. Er brachte aber zur Abwehr deutscher Angriffe Geschütze mit. Wie der Vorgang sich im einzelnen abgespielt hat, habe ich nicht so genau erfahren doch möchte man hoffen und wünschen, daß es symptomatische sein sollte für die ganze Stimmung der Gegner. Der Geschützführer hat auf einmal sein Geschütz gewendet und auf die eigenen Leute geschossen. Bei diesem Manöver hat er zwei seiner eigenen Panzer erledigt. Das ist doch allerhand. Der Mann muß es ziemlich satt gehabt haben, mit diesen Leuten weiter zu kämpfen.  Wie es mir scheint, ist das Päckchen Nr. 17 verloren gegangen. Ich habe mir nicht notiert, was ich immer abgesandt habe. Du kannst es ja besser kontrollieren anhand meiner Briefe wie ich. In Zukunft werde ich mir aber jedes mal das hier auch noch notieren. Es wäre schade, wenn es geklaut werden würde, aber was hilft das Jammern, man bekommt es dadurch doch nicht wieder her. Daß Dir die vielen Tage hintereinander des Reisens so anstrengend waren, kann ich verstehen, denn Du bist das ja nicht mehr gewohnt. Wie ich aber lese, hast Du Dich trotzdem gefreut, Dich etwas ablenken zu können. eines fällt mir auf, daß die Urlaubstage vom Eisessen durchzogen sind. Ihr müßt Euch ja den Bauch verkühlt haben. Ich bitte, dies keinesfalls als Kritik aufzufassen. Im übrigen ist ja der Laden schon zugemacht worden.  Warum, verstehe ich zwar nicht, wahrscheinlich glaubte eine höhere Instanz, die Abkühlung  der Bäuche nicht verantworten zu können. DAß Ihr nicht auf den Haldenhof gegangen seid, scheint etwas egoistisch, aber es ist mir verständlich. Es ist ja nur noch einer, der mit uns auf den Haldenhof muß, und das ist Kurt.  Ich habe immer noch den Zeitungsausschnitt hier, den Du mir einmal gesandt hast. Ich wollte ihn schon immer Kurt zusenden.  Ich glaube, daß es jetzt der gegebene Zeitpunkt ist, um auch ihm diesen schönen Flecken Erde wieder einmal näher zu rücken. Für die schöne Karte von Bregenz danke ich Dir. DAß die Bahnfahrt ein Erlebnis war, weiß ich aus eigener ERfahrung. Es ist ja so einzig schön auch dort oben auf dem Pfänder. ERst der weite Blick über den See. Im Vordergrund rechts liegt Lindau, zu Füßen des Berges Bregenz, dann links im Hintergrund Rorschach. Läßt man dann den Blick weitergleiten, dann hat man die Rheinmündung vor sich und man kann dann den Rhein weiter aufwärts verfolgen bis ins Lichtensteinische hinauf. Vom Schweizer Hochgebirge grüßt der Säntis herüber, wenn das Wetter einigermaßen klar ist. Die hohen Bergketten dehnen sich dann davon rechts und links weiter aus. Bis zum Berner Oberland und wenn man dann auf die andere Seite des Pfänders geht, dann hat man die Allgäuer Alpen vor sich, die mit ihren Höhnzügen und vielen gipfeln ein schönes Bild für das Auge ist. Weißt Du noch, wo wir das erste Mal übe den  Vorberg hinaufgestiegen sind. Was war das in der Gluthitze für eine Qual, vor allem, weil Du die Geschichte mit Deinem Knie bekamst.  Dann vor allem der Abstieg. Wie waren wir froh, als wir wieder unten waren. Dann hatten wir uns diese Backwaren besorgt, und später wieder auf das Schiff gewartet. Das letzte Mal war ich am Pfänder und in Bregenz, als ich von meinem Besuch in Lindenberg kam und in den letzten Spätherbsttagen dort oben war. Auch diese Tage sind mir unvergeßlich in der Erinnerung haften geblieben.  Wir hatte und dort vorgenommen, den kommenden Urlaub auf einer Hütte zu verbringen. Im folgenden Frühjahr war ich mit dem Amt auf dem Betriebsausflug nochmal durch Bregenz gefahren. Es gibt wohl wenige Orte am See, mit denen gemeinsame Erinnerungen nicht verbunden sind. Mit Überlingen geht es uns ja genau so. Wie oft waren wir schon dort und wie gerne sind wir jedesmal wieder hinübergefahren. Ich sehe schon, wie Dur von „unserer Konditorei“ sprichst.  Das ist schon ein großes Pech gewesen, wenn Siegfried in Singen war und nicht hat zu Euch kommen können. Du kannst ihm ja auf alle Fälle die Telefonnummer von Webers einmal mitteilen.  Das ist doch immerhin etwas. Man weiß ja nicht, wie es der Zufall wieder einmal will.  Jörg hat ja schon eine schöne Stange Geld auf der Sparkasse. Ich muß mich wundern, wie sich das ansammelt.  Aber auch Du bist jetzt nicht ganz ohne Rückhalt. Was hat denn Helga vergleichsweise? Sie soll ja nicht ins Hintertreffen kommen.  Über Deinen Vater mußt Du Dich nicht ärgern. Wenn er nun einmal so ein Griesgram ist, der an allem herummeckern will, dann soll er sich allein austoben. DAs hat wirklich keinen Zweck, am besten ist es, man lacht dazu, und wenn es einem zu bunt wird, dann muß man ihm über den Mund fahren. Denn schließlich hat auch alles seine Grenzen.  Jörgs Ausdrücke sind ja ziemlich drastisch und mir scheint, daß sie ganz und gar seinem Wesen entsprechen.  Ich kann Dir aber sagen, daß ich auch habe darüber lachen müssen.  Man muß sich nur vorstellen, dieser kleine Scheißer im Bett, der noch nicht wußte, was er mit seinen Gliedmaßen anfangen soll. Das ist doch ein richtiger Hans Großmaul, meinst Du nicht auch. Ich weiß ja nicht, ob hinter diesem Kraftnackenwesen (?) auch etwas steckt.  Nun aber wieder Schluß für heute und recht herzliche Grüße und Küsse für Dich und die Kinder von Deinem Ernst.

Meine liebe Annie !                                          31.8.42   

Monatsende haben wir wieder einmal und Wochenanfang. Wahrscheinlich muß ich mich wieder auf das Postwarten einstellen, denn ich glaube langsam, daß ich nicht so bald direkt Nachricht von Dir erhalte, wenn die Postbeförderung von hier doch länger dauern sollte, als ich angenommen hatte, und wie mir die Kameraden erzählten. Aber immer nur die Ruhe bewahren dabei, das ist die Hauptsache.  Von gestern könnte ich Dir von meinem Spaziergang berichten, den ich am Nachmittag durch die Stadt gemacht habe.  Ich hatte also tatsächlich frei bekommen und bin etwas durch die Stadt gestiefelt. Der Gesamteindruck läßt sich etwa wie folgt zusammenfassen. Bis zu einem gewissen Zeitpunkt, der wahrscheinlich nicht allzu viele Jahre vor dem Kriege liegt, hatte die Stadt eine Entwicklung wie viele andere russischen Mittelstädte. Es ging stetig weiter. Man erkennt dies an den Bauen. Als dann die Zusammenballung der Industrie und damit der Aufbau einer Wirtschaft unter staatlicher Leitung in großem Maße notwendig wurde, da war man gezwungen, zentral das ganze Gefüge zu leiten. Diese Stadt schien dazu geschaffen zu sein. Schon früher befanden sich hier , durch die Nähe großer Industriezentren, verschiedene Stellen, die an diesen Umbau eingeschaltet wurden. Verschiedene kleine Häuser mußten den großen Verwaltungsgebäuden weichen, da sie dieser Entwicklung im Wege standen. Auf der höchsten Erhebung des Weichbildes der Stadt wurde der Rote Platz angelegt. Um ihn herum staffelten sich die Bauten der verschiedenen Truste, die nur so aus dem Boden gestampft wurden. An den zerstörten Gebäuden kann man sehen, wie schnell diese Häuser hochgetrieben wurden.  Sowie der Regen an diese Betonsäulen im Inneren des Gebäudes hinkommt, verwittert alles in unverhältnismäßig schneller Zeit.  Amerikanische Vorbilder haben dabei Pate gestanden. Sie wirken protzenhaft durch ihre Größe und ihre Maße. Neben diesen protzigen Gebäuden finden sich dann vielfach kleine Häuser, die fast dörflichen Eindruck machen. Sie wurden von der Bauflut noch verschont und würden bei nächster Gelegenheit mit weggeschwemmt worden sein. Kirchen, soweit sie vorhanden waren, wurden wohl stehen gelassen, aber sie wurden dem Verfall überlassen. Doch darüber werde ich einmal später schreiben. Als Parallele dazu gehört nun der Mensch selbst, der das Stadtbild belebt. Genau der gleiche Charakter wie seine toten Werke, die er geschaffen hat.  Männer sieht man sehr wenige, weil die der Krieg mit sich gezogen hat. Frauen in allen möglichen Aufmachungen von der ärmsten zerlumptesten Person bis zur aufgemachtesten Dame. Man wundert sich, daß sich sowas durchsetzen konnte., nachdem man bei uns gesagt hat, daß eine ziemliche Gleichmacherei nach unten hin hier vorherrschend wäre. Lippenstift und Nagellack sind nicht unbekannt, wirken zwar meist sehr lächerlich, weil den Leuten, wie auch oben zu den Bauten, eine Zeitspanne, also die Verbindung zu dem Gewachsenen fehlt. Wie sich das in späteren Jahren ausgewirkt hätte, kann man nicht beurteilen, denn dazu hat man keine Möglichkeit. Viele dieser Frauen laufen in ordentlichen Kleidern.  Die Stoffe sind wohl meist einfach, aber soweit ich das feststellen kann, modisch. Hier hat sich der Bolschewismus an die westlichen Abbilder gehalten. Manche dieser Damen hatten Hüte auf, die wirken aber nach unseren Begriffen komisch, doch wie es scheint, fühlen sie sich über die anderen hervorgehoben. Man könnte noch des weiteren darüber schreiben, ich weiß zwar nicht , in wie weit es Dich interessiert.  Ich sende Dir recht herzliche und viele Grüße und Küsse. Dein Ernst.

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