Mein
liebes Mädel ! 24.8..42
Vom
gestrigen Sonntag kann ich Dir nur berichten, daß ich bis Abend im Büro
gesessen habe und daß das Essen gut und reichlich war. Es hat gerade noch zu
einem kurzen Spaziergang gereicht, und am Abend mußte ich im Kasino mit sitzen
bleiben. Der Besuch in der Stadt hat mich einmal die imposanten Bauwerke kennen
lernen lassen. Durch ihre Größewirken die Bauten ohne Zweifel; aber diese
kubischen Massen wirken, wie wenn sie mit einem Märklinbaukasten hergestellt
worden wären. Ein großer Teil dieses ganzen Viertels ist noch nicht fertig
geworden. Die Häuser stehen noch im Rohbau da. Nur ein großer Block ist
angezündet und ausgebrannt. Ein großes
Hotel, das tausend Zimmer haben soll, ist als Soldatenheim un Benutzung
genommen worden. Eine Parkanlage ist auch da, in die ich aber wegen der Kürze
der Zeit noch nicht hineingekommen bin. Hier steht auch das einzige mit bis
jetzt bekannt gewordene Denkmal. das nicht aus der Dir schon einmal
geschilderten Massenanfertigung stammt, und nicht aus Gips gegossen ist. Es
verherrlicht einen Dichter, den die Bolschewisten als einen der ihren
abgestempelt haben. Die Figuren sind wohl alle gut, aber die Idee dazu ist ganz
und gar bolschewistisch. Ich hoffe, daß ich bei Gelegenheit wieder einmal raus
komme. Das Theater soll ja gut sein, das möchte ich gern einmal kennen
lernen. Das ist ja interessant, wie
über Euch verfügt wird. Ich habe durchaus nichts dagegen, wenn Du mithilfst.
Ich wüßte nur gern, ob die Herrschaften aus der Seestraße und dieser ganzen
Gegend auch mithelfen müssen, oder ob sie sich
durch ihre Dienstmädchen vertreten lassen. Daß es immer nur so einseitig
zugeht, läßt sich auch in diesem Kriege nicht aus dem Volk herausbringen. Wie
lange geht denn dieser Spaß. Daß Du für Jörg noch eine Hose gekauft hast, wird
sicher nötig gewesen sein. Seinen Geburtstag habt Ihr wieder sehr festlich
begangen. Da wäre ich auch gern dabei gewesen. Du weißt ja, wie gern ich solche
Fahrten unternehme. Ich glaube, daß dies das erste Mal für die Kinder war, daß
sie auf dem Hohentwiel waren. Verschiedene Male sind wir wohl mit ihnen
durchgefahren, aber hinaufgekommen sind wir nicht. Dann hieß es ja einmal, daß er gesperrt sei, weil Flak darauf sei.
Daher ist es gekommen, daß wir auch wieder auf den Haldenhof gegangen sind. Man
müßte einmal Zeit haben, um etwas fahren zu können. Aber was nutzen die
Wünsche, wenn man keine Gelegenheit hat, sie zu erfüllen. Wenn Du so einen
guten Einfluß auf Erna im Briefeschreiben ausgeübt hast, dann wird Siegfried
wohl kaum böse gewesen sein. Mit vielen Eisessen müßt Ihr Euch ja bald den
Bauch erkältet haben. Ich gönne es Euch , denn das ist doch ein kleines
Vergnügen, das Ihr Euch da leistet. Als ich von Deiner Tomanten und Gurkenernte
las, da mußte ich an unsere Versorgung mit diesen edlen Erzeugnissen der
gärtnerischen Kultur denken. Meine ersten Tomaten bekam ich in Mirgorod, als
ich dort einen Besuch abstattete. Gurken gibt es hier ja in rauen Mengen,
genauso wie verschiedene Artikel. Die gehören gewissermaßen, wie die
Sonnenblumenkerne zum Volksernährungsmittel. Hier sind uns jetzt auch welche
besorgt worden. Ich esse jetzt jeden Morgen welche mit meinen Eiern zum
Frühstück. Der Besorger hat sich ein entsprechendes Quantum Gurken und Kürbisse
mitgenommen in der guten Absicht, uns etwas zu beschaffen. Das war natürlich
des Guten zuviel. Denn außer mit den Tomaten kann man mit dem anderen Zeug
nichts anfangen. Ich entsinne mich auch noch meiner Kindheit, wie wir so Äpfel
gefunden hatten, die noch ganz sauer waren, dann haben wir sie auch mit
Begeisterung gegessen. Das ist aber gut, daß man in diesen Zeiten einen eigenen
Baum hat. Wichtiger ist aber, daß etwas darauf ist. Es freut mich für Euch.
Hoffentlich kannst Du sie alle abernten. Ich bin gespannt, wie Dur das zustande
bringst. Daß Jörg so Aussprüche an sich hat, zeigt, daß er in das erste
Flegelalter hineinkommt. Bei einem wirkt es sich so und beim anderen wieder so
aus. Man sieht aber, wie er anfängt, zu überlegen. An Nannie hate ich auf ihren
Brief auch mit beiliegendem Durchschlag geschrieben. Ihren Brief habe ich Dir
ebenfalls mit beigefügt. Kurt tut mir tatsächlich leid, daß er seinen Urlaub
nicht mehr bekommen hat. So ein Pech. Man kann auch wieder sagen, man weiß
nicht, zu was es gut ist. Recht
herzliche Grüße sende ich Dir und den Kindern. Richte auch Grüße an Vater
aus. Euch sendet viele Küsse Dein
Ernst.
Meine
liebste Annie !
25.8.42
Nun
möchte ich Dir noch den Rest Deiner Briefe beantworten. Du bist ja auch ein
kleiner dummer Kerl. Du machst Dir Gedanken, daß wir nun einmal nicht so gut
untergebracht waren, wie wir es bisher gehabt hatten. Das ist doch nicht so
schlimm. Mit solchen Sachen muß man sich abfinden. Ich kann Dir nur sagen, daß
ich recht froh war, daß Du einmal Ferien gemacht hast. Ich weiß, daß auch Du
das wieder einmal bitter nötig hast, aus dem alltäglichen Einerlei
herauszukommen. Ich hatte mich bestimmt sehr gefreut, als ich von Euren kleinen
Ausflügen lesen konnte. Wenn Du allein daheim bist, bringe ich es doch trotz
aller Überredungsversuche nicht fertig, Dich einmal aus dem Bau zu locken,
solange ich nicht zuhause bin. Ich merke aber direkt aus Deinen Briefen, wie Du
selbst Freude hast, daß der Alltag einmal unterbrochen wird. Daß das unseren Kindern besonders gefällt,
bedarf für mich keiner weiteren Frage. Ich wiederhole darum heute nochmals das,
was ich Dir schon so oft vorgeschlagen habe, gehe mit den Kinder hinaus, wenn
es sich irgendwie einrichten läßt. Daß
in diesem Jahr im Garten alles so gut wächst, ist auch für Dich eine Erleichterung. Mit den Äpfeln wird es
gut sein, wenn Du erst später wieder Apfelmus sterilisierst. Ihr könnt Euch
dann im Winter wieder damit helfen, denn der Winter ist doch so lang, wo Ihr
dann nicht weiter bekommt. Deine
Schilderung über Eure verschiedenen Ausflüge hat mir sehr viel Freude gemacht.
Wenn man alles so gut kennt, dann kann man sich das alles im Geiste wieder
vorstellen. Wenn Du vom Tabor
schreibst, dann entsinne ich mich, wie wir zusammen das erste Mal oben waren.
Das war bei unserem ersten Besuch. Dann die vielen, vielen Male allein, dann
als die Kinder ganz klein waren und dann, wo sie größer wurden. Wie sie dann
manchmal fragten, „gehts auf den Tabor“ und wie wir scheinbar nur daran
vorbeigehen wollten und dann doch hinauf gestiegen sind. Zu jeder Jahreszeit
waren wir oben. Im zeitigen Frühjahr und später. Im Sommer und im Winter. Welchen schönen Ausblick hat man auf die
Reichenau und wie schön nahmen sich die Bilder aus, die sich rechts über den
Bodanrück ausdehnen. Gerade einer unserer letzten Besuche erinnert mich daran,
wie wir gegen Abend noch oben standen und sich die Abendschatten über die
Höhenzüge senkte. In der Ferne lagen dann im dunklen Blau die Höhen, die von
Überlingen herübergrüßten. Bei sichtigem Wetter lag dann in der Ferne der ganze
Hegau da. Der Hohentwiel und der Hohenstoffeln als besonders hervorragende
Punkte beherrschten dann den Hintergrund.
Links schließen dann der Schienerberg und die Höhen der Schweizer Buckel
bis zu dem das Blickfeld des Taborwaldes eingrenzende das gesamte Bild ab. So
konnte ich in der Erinnerung viele schöne Fahrten, die wir gemeinsam
unternommen haben , wieder zurückrufen. Die Fahrt über den See von der Mainau
nach Meersburg oder nach Überlingen. Die Fahrt mit dem Schiff oder mit der
Fähre zurück von Meersburg nach Staad oder in die Stadt. Meersburg oder
Überlingen oder der schöne Landweg nach Hagnau, alles schwebt mir in der
Erinnerung so deutlich und greifbar nach vor. Wie schön sind die Inseln , die
Mainau und die Reichenau. Ich entsinne mich noch der verschiedenen Fahrten mit
dem Rad und mit dem Boot nach der Reichenau. Allein und mit den Kindern waren
wir dort. Mit und ohne Besuch. Verschiedene Male waren wir am westlichen Ende
der Reichenau zum Baden gefahren. Das Gänslehorn mit seinem weiten Strand. Wie
konnte man da für sich sein. Die wenigen Menschen störten fast nicht. Der
Schienerberg erschien so nahe und Radolfzell grüßte mit seinem Kirchturm
herüber. Unweit war die Mettnau. Wie
gern fuhren wir nach der Höri. Ich weiß noch, wir gut es den Kindern gefallen
hatte, als wir bei Wangen gezeltet hatten. Alle diese schönen Stunden und die
guten Erinnerungen bleiben einem unverwischbar. DAß man aber trotz der guten
Kenntnisse immer wieder etwas Neues entdeckt, sagte mir Dein Schreiben über
Meersburg und den Hohentwiel. Wie eng begrenzt ist doch dieser Raum, wenn ich
vergleichsweise die Entfernungen von hier heranziehe. Alles ist hier so weit und doch so eintönig. Es ist wohl so, daß
das Land sehr fruchtbar ist, aber der Schönheit steht dieses Land hier dem
unseren bei weitem nach. Ich habe Dir heute soviel von unserer Heimat erzählt,
und Dir ist doch alles nicht so entrückt wie mir. Aber wenn ich so Deine Briefe
gelesen hatte, so hat es mich geradezu gedrängt, einmal mit Dir darüber zu
plaudern. Ich hoffe, daß es Dir nicht langweilig dabei geworden ist. Ich sende
Dir und den Kindern recht viele herzliche Grüße und viele, viele Küsse. Dein
Ernst.
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