Meine liebste Annie ! unterwegs, den 15.8.42
Gleich
nach dem Mittagessen hatte ich mich gestern fertig machen müssen, um meinen
Weitermarsch anzutreten. Mit den Kameraden mußte ich mich erst aufnehmen
lassen. Bis ich mich dann verabschiedet hatte, war es zu spät geworden für den
fahrplanmäßigen Zug. Ich bin dann in aller Ruhe auf den Bahnhof gezogen. Ich
kann nur sagen, Glück muß der Mensch haben. Als ich ankam, fährt gerade ein
Lazarettzug ein, wie für mich bestimmt. Ich erkundigte mich beim
Transportführer, ob es möglich ist, daß ich mitfahre. Mit seiner Genehmigung konnte ich dann ungehindert bis Poltawa
fahren. Auch hier konnte ich wieder feststellen, wie klein die Welt ist. Ich
unterhielt mich mit einem der Kameraden, daß mein Schwager auch auf so einem
Zug fährt. Als ich die Nummer nannte, meinte einer, daß er bei dem Lehrgang in
Berlin mit ihm auf einer Bank gesessen Als ich erst den Zug sah, hatte ich die
heimliche Hoffnung, Siegfried vielleicht selbst zu treffen. Was aber nicht der
Fall war. Von diesen Kameraden wurde ich gut aufgenommen. Sogar eine Flasche ordentliches Bier bekam
ich. Ich habe dann großzügigerweise aus meiner kleinen Flasche Wodka
verschenkt. Der fand aber nicht einmal die erwartete Zustimmung, denn jeder hat
sich geschüttelt und ich meinte, das sei mit der beste Wodka, den ich bis jetzt
hatte. Bei Nacht kam ich dann hier an. Erst landeten wir auf dem Güterbahnhof.
Da sich aber noch etliche Offiziere auf dem Zug befanden, wurde der Zug doch
noch auf den anderen Bahnhof geschoben. Nach einem Hindernisklettern kamen wir
noch an die Gepäckabgabestelle. Ein kurzer Aufenthalt in der Betreuungsstelle
des Roten Kreuzes brachte noch eine Tasse Kaffee ein. Hier traf ich wieder
einen Gruß aus der Heimat an. Der einfache Raum, denn er war eine Baracke, die
innen weiß getüncht ist, war an den Wänden geschmückt mit Bildern von deutschen
Burgen. Alles schön gemalt. Darunter war auch die Meersburg. Das wirkte direkt
aufmunternd. Auch die anderen Burgen wirken sehr schön an der Wand, und ich
glaube, daß diese manchem Kameraden ein lieber Gruß sein wird. Das schwüle
Wetter und das Aufderbahnherumrutschen machte einen müd und schlapp. Die
Fliegen sind sehr lästig. Ich habe mich halb entkleidet auf das mir zugewiesene
Bett geworfen und nicht gerade einen Schlaf gehabt, der mich hat ausruhen
lassen. Mir scheint, daß die Stadt
Charkow mich im wahrsten Sinne ihrer Bedeutung von „groß“ begrüßt. Wie ich hier
erfahren konnte, ist die Einheit auch nicht dort zu finden, sondern sie soll
sich inzwischen schon wieder weiter begeben haben. Ich gebe die Hoffnung nicht
auf, daß ich sie doch noch antreffe. Jetzt kann ich erst wieder um ½ 2 Uhr
weiterfahren und treffe nach 5 Stunden Bahnfahrt dort ein. Ich habe keine große
Hoffnung, daß ich anschließend gleich weiterfahren kann. Trotzdem werde ich den
Mut nicht verlieren, wenn ich es endlich auch gern wieder geschafft hätte. Ich
wollte mir etwas von der Stadt hier ansehen. Ich mußte aber, wie schon so oft
hier in Rußland, feststellen, daß die Stadt kilometerweit vom Bahnhof weg
liegt. Hier sind es auch wieder fünf Kilometer. Der Bahnhof ist bis auf die
Außenmauern zerstört. Manche Gebäude stehen noch. Elektrisches Licht und das
Wasser sind intakt. Das sind doch schon erhebliche Fortschritte. Ich habe mich sogar wieder einmal mit
fließendem Wasser waschen können. Man nimmt derartige Einrichtungen ger und mit
Dankbarkeit auf. Dir und den Kindern
sende ich recht viele und herzliche Grüße und Küsse. Den gestrigen Brief konnte
ich einer auf Urlaub fahrenden Schwester mitgeben. Ich denke, daß er Dich darum
eher erreicht, als ich erst erwartet hatte. Du hast ja bestimmt nichts dagegen.
Nun noch recht herzliche Küsse, Dir mein liebes Mädel, von Deinem Ernst.
Mein
liebes, gutes Mädel !
16.8.42
Meinen
Hafen habe ich nun wieder einmal erreicht. Ich bin gestern Abend in Charkow
angekommen. Ich hatte mich bei der Frontsammelstelle erkundigt, ob ich
weiterreisen muß. Nachdem ich erst wer weiß wie lange gewartet hatte, erhielt
ich Bescheid, daß ich heute morgen nochmals nachfragen soll. Das habe ich dann
getan, und nach einigem Warten kam der telefonische Anruf, daß ich mit dem
Wagen abgeholt würde. Die Nacht über hatte ich ein Offiziersquartier bekommen,
so daß ich einigermaßen gut geschlafen hatte.
Verpflegung habe ich zwar nicht erhalten, und ich habe einen anständigen
Hunger beieinander. Die Einheit ist also die Dienststelle, die ich Dir
anfänglich in der Abschrift mitgeteilt hatte.
Das ist ein ziemlich vornehmer Verein, der mich hier aufgenommen hat.
Der erinnert, wie mir scheint, an die Verhältnisse in Lille. Wie das hier nun alles wird, muß ich erst
abwarten. Der Oberrat aus Mirgorod hat mich also nicht angefordert, sondern
einer der Herren, die mich seinerzeit bei meiner ersten Vorstellung gesehen
hatte. Ich soll hier wohl die Registratur übernehmen, eine Arbeit, die mir zwar
noch nicht so wehr liegt. Ich werde nun sehen, wie sich das hier macht, essen
soll ich mit den Offizieren. Sie wollen mich anscheinend aber erst nochmals neu
einkleiden. Meine Sachen wollte ich ja schon bei der vorhergehenden
Dienststelle gern umtauschen, aber man kam mir nicht mehr entgegen. Eines macht
mir Sorge. Hier gibt es in rauen Mengen Wanzen und Flöhe. Wie ich das überstehen werde, ist mir auch
noch ein Rätsel. Jedenfalls wird an
Schlaf nicht viel zu denken sein. Ein Zimmer habe ich hier wieder für mich
allein. Ein Bett mit Strohsack ist auch vorhanden. Es paßt zwar nicht ganz
dazu, aber etliche Polsterstühle. Ein Tisch wird noch organisiert, so daß man
sich wohl drin aufhalten könnte. Über die weitere Entwicklung werde ich Dir
dann noch berichten. Wie ich hier gehört habe, soll die Post sehr schnell von
hier aus in die Heimat kommen. Man spricht von vier Tagen. Aus diesem Grund
schicke ich Dir heute verschiedene Flugpostmarken mit, damit Du mir bald wieder
antworten kannst. Wegen verschiedener Kleidungsstücke werde ich Dir in diesen
Tagen noch schreiben, die Du mir noch senden mußt. Über den Postweg werde ich
Dich noch unterrichten. Die neue Anschrift lautet 00220. Dir recht herzliche
Grüße und viele Küsse von Deinem Ernst.
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