Sonntag, 2. Juli 2017

Brief 284 vom 26./27.6.1942


Mein lieber Schatz !                                                           26.6.42     

Meinen gestrigen Brief mußte ich plötzlich abbrechen, weil ich erst keine Zeit hatte, ihn fertig zumachen und dann hieß es, der Kurier fährt mit der Post weg. Den Brief an Siegfried wollte ich nun auch los werden, denn die Sache soll einmal ihre Erledigung finden. Ob Du mit dem voll einverstanden bist, was ich geschrieben habe, weiß ich zwar nicht, doch ich nehme es an und hoffe es. Deinen Brief vom Baden hatte ich gerade beantwortet und ich gab der Hoffnung Ausdruck, daß die Kinder vielleicht noch einmal schwimmen lernen.
Daß sich unser Junge mit seinem Motorboot vergnügt hat und fast nicht aus dem Wasser herauszubringen war, das kann ich mir so richtig vorstellen. Daß es sich bei hm noch vielen Redens bedarf, das kenne ich ja noch von früher her. Daß Du Dich auch dabei etwas erholt hast, macht mir Freude, und ich würde Dir raten, daß Du das nach Möglichkeit öfter machen solltest, denn Du kommst dabei aus dem ewigen Alltag heraus und kommst auch auf andere Gedanken. Der Weg ist zwar ein ganzes Ende, aber es wird sich hin und wieder doch so einrichten lassen. Die Kinder können ja auch vorausgehen  und Du fährst mit dem Rad hinterher. Daß der Vorschaltwiderstand so empfindlich ist, ist ja schade. Hoffentlich hast du nicht bald wieder eine Panne damit. Sehr Euch nur vor, daß Euch nichts passiert. Wenn ihn der Maier gleich wieder gemacht hat, dann war ja der Ausfall nicht so groß. Wenn ich so denke, wie ich früher jeden Wehrmachtsbericht hören mußte, wie ich dann in Frankreich immer mit den neuesten Nachrichten versorgt war, sei es durch Zeitungen oder ach durch Radio, so muß ich mich über mich selbst wundern, wie ich jetzt tagelang ohne irgendwelche Nachricht auskomme. Meist erfährt man hinterher, was passiert ist, denn unser Radio, das geht einmal und ein andermal setzt es wieder aus. Man nimmt es nicht mehr so genau. Die Zeitungen, die ich von Dir erhalte, sind ja meist über eine Woche alt. Aber ich lebe auch und man stört sich schon nicht mehr daran, daß es so ist.  Ich bitte, das nicht als Klage aufzufassen, denn der Zeitungssegen kommt ziemlich reichlich von Dir. Ich bin in der Einheit jetzt einer von den Postgroßempfängern. durch Deine zahlreichen Sendungen, so daß das bald den Neid der Kameraden erweckt. Laßt Euch die Erdbeeren nur schön schmecken. Wir bekamen am letzten Sonntag zum Grießpudding auch einige Erdbeeren daraufgelegt. Daß man das hier nicht in großem Ausmaß machen kann, ist ja jedem von uns erklärlich, und ich muß schon sagen, daß jeder schon damit zufrieden ist. In der Woche gibt es manchmal zum Quark ein Bund Radieschen, zum Mittagessen gibt es öfter Salat, also man gibt sich mit der Verpflegung immer noch für die hiesigen Verhältnisse große Mühe.  Daß Dir die Erdflöhe im Garten so zu schaffen machen und Dir die Setzlinge kaputt machen, das ist schon ärgerlich. Da muß ich sagen, daß sich hier die Leute wenig Sorgen um ihre Anpflanzungen machen. Hier gehen sie her, scharren ein Loch aus, werfen eine Kartoffel hinein und mit dem Fuß schieben sie die Erde  darüber. Es wächst zwar auch, aber der Boden braucht nicht ausgenutzt zu werden wie bei uns daheim. Die übrigen Sachen werden bei Gelegenheit einmal gehackt, aber das ist alles. Eines halte ich aber für die Bekämpfung des Ungeziefers für praktisch.  Ich glaube zwar nicht, daß man das aus diesen Gründen tut. Hier setzt man die Gurken zwischen die Sonnenblumen und Rüben zwischen die Kartoffeln. Es geht ziemlich bunt durcheinander in den Gärten hier, aber bei dem fruchtbaren Boden wächst alles. Daß die Brombeeren in im letzten Winter so gelitten haben, ist schade, doch muß man sich mit dem zufrieden geben, was man bekommt. Man hofft dabei immer von einem Jahr auf das andere. Mit den Stachelbeeren sind wir bis jetzt immer noch am besten gefahren.  Für die Übersendung der Gebrauchsanweisung danke ich Euch bestens. Ich kann sie nur nicht gut ausschneiden und vorher malen. Daß Du an Kurt meine Hosen entlehnt hast, das macht mir nichts aus. Denn wegen dieser paar Tage lohnt es sich ja nicht, daß er erst alles herauskramt. Ich denke, daß er nichts dagegen gehabt hat, wenn er wieder einmal Zivilklamotten anziehen konnte.  Wegen der Sache mit der Höheren Schule habe ich nachgedacht, was man da machen soll. Ich will nicht, daß Helga gezwungen werden soll. Wenn sie keine Lust dazu hat, braucht sie es nicht zu machen. Die Kosten, die dadurch entstehen würden, könnten wir schon aufbringen, denn ich will nicht, daß später einmal die Kinder sagen, wenn mein Vater das ermöglicht hätte, dann könnte ich mehr gelernt haben. Ich will sie nicht aus falschem Stolz in die höhere Schule schicken, denn das hat auch keinen Zweck.  Vielleicht sprichst Du einmal mit der Lehrerin, was sie davon hält. Man braucht sich ja nicht darnach zu richten, aber man kann sich dann immer so oder so entscheiden. Ich lege Wert darauf, daß unser Kinder entsprechend ihrem Entwicklungsvermögen in der Schule ausgebildet werden. Was sie nicht machen können, das verlange ich nicht von ihnen. Ich weiß, daß die Hauptschule schon etwas wert ist, und daß sich Helga auch dort weiterbilden kann.  Daß sie nervös ist, rechne ich vor allem ihrem Wachstum zu. Daß ihr das Kopfrechnen etwas schwer fällt, ist an sich nicht so schlimm, denn man kann nicht auf allen Gebieten vorbildlich sein.  Ich denke, daß Du meine Auffassung verstehst. Wenn das auch noch eine Weile  dauert, bis diese Frage endgültig akut wird, so wollen wir es doch nicht auf die letzte Zeit ankommen lassen.  Daß Dir Vater von dem Brot abgegeben hat, was er von Fricks bekommen hat, ist sehr nett von ihm. Ich habe nun auch daraufhin zwei Päckchen mit Brot fertiggemacht, selbst auf die Gefahr hin, daß es schimmlig werden sollte. Ich hoffe zwar, daß es gut ankommt. Die Päckchen haben die Nummern 8 und 9.  Die Zeitungssendungen sind mir eine willkommene Abwechslung und ich freue mich, daß ich immer etwas zu lesen da habe. Ich bitte Dich aber, nicht zuviel zu senden, denn einesteils kann ich mit Kameraden austauschen und dann wird es sonst auch zuviel auf einmal. Ich kann Dir auch berichten, daß wir von der Rosenberg Bücherspende eine Bücherei mit etwa 100 Bänden bekommen haben. Bis ich mich da durchgelesen habe, vergeht schon noch mancher Tag. Von Friedrich Giese habe ich jetzt gelesen „Feuer“ und heute habe ich mir entlehnt „Litauer Geschichten“ von Sedarmin. Solange das Wetter noch einigermaßen ist, gehe ich noch an die Luft. Die übrige Zeit habe ich dann schon zu lesen.  Von Wittenburg habe ich bis jetzt noch keine Nachricht erhalten. Was dort los ist, weiß ich nicht.  Der Postweg ist ja etwas verzwickter. Wegen der Restschuld hatte ich Dir schon geschrieben, was ich da unternommen hatte. Ich hatte doch an Henkes geschrieben, wie ich das an ihn noch begleichen könnte. Seine Mutter , die im Elsaß wohnt, könnte evtl. den Rest in Empfang nehmen. Die Adresse wollte er mir mitteilen. Für das Kurze Geschichten Heft danke ich Dir. Es ist aber nicht notwendig, daß Du nochmals etwas kaufst, weil ich, wie ich Dir schon mitteilte, hier etwas zu lesen bekommen haben. Ich weiß, daß diese Geschichten nicht schlecht sind, weil ich schon von Kameraden eines dieser Hefte gelesen habe.  Wegen den übrigen Papieren, die ich noch benötige, um evtl. etwas wegen der Beförderung zu unternehmen, hatte ich Dir schon geschrieben. Wenn ich diese bekomme, will ich sehen, was sich tun läßt. In der Abschrift allein steht nicht viel drin, was ich da für Sachen benötige, kann ich jetzt schlecht erfragen. Wenn ich daheim wäre, könnte ich mich eher darum umtun. Das ist für Dich aber schwer möglich, ich will darum sehen, wie ich zu meinem Ziel komme. Daß Kurt die wenigen Urlaubstage zu einigen Fahrten benutzt hat, ist ganz richtig von ihm. Wenn er in Karlsruhe ist, wird er wohl ab und zu nach Blankenloch fahren. Daß ihn die Fricks nach ihrem Können unterstützen, glaube ich gern.  Daß Du mit dem Käse einen gewissen Rückhalte hast, freut mich sehr, denn unsere Kinder brauchen doch allerhand. Wenn die mit dazu hilft, dann ist mir das eine große Freude. Wegen des Mehls habe ich leider noch nichts weiter unternehmen können. Ich bedaure das außerordentlich, aber es gab bis jetzt keine Möglichkeit. Ich werde es aber nicht aus dem Auge verlieren.  Deinen Standpunkt wegen der Aufnahme von Erna billige ich in jeder Beziehung. Wenn sie etwas anderes machen will, dann kann sie sich ja immer einrichten. Wir wollen aber unseren guten Willen zeigen und tun, was uns möglich ist. Man weiß ja nicht, wie man auch einmal jemand anderes braucht, Daß unserem Jungen der Holzpanzer Spaß macht und daß er sich dafür interessiert, kann ich mir gut denken, denn ich konnte mir vorstellen, wie wir als Kinder gehandelt hatten. Ich entsinne mich, bei uns im Hof, da lag einmal ein Rumpf von einem Flugzeug. Ja, da war unserer Phantasie keine Grenzen gesteckt.  Wir stellten fest, wie klein ein Flieger aussah, wenn er so und soviel tausend Meter hoch fliegt. Wie es dort oben kalt ist und machten uns Gedanken darüber, was wohl die Flieger machen, wenn sie einmal austreten müssten und kein WC sei da. Dies beschäftigte uns sehr, aber das nicht allein, sondern es war auch noch Krieg, da erzählten wir uns, wie sie sich gegenseitig schießen und viele andere Dinge, die einen Jungen beschäftigen können. Daß wir da feste drin herum geklettert sind, das kannst Du Dir wohl vorstellen. Daß Du für mich schon so zeitig Päckchen auf den Weg gebracht hast, ist sehr lieb von Dir und ich danke Dir schon im voraus. Ich werde sie aufheben, wenn sie schon früher ankommen sollten und erst am Geburtstag öffnen. Daß Du einmal Deinen Brief mit „Marianne“ unterschrieben hast, ist ja ein nie wieder gut zu machender Fehler. Das wirst Du wohl büßen müssen. Ich überlege mir nur wie. Vielleicht hast Du einen gangbaren Vorschlag? Gestern Abend bekam ich nun noch Deinen Brief vom 13., für den ich Dir wieder vielmals danke. Das mit dem Geld hat hoffentlich seine Erledigung gefunden. Ich glaube, daß er auch ankommt, wenn Du die alte Feldpostnummer angegeben hast. Für die mitgesandten Bilder danke ich Dir recht sehr. Sie sind nicht gerade besonders gut geworden, aber man sieht doch, was es sein soll. Daß auch unser Junge Spaß am Turnen hat, freut mich, denn er soll vor allem gelenkig werden. Das kann aber nur erreicht werden, wenn er sich sportlich betätigt. Ich glaube nicht, daß er sich gerade ungeschickt benehmen wird. Aber über seine Zeichnung, die er mir geschickt hat, von dem Holzpanzer, habe ich mich aber gefreut.  Ich wundere mich nur, wie er das so ohne jede Anleitung fertig bringt. Sie ist perspektivisch sogar richt angefasst. Daß die Maße nicht ganz genau sind, das ist für das erste belanglos. Ich habe mich wirklich sehr gefreut, daß er sich das richtig angesehen hat. Denn gerade beim Zeichnen ist Sehen die Hauptsache. Ich freue mich umso mehr, daß er das kann, weil ich selbst kein großer Zeichner war.  Daß Du schon Deine Briketts zum Teil im Keller hast, ist mir eine Beruhigung. So kann kommen, was will, Du hast wenigstens einen Teil des Brennmaterials im Keller. Daß es nicht soviel Holz gibt ist, ist schade. Vielleicht kannst Du einige Säcke  beim Kohlenhändler erhalten, denn man weiß ja nicht, wie es im nächsten Jahr ist. Daß Ihr von dem Obst, was Ihr aus dem Garten habt, schon fest gegessen habt, ist durchaus richtig. Wenn das Brot noch gut ankommen sollte, dann kannst Du es ja in Milch aufweichen und mit Obst zurechtmachen, dann kann man es auch noch so verwenden.  Für heute habe ich Dir wieder viele geschrieben.  Ich denke, daß Du zufrieden  sein wirst. Nimm Du viele herzliche Grüße und ebenso viele Küsse entgegen. Grüße unsere Kinder und richte ebenfalls an Vater herzliche Grüße aus. Dich selbst küßt nochmals Dein Ernst.
 
Meine liebste Annie !                                                     27.6.42           

Das Wochenende ist wieder heran gekommen. So steht es wenigstens auf dem Kalender, wir selbst merken ja nicht viel davon. Morgen Nachmittag habe ich Dienst, dafür werde ich am Vormittag vom Dienst verschont. Hier vergehen die Tage und die Wochen. Ein Tag gleicht dem anderen, eine Woche der anderen. Was spielt das für eine Rolle, was für ein Tag ist. Man ist immer so einigermaßen froh, wenn ein weiterer Tag herumgegangen ist, an dem man weiter keine seelische Beschwernisse hatte. Man hofft auf ein baldiges Ende und traut sich doch nicht darüber nachzudenken, weil man dann in eine Stimmung verfällt, die nicht zuträglich ist hier in dieser Umgebung. Heute ist Bierabend angesetzt und morgen ist Kinovorstellung. Die Abende in der kommenden Woche werde ich wieder mit Lesen zubringen. Das Programm steht also schon wieder fest. Ich will aber immer noch zufrieden sein, denn es gibt Kameraden, die es noch schlechter haben. Das ist es auch, was einen immer noch trösten kann. An die, die es noch besser haben wie wir, will ich nicht denken, denn dann kann man nur bitter werden und das ist auch wieder nicht gut. Ich will darum versuchen, über die unangenehmen Dinge hinwegzusehen, dann geht es wieder eine Weile. Gestern war wieder Jahrestag. Vor zwei Jahren wurde ich von der Truppe abkommandiert nach Lille. Heue sind es zwei Jahre her, als ich Euch das erste Mal, zwar unverhofft, besuchen konnte. Welche Überraschung war es für Dich und die Kinder und welche Freude für mich, daß ich Euch besuchen konnte.  Man hätte damals nicht geglaubt, daß ich zwei Jahre später in Rußland tätig sein würde. Was hat sich in dieser ganzen Zeit ereignet und was hast Du schon alles ertragen müssen. Dadurch, daß ich von der Truppe weggekommen bin, habe ich wohl ziemliche Strapazen nicht mitmachen müssen und ich kann sagen, daß ich es in vieler Beziehung leichter gehabt habe. Aber wenn ich gerade das vergangene Jahr überdenke, dann habe ich auch manchen Ärger mitmachen müssen. Das ist aber alles vorbei und wir wollen vertrauensvoll in die Zukunft scheuen mit dem festen Entschluss im Herzen, das zu tun, was von uns gefordert werden kann. Es kostet für uns alle Energien, weil manchmal sehr viel gefordert wird.  Einen Wunsch will ich heute wieder äußern. Ich habe jetzt in der letzten Zeit viel von Dir verlangen müssen, es kann sein, daß auch mein heutiger Wunsch noch lange nicht der letzte ist. Ich weiß wohl, daß Du mir gern einen Wunsch erfüllen wirst, soweit sich das machen läßt, aber ich will Dich nicht noch mehr belasten, wo Du schon ohnehin belastet bist. Ich denke, daß die Mücken und Fliegenplage schlimmer werden wird, wenn einmal die wärmere Jahreszeit anhalten wird, darum wäre es gut, wenn ich so eine Art Schleier hätte, den man über den Kopf ziehen kann und unten zumachen kann. Denn nachts wird man sonst schlecht schlafen können. Bis jetzt geht es noch, denn es war immer noch verhältnismäßig kühl.  Heute finde ich in der Zeitung eine Todesanzeige, die wahrscheinlich Kurt interessieren wird. Wenn Du willst, kannst Du sie ihm ja einmal mitschicken. Du weißt doch, wer das ist?  Das Wetter scheint jetzt doch einigermaßen beständig zu werden. Seit Dienstag habe es nur einmal geregnet und das war gestern. Da gab es über Mittag ein Gewitter, das von einem wolkenbruchartigen Regen begleitet war und dann hat sich das Wetter wieder herausgemacht. Es wäre zu wünschen, daß endlich einmal die Straßen für längere Zeit passierbar wären. Ich hatte immer schon mit einem weiteren Vorwärtsrücken gerechnet, aber solange der Kampf noch nicht weitergeht, bleiben auch wir am Ort.  Post wird es vielleicht morgen wieder geben, denn heute war außer zwei Zeitungen nichts dabei für mich. Es ist ja ein ziemlich ständiger Kurierdienst eingesetzt worden, der von uns mit anderen Einheiten versehen wird, dadurch ist eine Besserung in der allgemeinen Postversorgung eingetreten.  Herzlich grüße ich Dich und küsse Dich und die Kinder. Bleibt mir gesund und denke Du an Deinen Ernst.


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