Montag, 14. August 2017

Brief 305 vom 15./16.8.1942


Meine liebste Annie !                                   unterwegs, den 15.8.42  

Gleich nach dem Mittagessen hatte ich mich gestern fertig machen müssen, um meinen Weitermarsch anzutreten. Mit den Kameraden mußte ich mich erst aufnehmen lassen. Bis ich mich dann verabschiedet hatte, war es zu spät geworden für den fahrplanmäßigen Zug. Ich bin dann in aller Ruhe auf den Bahnhof gezogen. Ich kann nur sagen, Glück muß der Mensch haben. Als ich ankam, fährt gerade ein Lazarettzug ein, wie für mich bestimmt. Ich erkundigte mich beim Transportführer, ob es möglich ist, daß ich mitfahre.  Mit seiner Genehmigung konnte ich dann ungehindert bis Poltawa fahren. Auch hier konnte ich wieder feststellen, wie klein die Welt ist. Ich unterhielt mich mit einem der Kameraden, daß mein Schwager auch auf so einem Zug fährt. Als ich die Nummer nannte, meinte einer, daß er bei dem Lehrgang in Berlin mit ihm auf einer Bank gesessen Als ich erst den Zug sah, hatte ich die heimliche Hoffnung, Siegfried vielleicht selbst zu treffen. Was aber nicht der Fall war. Von diesen Kameraden wurde ich gut aufgenommen.  Sogar eine Flasche ordentliches Bier bekam ich. Ich habe dann großzügigerweise aus meiner kleinen Flasche Wodka verschenkt. Der fand aber nicht einmal die erwartete Zustimmung, denn jeder hat sich geschüttelt und ich meinte, das sei mit der beste Wodka, den ich bis jetzt hatte. Bei Nacht kam ich dann hier an. Erst landeten wir auf dem Güterbahnhof. Da sich aber noch etliche Offiziere auf dem Zug befanden, wurde der Zug doch noch auf den anderen Bahnhof geschoben. Nach einem Hindernisklettern kamen wir noch an die Gepäckabgabestelle. Ein kurzer Aufenthalt in der Betreuungsstelle des Roten Kreuzes brachte noch eine Tasse Kaffee ein. Hier traf ich wieder einen Gruß aus der Heimat an. Der einfache Raum, denn er war eine Baracke, die innen weiß getüncht ist, war an den Wänden geschmückt mit Bildern von deutschen Burgen. Alles schön gemalt. Darunter war auch die Meersburg. Das wirkte direkt aufmunternd. Auch die anderen Burgen wirken sehr schön an der Wand, und ich glaube, daß diese manchem Kameraden ein lieber Gruß sein wird. Das schwüle Wetter und das Aufderbahnherumrutschen machte einen müd und schlapp. Die Fliegen sind sehr lästig. Ich habe mich halb entkleidet auf das mir zugewiesene Bett geworfen und nicht gerade einen Schlaf gehabt, der mich hat ausruhen lassen.  Mir scheint, daß die Stadt Charkow mich im wahrsten Sinne ihrer Bedeutung von „groß“ begrüßt. Wie ich hier erfahren konnte, ist die Einheit auch nicht dort zu finden, sondern sie soll sich inzwischen schon wieder weiter begeben haben. Ich gebe die Hoffnung nicht auf, daß ich sie doch noch antreffe. Jetzt kann ich erst wieder um ½ 2 Uhr weiterfahren und treffe nach 5 Stunden Bahnfahrt dort ein. Ich habe keine große Hoffnung, daß ich anschließend gleich weiterfahren kann. Trotzdem werde ich den Mut nicht verlieren, wenn ich es endlich auch gern wieder geschafft hätte. Ich wollte mir etwas von der Stadt hier ansehen. Ich mußte aber, wie schon so oft hier in Rußland, feststellen, daß die Stadt kilometerweit vom Bahnhof weg liegt. Hier sind es auch wieder fünf Kilometer. Der Bahnhof ist bis auf die Außenmauern zerstört. Manche Gebäude stehen noch. Elektrisches Licht und das Wasser sind intakt. Das sind doch schon erhebliche Fortschritte.  Ich habe mich sogar wieder einmal mit fließendem Wasser waschen können. Man nimmt derartige Einrichtungen ger und mit Dankbarkeit auf.  Dir und den Kindern sende ich recht viele und herzliche Grüße und Küsse. Den gestrigen Brief konnte ich einer auf Urlaub fahrenden Schwester mitgeben. Ich denke, daß er Dich darum eher erreicht, als ich erst erwartet hatte. Du hast ja bestimmt nichts dagegen. Nun noch recht herzliche Küsse, Dir mein liebes Mädel, von Deinem Ernst.


Mein liebes, gutes Mädel !                                                     16.8.42  
     
Meinen Hafen habe ich nun wieder einmal erreicht. Ich bin gestern Abend in Charkow angekommen. Ich hatte mich bei der Frontsammelstelle erkundigt, ob ich weiterreisen muß. Nachdem ich erst wer weiß wie lange gewartet hatte, erhielt ich Bescheid, daß ich heute morgen nochmals nachfragen soll. Das habe ich dann getan, und nach einigem Warten kam der telefonische Anruf, daß ich mit dem Wagen abgeholt würde. Die Nacht über hatte ich ein Offiziersquartier bekommen, so daß ich einigermaßen gut geschlafen hatte.  Verpflegung habe ich zwar nicht erhalten, und ich habe einen anständigen Hunger beieinander. Die Einheit ist also die Dienststelle, die ich Dir anfänglich in der Abschrift mitgeteilt hatte.  Das ist ein ziemlich vornehmer Verein, der mich hier aufgenommen hat. Der erinnert, wie mir scheint, an die Verhältnisse in Lille.  Wie das hier nun alles wird, muß ich erst abwarten. Der Oberrat aus Mirgorod hat mich also nicht angefordert, sondern einer der Herren, die mich seinerzeit bei meiner ersten Vorstellung gesehen hatte. Ich soll hier wohl die Registratur übernehmen, eine Arbeit, die mir zwar noch nicht so wehr liegt. Ich werde nun sehen, wie sich das hier macht, essen soll ich mit den Offizieren. Sie wollen mich anscheinend aber erst nochmals neu einkleiden. Meine Sachen wollte ich ja schon bei der vorhergehenden Dienststelle gern umtauschen, aber man kam mir nicht mehr entgegen. Eines macht mir Sorge. Hier gibt es in rauen Mengen Wanzen und Flöhe.  Wie ich das überstehen werde, ist mir auch noch ein Rätsel.  Jedenfalls wird an Schlaf nicht viel zu denken sein. Ein Zimmer habe ich hier wieder für mich allein. Ein Bett mit Strohsack ist auch vorhanden. Es paßt zwar nicht ganz dazu, aber etliche Polsterstühle. Ein Tisch wird noch organisiert, so daß man sich wohl drin aufhalten könnte. Über die weitere Entwicklung werde ich Dir dann noch berichten. Wie ich hier gehört habe, soll die Post sehr schnell von hier aus in die Heimat kommen. Man spricht von vier Tagen. Aus diesem Grund schicke ich Dir heute verschiedene Flugpostmarken mit, damit Du mir bald wieder antworten kannst. Wegen verschiedener Kleidungsstücke werde ich Dir in diesen Tagen noch schreiben, die Du mir noch senden mußt. Über den Postweg werde ich Dich noch unterrichten. Die neue Anschrift lautet 00220. Dir recht herzliche Grüße und viele Küsse von Deinem Ernst.

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