Montag, 14. August 2017

Brief 299 vom 3./4.8.1942


Mein liebstes Mädel !                                                       3.8.42  
  
Gestern war nun noch der große Tag, an dem uns die lange erwartete Post gebracht wurde. Von Dir 5 Briefe und zwar die vom 14., 18. 19. 20. und 21.7 mit dem von Helga beigefügten Brief. Außerdem kam von Siegfried und von Alfred Seifert je einer an. Über alles habe ich mich sehr gefreut. Auch über die Zeitung vom 18., die Du mir sandtest. Die anderen Briefe , die zwischen Deinem letzten vom 6. und den eben aufgeführten liegen, fehlen zwar noch, doch das liegt daran, daß die Post jetzt umgeleitet ist und nun von der anderen Stelle nach dem neuen Amt gesandt werden muß.  Nun wird wohl wieder regelmäßig damit zu rechnen sein, daß wir unsere Grüße aus der Heimat erhalten. Heute ist mir siedendheiß eingefallen, daß mein Vater ja in diesen Tagen Geburtstag hat, aber durch die Umsiedlung bin ich ganz abgelenkt worden. Das will ich aber nachher gleich nachholen.  Doch jetzt erst zu Deinen Briefen. Daß Du nicht immer gut mit Post versorgt worden bist, tut mir wohl leid, aber ich hatte, bevor wir wegfuhren, die Dienstreise gemacht und auf der Fahrt jetzt hatte ich auch wenig Gelegenheit. Ich glaube aber, daß es jetzt wieder besser werden wird. Ich nehme an, daß Du Verständnis für das hast, denn es ließ sich leider nicht anders machen. Die Unterlagen für meine Gesuch sind bei diesen noch nicht angekommenen Sachen dabei. Die Zeugnisse der Kinder sind auch noch unterwegs, wenn ich die Zeugnisse erhalte, werde ich ihnen für ihre Arbeit auch noch eine geldliche Belohnung senden, denn etwas anderes habe ich hier leider nicht. Daß sich mein Vorhergehender nicht mehr für die Beförderungssache einsetzen kann, ist für mich wohl bedauerlich, aber ich will sehen, wie ich diese Geschichte dann hinbiege.  Erschrecke nicht, aber über Mittag hatte ich mein Schreiben eingestellt und beim Mittagessen erreichte mich der Befehl, daß ich mit sofortiger Wirkung versetzt worden bin. Wo es genau hingeht, weiß ich nicht, aber vorerst einmal 700 km südlich nach Poltawa bei Charkow. Es kann sein, daß es dann nach Stalino weitergeht, doch das werde ich wohl dort erst erfahren. Obwohl es hier bestimmt nicht schön ist, so muß ich wieder sagen, daß ich ungern von meinen Kameraden weggehe. Ich habe die ganze Zeit nicht viel über meinen Kamerad geschrieben, wie ich mich so mit ihm stehe.  Ich hatte das eigentlich mit Absicht unterlassen. Jetzt, da ich mich von ihm trennen muß, kann ich nur feststellen, daß wir, zwar zwei ganz verschiedene Charakter, uns sehr gut verstanden haben.  Ich glaube, daß ich auch dort Kameraden treffen werde, da ich im allgemeinen verträglich bin und wenige Menschen kenne, mit denen ich in einem schlechten Verhältnis gestanden habe. Bis ich dann wieder Post von Dir bekomme, wird wohl eine Zeit dauern. Aber persönliche Wünsche muß man nun einmal während des Krieges zurückstellen. Ich bedauere einesteils, wie ich schon schrieb, daß ich hier wegkomme. Wenn es aber so ist, daß ich vielleicht zu meinem früheren Chef komme, der ja dort in diese Richtung gekommen ist, dann wäre das schon erträglicher. Das Schreiben habe ich nun gelesen, danach erscheint es mir wahrscheinlich, daß das unser Oberrat gemacht hat. Die Dienststelle heißt Heeresgruppenkommando B. Zum Briefe beantworten habe ich nun keine große Lust. Man wird direkt wieder hinausgeschleudert und muß sich mit den neuen Verhältnissen abfinden. Ich glaube, im Laufe, also bis Ende der Woche, noch abzufahren. Morgen werde ich Dir mehr schreiben.  Herzliche Grüße und viele Küsse sende ich Dir und den Kindern und bin immer Dein Ernst.

Meine liebe, gute Annie !                                                  4.8.42  
     
Mit dem Gedanken der Versetzung nun langsam vertraut geworden, muß ich mich nun die wenigen Tage, die ich noch hier bin, mit der Abwicklung beschäftigen. Vor allem muß ich wieder schreiben an alle die, mit denen ich im Briefwechsel stehe, daß ich wieder versetzt worden bin. Aufgrund dieses Briefes von Siegfried habe ich auch wieder erfahren, wie die Dinge in Leip zig liegen.  Daraufhin habe ich heute an Deinen Vater geschrieben.  Durchschlag liegt bei. Ich habe es so wie du gehalten und bin nicht weiter auf die internen Dinge eingegangen. Dann habe ich Dir noch eine Abschrift des Versetzungszeugnisses beigefügt. Das kannst du dann wieder zu den übrigen Papieren legen. Wie ich schon mitteilte, wird es wohl noch weiter gehen. Ich hörte von einem Kameraden, wie ich dies Dir gestern schon mitteilte, daß es wahrscheinlich erst nach Stalino gehen wird, das wäre nochmals so weit wie von hier nach unserer letzten Dienststätte. Die Entfernungen sind hier eben viel gewaltiger, wie in unserem übrigen engen Europa. Als ich gestern meinem Kriegsverwaltungsrat das Versetzungsschreiben vorlegte, war seine erste Frage, ob ich etwas mit dem früheren Oberrat ausgemacht hätte und ob ich etwas gewußt hätte. Ich habe dies verneint. Er meinte, daß ihn dies sehr stark befremden würde, wenn das der frühere Chef gemacht haben würde. Wenn ich mit ihm zusammentreffen würde so soll ich ihm das mitteilen. Ich werde dies aber unterlassen. Ich kann Dir nur sagen, daß dieser Mann hier sehr erbost ist, daß ich ihm jetzt weggeholt werde. Er muß sich aber damit abfinden, denn hier liegt ein höherer Befehl wor. Ich lasse den Dingen ihren Lauf und werde dann sehen, wie sich alles dann entwickelt.  Als ich aus Deinen Briefen las, daß das Brot noch verhältnismäßig gut ankam, trotz des langen Transports, habe ich mich sehr gefreut, denn das Porto , was ich daran gehängt habe, hat sich dann wenigstens gelohnt.  Vor allem, wo Ihr es noch so habt essen können. Offenbar hat es den anderen Kindern auch geschmeckt. Aus Deinen Briefen mußte ich leider ersehen, daß das Wetter nicht sehr schön war, aber Deinem Garten hat es nach den Berichten keinen Schaden weiter bereitet.  Eine weitere Freude war es mir, zu lesen, daß der Apfelbaum so voll hängt. Ich wünschte nur, daß Ihr genügend Äpfel bekommt.  Wenn sie dann größer werden, kannst Du ja wieder Apfelringe machen von denen, die herunterfallen. Solange das Wetter das ermöglicht, geht es ja gut. Für Euch ist das dann wieder für den Winter eine willkommene Hilfe. Mit der Beerenernte kannst du ja wieder zufrieden sein. Bei den grünen Bohnen wäre ich auch gern dabei. Wir haben hier ja nur das Trockengemüse, was uns dann als Eintopf gemacht wird. Man kann es essen, das ist ja wesentlich.  Daß Dein Vater über Deinen letzten Brief sehr erregt war, ist ja seine Sache. Wir waren ja auch schon wiederholt erregt und er hat sich nicht darum gekümmert. Wir lassen ihn jetzt einmal machen.  Im Unklaren ist er sich ja nicht, was wir zu allem denken. So wie mir Siegfried schrieb, sei er mit sich selbst nicht zufrieden. Es hatte auch den Anschein, als würde es ihm langsam dämmern, was er sich da aufgeladen hat. Er soll machen, was er will. Es kann ja sein, daß er selbst noch einmal zur Einsicht kommt, es wird zwar dann schon zu spät sein.  Daß sich die Kinder die Wochenschau ansehen, ist kein schade für sie. Wir haben hier wenig Aussicht, so etwas zu sehen. Es ist ja möglich, daß ich in der neuen Dienststelle dazu eher Gelegenheit habe. Das Geld ist ja nicht viel, was was immer kostet. Im übrigen ist es belehrend. Daß ihnen das Missgeschick passiert, daß sie aneinander vorbeigelaufen sind, das ist wohl nicht gerade erfreulich. Ich kann mir Jörg gut vorstellen, wie er zornschnaubend nach haus gekommen ist. Helgas Gesicht im Kino, als Jörg nicht da war und er lange nicht kam, aber auch.  Na es ist dann doch noch gut ausgegangen. Daß Kurt dauernd meine Adresse verlegt, ist schon langsam verhängnisvoll. Wenn er sie jetzt hat, habe ich wieder eine neue Adresse. Ich dachte, Du würdest mir einmal seine Anschrift mitteilen, damit ich ihm wieder meine neue Anschrift mitteilen kann. Das kannst Du dann aber übernehmen. Daß er wieder bei seiner alten Kompanie ist, hatte ich mir gedacht. Daß man mit ihm aber nicht mehr so umspringen kann, wie mit einem Rekruten, ist ja verständlich, ganz abgesehen davon, daß er das Verwundetenabzeichen trägt. Wenn ich aus dem Ausland und sogar aus Rußland komme, dann lasse ich mir aber auch nicht mehr viel vormachen.  Da wird sich Helga über die Kette von Deinem Vater gefreut haben, denn für solche Sachen ist sie ja sehr empfänglich. Sie hat ihm ja auch dafür einen schönen Dankesbrief geschrieben. Daß sie aber auch ihren Stolz hat, geht schon daraus hervor, daß sie sich nichts schenken lassen will. Unser Junge ist da etwas herziger und er versteht sich auf sowas schon eher. Er läßt sich darum auch von niemand angreifen, wenn ihm da jemand einmal Vorhaltungen machen wollte. Das neue, oder vielmehr geänderte Kleid wird unserem Mädel gefallen haben. Sie sieht sich ja gern in neuen Sachen.  Dieses Vorrecht steht ihr als Mädel auch ohne weiteres zu. Den Stoff zu diesem Kleid hattest Du als erstes nach überstandener Krisekaufen können. Ich gab Dir das Geld zum Geburtstag dazu. Es sind schon verschiedene Jahre darüber hingegangen. Aber man erinnert sich noch daran. Ich kann mir gut vorstellen, wie unsere Beiden sich immer wieder herumkampeln. Jörg fängt meist mit knuffen und schieben an und dann fängt das Gekichere dazu an, bis es dann ausartet. Daß sie dabei auf nichts Obacht geben, ist mir verständlich. Mit dem Kampeln kennt sich aber unser Stromer aus. Ich sehe ihn, wie er mit Gebermiene von seinen Äpfeln abgibt oder wie er sie vertauscht. Es ist doch etwas wert, wenn man so einen Apfelbaum hat, den man mit überwacht und von dessen Beständen ab und zu etwas herunterfällt. Daß ihm das grüne Zeug schmeckt, ist mir erklärlich. Wir haben das früher auch so gemacht. Aber mit der Zeit merkt man, daß sie besser schmecken, wenn sie reifer werden. Es freut mich, daß er Dir immer schon mithilft, wenn Du im Garten zu tun hast. Denn sie wollen beide auch mit essen. So groß sind sie schon, daß sie da mitmachen können. Unser Junge hat heute seinen 8. Geburtstag. Ich bin schon seit heute morgen in Gedanken bei Euch. Wenn man auch jetzt nicht viel machen kann, aber ich weiß, daß Du ihm diesen Tag gestaltet haben wirst. In diesen Tagen werde ich auch an Helga noch schreiben. Den Brief kannst Du ihr dann aufheben, wenn er früher ankommen sollte.  Deinen Geburtstagsbrief werde ich auf der Rückseite besonders kennzeichnen, damit Du ihn Dir aufheben kannst, wenn Du willst.  Ich weiß ja nicht, wann ich wieder zum Schreiben komme. Darum muß ich mich einrichten.  Ich denke, daß ich soweit alles beantwortet habe. Ich grüße Dich und die Kinder und sende Dir recht viele Küsse. Dein Ernst.

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