Mein
liebes Mädel ! 7.8.42
Vielmals
danke ich Dir für Deine beiden Briefe vom 23. und 24.7. Ich muß feststellen, daß die Post im
Verhältnis doch ziemlich schnell geht. Ich bedauere nur, daß die Post nicht
durchkommt, die noch umgeleitet worden ist. Es fehlt dann immer das
Zwischenstück. Wie das mit unserer Fahrerei war, hast du ja so ungefähr aus
meinen Briefen gelesen. Daß das anfänglich erst ganz nett war, weil einem alles
neu erschien, hatte ich Dir mitgeteilt. Als aber die unangenehmen Seiten dieser
Fahrt sich mehr und mehr bemerkbar machten, hatte auch dies seinen Reiz
verloren. Von Kursk, der sogenannten Großstadt, hatte ich nur den denkbar
schlechtesten Eindruck, den ich jemals von einer Stadt gewinnen konnte. Viele
kleine Negerhütten. Davon wieder viele zerstört. Von den viele Luftangriffen, die dort immer noch erfolgen, fast
alle Fensterscheiben zerstört. Die meisten Häuser in Unordnung und verdreckt.
Einige Militär und Parteibauten stehen protzenhaft zwischen diesem Wirrwarr.
Ich habe selten so etwas Uneinheitliches gesehen wir diese Stadt. Als wir die
zielanzeigenden und abfallenden Straßen dieser Stadt mit unseren
schwerbepackten Lastwagen durchfuhren, ist es mir doch etwas schwummrig
geworden, denn ich hatte, trotz der vielen Hindernisse, die wir mit unserem
alten Wagen überwunden hatten, doch einige Bedenken. Geschafft haben wir es
doch, wenn auch unser Fahrer drei andere LKW gerammt hatte, weil er der Ansicht
war, in der Stadt muß er einfach andere Kolonnen überholen, wenn die langsamer
fahren als er. Die Soldaten haben ihn dann eines anderen belehrt und haben ihm
dann noch eine runtergehauen. Das war sehr heilsam für ihn, denn dann fuhr er
bedeutend besser und hat mir weniger Ärger gemacht wie vorher. Jetzt fahre ich
dann ja die ganze Strecke in der gleichen Weise nur mit der Bahn. Günstig war
nur, daß wir gutes Wetter haben, denn der eine Tag Regen hätte uns für längere
Zeit festgehalten, weil dann die Straßen gesperrt werden. Es wird dadurch
vielmehr zerstört, als was durch das Weiterfahren gutgemacht wird. Daß meine
Vorschläge für die kleinen Ausreisen während des Besuchs von Erna mit Deinen
Planungen übereinstimmen, freut mich.
Aus diesen kleinen Sachen sieht man doch immer wieder, wie wir mit
unseren Meinungen noch harmonieren, obwohl wir schon so lange Zeit voneinander
getrennt sind. Daß Du so eine gewisse Selbständigkeit erlangt hast, hat mich,
wie ich Dir seinerzeit schrieb, wohl gewundert, doch auch eine Freude darüber
konnte ich nicht verhehlen. Mache nur das so, wie Du es für richtig findest.
Ich bin Dir gewiß nicht böse darum. Es freut mich auch immer wieder, wenn ich
lese, daß Du ab und zu einen Film besuchst. Du brauchst in dieser Zeit immer
einmal wieder Abwechslung, solange sich die Möglichkeit dazu bietet. Die
Zeitung „Das Reich“ erhielt ich gestern auch noch und von der SA auch eine
Zeitschrift. Daß sich Jörg auf seinen Geburtstag freute, kann ich mir
vorstellen. Aber mit Helga wird es genau so sein. Daß Du Dir den Daumen
einklemmst, war aber nicht notwendig. Daß zwei Päckchen mit Brot so gelitten
haben, tut mir sehr leid. Aber bei den Lagerverhältnissen, die teilweise
herrschen, muß man damit rechnen. Wenn Ihr von dem vorher Gesandten wenigstens
einen Teil habt essen können, dann will ich schon zufrieden sein. Wenn Du die Sache mit Alices Vater erwähnst,
so kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, als würde Alice dort noch etwas
wittern. Sie hat in dieser Beziehung so eine Ader wie Paula. Uns kann das ja
gleich sein. Sie soll in dieser Beziehung tun, was sie für recht findet.
Es
ist recht, daß Du so die Sachen etwas wegtust. Du kannst dann beruhigter
weggehen, wenn Du etwas zu besorgen hast. Wenn Du Erna etwas an Deinem
sonstigen Tageslauf teilnehmen läßt, hast Du ganz recht. Siegfried wird ihr das
auch wahrscheinlich noch einmal besonders gesagt haben. Ich glaube dies
jedenfalls aus seinem Brief herauszulesen. Du schreibst, ob wir zum Zeitpunkt
Deines Schreibens schon an unserer neuen Unterkunft sind. Bis mich nun dieser
Brief erreicht, muß ich mich schon wieder mit dem Gedanken herumtragen, wieder
auf die Reise zu gehen. Man sieht daran doch wieder, wie lange die
Postbeförderung geht. Du meinst also, daß Jörg Gefallen an meinem
Geburtstagsbrief finden wird. Das soll
mir recht sein. Gestern kam hier mit einem
Zug ein Flüchtlingstransport an. Ich habe schon viele dieser Elendszüge
gesehen. Auch auf der Landstraße waren diese eher noch trauriger. Aber gestern war ich einmal eine ganze Zeit
so nahe dabei. Es ist ja unbeschreiblich, wie groß das elend sein kann. Ich
mache mir Vorstellung, wie wären diese Horden vielleicht mit uns umgegangen.
Hätten sie vielleicht noch so viel Menschlichkeit besessen und wären so mit uns
umgegangen, wie wir es trotzdem noch tun.
Wir können ihnen zwar nichts zu essen geben, aber wir bemühen uns, ihnen
soweit als möglich anständig entgegenzukommen. Packt man sie dagegen zu weich
an, dann werden sie unverschämt und frech. Bedauern muß ich nur die Kinder und
die kleinen Kinder. Kaum waren sie aus
dem Zug heraus, dann fing schon das Organisieren an. Ein Teil hat sich gleich
in die Umgegend verkrümelt. Die konnten nur durch abgegebene Schreckschüsse und
dann persönlich zurückgehalten werden. Teilweise hatten sie sich schon über die
Felder hergemacht, die aber auch fast nicht enthielten, weil im Frühjahr von
den Bolschewisten hier nicht weitergemacht worden ist. Die ganze Nacht hat sich
die ganze Horde auf freiem Feld aufgehalten. Doch schon gegen Morgen sind sie
unruhig geworden und haben wieder an den umliegenden Hütten abgebrochen, daß
man schon damit rechnen mußte, daß einem das eigene Haus über dem Kopf
abgebrochen wird. Mit Zufriedenheit hat es mich erfüllt, daß dies bis jetzt
immer von Euch abgehalten werden konnte, denn wenn ich mir vorstellen müßte,
daß Ihr so von einem Ort zum anderen geschoben werdet, so wäre ich in großer
Sorge. Ganz abgesehen davon, habt Ihr immer noch soviel zu essen, daß es Euch
gerade reicht. Flüchtlingselend ist ein großes Elend, das habe ich hier wieder
einmal feststellen müssen. Hier sieht das nun noch besonders kraß aus, bei
diesen verlumpten Menschen. Vor mir
habe ich heute nichts weiter zu berichten. Ich hoffe Euch alle gesund. Herzliche und viele Grüße sendet Euch verbunden
mit vielen Küssen Dein Ernst.
An
Alfred habe ich gestern noch geschrieben. Ein Brief liegt heute mit bei.
Mein
liebes Mädel ! 8.8.42
Schon
wieder habe ich Post erhalten. Gestern erhielt ich Deinen Brief vom 13.7. Das
ist der Anfang der umgeleiteten Post. Dann erhielt ich noch eine Flut
Zeitungen. Ich fühlte mich anfänglich überschwemmt. Ich glaube aber, daß ich
mich aber bald durchgelesen haben werde. Aber dann bekam ich noch einen Brief,
den ich schon lange nicht mehr erwartet hatte. Gleich Anfang Mai hatte ich an
den Hugo Michel in Nixdorf geschrieben, von dem ich gestern ebenfalls eine
Antwort erhielt. Ich hatte mic ebenfalls sehr darüber gefreut. So wie Dein
Vater gesagt hatte, daß dieser Mann bis werweißwieweit alles beieinander hätte,
scheint mit nach dem Schreiben, was ich bekommen habe, nicht zu stimmen. Der
Mann schreibt mir von einem Stammbaum, während ich mehr Wert auf die Sippen
lege. Aber mir soll das ja gleich sein. Ich lasse Dir demnächst diesen Brief
mit zugehen, vielleicht kannst Du mir außerdem gesandten Auszug einmal noch
diese Zusammenstellung, wie sie seinerzeit Dein Onkle Kurt erhielt, kurz wieder
geben. Anhand dieser Unterlagen könnte
ich mich dann eher mit diesem Mann unterhalten. Über Deinen Brief habe ich mich wieder gefreut. Die Dinge, die Du
über Helga und die Schule geschrieben hast, haben mich sehr interessiert. Ich
sehe daraus, wie sie sich hält und wie sie mitmacht. Was nun vorteilhafter ist,
sie in die Höhere oder in die Hauptschule zu schicken, wird sich herausstellen.
Wenn das Lehrziel das gleiche ist, dann braucht man keine Höhere Schule mehr.
Was die Kinder einmal machen werden, wenn sie soweit sind, kann man jetzt noch
nicht ahnen. Ich sage mir aber, wenn sie es geistig verarbeiten können, bringen
sie doch ein ziemliches Rüstzeug für ihr späteres Leben mit. Ich kann wiederum
verstehen, daß es möglich ist, daß Schüler in der Höheren Schule angenommen
werden, die die Hauptschule ablehnt. Ich denke, daß es gut sein wird, wenn Du
Dir die Mühe nimmst und einmal mit dem neuen Lehrer sprichst, wenn sie in die
andere Klasse kommt. Daß Resi immer solche Räubergeschichten auftischt, ist ja
schon von früher her bekannt. hast Du sie einmal wieder getroffen. Ich hatte
mich schon gewundert, als Du an Kurt schriebst, daß Fritz bei den Granatwerfern
sei. Das Zeug ist ja für das Männchen viel zu schwer. Es ist schon besser, wenn
sie ihn dann als Melder verwenden Daß Gerhard bei den Kämpfen am Don dabei war,
hat mich ebenfalls interessiert. Es kann ja einmal sein, daß man ihn trifft,
wenn man dort hinunterkommt. DAß er das Bedürfnis nach Wasser hat, ist mir
vollkommen verständlich, denn auch bei uns ist dies hier ein Artikel, der sehr
eingeteilt werden muß. Wenn Kurts Einheit im Raum von Moskau eingesetzt war,
dann kann es sein, daß sie sich auch noch weiterhin im Mittelabschnitt
befindet. Da wird wohl weniger die Möglichkeit bestehen, ihn einmal zu
treffen. Heute will ich Dir noch ein
nettes Ereignis schildern, was sich so bei uns im Laufe der Zeit zugetragen
hat, vor allem gestern. Als wir unsere
neue Bude bezogen, sagte unser dritter Genosse, der Ofen, der sich bei uns in
der Behausung befindet, muß instandgesetzt werden, damit man sich auch einmal
abends etwas zu essen zurecht machen könnte. Einen Ofensetzer haben wir nun vor
einigen Tagen gefunden. Den haben wir gleich angestellt, damit das Ding in
Ordnung kommt. Der Mann hat sich nun schlecht und recht die Mühe gegeben und
hat ihn wieder zusammengebaut. Dreck gibt es ja hier überall. Als der Mann
soweit war, hatte er noch einige Steine übrig, aber ich dachte mir, das schadet
nichts, dann wird er besser stehen. Ja Kuchen. Der Mann sagte, man muß erst
einen Stein herausnehmen, ehe man ihn anheizt, damit der Luftzug richtig geht.
Gestern Mittag fängt nun unser Kamerad an zu erzählen, wir könnten eigentlich
uns Kartoffeln besorgen und rohe Plätz machen. Ich wollte nicht dümmer
erscheinen, wie ich schon bin und sagte nichts dazu. Bald fing er davon wieder
an und sagte, daß man da ein paar Eier darüber schlagen würde, dann schmecken
sie besser. Ich wollte ihn nicht vor den Kopf stoßen und antwortete nur mit ja.
Mit der Zeit setzte er nun auseinander, was man alles dazu gebrauchen würde,
bis die rohen Plätze richtig sind. Ich ließ ihn ruhig gewähren, wußte aber
immer noch nicht, was er eigentlich mit diesen Dingern meinte. Obwohl er aus
Thüringen stammt, konnte ich mir nicht erklären, was er wollte. Als er dann erzählte, daß er ein Reibeisen
braucht und die Kartoffeln reiben würde und das Ganze dann braten, dann ging
mir langsam ein Licht auf. Bei uns sagt man dazu rohe Kartoffelpuffer. So klein
ist Deutschland an Ausdehnung, aber sprachlich gehen die Menschen oft
aneinander vorbei. Ich erhielt den Auftrag für das Feuer zu sorgen. Ich ließ
mich nochmals in die Geheimnisse einweihen und fing dann an. Erst den Stein am
Ofen herausnehmen. Papier angezündet. Schön alles durchziehen lassen. Froh
darüber, daß das schon soweit geklappt hat, will ich mein Glück weiter
versuchen. Also Papier und schönes ausgetrocknetes Holz hineingelegt.
Angezündet. Ich denke, für den Anfang ist das nicht so schlimm, wenn es etwas
qualmt, der Rauch wird mit der Zeit schon seinen richtigen Abzug finden. Je
mehr ich aber feuerte, desto fester entwickelte sich der Qualm. Es war bald
nicht mehr zum Aushalten so gingen uns die Augen über. Weil nebenan noch ein
anderer Ofen war, haben wir den auch noch versucht, das allerdings war noch
verheerender. Das zweite Feuer haben wir nach diesem misslungenen Versuch bald
wieder ausgehen lassen. Inzwischen briet unser Puffer und briet. Es war eine
wahre Freude, das mit anzusehen. Doch vor Rauch war fast nicht mehr zu sehen.
Von Heizen konnte keine Rede sein. Aus ein Ausflug auf das Dach, ob der
Schornstein in Ordnung war, war von keinem Erfolg gekrönt. Der Ofen qualmte und
qualmte und der Puffer wurde nicht braun aber schön ausgetrocknet. Wir hatten
schon die Absicht, im Freien ein Feuer zu machen, damit das ganze Zeug was wir
uns zubereitet hatten, nicht kaputt geht. Denn Kartoffeln sind hier rar.
Unsereneigenen Garten, den wir vor dem Haus haben, müssen wir immer streng
bewachen, denn dort befinden sich Kartoffeln drin, die die Zivilbevölkerung
sich vor uns angepflanzt hatte. Sie
haben zwar noch geblüht, aber ernten müssen wir sie schon, denn sonst bekommen
wir nichts. Aber nun wieder zu unserem Ofen.
Denke nur nicht, daß das so weite gegangen ist. Wir haben es tatsächlich
herausgebracht, daß er nicht mehr so raucht und daß er sogar Pfannen heizte.
Wir haben das Feuer obern aus dem Loch hinausschlagen lassen, wo sonst die
Ringe darauf liegen. Haben ein paar Steine neben das Loch gelegt und haben dann
feste eingeheizt. Es qualmte zwar auch noch, aber es heizte wenigstens. Auf
diese Weise haben wir dann unsere Plätze oder besser Puffer doch noch fertig
gebracht. Die Kameraden sagten, das müßten unsere Frauen sehen, wie wir uns
hier behelfen. Sie würden womöglich die Hände über dem Kopf zusammenschlagen.
Aber eins muß man hier haben, Geduld. Heute früh kam nun unser Ofensetzer
wieder , den wir uns gleich geschnappt haben. Er meinte „karosch“, während wir
behaupteten „ne karosch“, das soll gut und nicht gut heißen. Mit dem
Feuermachen fing er das gleiche an wie ich auch. Erst Stein herausnehmen,
anmachen, oben anmachen usw. Am Ende mußten wir feststellen, daß er genau so
wenig konnte wie wir, obwohl er lachend von sich behauptete „Spezialiste“ und erklärte,
daß sich der Ofen nur erwärmen müßte, dann ginge er. Ja gequalmt hat er genau
wie bei uns auch. So geht es uns hier in Rußland. Für heute genug damit. Ich grüße und küsse Dich und die Kinder
und sende Euch allen recht herzliche Küsse. Dein Ernst.
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