Montag, 14. August 2017

Brief 301 vom 7. / 8.8.1942


Mein liebes Mädel !                                                           7.8.42   
   
Vielmals danke ich Dir für Deine beiden Briefe vom 23. und 24.7.  Ich muß feststellen, daß die Post im Verhältnis doch ziemlich schnell geht. Ich bedauere nur, daß die Post nicht durchkommt, die noch umgeleitet worden ist. Es fehlt dann immer das Zwischenstück. Wie das mit unserer Fahrerei war, hast du ja so ungefähr aus meinen Briefen gelesen. Daß das anfänglich erst ganz nett war, weil einem alles neu erschien, hatte ich Dir mitgeteilt. Als aber die unangenehmen Seiten dieser Fahrt sich mehr und mehr bemerkbar machten, hatte auch dies seinen Reiz verloren. Von Kursk, der sogenannten Großstadt, hatte ich nur den denkbar schlechtesten Eindruck, den ich jemals von einer Stadt gewinnen konnte. Viele kleine Negerhütten. Davon wieder viele zerstört.  Von den viele Luftangriffen, die dort immer noch erfolgen, fast alle Fensterscheiben zerstört. Die meisten Häuser in Unordnung und verdreckt. Einige Militär und Parteibauten stehen protzenhaft zwischen diesem Wirrwarr. Ich habe selten so etwas Uneinheitliches gesehen wir diese Stadt. Als wir die zielanzeigenden und abfallenden Straßen dieser Stadt mit unseren schwerbepackten Lastwagen durchfuhren, ist es mir doch etwas schwummrig geworden, denn ich hatte, trotz der vielen Hindernisse, die wir mit unserem alten Wagen überwunden hatten, doch einige Bedenken. Geschafft haben wir es doch, wenn auch unser Fahrer drei andere LKW gerammt hatte, weil er der Ansicht war, in der Stadt muß er einfach andere Kolonnen überholen, wenn die langsamer fahren als er. Die Soldaten haben ihn dann eines anderen belehrt und haben ihm dann noch eine runtergehauen. Das war sehr heilsam für ihn, denn dann fuhr er bedeutend besser und hat mir weniger Ärger gemacht wie vorher. Jetzt fahre ich dann ja die ganze Strecke in der gleichen Weise nur mit der Bahn. Günstig war nur, daß wir gutes Wetter haben, denn der eine Tag Regen hätte uns für längere Zeit festgehalten, weil dann die Straßen gesperrt werden. Es wird dadurch vielmehr zerstört, als was durch das Weiterfahren gutgemacht wird. Daß meine Vorschläge für die kleinen Ausreisen während des Besuchs von Erna mit Deinen Planungen übereinstimmen, freut mich.  Aus diesen kleinen Sachen sieht man doch immer wieder, wie wir mit unseren Meinungen noch harmonieren, obwohl wir schon so lange Zeit voneinander getrennt sind. Daß Du so eine gewisse Selbständigkeit erlangt hast, hat mich, wie ich Dir seinerzeit schrieb, wohl gewundert, doch auch eine Freude darüber konnte ich nicht verhehlen. Mache nur das so, wie Du es für richtig findest. Ich bin Dir gewiß nicht böse darum. Es freut mich auch immer wieder, wenn ich lese, daß Du ab und zu einen Film besuchst. Du brauchst in dieser Zeit immer einmal wieder Abwechslung, solange sich die Möglichkeit dazu bietet. Die Zeitung „Das Reich“ erhielt ich gestern auch noch und von der SA auch eine Zeitschrift. Daß sich Jörg auf seinen Geburtstag freute, kann ich mir vorstellen. Aber mit Helga wird es genau so sein. Daß Du Dir den Daumen einklemmst, war aber nicht notwendig. Daß zwei Päckchen mit Brot so gelitten haben, tut mir sehr leid. Aber bei den Lagerverhältnissen, die teilweise herrschen, muß man damit rechnen. Wenn Ihr von dem vorher Gesandten wenigstens einen Teil habt essen können, dann will ich schon zufrieden sein.  Wenn Du die Sache mit Alices Vater erwähnst, so kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, als würde Alice dort noch etwas wittern. Sie hat in dieser Beziehung so eine Ader wie Paula. Uns kann das ja gleich sein. Sie soll in dieser Beziehung tun, was sie für recht findet.
Es ist recht, daß Du so die Sachen etwas wegtust. Du kannst dann beruhigter weggehen, wenn Du etwas zu besorgen hast. Wenn Du Erna etwas an Deinem sonstigen Tageslauf teilnehmen läßt, hast Du ganz recht. Siegfried wird ihr das auch wahrscheinlich noch einmal besonders gesagt haben. Ich glaube dies jedenfalls aus seinem Brief herauszulesen. Du schreibst, ob wir zum Zeitpunkt Deines Schreibens schon an unserer neuen Unterkunft sind. Bis mich nun dieser Brief erreicht, muß ich mich schon wieder mit dem Gedanken herumtragen, wieder auf die Reise zu gehen. Man sieht daran doch wieder, wie lange die Postbeförderung geht. Du meinst also, daß Jörg Gefallen an meinem Geburtstagsbrief finden wird.  Das soll mir recht sein.  Gestern kam hier mit einem Zug ein Flüchtlingstransport an. Ich habe schon viele dieser Elendszüge gesehen. Auch auf der Landstraße waren diese eher noch trauriger.  Aber gestern war ich einmal eine ganze Zeit so nahe dabei. Es ist ja unbeschreiblich, wie groß das elend sein kann. Ich mache mir Vorstellung, wie wären diese Horden vielleicht mit uns umgegangen. Hätten sie vielleicht noch so viel Menschlichkeit besessen und wären so mit uns umgegangen, wie wir es trotzdem noch tun.  Wir können ihnen zwar nichts zu essen geben, aber wir bemühen uns, ihnen soweit als möglich anständig entgegenzukommen. Packt man sie dagegen zu weich an, dann werden sie unverschämt und frech. Bedauern muß ich nur die Kinder und die kleinen Kinder.  Kaum waren sie aus dem Zug heraus, dann fing schon das Organisieren an. Ein Teil hat sich gleich in die Umgegend verkrümelt. Die konnten nur durch abgegebene Schreckschüsse und dann persönlich zurückgehalten werden. Teilweise hatten sie sich schon über die Felder hergemacht, die aber auch fast nicht enthielten, weil im Frühjahr von den Bolschewisten hier nicht weitergemacht worden ist. Die ganze Nacht hat sich die ganze Horde auf freiem Feld aufgehalten. Doch schon gegen Morgen sind sie unruhig geworden und haben wieder an den umliegenden Hütten abgebrochen, daß man schon damit rechnen mußte, daß einem das eigene Haus über dem Kopf abgebrochen wird. Mit Zufriedenheit hat es mich erfüllt, daß dies bis jetzt immer von Euch abgehalten werden konnte, denn wenn ich mir vorstellen müßte, daß Ihr so von einem Ort zum anderen geschoben werdet, so wäre ich in großer Sorge. Ganz abgesehen davon, habt Ihr immer noch soviel zu essen, daß es Euch gerade reicht. Flüchtlingselend ist ein großes Elend, das habe ich hier wieder einmal feststellen müssen. Hier sieht das nun noch besonders kraß aus, bei diesen verlumpten Menschen.  Vor mir habe ich heute nichts weiter zu berichten. Ich hoffe Euch alle gesund.  Herzliche und viele Grüße sendet Euch verbunden mit vielen Küssen Dein Ernst.
An Alfred habe ich gestern noch geschrieben. Ein Brief liegt heute mit bei.



Mein liebes Mädel !                                                                8.8.42       

Schon wieder habe ich Post erhalten. Gestern erhielt ich Deinen Brief vom 13.7. Das ist der Anfang der umgeleiteten Post. Dann erhielt ich noch eine Flut Zeitungen. Ich fühlte mich anfänglich überschwemmt. Ich glaube aber, daß ich mich aber bald durchgelesen haben werde. Aber dann bekam ich noch einen Brief, den ich schon lange nicht mehr erwartet hatte. Gleich Anfang Mai hatte ich an den Hugo Michel in Nixdorf geschrieben, von dem ich gestern ebenfalls eine Antwort erhielt. Ich hatte mic ebenfalls sehr darüber gefreut. So wie Dein Vater gesagt hatte, daß dieser Mann bis werweißwieweit alles beieinander hätte, scheint mit nach dem Schreiben, was ich bekommen habe, nicht zu stimmen. Der Mann schreibt mir von einem Stammbaum, während ich mehr Wert auf die Sippen lege. Aber mir soll das ja gleich sein. Ich lasse Dir demnächst diesen Brief mit zugehen, vielleicht kannst Du mir außerdem gesandten Auszug einmal noch diese Zusammenstellung, wie sie seinerzeit Dein Onkle Kurt erhielt, kurz wieder geben.  Anhand dieser Unterlagen könnte ich mich dann eher mit diesem Mann unterhalten.  Über Deinen Brief habe ich mich wieder gefreut. Die Dinge, die Du über Helga und die Schule geschrieben hast, haben mich sehr interessiert. Ich sehe daraus, wie sie sich hält und wie sie mitmacht. Was nun vorteilhafter ist, sie in die Höhere oder in die Hauptschule zu schicken, wird sich herausstellen. Wenn das Lehrziel das gleiche ist, dann braucht man keine Höhere Schule mehr. Was die Kinder einmal machen werden, wenn sie soweit sind, kann man jetzt noch nicht ahnen. Ich sage mir aber, wenn sie es geistig verarbeiten können, bringen sie doch ein ziemliches Rüstzeug für ihr späteres Leben mit. Ich kann wiederum verstehen, daß es möglich ist, daß Schüler in der Höheren Schule angenommen werden, die die Hauptschule ablehnt. Ich denke, daß es gut sein wird, wenn Du Dir die Mühe nimmst und einmal mit dem neuen Lehrer sprichst, wenn sie in die andere Klasse kommt. Daß Resi immer solche Räubergeschichten auftischt, ist ja schon von früher her bekannt. hast Du sie einmal wieder getroffen. Ich hatte mich schon gewundert, als Du an Kurt schriebst, daß Fritz bei den Granatwerfern sei. Das Zeug ist ja für das Männchen viel zu schwer. Es ist schon besser, wenn sie ihn dann als Melder verwenden Daß Gerhard bei den Kämpfen am Don dabei war, hat mich ebenfalls interessiert. Es kann ja einmal sein, daß man ihn trifft, wenn man dort hinunterkommt. DAß er das Bedürfnis nach Wasser hat, ist mir vollkommen verständlich, denn auch bei uns ist dies hier ein Artikel, der sehr eingeteilt werden muß. Wenn Kurts Einheit im Raum von Moskau eingesetzt war, dann kann es sein, daß sie sich auch noch weiterhin im Mittelabschnitt befindet. Da wird wohl weniger die Möglichkeit bestehen, ihn einmal zu treffen.  Heute will ich Dir noch ein nettes Ereignis schildern, was sich so bei uns im Laufe der Zeit zugetragen hat, vor allem gestern.  Als wir unsere neue Bude bezogen, sagte unser dritter Genosse, der Ofen, der sich bei uns in der Behausung befindet, muß instandgesetzt werden, damit man sich auch einmal abends etwas zu essen zurecht machen könnte. Einen Ofensetzer haben wir nun vor einigen Tagen gefunden. Den haben wir gleich angestellt, damit das Ding in Ordnung kommt. Der Mann hat sich nun schlecht und recht die Mühe gegeben und hat ihn wieder zusammengebaut. Dreck gibt es ja hier überall. Als der Mann soweit war, hatte er noch einige Steine übrig, aber ich dachte mir, das schadet nichts, dann wird er besser stehen. Ja Kuchen. Der Mann sagte, man muß erst einen Stein herausnehmen, ehe man ihn anheizt, damit der Luftzug richtig geht. Gestern Mittag fängt nun unser Kamerad an zu erzählen, wir könnten eigentlich uns Kartoffeln besorgen und rohe Plätz machen. Ich wollte nicht dümmer erscheinen, wie ich schon bin und sagte nichts dazu. Bald fing er davon wieder an und sagte, daß man da ein paar Eier darüber schlagen würde, dann schmecken sie besser. Ich wollte ihn nicht vor den Kopf stoßen und antwortete nur mit ja. Mit der Zeit setzte er nun auseinander, was man alles dazu gebrauchen würde, bis die rohen Plätze richtig sind. Ich ließ ihn ruhig gewähren, wußte aber immer noch nicht, was er eigentlich mit diesen Dingern meinte. Obwohl er aus Thüringen stammt, konnte ich mir nicht erklären, was er wollte.  Als er dann erzählte, daß er ein Reibeisen braucht und die Kartoffeln reiben würde und das Ganze dann braten, dann ging mir langsam ein Licht auf. Bei uns sagt man dazu rohe Kartoffelpuffer. So klein ist Deutschland an Ausdehnung, aber sprachlich gehen die Menschen oft aneinander vorbei. Ich erhielt den Auftrag für das Feuer zu sorgen. Ich ließ mich nochmals in die Geheimnisse einweihen und fing dann an. Erst den Stein am Ofen herausnehmen. Papier angezündet. Schön alles durchziehen lassen. Froh darüber, daß das schon soweit geklappt hat, will ich mein Glück weiter versuchen. Also Papier und schönes ausgetrocknetes Holz hineingelegt. Angezündet. Ich denke, für den Anfang ist das nicht so schlimm, wenn es etwas qualmt, der Rauch wird mit der Zeit schon seinen richtigen Abzug finden. Je mehr ich aber feuerte, desto fester entwickelte sich der Qualm. Es war bald nicht mehr zum Aushalten so gingen uns die Augen über. Weil nebenan noch ein anderer Ofen war, haben wir den auch noch versucht, das allerdings war noch verheerender. Das zweite Feuer haben wir nach diesem misslungenen Versuch bald wieder ausgehen lassen. Inzwischen briet unser Puffer und briet. Es war eine wahre Freude, das mit anzusehen. Doch vor Rauch war fast nicht mehr zu sehen. Von Heizen konnte keine Rede sein. Aus ein Ausflug auf das Dach, ob der Schornstein in Ordnung war, war von keinem Erfolg gekrönt. Der Ofen qualmte und qualmte und der Puffer wurde nicht braun aber schön ausgetrocknet. Wir hatten schon die Absicht, im Freien ein Feuer zu machen, damit das ganze Zeug was wir uns zubereitet hatten, nicht kaputt geht. Denn Kartoffeln sind hier rar. Unsereneigenen Garten, den wir vor dem Haus haben, müssen wir immer streng bewachen, denn dort befinden sich Kartoffeln drin, die die Zivilbevölkerung sich vor uns angepflanzt hatte.  Sie haben zwar noch geblüht, aber ernten müssen wir sie schon, denn sonst bekommen wir nichts. Aber nun wieder zu unserem Ofen.  Denke nur nicht, daß das so weite gegangen ist. Wir haben es tatsächlich herausgebracht, daß er nicht mehr so raucht und daß er sogar Pfannen heizte. Wir haben das Feuer obern aus dem Loch hinausschlagen lassen, wo sonst die Ringe darauf liegen. Haben ein paar Steine neben das Loch gelegt und haben dann feste eingeheizt. Es qualmte zwar auch noch, aber es heizte wenigstens. Auf diese Weise haben wir dann unsere Plätze oder besser Puffer doch noch fertig gebracht. Die Kameraden sagten, das müßten unsere Frauen sehen, wie wir uns hier behelfen. Sie würden womöglich die Hände über dem Kopf zusammenschlagen. Aber eins muß man hier haben, Geduld. Heute früh kam nun unser Ofensetzer wieder , den wir uns gleich geschnappt haben. Er meinte „karosch“, während wir behaupteten „ne karosch“, das soll gut und nicht gut heißen. Mit dem Feuermachen fing er das gleiche an wie ich auch. Erst Stein herausnehmen, anmachen, oben anmachen usw. Am Ende mußten wir feststellen, daß er genau so wenig konnte wie wir, obwohl er lachend von sich behauptete „Spezialiste“ und erklärte, daß sich der Ofen nur erwärmen müßte, dann ginge er. Ja gequalmt hat er genau wie bei uns auch. So geht es uns hier in Rußland.  Für heute genug damit. Ich grüße und küsse Dich und die Kinder und sende Euch allen recht herzliche Küsse. Dein Ernst.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen