Meine
liebe gute Annie ! 25. 7.
42
Ich
bin wahrhaftig nicht dazu gekommen, Dir eher wieder zu schreiben, denn in den
letzten Tagen sind wir so in Anspruch genommen worden, daß ich erst heute
wieder mich hinsetzen kann, Dir unsere veränderte Lage zu schildern. Heute vor einer Woche sind wir in Mirgorod
weggefahren. Am Abend vorher hatte und das Soldatenheim einen Abschiedsabend
bereitet, der sehr schön aufgezogen worden war. Es gab belegte Brote in
ausreichender Menge, dazu schwarzen
Tee, hinterher Wodka und später Kaffee und Kuchen. Es war alles sehr nett gemacht, so daß man das als einen schönen
Abschluß in diesem Ort betrachten konnte. Am folgenden Morgen war 4 Uhr Wecken
und um 5 Uhr mußte alles marschbereit stehen. Unser Gepäck hatten wir ja schon
vorbereitet, so daß von uns aus alles planmäßig klappte. Unsere Karawane setzte
sich zusammen aus 5 PKW , 4 Krafträder und 5 LKW. Es war immerhin ein ganz
ansehnlicher Zug. Die Bevölkerung stand trotz der frühen Morgenstunde an der
Straße und brachte uns Blumensträuße und winkte uns zum Abschied. Ich war verwundert, daß die Leute sich dazu
hergefunden hatten. Man kann dafür
betrachten, daß wir unsere Sache dort ordentlich gemacht hatten. Wir sind dann mit unserem Tross losgezogen.
Die Wege, die uns schon anfänglich so schlecht erschienen, weil die schwer
beladenen Wagen nur so durch die Gegend schaukelten, gingen immerhin noch. Ich
saß in einem erbeuteten russischen Lastkraftwagen, der für 3 ½ t berechnet war.
Ich glaube, daß aber ziemlich mehr darauf war. Teilweise sind wir mit mehr oder
weniger großen Pannen durch die Gegend gezockelt. Man glaubt ja nicht, wie weit
das russische Land ist. Bis zur Ankunft in diesem elenden Kaff haben wir rund
500 km zurückgelegt. Erst den Rest, der uns noch in der Ukraine blieb bis wir
ins eigentliche Rußland hineinkamen.
Meine
liebe Frau ! 26.7.42
Es tut mir leid, daß ich gestern nicht fertig schreiben konnte, aber bei dem Betrieb, der jetzt hier herrscht, war es mir gänzlich unmöglich, fertig zu schreiben. Ich hatte erst die Absicht, Dir unsere Fahrt zu beschreiben, aber ich glaube nicht, daß ich gleich alles vollständig schreiben kann, darum möchte ich erst vom Gegenwärtigen berichten, damit dieser Brief wieder weggehen kann. Wir kamen hierher und fanden alles zerstört vor. Dächer abgedeckt. die Fensterscheiben kaputt, zum Teil die Fensterrahmen herausgerissen, die Zimmer ohne Putz, der Schutt in den Zimmern, die wir bewohnen, soll teilweise eine halben Meter hoch sein. Ein Bild, nicht zu beschreiben. Unsere erste Notunterkunft war mehr als primitiv. Wir haben schon auf unserer Herfahrtgemerkt, daß es mit der Kultur immer mehr nachgelassen hat. Dies vor allem in Bezug auf die Unterkunft. Einmal bekamen wir wohl Matratzen, doch ohne irgendwelche Unterlage, das andere Mal kamen wir in einem sogenannten russischen Hotel unter. Da gab es sogar noch einen Strohsack, aber dann hörte es auf. die anderen Male wurde uns Heu aufgeschüttet und dann fanden wir das letzte Mal in einem Speicher einer Güterhalle noch etwas Stroh. Hier aber finden wir nichts, aber auch rein gar nichts vor. Hier legten wir unsere Zeltbahn unter, die Decke diente uns dazu, daß wir nichtgerade frieren sollten. Die Sachen haben wir aber seit unserer Abfahrt bis heute noch nicht vom Körper herunterbekommen, weil wir es in der Nacht nicht aushalten würden. Inzwischen haben wir eine Notunterkunft bezogen, weil in der ersten Büroräume a eingerichtet worden sind. Gestern nacht hat es nun geregnet. Ich kann Dir sagen, mitten im Schlaf hörte ich immer ein Klatschen bis ich richtig munter wurde, merkte ich, daß es frisch auf meine Decke tropfte, so daß ich schleunigst das Feld räumen mußte. Bis jetzt liegen wir immer noch auf den Dielen. Die Knochen liegen sich schon ganz und gar durch. Nachts weiß man nicht, wie und wo man sich legen soll. An Ausruhen ist nicht zu denken. Zu allem kommt noch, daß wir hier Abbruch und Aufräumungsarbeiten durchführen müssen, damit wir uns das Notwendigste an Einrichtungsgegenständen für unsere Arbeitsräume schaffen können, denn es ist überhaupt nichts vorhanden. Aus einer Apotheke haben wir einen Ladentisch ausgeräumt. Sämtliche Kästen und die Platten fehlten. Jetzt haben wir diese Tische auseinandergesägt, das gibt fünf Schreibtische. Tischplatten sollen wieder wo anders hergenommen werden. Aus einer Druckerei haben wir von Setzkästen einige Platten herausgeholt, die werden dazu verwendet werden, soweit sie dazu ausreichen. Stühle sind keine vorhanden. In der ganzen Umgegend wird alles unsicher gemacht und jedes Haus, das nicht bewohnt ist und wo etwas Brauchbares zu finden ist, wird organisiert. Früher habe ich immer über die Franzosen gelacht oder besser gesagt vermaledeit, wenn sie sich aus altem Gerümpel und aus der Asche noch einigermaßen verwertbare Sachen herausgefischt hatten. Hier sind wir direkt auf eine derartige Arbeitsweise angewiesen, denn sonst müßten wir auf dem Fußboden weiter hausen. Fensterscheiben sind weit und breit keine aufzutreiben. Aus einem Magazin haben wir sämtliche Sperrholzplatten, mit denen dieser Laden verkleidet war, herausgerissen, damit wir etwas vor die Fenster bekommen haben, damit es nicht ga zu sehr zieht. Von dem Dreck, der hinter diesen Platten war, will ich nicht erst viel reden. Sagen kann ich aber noch, daß wir hinterher wie die Schweine ausgesehen haben. Wenn ich von Laden usw. schreibe, so mußt Du dies nicht mit deutschen Maßstäben betrachten. Wenn wir bei uns solche Läden eröffnen wollten, so würde die Gewerbepolizei dies schon in der nächsten Stunde schließen. In der Ukraine war es schon trostlos, aber die Zustände, wie sie hier herrschen, sind schon nicht mehr zu beschreiben. Dort hatte ich immer gemeint, daß unsere Propaganda etwas übertreibt, denn immerhin ließ es sich dort noch leben. Hier haben wir aber erst die richtigen paradiesischen Verhältnisse angetroffen. Unser Dolmetscher sagte zwar, daß diese Gegend schon in der Zarenzeit keinen guten Ruf hatte. Da kannst Du erst ermessen, wie es sich jetzt hier „verbessert „ hat. Wie ich Dir schon schrieb, liegt dieses Kaff zwischen Woronesch und Kursk. Auf der einen Landkarte, die ich hier habe, ist Schgry verzeichnet. Bis dorthin kann man mit der Bahn in wenigen Stunden sein. Das ist also der nächste größere Ort. Was ich hier vom Dienst geschrieben habe, so besteht er in erster Linie erst einmal im Aufräumen und Zusammenbasteln. In Deutschland würde sich keiner in ein derartig eingerichtetes Büro setzen, aber hier muß es gehen. Wie uns zu unserem Trost schon gesagt wurde, sollen wir uns auf den Winter hier einrichten. Das sind nette Aussichten. Vorgestern Nacht mußte ich mit Wache schieben. Das ist ja weniger angenehm, aber dei den wenigen Leuten läßt sich das nicht ganz vermeiden. Da bin ich auch die halbe Nacht draußen rumgestiegen. Tagsüber haben wir dann ½ 6 Uhr wecken, 7 Uhr Antreten zum Befehlsempfang, dann geht der Dienst bis mittags ein Uhr und um drei Uhr fangen wir wieder an. 6 Uhr ist dann der Dienst beendet. Du kannst Dir vorstellen, daß das ziemlich reichlich ist. Das geht wieder Wochen wie Sonntag. Zum Schreiben konnte ich dabei noch nicht viel kommen, denn nach dem Dienst müssen wir dann unseren Kram zusammensuchen, den wir für uns brauchen. Ich denke aber, daß wir in wenigen Tagen das Gröbste geschafft haben. Dann komme ich auch wieder mehr zum Schreiben wie bisher. Trotz aller Strapazen verlieren wir , wie ich Dir schon schrieb, den Humor nicht. Unsere Kommandantur befindet sich direkt am Bahnhof, so daß schon festgestellt wurde, daß wir wahrscheinlich die einzige Kommandantur mit Gleisanschluß seien. Daß wir keine Fenster in unserem Zimmer besitzen, hat auch seine Vorteile, man braucht nicht erst aufzumachen und hat dauernd frische Luft. Wenn einem etwas im Wege ist, wirft man es zum Fenster hinaus, denn im Hof ist noch mehr Unrat. Als Kameraden an unserem Zimmer vorbeikamen, haben wir ihnen anfänglich hinterhergerufen, sie sollten doch einmal die Türe zumachen. Die haben erst gesucht, fanden aber dann, daß sich keine mehr daran befindet. Daß sich unsere Herren Offiziere erst mit Betten, also mit Matratzen eingedeckt haben, hat für diese Herren auch so manche Freude mit sich gebracht. Als ich neulich Dienst hatte, konnte ich beobachten, wie einer nach dem anderen in seinem Zimmer Licht machte, um die kleinen niedlichen Maikäfer zu suchen, die sich mit diesen Bettgestellen gleichzeitig angeheuert hatten. Lieber will ich auf dem blanken Fußboden schlafen, als mich mit diesem Viehzeug herumzuärgern. Mir wäre diese Sache nicht gleich eingefallen, aber auf meinem Schreibtisch bemüht sich krampfhaft eine Wanze, wieder auf die Beine zu kommen. Solche und ähnliche nette Geschichten könnte ich noch massenhaft erzählen, doch das werde ich nach und nach tun. Für heute möchte ich abschließen, damit endlich dieser Brief herauskommt. Sei Du mein liebes Mädel recht herzlich gegrüßt und vielmals geküßt. Ich will versuchen, nun wieder regelmäßig zu schreiben. Nochmals viele Küsse von Deinem Ernst.
Mein
liebes Mädel !
27.7.42
Gestern hatte ich Dir einen langen Brief geschrieben, hatte aber nicht bemerkt, daß ich noch eine Luftpostmarke habe. Ich will daher diesen Brief möglichst beschleunigen, damit Du nicht zu lange auf Nachricht warten mußt. Unser Dienst erstreckt sich immer noch im wesentlichen, wie ich Dir gestern schon mitteilte, mit Abreißen uns Zusammensetzen und Aufbau. Nebenher machen sich schon leise Anzeichen bemerkbar, was es hier zu tun gibt. Es wird nach und nach hier sich einspielen. Vorgestern haben wir einen Partisanen erschossen. Der wurde bei uns eingeliefert und sollte zur Vernehmung am nächsten Tage in Gewahrsam genommen werden. Bei der Überführung in das Gewahrsam sollte er uns durch die Lappen gehen. Verschiedene Schüsse, die ihm hinterhergejagt wurden, verletzten ihn wohl leicht, aber doch nicht so, daß er nicht mehr weiter konnte. Ein Kamerad, der Wache hatte, hat dann mit dem Gewehr im den Rest gegeben. Am nächsten Morgen habe ich ihn mir angesehen. Das geht hier schnell bis jemand umgelegt ist. Ein Jude wurde auch schon eingeliefert. Wahrscheinlich wird es hier nicht viel Juden geben, wie in den Gebieten vorher. Dort sind ja alle „umgesiedelt „ worden. Es kann ja sein, daß diese Brüder den Braten gerochen haben und gleich mit getürmt sind. Aber wenn wir schon aufräumen, dann müssen wir gleich gründlich sauber machen, denn sonst hat es keinen Zweck. Es mag wohl sein, daß wir jetzt erst die Kleinen erwischen, aber die Großen bleiben uns immer noch sicher. Was sonst noch in der großen Welt passiert, erfahren wir kaum, denn wir sind sozusagen von der Außenwelt abgeschnitten. Radio habe ich schon seit bald 14 Tagen nicht mehr gehört. Wir sehen nur, wie in rauen Mengen die Flieger von früh bis spät in der Nacht über uns wegrauschen. Ab und zu verirrt sich einmal russischer Aufklärer. Vielleicht läßt er auch einmal einige kleine Bomben fallen, das bringt uns aber nicht aus dem Gleichgewicht. Höchstens die Arbeitskräfte suchen sofort das Weite, wenn es auch nur annähernd dein Anschein hat, als könnte es ein Russe sein. Daß die Leute vor den Fliegern Respekt haben, ist mir ja erklärlich, denn wenn ich bedenke, daß allein im Umkreis von 50 m bei unserer Unterkunft etwa 20 Bomben gefallen sind, da kann ich mir vorstellen, wie das gerappelt haben mag. Gestern hatte ich mich geärgert. Da ist ein Leichtkrankenzug hier durchgefahren, Ich erfuhr dies aber erst, als er gerade wegfuhr. Es ist nicht ausgeschlossen, daß Siegfried damit gefahren ist. Ich hätte mich wenigstens danach erkundigen können. Mit dem Datum bin ich seit unserer Abreise ganz durcheinander. Heute habe ich es auch verschrieben. Für die Briefe von Dir und von Helga, die ich vor unserer Weiterfahrt noch erhielt, danke ich Dir nochmals. Es hat mich sehr gefreut, daß die Kinder so brav waren, als Du im Kino Dir den Film „Dorf im roten Sturm“ angesehen hattest. Diesen Film hatte ich ja in Frankreich gesehen, in finde, daß er sehr packend war. Daß Dir die Kinder aber diese Überraschung bereitet hatten. Ich kann mir vorstellen, wie das die Kinder nett gemacht hatten. Daß sie sich schon so dichterisch betätigen, finde ich sehr lieb von ihnen. Daß das nicht so einerlei ist, wenn man einige Tage keine Post bekommt, das weiß ich nur zu gut. Gegenwärtig werde ich von allem hier noch so in Anspruch genommen, daß ich gerade froh bin, wenn ich abends mich hinlegen kann. Wenn ich nicht so sehr müde wäre, könnte ich bei dem Lager kaum schlafen. So merkt man erst das gegen morgen, wie hart und unbequem es ist. Froh bin ich nur, daß ich bis jetzt noch vom Ungeziefer verschont worden bin. Ich hatte zwar vor einigen Tagen schon Bedenken, daß ich vielleicht Läuse aufgegabelt hätte, zu meiner Beruhigung war dies aber nicht der Fall. Ich würde mich höchst unglücklich fühlen mit Ungeziefer. Ich grüße Dich und die Kinder recht herzlich und bitte Dich recht viele Küsse entgegenzunehmen von Deinem Ernst.
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