Montag, 14. August 2017

Brief 306 vom 16./17.8.1942


Meine liebste Annie !                                                       16.8.42    
       
Heute früh hatte ich Dir geschrieben, daß ich in Metropolis angekommen bin. Die Bilder von dem großen Platz, die durch sämtliche deutsche Zeitungen gegangen sind, sind Dir wohl noch in Erinnerung. Wenige hundert Meter davon entfernt ist unsere Dienststelle und auf dem gleichen Flur unsere Unterkunft. Die Leute sind bis jetzt wirklich sehr nett und geben sich viel Mühe um mich, daß ich direkt darüber staunen muß. Ich merke aber jetzt erst wieder an allem, daß ich aus der Wildnis komme, denn wir sind auf unseren Dörfern ziemlich heruntergekommen und verwahrlost. Draußen merkt man das nicht einmal so, erst hier. Meine alte Kleidung hat einiges Aufsehen erregt. Neue soll mir zugeteilt werden. Erst nachdem diese Veränderung vorgenommen ist, bin ich würdig, in diesem erlauchten Kreise aufgenommen zu werden. Es wird aber kaum anders gehen, den ich kann mich jetzt schlecht heraushalten, weil man mich dann hier auch ganz auf die Seite schieben würde. Darum will ich sehen, daß ich wieder neue Sachen bekomme. Das Essen allein soll schon besser sein. Es muß zwar jeden Monat ein Kasinobeitrag von 10,RM bezahlt werden, aber das Essen aus der anderen Küche ist sehr primitiv. Was mit sonst noch für Kosten entstehen, muß ich erst einmal sehen, neben der Arbeit dreht sich hier vieles erst um das Essen, aber wenn es sich machen läßt, werde ich das nicht vorbeigehen lassen. Dem Namen nach ist das hier eine große Dienststelle. Es sind aber außer einem Oberkriegsverwaltungsrat, Zivilberuf Bürgermeister von Göttingen, einem Inspektor, Stadtinspektor in Köln im Zivil und einem Dolmetscher nur noch einige Schreiber und Kraftfahrer da.  Dazu bin ich nun gestoßen. Ich hoffe, daß ich mit den Leuten auskommen werde, das andere wir sich dann schon finden.  Von Kschen, meinem letzten Einsatzort kann ich Dir noch eine interessante Sache erzählen, die uns am Freitag vor einer Woche passierte. Wir sitzen am Abend vor unserer Bude, um vor dem Einschlafen noch etwas frische luft zu schnappen. Da kommt ein Kamerad und sagt, was ist denn das am Himmel. Ist das ein Stern. Ich sage zu ihm, daß das ein Leuchtschirm sei, den ein Flieger abgeworfen hat. Kurze Zeit darauf geht auch ein Flieger über unser Haus hinweg. Es dauert dann auch nicht mehr lange, da blitzt es am Himmel auf und wir sehen und hören, wie der Russe denn es handelte sich um einen von ihnen, Bomben abgeworfen hat. Nach weiteren wenigen Minuten merken wir, wie im ganzen Umkreis von uns Bomben fallen. Die Flieger fliegen über uns weg und die Einschläge kommen immer näher, denn die Kreise werden immer enger.  Ich muß schon sagen, daß das ein sehr unangenehmes Gefühl war.  Man steht im Freien, hört die Biester über uns hinwegfahren, und die bomben fallen und man weiß nicht, wo man hingehen soll. Als dann der letzte kam und in verhältnismäßig geringer Höhe über uns hinwegfuhr, dachten alle, es fehlt nur noch, daß er seine letzten Bomben abwirft. Aber nichts von dem, denn er hatte keine mehr. Im Umkreis fielen etwa vierzig Bomben. Das war für den Abend ausreichend. Ich hatte Dich nicht erst in Unruhe versetzen wollen, aber nachdem ich aus diesem Gebiet heraus bin, möchte ich Dir dieses Erlebnis  doch nicht vorenthalten. Am Sonntag morgen fielen in einiger Entfernung auch wieder einige Bomben, die keinen Schaden anrichteten. Bei dem Angriff wurde ein Haus zerstört, zwei Kühe getötet und eine Frau auch. Hier herrscht in dieser Hinsicht offenbar Ruhe. Bei meiner Verabschiedung  hat sich der Oberst nochmals für meine Mitarbeit bedankt. Zwei Hauptmänner bestätigten mir ohne mein Zutun, daß sie mich sehr gern gehabt hätten und mich ungern gehen ließen. Ich sei ein ordentlicher Kamerad gewesen und hätte auch ihr Vertrauen gehabt. Dies sei auch in der Beurteilung über mich zum Ausdruck gebracht worden. Es hat mich gefreut, denn dieses Lob kann mir nicht mehr schaden, denn vo dort bin ich weggegangen und hier muß ich erst wieder beweisen, was ich kann und ob ich dieser Tätigkeit gewachsen bin. Ich habe zwar selbst keinen Zweifel, aber man muß vorsichtig mit den Menschen sein, denn ich habe leider schon zu trübe Erfahrungen machen müssen, Wie ich Dir heute schon schrieb, hat mich der Inspektor bei meiner ersten Vorstellung in Krementschug gesehen und mich nun, obwohl bereits drei Monate vergangen sind, angefordert. Was den nun besonders veranlaßt hat, kann ich nicht sagen. Ich hatte vergessen, meinem Brief von heute früh, die Flugpostmarken mit beizulegen. Ich kann sie entbehren, weil unsere gesamte Post mit dem Flugzeug befördert wird. Da geht auch die private Post mit.
Das macht ja schon was aus. Dadurch werden die Entfernungen wieder kürzer. Zulassungsmarken für Päckchen lege ich Dir gleich falls mit bei. Zu schicken brauchst Du mir, außer dem, was ich dir in den nächsten Tagen angebe, nichts weiter. Dazu nimmst Du aber nicht diese Marken. Sondern Du gehst auf das Wehrbezirkskommando und gibst dort ein Dienstpaket an mich auf. Erst brauche ich einmal eine Decke. Dann meinen Trainingsanzug, dann vielleicht noch meinen dicken Pullover und meine Turnschuhe. Ich gebe Dir nochmals genau Bescheid darüber. Eine Karte, die Du an Kurt weiterleiten kannst, habe ich Dir auch noch beigelegt, denn seine Adresse ist mir immer noch nicht bekannt.  Ich sende Dir un den Kindern recht herzliche Grüße und viele, viele Küsse. Dein Ernst


Meine liebste Frau !                                                    17.8.42        

Den ersten Tag habe ich heute offiziell bei meiner neuen Dienststelle  Dienst geleistet. Ich könnte nun nicht sagen, daß es überwältigend sei. aber manche interessante Dinge habe ich gelesen, die vor allem mich betreffen. So hat mir unter anderem der Kamerad gezeigt, daß ich im Mai zum Kriegsverdienstkreuz eingereicht worden sei mit noch mehreren Kameraden. Antwort ist zwar keine darauf ergangen, aber immerhin, es ist doch schon da. Auf die Frage des Inspektors, ob ich überhaupt Aussicht hätte, befördert zu werden, habe ich dies dahingehend beantwortet, daß ich wohl die Prüfung abgelegt hätte, aber daraufhin zum Assistenten befördert worden sei. Ich hätte aber die Absicht, mich an die Stadtverwaltung zu wenden. Er sagte mir dann, daß ich das umgehend machen sollte, denn in der in der Zwischenzeit eingegangenen Beurteilung wäre ein derartiger Vorschlag erwähnt. Ich habe mir nun gleich ein Schreiben entworfen. Morgen oder übermorgen werde ich es schreiben, denn diese Sachen muß ich immer erst noch einmal verdauen. Wenn es für jemand anderes ist, macht mir das wenig Schwierigkeiten, aber wenn ich es für mich machen muß, ist das schon etwas anderes. Ich hoffe, daß ich eine Befürwortung dazu bekomme, denn das sollte schon etwas ausmachen. Ich muß ja abwarten, was sich dann daraus ergibt.  Als ich hier mit meiner schäbigen Uniform auftrat, genierten sich die Herren etwas mit mir und haben sich erst einmal sehr eingesetzt, daß ich etwas Neues anzuziehen bekomme. Heute habe ich nun eine neue Hose und eine neue Feldbluse bekommen. Wenn die notwendigen Änderungen vorgenommen sein werden, kann ich mich dann auch im Kasino sehen lassen. Nach und nach bekomme ich auch meine Sachen zusammen.  Zwei Wolldecken habe ich auch erhalten, ob ich dann von Dir noch eine brauche, werde ich Dir dann noch genau mitteilen. Licht habe ich jetzt auch in meinem Zimmer und ein Tisch ist nun auch vorhanden. Wie sich die Dinge hier weiter anlassen, muß ich erst abwarten. Daß ich hier nicht so eine Tätigkeit bekomme wie unter unserem ersten Oberrat, das ist mir jetzt schon klar. Aber ich muß mich damit abfinden, daß man sich im Krieg nicht die Arbeit aussuchen kann, die man gerade haben will.  Ich hatte schon vor meiner Abreise von meiner letzten Dienststelle die Absicht, Dir zum diesjährigen 11. Hochzeitstag zu schreiben. Ich bin aber durch die Zusammendrückung der Ereignisse nicht weiter dazu gekommen.
Es hat mir nicht einmal richtig gelangt, Dir einen ordentlichen Geburtstagsbrief zu schreiben. Mich hat er jedenfalls nicht befriedigt. Du mußt das verstehen und entschuldigen. Ich habe die beiden Jahre vorher immer Zeit gehabt, Dir aus diesem Anlaß einen ausführlichen Brief zu schreiben. Doch ganz kann ich auch in diesem Jahr den 1. u. 6. September nicht vorübergehen lassen, ohne besonders dieser Tage zu gedenken. Es war dies für uns ein Schritt der Entscheidung. Ich weiß, daß Du diese Entscheidung noch nie bereut hast, genau wie ich auch. DAß wir nun den 9., 10.  und 11. Jahrestag nicht zusammen begehen können, liegt nicht in unserer Hand. Ich will hoffen, daß wir nicht no so oftmals wie bis jetzt schon auseinander sein müssen. Dir danke ich wieder für Deine Aufopferung während der Kriegsjahre im besonderen und für die Jahre vorher ebenfalls. Du hast nicht nur mir, sondern uns allen viel während dieser Jahre gegeben. Ich wünsche uns allen, daß wir die Früchte Deiner Liebe in langen Friedensjahren auskosten können. Daß daheim alles so in Ordnung ist und alles seinen geordneten Gang geht, ist schon immer Dein besonderer Verdienst gewesen. Darum bleibe uns gesund, damit Du auch weiterhin Deinem Haushalt in den kommenden Jahren genau so gut wie bisher vorstehen kannst. Dies wünscht sich, verbunden mit vielen Grüßen für Dich und die Kinder und mit ebenso vielen Küssen Dein Ernst.

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