Sonntag, 30. Juli 2017

Brief 297 vom 30./31.7.1942


Meine liebe Annie !                                                                     30.7.42   
   
Seit wir hier sind, bin ich schon dreimal umgezogen. Das vierte Mal steht schon wieder in Aussicht. Diese ewige Umzieherei wird einem mit der Zeit unangenehm. Bei diesen komischen Verhältnissen, die hier herrschen, braucht man sich eigentlich über nichts mehr wundern. Obwohl die Möglichkeiten für das Unterkommen größerer Einheiten sehr gering ist, stehen anscheinend doch immer noch zu viele Häuser da, um innerhalb kurzer Zeit diese dauernden Änderungen vorzunehmen. Ab heute ist nun bei uns offiziell der schriftliche Betrieb aufgenommen worden. Es ist aber so rege, daß man nicht weiß, was man machen soll. Die meisten Kameraden schreiben Briefe nach hause, damit sie überhaupt eine Beschäftigung haben. Auf die Dauer ist das natürlich kein Zustand. Ich für mein Teil bin jedenfalls nicht damit zufrieden. Ich muß ein Tätigkeitsgebiet haben, damit ich weiß, weshalb ich hier bin. Ich kann es nicht so machen, daß ich tagelang herumsitze und nicht zu tun habe. Nur mit Briefeschreiben kann man den Tag nicht allein herumbringen. Ich bin auch, seit ich mich hier befinde, nicht in der richtigen Stimmung dazu. Es trägt auch vieles dazu bei, einem das Leben hier ungemütlicher zu machen, wie es notwendig ist.  Wenn die Möglichkeit besteht, werde ich versuchen, auch wieder zu meinem alten Chef zurückzukommen. Sollte das nicht durchführbar sein, dann muß ich mich vorerst mit dem abfinden, was hier gespielt wird.  Wenn alles geklappt hat, dann ist ja Erna gegenwärtig bei Dir. Ich bin gespannt, was sie Dir von Leipzig zu berichten hat. Ich für meinen Teil werde wohl nicht mehr viel Sache machen. Es kann ja sein, daß mit der Post, die noch aussteht, neue Nachrichten eintreffen. Ganz auf die Haltung Deines Vaters wird es ankommen, wie er sich verhält und wie er sich anstellt. Ich werde mich entsprechend einzurichten wissen. Die ganzen Tage habe ich wenig Zeit gehabt, darüber nachzudenken und ich kann Dir auch sagen, daß ich darüber froh war, denn das, was ich in der vergangenen Zeit wieder erlebt habe, hat mir wieder einmal für einige Zeit gelangt. Du mußt nicht etwas denken, daß es Dinge sind, die mich rein persönlich betreffen, oder daß ich persönlich angegriffen wurde, sondern es sind Dinge allgemeiner Natur, die einem aber allen Anlaß geben, sich darüber seine besondere Meinung zu bilden.  Nächste Woche hat unser Junge nun seinen Geburtstag. Die Jahre vergehen und man kommt dann später einmal wieder heim, und die Kinder sind groß. Wie viel versäumt man in den Entwicklungsjahren. Man kann fast sagen, daß man mit die schönste Zeit seines Lebens im Krieg zugebracht hat. Hoffen wir, daß wir alle alles gesund überstehen und noch verschiedene Jahre miteinander zusammen sein würden. Ich denke, daß man dann diesen Zustand, wie er jetzt herrscht, schneller überwindet. Die Anstrengungen und die unangenehmen Sachen wird man dann eher vergessen. Ich weiß wohl, daß es jetzt nicht anders geht, aber das Landsknechtleben bekommt man auf die Dauer so satt. Abgesehen davon, hat man schließlich noch eine Familie, die Rechte gegen einen hat.  Von hier kann und will ich Dir nicht viel berichten.  Wie Du aus meinen vorhergehenden Briefen gelesen hast, ist hier so wenige Angenehmes. Ich will Dir gern etwas zuversichtliche Briefe schreiben und Dir nicht nur etwas vorjammern, aber ich habe keine Post von Dir, auf die ich eingehen könnte. Ganz belanglose Sachen möchte ich nicht schreiben und nur Erfreuliches berichten will ich auch nicht, denn wenn es hier auch nicht gerade schön ist, so kann man es im Kreis von Kameraden immer noch ertragen.  Ich hoffe, daß Du durch die Veränderung nicht allzu lange hast auf Post warten müssen. Ich hatte zwar einige Tage nicht schreiben können, doch ich denke, daß ich jetzt wieder regelmäßig schreiben kann. Auf den Abend kann man sich hier nicht einrichten, denn bald ist es im Zimmer dunkel. Wenn man sich noch eine Weile ins Freie setzt, kann man gerade noch bis ½ 9 Uhr lesen, dann ist es aber für uns schon Schlafenszeit. Herzliche Grüße und wiederum viele Küsse sendet Dir und den Kindern Dein Ernst.
Urlaubskarten gibt es zwar nicht, aber wenn man sich eine Fahrkarte nach Kursk besorgt, wie sie beiliegt, müßte man einmal versuchen, ob man weiter damit kommt.
 
Mein liebes Mädel !                                                         31.7.42       

Von etwas soll ich Dir heute berichten. Von unserer Sommervilla „Luftig“? Also wie ich Dir schon öfter mitgeteilt hatte, sind wir mit Fensterscheiben sehr sparsam umgegangen. Dafür haben wir uns mit Sperrholzplatten versehen. Die Zimmer waren uns etwas dunkel, weil wir fast mitten im Wals stehen. Wals ist vielleicht etwas übertrieben, aber 20 Bäume stehen etwa vor unserem Haus. Gestern Abend war es gegen 7 Uhr schon so dunkel, daß man kaum mehr richtig essen konnte. Wenn man durch die jahrelange Gewöhnung nicht wüßte, wo der Mund ist, hätten wir das Essen einstellen müssen. Das war also ein Glück, daß man sich nun schon daran gewöhnt hatte. Aber immerhin, wir haben uns gesagt, es ist doch besser, wir schaffen etwas Licht und haben uns darüber hergemacht, einen Baum umzulegen. Das sah erst leichter aus, als es getan war. Damit der Baum auch richtig fällt, wollten wir fachmännisch  zu Werke gehen. Das notwendige Handwerkszeug war zwar nicht vollständig, aber mit einem Beil kann man doch schon allerhand anfangen. Das Werk schritt auch erst ganz gut fort, nur nahm es einen anderen Verlauf, wie wir es uns vorgestellt hatten.  Erstens war der Baum doch an der verkehrten Seite eingeschlagen, und dann drückte ein starker Wind in die Krone des Baumes, so daß der erwartete Erfolg ausblieb. Als seine Zeit gekommen war, fiel der Baum nicht zwischen den anderen Bäumen durch, sondern auf unser Hausdache. Erst hatte ich gedacht, das Haus sei beschädigt.  Du mußt nicht denken, daß hier die Sachen so zivil sind wie bei uns in Deutschland. Ich kann Dir nur noch sagen, daß wir schließlich mit vieler Mühe den Baum, der sich so stark an unser Haus anlehnte, doch noch zum Umfallen bewegen konnten. Wäre uns das nicht gelungen, so wären wir sicher ins Narrenblatt gekommen. Das haben wir schließlich noch abgewendet und unsere Ehre ist wieder makellos und rein. Heute muß aber noch einer fallen. Ich hoffe, daß uns das Glück oder besser gesagt unser Geschick gnädiger ist wie gestern. Wenn man hier keine Arbeit hat, dann muß man sich eben welche machen.  Gestern hatte ich noch an Nannie geschrieben. Vorgestern an den Tommi und an Wittenburg. Von dem letzteren habe ich noch keine Nachricht überhaupt erhalten, ich weiß nicht, was da eigentlich los ist. Annehmen muß ich, daß die Einheit noch an ihrem Platz ist, denn ein Schreiben, das von hier an die Zahlmeisterei ging, kam dieser Tage beantwortet zurück. Heute will ich noch an Siegfried schreiben. Durchschläge kann ich Dir nicht senden, weil ich augenblicklich keine Maschine hier zur Verfügung habe. Ich schreibe nur ganz kurz, damit sie weiß, wo ich jetzt stecke. An Deinen Vater schreibe ich nicht eher, bis ich von ihm wieder Nachricht bekomme, weil ich erst sehen will, wie er sich zu allem einstellt. Ich hoffe, daß morgen mit unserem Restkommando aus Mirgorod noch die inzwischen aufgelaufene Post eintrifft. Hoffentlich läuft sie dann bald bei unserem neuen Postamt ein, damit wir wieder laufend versorgt werden.  Zu schreiben wüßte ich heute nichts besonderes weiter. Ich bitte Dich darum, schließen zu dürfen. Nimm recht viele Grüße und Küsse entgegen von Deinem oft an Dich und die Kinder denkenden Ernst.
Eine Luftpostmarke für Deinen Gebrauch sende ich Dir heute noch mit zu.


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