Mein
liebes Mädel ! 1.8.42
Regen,
Regen und immer wieder Regen. Damit so gut wie keine Aussicht, daß die
uns so gut wie sicher scheinende Aushändigung von Post erst in einigen
Tagen zuteil wird. Wir werden warten, wie wir das schon so gut gelernt haben.
Solange das Wetter noch schön war und die Sonne schien, ging es ja noch in
diesem elenden Nest. Jetzt aber, wo es regnet und keine Fensterscheiben, weder
in den Wohnräumen noch in den Arbeitsräumen sind, wird es langsam ungemütlich.
Es ist kalt und überall zieht es. Es ist sehr gut möglich, daß uns das im Laufe
der Zeit noch manchmal passieren wird. Arbeit habe ich erst heute welche
erhalten, aber das ist bei uns eben alles keine Arbeit, bei der man sich warm
arbeiten kann. Bei diesem Wetter ist es einem höchst ungemütlich. Etwas Gutes
hat es zwar auch. Die traurigen Gestalten, die in Lumpen hier wegen allen
unmöglichen Sachen vorstellig werden, bleiben auch aus. Man weiß nicht, soll
man die armseligen Gestalten bedauern oder soll man ihnen die Schuld an ihrem
Los selbst zuschreiben. In der Ukraine waren die Menschen immer noch während
der warmen Jahreszeit immerhin so angezogen, daß man sie fast mit europäischen
Verhältnissen vergleichen konnte. Nur während der kalten Jahreszeit machten sie
genau den gleichen Eindruck, wie die Menschen hier auch. Aber hier laufen die
Menschen ja auch während der wärmeren Jahreszeit in einem für unsere Begriffe
unmöglich erscheinenden Zustand herum. An was das hier liegt, habe ich bis
jetzt noch nicht ergründen können. Es kann ja sein, daß man uns nur noch die
schlechten Reste hinterlassen hat , und daß das, was noch besser war,
weggezogen ist, doch es scheint mir eher, als ob hier, mit ganz wenigen
Ausnahmen, alles das gleiche Bild auch vor unserem Erscheinen gezeigt haben,
denn die Häuser, die hier sind, sind alle schon rein äußerlich viel schlechter
wie in der Ukraine. Dort waren die Häuser fast alle von außen geweißt. Das ließ
alles noch viel freundlicher erscheinen. Hier ist das nicht einmal der Fall.
Die strohgedeckten Dächer sind meist verwahrlost, soweit sie nicht durch
Kriegseinwirkung zerstört sind. In den Läden, wo wir uns das geholt haben, was
wir für die allernotwendigste Einrichtung unserer Unterkünfte brauchten, konnte
man ja Bilder sehen, die jeder Kultur Hohn sprechen. Dabei muß man bei uns
schon berücksichtigen, daß wir uns schon etwas an die hiesigen Verhältnisse
gewöhnt haben und alles nicht so streng betrachten, wie Ihr vielleicht, die Ihr
direkt hierher kommen würdet. Trotz allem können wir uns mit diesem Dreck und
mit diesem Elend nicht so abfinden. Ich habe nun in den vergangenen zwei Jahren
auch schon einige Erfahrung sammeln können und habe schon manches Elend
gesehen. Abgesehen davon, daß ich das Elend aus meiner früheren Tätigkeit in
Deutschland auch gesehen habe. In
Frankreich habe ich es auch gesehen. Aber alles das ist nicht vergleichbar mit
dem, was hier existiert. Bilder, wie sie in der Wochenschau gezeigt wurden und
wie sie sonst in den Zeitungen gebracht werden, sind keine Seltenheit.
Einesteils bin ich froh, daß ich das Land auch aus eigener Anschauung haben
kennen gelernt. Ich kann jetzt wohl mitreden. Doch für das eigentliche
Kennenlernen ist mein Bedarf gedeckt. Es richtet sich zwar niemand nach dem,
was ich mir wünsche, aber diese Feststellung kann man ja ab und zu einmal
treffen, damit nicht der Eindruck entsteht, als ob man hier nicht mehr weg
wollte. In der Ukraine hatte ich mich schon manchmal mit dem Gedanken vertraut
gemacht, daß man es mit einigermaßen ordentlichen Vorgesetzten schließlich
aushalten könnte. Hier ist mir aber wieder aller Geschmack dazu vergangen. .
Wie geht es Dir und den Kindern. Was machen unsere Stromer. An Helga werde ich
dieser Tage auch den Geburtstagsbrief schreiben. Ich habe noch einen
20Markschein, den ih ihr im Brief mitsenden werde. Du kannst dann aber den
Brief aufheben, bis ihr Geburtstag herankommt, wenn er vorzeitig eintreffen
sollte. Dir und unsren Lausern sende ich recht herzliche Grüße und gebe auch im
Geiste wieder viele Küsse. Dein Ernst.
Meine
liebe Annie ! 2.8.42
Schwer
ist es, in dieser „ereignisreichen Stadt“ etwas zu schreiben, was Dich
interessieren könnte. Am Mittagstisch fangen wir schon immer an zu spinnen,
damit das Leben nicht gar zu trübselig wird. Jeder versucht wieder etwas
aufzubringen. Da wird allen Ernstes erzählt, genau , wie wenn man in der Heimat
wäre. Wo gehen wir heute abend hin, heißt es da. Vorausschicken will ich noch,
daß dieses Nest 1200 Einwohner hatte, daraus kannst Du Dir dann alles andere
ohne weiteres erklären. Meist antworten die Kameraden, daß sie ins Kino,
Theater oder Variete gehen würden.
Andere meinen dann, daß sie es langsam satt hätten, denn dauernd würde
doch das gleiche Programm gespielt, sie würden sich lieber einmal ins Cafe Wien
oder in eine größere Wirtschaft setzen. Dann entgegnet ein anderer wieder, daß
es nur Bier geben würde in der einen Wirtschaft und auch nicht schön, er wolle
wieder einmal etwas anderes trinken. Darauf antwortet ihm einer, ja, er dürfe
sich dort nicht mehr sehen lassen, weil er 20 RM Zecheschulden hinterlassen
habe. Gestern kam einer uns sagte, wer sich denn den Spaß erlaubt hätte und den
großen Reiseomnibus zu seinem Büro bestellt hätte. Die ganze Kommandantur
sollte verfrachtet werden, um einer Rundfahrt durch Akschan (unser
Unterkunftsort) mit späterer Museumsbesichtigung teilzunehmen. Ich komme mir
vor wie in Münchhausens Gesellschaft. Ein jeder versucht, den anderen zu
übertrumpfen. Ich habe es auch satt, heute schon wieder am Sonntag den
Großstadtbetrieb mitzumachen. Ich habe vor, an meinem freien Nachmittag ein
wenig mit der Untergrundbahn erst bis an das Stadtende zu fahren, um dann noch
etwas auf das Land zu gehen. Man muß hier eben seine Zerstreuung suchen, wo man
sie findet. Wir leben jetzt jedenfalls von Illusionen, alles andere hilft uns
hier nicht, denn abends muß man jetzt schon kurz nach 8 Uhr ins Bett. Auf den
Bettpfosten wird dann ein Hindenburglicht gestellt und dann kann man noch ein
Weilchen lesen. Dann reicht es kaum bis 9 Uhr, weil man sein Licht einsparen
muß. Wenn wir nicht durch Beziehung einige Lichter hätten, könnten wir uns
nicht einmal diesen Luxus leisten. Wenn auch die Decke nicht gerade dick ist,
so sucht man sich doch bald darin einzuwickeln, weil es abends kalt in der Bude
wird, denn Fensterscheiben werden vorerst noch nicht angebracht, solange es
nicht klar ist, wo wir uns in Zukunft aufhalten werden. Trotz allem statten wir
unsere Unterkunft vornehm und elegant aus. Jetzt haben wir sogar wieder Gardinen
vor den Fenstern, die ein Kamerad sich in dem vorhergehenden Unterkunftsort
besorgt hatte. Scheiben sind ja nicht notwendig, wenn nur die Vorstellung
gewahrt wird. Daß ich mich aber hier wieder auf die Schulbank setzen müßte,
hätte ich doch nicht gedacht. In Ermanglung anderer Sitzgelegenheiten, haben
wir uns Schulbänke abgesägt. Nun paßt wieder die ganze Einrichtung zusammen.
Man muß schon darauf achten, daß der Stil gewahrt bleibt. Was nutzen einem all
die guten Möbel, wenn ein Stück darunter ist, was nicht dazu paßt. Ja, so sehen
wir immer darauf, daß alles seine Ordnung hat. Betten haben wir ja. Jetzt
müssen wir uns noch die passenden Nachttische dazu besorgen. Vielleicht finden
wird irgendwo ein paar alte Kisten, die uns diesen Dienst tun werden. Man kann
zur Not noch ein paar Fächer hineinbauen.
Nachtgeschirre brauchen wir darin nicht unterzubringen, denn das wäre
nun wieder vollkommen überflüssig. Unterkriegen lassen wir uns hier nicht, wenn
wir auch einmal Tage haben, an denn uns die Stimmung umschlagen will. Nach
einiger Zeit geht das auch wieder und wir haben wieder Oberhand. Sei Du mit den Kindern herzlich gegrüßt
und geküßt von Deinem Ernst.
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