Montag, 14. August 2017

Brief 310 vom 24./25.8.1942


Mein liebes Mädel !                                                            24.8..42   
  
Vom gestrigen Sonntag kann ich Dir nur berichten, daß ich bis Abend im Büro gesessen habe und daß das Essen gut und reichlich war. Es hat gerade noch zu einem kurzen Spaziergang gereicht, und am Abend mußte ich im Kasino mit sitzen bleiben. Der Besuch in der Stadt hat mich einmal die imposanten Bauwerke kennen lernen lassen. Durch ihre Größewirken die Bauten ohne Zweifel; aber diese kubischen Massen wirken, wie wenn sie mit einem Märklinbaukasten hergestellt worden wären. Ein großer Teil dieses ganzen Viertels ist noch nicht fertig geworden. Die Häuser stehen noch im Rohbau da. Nur ein großer Block ist angezündet und ausgebrannt.  Ein großes Hotel, das tausend Zimmer haben soll, ist als Soldatenheim un Benutzung genommen worden. Eine Parkanlage ist auch da, in die ich aber wegen der Kürze der Zeit noch nicht hineingekommen bin. Hier steht auch das einzige mit bis jetzt bekannt gewordene Denkmal. das nicht aus der Dir schon einmal geschilderten Massenanfertigung stammt, und nicht aus Gips gegossen ist. Es verherrlicht einen Dichter, den die Bolschewisten als einen der ihren abgestempelt haben. Die Figuren sind wohl alle gut, aber die Idee dazu ist ganz und gar bolschewistisch. Ich hoffe, daß ich bei Gelegenheit wieder einmal raus komme. Das Theater soll ja gut sein, das möchte ich gern einmal kennen lernen.  Das ist ja interessant, wie über Euch verfügt wird. Ich habe durchaus nichts dagegen, wenn Du mithilfst. Ich wüßte nur gern, ob die Herrschaften aus der Seestraße und dieser ganzen Gegend auch mithelfen müssen, oder ob sie sich  durch ihre Dienstmädchen vertreten lassen. Daß es immer nur so einseitig zugeht, läßt sich auch in diesem Kriege nicht aus dem Volk herausbringen. Wie lange geht denn dieser Spaß. Daß Du für Jörg noch eine Hose gekauft hast, wird sicher nötig gewesen sein. Seinen Geburtstag habt Ihr wieder sehr festlich begangen. Da wäre ich auch gern dabei gewesen. Du weißt ja, wie gern ich solche Fahrten unternehme. Ich glaube, daß dies das erste Mal für die Kinder war, daß sie auf dem Hohentwiel waren. Verschiedene Male sind wir wohl mit ihnen durchgefahren, aber hinaufgekommen sind wir nicht.  Dann hieß es ja einmal, daß er gesperrt sei, weil Flak darauf sei. Daher ist es gekommen, daß wir auch wieder auf den Haldenhof gegangen sind. Man müßte einmal Zeit haben, um etwas fahren zu können. Aber was nutzen die Wünsche, wenn man keine Gelegenheit hat, sie zu erfüllen. Wenn Du so einen guten Einfluß auf Erna im Briefeschreiben ausgeübt hast, dann wird Siegfried wohl kaum böse gewesen sein. Mit vielen Eisessen müßt Ihr Euch ja bald den Bauch erkältet haben. Ich gönne es Euch , denn das ist doch ein kleines Vergnügen, das Ihr Euch da leistet. Als ich von Deiner Tomanten und Gurkenernte las, da mußte ich an unsere Versorgung mit diesen edlen Erzeugnissen der gärtnerischen Kultur denken. Meine ersten Tomaten bekam ich in Mirgorod, als ich dort einen Besuch abstattete. Gurken gibt es hier ja in rauen Mengen, genauso wie verschiedene Artikel. Die gehören gewissermaßen, wie die Sonnenblumenkerne zum Volksernährungsmittel. Hier sind uns jetzt auch welche besorgt worden. Ich esse jetzt jeden Morgen welche mit meinen Eiern zum Frühstück. Der Besorger hat sich ein entsprechendes Quantum Gurken und Kürbisse mitgenommen in der guten Absicht, uns etwas zu beschaffen. Das war natürlich des Guten zuviel. Denn außer mit den Tomaten kann man mit dem anderen Zeug nichts anfangen. Ich entsinne mich auch noch meiner Kindheit, wie wir so Äpfel gefunden hatten, die noch ganz sauer waren, dann haben wir sie auch mit Begeisterung gegessen. Das ist aber gut, daß man in diesen Zeiten einen eigenen Baum hat. Wichtiger ist aber, daß etwas darauf ist. Es freut mich für Euch. Hoffentlich kannst Du sie alle abernten. Ich bin gespannt, wie Dur das zustande bringst. Daß Jörg so Aussprüche an sich hat, zeigt, daß er in das erste Flegelalter hineinkommt. Bei einem wirkt es sich so und beim anderen wieder so aus. Man sieht aber, wie er anfängt, zu überlegen. An Nannie hate ich auf ihren Brief auch mit beiliegendem Durchschlag geschrieben. Ihren Brief habe ich Dir ebenfalls mit beigefügt. Kurt tut mir tatsächlich leid, daß er seinen Urlaub nicht mehr bekommen hat. So ein Pech. Man kann auch wieder sagen, man weiß nicht, zu was es gut ist.  Recht herzliche Grüße sende ich Dir und den Kindern. Richte auch Grüße an Vater aus.  Euch sendet viele Küsse Dein Ernst.

Meine liebste Annie !                                                         25.8.42      
   
Nun möchte ich Dir noch den Rest Deiner Briefe beantworten. Du bist ja auch ein kleiner dummer Kerl. Du machst Dir Gedanken, daß wir nun einmal nicht so gut untergebracht waren, wie wir es bisher gehabt hatten. Das ist doch nicht so schlimm. Mit solchen Sachen muß man sich abfinden. Ich kann Dir nur sagen, daß ich recht froh war, daß Du einmal Ferien gemacht hast. Ich weiß, daß auch Du das wieder einmal bitter nötig hast, aus dem alltäglichen Einerlei herauszukommen. Ich hatte mich bestimmt sehr gefreut, als ich von Euren kleinen Ausflügen lesen konnte. Wenn Du allein daheim bist, bringe ich es doch trotz aller Überredungsversuche nicht fertig, Dich einmal aus dem Bau zu locken, solange ich nicht zuhause bin. Ich merke aber direkt aus Deinen Briefen, wie Du selbst Freude hast, daß der Alltag einmal unterbrochen wird.  Daß das unseren Kindern besonders gefällt, bedarf für mich keiner weiteren Frage. Ich wiederhole darum heute nochmals das, was ich Dir schon so oft vorgeschlagen habe, gehe mit den Kinder hinaus, wenn es sich irgendwie einrichten läßt.  Daß in diesem Jahr im Garten alles so gut wächst, ist auch für Dich  eine Erleichterung. Mit den Äpfeln wird es gut sein, wenn Du erst später wieder Apfelmus sterilisierst. Ihr könnt Euch dann im Winter wieder damit helfen, denn der Winter ist doch so lang, wo Ihr dann nicht weiter bekommt.  Deine Schilderung über Eure verschiedenen Ausflüge hat mir sehr viel Freude gemacht. Wenn man alles so gut kennt, dann kann man sich das alles im Geiste wieder vorstellen.  Wenn Du vom Tabor schreibst, dann entsinne ich mich, wie wir zusammen das erste Mal oben waren. Das war bei unserem ersten Besuch. Dann die vielen, vielen Male allein, dann als die Kinder ganz klein waren und dann, wo sie größer wurden. Wie sie dann manchmal fragten, „gehts auf den Tabor“ und wie wir scheinbar nur daran vorbeigehen wollten und dann doch hinauf gestiegen sind. Zu jeder Jahreszeit waren wir oben. Im zeitigen Frühjahr und später.  Im Sommer und im Winter. Welchen schönen Ausblick hat man auf die Reichenau und wie schön nahmen sich die Bilder aus, die sich rechts über den Bodanrück ausdehnen. Gerade einer unserer letzten Besuche erinnert mich daran, wie wir gegen Abend noch oben standen und sich die Abendschatten über die Höhenzüge senkte. In der Ferne lagen dann im dunklen Blau die Höhen, die von Überlingen herübergrüßten. Bei sichtigem Wetter lag dann in der Ferne der ganze Hegau da. Der Hohentwiel und der Hohenstoffeln als besonders hervorragende Punkte beherrschten dann den Hintergrund.  Links schließen dann der Schienerberg und die Höhen der Schweizer Buckel bis zu dem das Blickfeld des Taborwaldes eingrenzende das gesamte Bild ab. So konnte ich in der Erinnerung viele schöne Fahrten, die wir gemeinsam unternommen haben , wieder zurückrufen. Die Fahrt über den See von der Mainau nach Meersburg oder nach Überlingen. Die Fahrt mit dem Schiff oder mit der Fähre zurück von Meersburg nach Staad oder in die Stadt. Meersburg oder Überlingen oder der schöne Landweg nach Hagnau, alles schwebt mir in der Erinnerung so deutlich und greifbar nach vor. Wie schön sind die Inseln , die Mainau und die Reichenau. Ich entsinne mich noch der verschiedenen Fahrten mit dem Rad und mit dem Boot nach der Reichenau. Allein und mit den Kindern waren wir dort. Mit und ohne Besuch. Verschiedene Male waren wir am westlichen Ende der Reichenau zum Baden gefahren. Das Gänslehorn mit seinem weiten Strand. Wie konnte man da für sich sein. Die wenigen Menschen störten fast nicht. Der Schienerberg erschien so nahe und Radolfzell grüßte mit seinem Kirchturm herüber. Unweit war die Mettnau.  Wie gern fuhren wir nach der Höri. Ich weiß noch, wir gut es den Kindern gefallen hatte, als wir bei Wangen gezeltet hatten. Alle diese schönen Stunden und die guten Erinnerungen bleiben einem unverwischbar. DAß man aber trotz der guten Kenntnisse immer wieder etwas Neues entdeckt, sagte mir Dein Schreiben über Meersburg und den Hohentwiel. Wie eng begrenzt ist doch dieser Raum, wenn ich vergleichsweise die Entfernungen von hier heranziehe.  Alles ist hier so weit und doch so eintönig. Es ist wohl so, daß das Land sehr fruchtbar ist, aber der Schönheit steht dieses Land hier dem unseren bei weitem nach. Ich habe Dir heute soviel von unserer Heimat erzählt, und Dir ist doch alles nicht so entrückt wie mir. Aber wenn ich so Deine Briefe gelesen hatte, so hat es mich geradezu gedrängt, einmal mit Dir darüber zu plaudern. Ich hoffe, daß es Dir nicht langweilig dabei geworden ist. Ich sende Dir und den Kindern recht viele herzliche Grüße und viele, viele Küsse. Dein Ernst.


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