Montag, 14. August 2017

Brief 298 vom 1. / 2.8.1942


Mein liebes Mädel !                                                  1.8.42       
 
Regen, Regen und immer wieder Regen. Damit so gut wie keine Aussicht, daß  die  uns so gut wie sicher scheinende Aushändigung von Post erst in einigen Tagen zuteil wird. Wir werden warten, wie wir das schon so gut gelernt haben. Solange das Wetter noch schön war und die Sonne schien, ging es ja noch in diesem elenden Nest. Jetzt aber, wo es regnet und keine Fensterscheiben, weder in den Wohnräumen noch in den Arbeitsräumen sind, wird es langsam ungemütlich. Es ist kalt und überall zieht es. Es ist sehr gut möglich, daß uns das im Laufe der Zeit noch manchmal passieren wird. Arbeit habe ich erst heute welche erhalten, aber das ist bei uns eben alles keine Arbeit, bei der man sich warm arbeiten kann. Bei diesem Wetter ist es einem höchst ungemütlich. Etwas Gutes hat es zwar auch. Die traurigen Gestalten, die in Lumpen hier wegen allen unmöglichen Sachen vorstellig werden, bleiben auch aus. Man weiß nicht, soll man die armseligen Gestalten bedauern oder soll man ihnen die Schuld an ihrem Los selbst zuschreiben. In der Ukraine waren die Menschen immer noch während der warmen Jahreszeit immerhin so angezogen, daß man sie fast mit europäischen Verhältnissen vergleichen konnte. Nur während der kalten Jahreszeit machten sie genau den gleichen Eindruck, wie die Menschen hier auch. Aber hier laufen die Menschen ja auch während der wärmeren Jahreszeit in einem für unsere Begriffe unmöglich erscheinenden Zustand herum. An was das hier liegt, habe ich bis jetzt noch nicht ergründen können. Es kann ja sein, daß man uns nur noch die schlechten Reste hinterlassen hat , und daß das, was noch besser war, weggezogen ist, doch es scheint mir eher, als ob hier, mit ganz wenigen Ausnahmen, alles das gleiche Bild auch vor unserem Erscheinen gezeigt haben, denn die Häuser, die hier sind, sind alle schon rein äußerlich viel schlechter wie in der Ukraine. Dort waren die Häuser fast alle von außen geweißt. Das ließ alles noch viel freundlicher erscheinen. Hier ist das nicht einmal der Fall. Die strohgedeckten Dächer sind meist verwahrlost, soweit sie nicht durch Kriegseinwirkung zerstört sind. In den Läden, wo wir uns das geholt haben, was wir für die allernotwendigste Einrichtung unserer Unterkünfte brauchten, konnte man ja Bilder sehen, die jeder Kultur Hohn sprechen. Dabei muß man bei uns schon berücksichtigen, daß wir uns schon etwas an die hiesigen Verhältnisse gewöhnt haben und alles nicht so streng betrachten, wie Ihr vielleicht, die Ihr direkt hierher kommen würdet. Trotz allem können wir uns mit diesem Dreck und mit diesem Elend nicht so abfinden. Ich habe nun in den vergangenen zwei Jahren auch schon einige Erfahrung sammeln können und habe schon manches Elend gesehen. Abgesehen davon, daß ich das Elend aus meiner früheren Tätigkeit in Deutschland auch gesehen habe.  In Frankreich habe ich es auch gesehen. Aber alles das ist nicht vergleichbar mit dem, was hier existiert. Bilder, wie sie in der Wochenschau gezeigt wurden und wie sie sonst in den Zeitungen gebracht werden, sind keine Seltenheit. Einesteils bin ich froh, daß ich das Land auch aus eigener Anschauung haben kennen gelernt. Ich kann jetzt wohl mitreden. Doch für das eigentliche Kennenlernen ist mein Bedarf gedeckt. Es richtet sich zwar niemand nach dem, was ich mir wünsche, aber diese Feststellung kann man ja ab und zu einmal treffen, damit nicht der Eindruck entsteht, als ob man hier nicht mehr weg wollte. In der Ukraine hatte ich mich schon manchmal mit dem Gedanken vertraut gemacht, daß man es mit einigermaßen ordentlichen Vorgesetzten schließlich aushalten könnte. Hier ist mir aber wieder aller Geschmack dazu vergangen. . Wie geht es Dir und den Kindern. Was machen unsere Stromer. An Helga werde ich dieser Tage auch den Geburtstagsbrief schreiben. Ich habe noch einen 20Markschein, den ih ihr im Brief mitsenden werde. Du kannst dann aber den Brief aufheben, bis ihr Geburtstag herankommt, wenn er vorzeitig eintreffen sollte. Dir und unsren Lausern sende ich recht herzliche Grüße und gebe auch im Geiste wieder viele Küsse. Dein Ernst.


Meine liebe Annie !                                                     2.8.42    
    
Schwer ist es, in dieser „ereignisreichen Stadt“ etwas zu schreiben, was Dich interessieren könnte. Am Mittagstisch fangen wir schon immer an zu spinnen, damit das Leben nicht gar zu trübselig wird. Jeder versucht wieder etwas aufzubringen. Da wird allen Ernstes erzählt, genau , wie wenn man in der Heimat wäre. Wo gehen wir heute abend hin, heißt es da. Vorausschicken will ich noch, daß dieses Nest 1200 Einwohner hatte, daraus kannst Du Dir dann alles andere ohne weiteres erklären. Meist antworten die Kameraden, daß sie ins Kino, Theater oder Variete gehen würden.  Andere meinen dann, daß sie es langsam satt hätten, denn dauernd würde doch das gleiche Programm gespielt, sie würden sich lieber einmal ins Cafe Wien oder in eine größere Wirtschaft setzen. Dann entgegnet ein anderer wieder, daß es nur Bier geben würde in der einen Wirtschaft und auch nicht schön, er wolle wieder einmal etwas anderes trinken. Darauf antwortet ihm einer, ja, er dürfe sich dort nicht mehr sehen lassen, weil er 20 RM Zecheschulden hinterlassen habe. Gestern kam einer uns sagte, wer sich denn den Spaß erlaubt hätte und den großen Reiseomnibus zu seinem Büro bestellt hätte. Die ganze Kommandantur sollte verfrachtet werden, um einer Rundfahrt durch Akschan (unser Unterkunftsort) mit späterer Museumsbesichtigung teilzunehmen. Ich komme mir vor wie in Münchhausens Gesellschaft. Ein jeder versucht, den anderen zu übertrumpfen. Ich habe es auch satt, heute schon wieder am Sonntag den Großstadtbetrieb mitzumachen. Ich habe vor, an meinem freien Nachmittag ein wenig mit der Untergrundbahn erst bis an das Stadtende zu fahren, um dann noch etwas auf das Land zu gehen. Man muß hier eben seine Zerstreuung suchen, wo man sie findet. Wir leben jetzt jedenfalls von Illusionen, alles andere hilft uns hier nicht, denn abends muß man jetzt schon kurz nach 8 Uhr ins Bett. Auf den Bettpfosten wird dann ein Hindenburglicht gestellt und dann kann man noch ein Weilchen lesen. Dann reicht es kaum bis 9 Uhr, weil man sein Licht einsparen muß. Wenn wir nicht durch Beziehung einige Lichter hätten, könnten wir uns nicht einmal diesen Luxus leisten. Wenn auch die Decke nicht gerade dick ist, so sucht man sich doch bald darin einzuwickeln, weil es abends kalt in der Bude wird, denn Fensterscheiben werden vorerst noch nicht angebracht, solange es nicht klar ist, wo wir uns in Zukunft aufhalten werden. Trotz allem statten wir unsere Unterkunft vornehm und elegant aus. Jetzt haben wir sogar wieder Gardinen vor den Fenstern, die ein Kamerad sich in dem vorhergehenden Unterkunftsort besorgt hatte. Scheiben sind ja nicht notwendig, wenn nur die Vorstellung gewahrt wird. Daß ich mich aber hier wieder auf die Schulbank setzen müßte, hätte ich doch nicht gedacht. In Ermanglung anderer Sitzgelegenheiten, haben wir uns Schulbänke abgesägt. Nun paßt wieder die ganze Einrichtung zusammen. Man muß schon darauf achten, daß der Stil gewahrt bleibt. Was nutzen einem all die guten Möbel, wenn ein Stück darunter ist, was nicht dazu paßt. Ja, so sehen wir immer darauf, daß alles seine Ordnung hat. Betten haben wir ja. Jetzt müssen wir uns noch die passenden Nachttische dazu besorgen. Vielleicht finden wird irgendwo ein paar alte Kisten, die uns diesen Dienst tun werden. Man kann zur Not noch ein paar Fächer hineinbauen.  Nachtgeschirre brauchen wir darin nicht unterzubringen, denn das wäre nun wieder vollkommen überflüssig. Unterkriegen lassen wir uns hier nicht, wenn wir auch einmal Tage haben, an denn uns die Stimmung umschlagen will. Nach einiger Zeit geht das auch wieder und wir haben wieder Oberhand.  Sei Du mit den Kindern herzlich gegrüßt und  geküßt von Deinem Ernst.


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen